Man muss auch jönne könne

Patente? Wozu? Ein, zwei Jahre hütet Rupp + Hubrach ein Geheimnis, danach gibt der Brillenglashersteller Ideen und Verfahren an die Konkurrenz weiter, die dann damit auf dem Weltmarkt gute Geschäfte macht. Der Pionier kann es sich leisten: Immer neue Sprünge in der Produktentwicklung sichern dem Unternehmen die Innovationsführerschaft.




Thorsten Stein sitzt im korrekten dunkelgrauen Anzug am Besprechungstisch, aufrecht, die Hände gefaltet und sagt Sätze wie: „Ein Nanometer ist der tausendste Teil eines Mikrometers“ oder „ein Kontrastfilter mit hohem Blauanteil reduziert das Streulicht“. Dann öffnet er das blaue Etui, hebt die Brille vorsichtig aus der Schachtel, nimmt sie behutsam in die linke Hand und zeichnet mit seiner rechten die Kurven der geschwungenen Gläser nach. Sanft, ohne sie zu berühren, fast zärtlich. „Das ist Polycarbonat, ein schlagfestes Material aus der Raumfahrt.“ Stein ist in seinem Element: „Das Besondere daran sind die Bruchsicherheit und unsere Veredelung, die Silberverspiegelung ‚Take Ice‘. Wir waren die Ersten, die die Färbung dieses Materials realisiert haben.“

Wir, das ist der Brillenglashersteller Rupp + Hubrach, dessen Entwicklungsabteilung Thorsten Stein leitet. Der Hersteller, der in der Branche durch immer neue Produkte von sich reden macht. Und dem mit getöntem Polycarbonat wieder mal eine Innovation gelungen ist. Unter dem Markennamen „Tilium plus“ hat das Unternehmen sie im November 2002 auf den Markt gebracht. „Während andere noch an einem Problem tüfteln, präsentiert Rupp + Hubrach schon eine Lösung“, schrieb das Branchenmagazin Optic und Vision vergangenes Jahr. Der Mittelständler – mit 516 Angestellten nicht einmal in seiner Heimatstadt Bamberg größter Arbeitgeber – überrascht die Branche regelmäßig mit Neuem. 1994 revolutioniert Rupp + Hubrach den Markt mit einer hauchdünnen Lackschicht, die Kunststoffgläser extrem kratzfest macht. 1996 bietet die Firma den Optikern an, die Brillengläser per Computer gestellgerecht einzuschleifen. 2001 folgen individuell korrigierte Gläser für geschwungene Sportbrillen.

Deutschlands Augenoptiker kennen keinen besseren Brillenglasproduzenten, wie die jüngste Umfrage des Branchen-Informationsdienstes Markt Intern unter 12.000 Optikern ergab. In den Augen der Brillenhändler ist Rupp + Hubrach besonders gut bei der „Entwicklung und Umsetzung von Neuheiten“. Und das schon seit Jahren: Auch bei der Umfrage zuvor (im Jahr 2000) wurden die Bamberger auf Platz eins gesetzt.

Innovationen, sagt Entwicklungschef Stein, „entstehen immer dann, wenn man sagt: ,Das ist unmöglich‘. Wir müssen den Nachweis erbringen, dass es doch möglich ist“. Dass ihm das scheinbar Unmögliche dann und wann gelingt, erfüllt ihn durchaus mit Stolz. Das merkt man, wenn man ihn in die zweite Etage der Produktionshalle begleitet, einen weißen Flachbau im Bamberger Industriegebiet. Unscheinbar. Praktisch. „Das ist die modernste Fertigung Europas“, sagt Stein.

Innen transportieren Förderbänder Brillengläser paarweise in weißen Plastikschälchen zum nächsten Arbeitsschritt. 20.000 Stück pro Tag. Vier Millionen Varianten stehen zur Auswahl, je nach Material, Wölbung, Entspiegelung, Farbe und Sehstärke. Bis zu drei Tage lang werden die Teile bearbeitet, ehe sie die Lkw-Fahrt zurück zum Optiker antreten – das Ende einer langen Odyssee. Die Rohlinge aus dem Materiallager bekommen zunächst eine Schutzfolie und Metallblöcke, damit die Maschinen sie bearbeiten können. Danach folgen die Stationen Feinfräsen, Hochglanzpolitur, Abschmelz- und Reinigungsanlage. Die Schutzfolie wird entfernt, dann tauchen die Gläser durch elf verschiedene Becken in der Ultraschall-Waschanlage und müssen danach die Qualitätskontrolle durch das menschliche Auge überstehen. Eine Arbeiterin poliert leichte Fehlstellen mit einer rosafarbenen Paste weg. So weit die Pflicht.

Forschung und Fertigung sind eng verzahnt

Es folgt die Kür, wie Fachleute die Veredelung nennen. Zur Auswahl stehen Farbe, Entspiegelung, Verspiegelung und Beschichtung. Beim so genannten Aufdampfen schießen Elektronenstrahlen auf Metalloxid, das sich als Dampf auf die Brillengläser schlägt und die gewünschte Schicht hinterlässt. Dann wieder Ultraschall, anschließend schmoren die Dinger zwei bis vier Stunden im Ofen. In einer Vakuumkammer, die aussieht wie ein großer Boiler, erhält das Glas noch eine Pflegeleichtbeschichtung, die später das Putzen erleichtert. Eine letzte Kontrolle und dann die nur für Adleraugen erkennbare Markengravur „r+h“ per Laserstrahl.

Die Fertigung bei Rupp + Hubrach ist eng mit der Entwicklung verzahnt. Eine Aufdampfanlage beispielsweise ist allein für Steins Team angeschafft worden. Das 750.000 Euro teure Gerät nutzen die Tüftler für ihre Versuche. Dazu stehen ihnen mehrere Labors zur Verfügung. Eines davon, nur mit einer Glasscheibe von der Produktion getrennt, erinnert ein wenig an einen Hobby-Chemiebaukasten. Auf einer beschichteten Holzplatte liegen neben einer Plastikdose mit blauen Tabletten ein halbes Dutzend blau-lila verspiegelte Gläser, daneben kleine Auftragsplättchen aus Glas. Physiker testen hier Produkteigenschaften wie Verschleißfestigkeit oder Entspiegelung. In einem anderen Laborraum schieben sie Gläser in Hightech-Apparate, um die Bewitterungseigenschaften zu prüfen, also was Sonne, Wind oder Hagel ihren Testprodukten antun. Oder auch nicht.

Forschungsgemeinschaften sichern das neueste Know-how

Zu Steins Mannschaft zählen zehn Leute, dazu kommen sieben weitere in der Fertigungsentwicklung, der Schnittstelle zwischen Entwicklung und Fabrik. Ein sehr kleines Team, aber groß genug, weil Rupp + Hubrach es mit externer Expertise ergänzt: Die Firmenforscher kooperieren im großen Stil mit wissenschaftlichen Einrichtungen. Fast alle Innovationen sind so zu Stande gekommen – gemeinsam mit der Fraunhofer-Gesellschaft, dem Institut für Neue Materialien in Saarbrücken, der Universität Erlangen-Nürnberg oder den Fachhochschulen Aalen, Berlin, Jena und Coburg. In jedem Projekt arbeiten zwischen fünf und 15 Mitarbeiter zusammen, interne und externe. Und stets nach demselben Muster: Rupp + Hubrach gibt die Anforderungsprofile vor, die Wissenschaftler steuern ihre neuesten Erkenntnisse bei, die anschließend im Unternehmen schnell und flexibel umgesetzt und vermarktet werden.

Die Methode sichert so manchen Wettbewerbsvorteil, ist ebenso effizient wie selten – und nötigt deshalb selbst der Konkurrenz immer wieder Respekt ab. Randolf Rodenstock, Vorstandschef des Münchner Konkurrenten und Vorsitzender des Fachverbands Consumer Optics (Augenoptik), ist von Rupp + Hubrach beeindruckt, weil es dem Unternehmen gelinge, die Vorteile eines mittelständischen Familienunternehmens auszuspielen und dessen Nachteile weitgehend zu vermeiden. „Sie betreiben mit naturgemäß beschränkten Mitteln eine sehr effiziente David-gegen-Goliath-Politik“, sagt Rodenstock. Lob kommt auch aus der Wissenschaft. Heinz Diepes, emeritierter Professor für Augenoptik an der Fachhochschule Aalen, hält die Strategie der Bamberger für einzigartig in der Branche, die üblicherweise stolz ist auf eigene, große Entwicklungsabteilungen. „Doch da entstehen häufig Reibungsverluste, weil viele glauben, es besser zu können als die Wissenschaftler.“

Die Bamberger glauben das nicht, und auch sonst geben sie sich bescheiden. Wo andere gern über komplexe Entwicklungsprozesse dozieren, redet Stein von einer Kombination aus systematischem Vorgehen sowie Versuch und Irrtum. Ja, hin und wieder gebe es auch mal ein Brainstorming oder einen Mindmap-Workshop. Wichtiger für die Ideenfindung allerdings sei, was Gerhard Alliger, einer der beiden Rupp + Hubrach-Geschäftsführer, ganz unspektakulär auf den Punkt bringt: „Um Neuheiten zu entwickeln, setzen wir die Endverbraucherbrille auf.“

Bei Rupp + Hubrach wird die Produktentwicklung nicht nur den Produktentwicklern überlassen. „Jeder Mitarbeiter muss sich Gedanken machen über Innovationen“, sagt Stein, und auch für das Management besteht Entwicklungspflicht: Viermal pro Jahr treffen sich die sieben Abteilungsleiter zu förmlichen Innovationsrunden – vertreten sind alle Bereiche, vom Einkauf bis zur EDV –, in wöchentlichen Meetings wird der Stand der laufenden Projekte besprochen.

Effizienz in der Produktentwicklung zahlt sich aus

Dabei geht es um die Produkte, natürlich, aber auch um Zeit und Budgets. Denn ohne akribische Planung, das weiß jeder bei Rupp + Hubrach, bleibt die beste Idee auf der Strecke. Und die bedeutendste Innovation taugt wenig, wenn sie sich am Ende nicht rechnet. 80 Prozent der Gesamtkosten eines Produkts, das haben Unternehmensberater ermittelt, werden schon bei seiner Entwicklung festgelegt. Wer im Entstehungsprozess das Design und die Materialien auswählt, bestimmt auch Fertigungsverfahren und Arbeitstechniken, und das sind große Kostenblöcke.

Für Entwicklungschef Thorsten Stein hat Sparen nicht oberste Priorität. Er kann es sich leisten: Ein Projekt kostet ihn zwei bis drei Millionen Euro, sein Jahresbudget beträgt 1,5 Millionen Euro, das sind zweieinhalb Prozent vom Umsatz. Für einen Innovationsführer ist das nach Expertenmeinung ein Spitzenwert. Anderswo kostet die Entwicklung eines neuen Produkts fünf bis 20 Prozent vom Umsatz – je nachdem, ob Pillen, Autos oder Haarfärbemittel auf der To-Do-Liste stehen.

Auch Brillengläser bescheren einen enormen Aufwand. Zwei bis vier Jahre sind die Erfinder mit einer Innovation beschäftigt. Für „Tilium plus“ etwa, das eingefärbte Raumfahrtplastik, tüftelten Stein und seine Kollegen seit 1999. „Wir standen unter extremem Zeitdruck, weil wir dachten, ein Wettbewerber würde damit schneller auf dem Markt sein als wir.“

Immer wieder gab es Überraschungen, in hunderten von Versuchen galt es, Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Deshalb waren auch von Anfang an alle Abteilungen involviert. Die Forscher lernten, dass Fräsen und Polieren Einfluss auf die Färbbarkeit hat. Die Fertigungsentwickler rüsteten die Maschinen um. Und die Marketingleute wünschten sich nach Ansicht der ersten Prototypen „einen noch saubereren Silberton mit weniger Gelb“, erzählt Stein. Das sei ein mühsamer Prozess gewesen, sagt der Chefentwickler, aber die langwierige Arbeit unter Druck hat sich gelohnt: Bisher ist kein Nachahmer am Markt aufgetaucht.

Wo alle mitmachen, freuen sich alle über den gemeinsamen Erfolg. „Was uns auszeichnet“, sagt Ralf Thiehofe, der zweite Geschäftsführer von Rupp + Hubrach, „ist eine familiäre Atmosphäre.“ Was bedeutet: Jeder trägt Verantwortung. Das Ziel, sagt der gelernte Maschinenschlosser und studierte Ingenieur, sei schließlich jedem im Haus bekannt: „Wir müssen besser sein als die Wettbewerber.“

Der Lohn für gute Ideen? Eine ordentliche Karriereplanung

Wie oft das gelingt, kann der Besucher an unterschiedlichen Stellen erkennen. Schon am Eingang stehen drei Preise. Eine Pyramide mit dem Bayerischen Qualitätspreis, eine Hermes-Statue für den Umweltpreis der Wirtschaftsjunioren Bayern und eine schwarze Tafel mit gravierter Platte, der Sonderpreis für Innovatives Produktmanagement. Stolz vermitteln und weiter anspornen sollen auch die zahlreichen Leuchttafeln, die an den Wänden der Produktionshallen hängen. Rot auf Schwarz zeigen sie jedem Team den aktuellen Stand an: Auftragszahl, Stückzahl, Fehlerquote, Zahl der Aufträge, die schon länger als drei Tage gebraucht haben (durchschnittlich sind das weniger als fünf Prozent). Alle 15 Minuten werden die Daten aktualisiert, die Infos zum Krankenstand, zum Ausschussverlauf oder zur Durchlaufzeit hängen gesondert an Pinnwänden.

Wer Verantwortung tragen soll, muss auch mitdenken – dürfen. Bei Rupp + Hubrach ruft deshalb ein Ideen-Pool jeden Mitarbeiter auf, seine Vorschläge an die Pinnwand zu heften. Dort gilt das Ampelsystem: Rot steht für Aufgabenstellung, Gelb für Ideen, Grün für Umsetzung. Betriebliches Vorschlagswesen? „Kommen Sie mir nicht damit“, sagt Geschäftsführer Thiehofe: „Da werden die Vorschläge in der Regel doch nur verwaltet. Und wenn eine wertvolle Idee dabei ist, rechnen die Controller so lange rum, bis keine Prämie mehr gezahlt werden muss.“ Beim Ideen-Pool winken den Mitdenkern zwar auch kleine Sach-Prämien. „Aber die Riesenideen, die hunderttausende Euro einbringen, werden nicht damit abgegolten, da finden wir im Rahmen der Karriereplanung Lösungen.“

Im März dieses Jahres hat Thiehofe gemeinsam mit Gerhard Alliger das Ruder des 1922 gegründeten Betriebs übernommen, als die bisherigen Inhaber und Gründerenkel Werner Rupp und Günther Hubrach sich aus dem operativen Geschäft zurückzogen und ihre Anteile an die französische BBGR übertrugen, eine Tochter des Weltmarktführers Essilor. Die neuen Chefs sind eine „interne Lösung“, Alliger gehört dem Unternehmen seit vier, Thiehofe seit siebeneinhalb Jahren an. Mit dem neuen Amt traten sie ein schwieriges Erbe an: Die Gründerenkel hatten hervorragend gewirtschaftet. Während der Branchenumsatz im Jahr 2002 nur um ein Prozent wuchs, legte Rupp + Hubrach – wie in den Jahren zuvor – kräftig zu: plus 6,2 Prozent auf 61 Millionen Euro. Im Vergleich zu 1997 verbuchte das Unternehmen sogar ein Plus von 50 Prozent.

Mit diesem Ergebnis sicherten sich die Bamberger ihre Position unter den Top Five – derzeit mit einem Marktanteil von elf Prozent, Tendenz steigend. Beeindruckender findet Thiehofe allerdings die Produktivitätssteigerung: 75 Prozent in fünf Jahren. Teamarbeit und Automatisierung macht er für den Erfolg verantwortlich – und legt besonderen Wert darauf, dass trotz zunehmendem Maschinen- und Robotereinsatz die Mitarbeiterzahl stetig steigt. Auch zurzeit sucht er Leute, die Pläne zum Anbau der gerade mal vier Jahre alten Fabrik liegen bereits vor.

Erfolg? Das sind Ideen, eine Marke – und Partnerschaften

Um weiter zu wachsen, setzt Rupp + Hubrach auf Print- und TV-Werbung – und auf eine junge Klientel. Darum wirbt das Unternehmen auch nicht mit 40-plus-Gleitsichtgläserträgern wie die Wettbewerber, sondern mit durchtrainierten Sportlern und flotten Sprüchen. „Wir wollen eine Marke generieren“, sagt Alliger, deshalb lässt er sich die Werbung auch rund zwölf Millionen Euro kosten (verteilt auf fünf Jahre). Und erntet Respekt. Thomas Nosch, Präsident des Zentralverbands der Augenoptiker, bescheinigt Rupp + Hubrach „ein sehr hohes Innovationspotenzial und die Gabe, diesen Wettbewerbsvorteil auch Nichtfachleuten gegenüber deutlich zu machen, was bei dem Produkt Brillengläser nicht einfach ist“.

Die Strategie, Wissen zu teilen, sichert dem Innovationsführer dauerhaften Erfolg

Man muss auch jönne könne, heißt es in Köln. Der geborene Kölner Thiehofe wendet das Prinzip auch auf die Produktentwicklung in Bamberg an. „Wir wollen Innovationen teilen. Für uns ist entscheidend, dass wir die Ersten sind. Damit ist die Innovationsführerschaft gesichert“, sagt Thiehofe. Aber Patente meldet seine Firma so gut wie keine an. Innovationen, so die Überzeugung, müssen weiterentwickelt werden.

Die Innovationszyklen verkürzen sich, gleichzeitig stellen die Kunden immer höhere Ansprüche. Ein Unternehmen allein, so die Philosophie von Rupp + Hubrach, stößt da leicht an seine Grenzen. Thiehofe: „Wir sind zwar schnell, aber klein. Wenn sich Neuerungen langfristig auf dem Weltmarkt durchsetzen sollen, brauchen wir Partner.“ Ein, zwei Jahre hält sich die Firma deshalb bedeckt, danach gibt sie ihre Ideen regelmäßig der Konkurrenz weiter.

Wenn alles gut geht, können die Entwickler schon bald die nächste preisverdächtige Neuerung vermelden. In Blessington, dem Werk in Irland, wo Rupp + Hubrach weitere 96 Mitarbeiter beschäftigt, werden gegenwärtig die Anforderungen an Sichtgläser beim Fliegen getestet. Das Ziel? Ingenieur Stein: „Wie kann man das Licht so beeinflussen, dass man genau das sieht, was man sehen möchte?“ Wenn die Pilotengläser fertig sind, assistiert Geschäftsführer Thiehofe, „entdeckt man mit dem Brillenglas die Wolken“. 

Entwicklungsvorsprung durch Videotechnik

Wer seinen Kunden mit neuen Produkten froh machen will, muss wissen, was er sich wünscht. Rupp + Hubrach versucht das Bedürfnis in Kundengesprächen zu eruieren, der Düsseldorfer Markenmacher Henkel setzt seit zweieinhalb Jahren auf neue Techniken. Zwei Mitarbeiter sind seitdem in der Consumer-Insights-Abteilung angesiedelt. Ihre Aufgabe innerhalb der internationalen Marktforschung: das Bauchgefühl der Konsumenten zu ergründen.

Ihre wichtigsten Fragen: „Was denken Konsumenten beim Konsumieren?“, „Was haben sie auszusetzen?“, „Was müssen ihre Traumprodukte können?“ Ihre Werkzeuge: Kunden-Tagebücher, Internet-Chats und Badezimmer-Videos.

Ähnlich wie bei „Big Brother“ nehmen die Henkel-Forscher ihre Kunden mit der Videokamera zu Hause auf. Sie filmen Männer und Frauen beim Haare-Färben, beim Geschirrspüler-Einräumen, beim Wäsche-Sortieren und beim WC-Reinigen. Die Forschung unter Realbedingungen liefert wichtige Erkenntnisse: beispielsweise die, dass die Hausfrau das Klo nicht nur mit der Toiletten-, sondern auch mit der Zahnbürste schrubbt. Oder dass sich Männer gern mit der Nachtcreme ihrer Freundin einschmieren. „Innovation by Beobachtung“, nennt das Jens Bode, einer der beiden Consumer-Insights-Manager. „Indem wir den Verbrauchern so nah kommen, erfahren wir von ihren Alltagsproblemen.“

Im Idealfall liefern die Erkenntnisse den internen Entwicklern anschließend Ideen für neue Produkte und Anwendungen – oder zumindest für Optimierungen. Bei einem ihrer Hausbesuche trafen die Kundenforscher zum Beispiel auf einen jungen Mann, der zum Haare-Färben nur einen der beiden in der Packung mitgelieferten Handschuhe benutzte. Warum? „Die Packung reicht für zwei Anwendungen, und es liegen zwei Handschuhe bei. Das heißt für jede Anwendung ein Handschuh.“ Neuerdings legt Henkel der Color-Packung zwei Paar Handschuhe bei.

Ähnliche Lerneffekte erhoffen sich die Marktforscher auch vom Konsumenten-Tagebuch. 14 Tage lang schreiben Kunden darin alles über ihr alltägliches Konsumverhalten auf. Welche Produkte sie verwenden, was sie dabei fühlen, was sie darüber denken. Das Ergebnis, sagt Bode, seien zum Teil sehr intime Chroniken mit eingeklebten Fotos und gemalten Bildern. Und schon allein damit hat sich nach seiner Ansicht die Idee gelohnt: „Die Verbraucher fühlen sich ernst genommen“, sagt er. „Sie sind froh, dass ihnen endlich mal ein Hersteller zuhört.“

Das Prinzip funktioniert auch online. Unter www.womensnet.de* verraten Frauen sich ihre Gefühle und Meinungen – über Unterwegszahnbürsten, verführerische Düfte, das Gefühl des Nacktseins. Informationsbörse für die Kundin, für die Firma eine Quelle der Inspiration und Innovation. Zwei- bis dreimal pro Jahr laden Henkels Kundenversteher ihre Kollegen deshalb zur „Marketresearch-Akademie“ ein, um ihre Arbeit vorzustellen: Workout für die Problemzone Bauch.

*Anm. d. Red.: Das Portal gibt es nicht mehr.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.