Schatz, es klingelt!

Auch Autos werden müde. Wenn der Motor früher merkwürdig scherbelnde Geräusche von sich gab, der Auspuff abfiel oder die Achse brach, war es Zeit für einen Halt und ein Picknick, bis der ADAC kam. Das waren noch Zeiten.




Gehen oder bleiben? Im Mittelalter bestimmte die Nase die Antwort auf diese Frage. Roch es in der Burg grauenvoll, luden die Bewohner den Hausrat inklusive Möbeln, Teppichen, Silber und Bildern auf Karren und verdufteten. Das Personal durfte derweil die angehäufte Unflat wegputzen und warten, bis die Herrschaften die andere Burg verdreckt hatten. Halten Sie mich bitte nicht für unappetitlich, aber es war nun einmal so: Erst die geordnete Ablage menschlicher Zerfallsprodukte ermöglichte unseren Ahnen die dauerhafte Bleibe.

Mobilität war also eine Frage des Geruchs. Sein Anwesen verließ man neben der Flucht vor dem eigenen Gestank nur, um nach einer Braut Ausschau zu halten, dem Widersacher eins auf den Deckel zu geben, Salz und Schwerter zu handeln, das Heilige Land zu befreien oder dem Papst den Ring zu küssen. Der Transportmittel waren es wenige. Glücklich, wer an einem Gewässer wohnte, wo es Schiffe oder Flöße gab. Nobel, wer in der Sänfte getragen wurde. Man ritt, rumpelte in der Kutsche durch die Landschaft oder wurde von einem Ochsen gezogen. Die meisten gingen auf Schusters Rappen. Zu Fuß.

Nicht, dass sich die Motive für Mobilität seither groß geändert hätten. Der Wunsch nach Begattung, nach Handel und Gewinn, die Gottesfurcht und die Kriegsführung und ihre Folgen sowie Abenteuerlust und Wissensdurst werden uns weiterhin zum Ortswechsel reizen.

Bloß das Tempo ist mittlerweile ein höheres. Legte mein Urgroßvater noch einen zwölfstündigen Fußmarsch hin, um seine Braut zu besuchen, brachte sein Sohn dieselbe Anzahl Kilometer in drei Stunden Fahrradfahrt hinter sich. Der Enkel saß vielleicht noch eine Stunde lang auf dem Moped, und die Urenkelin ist im Auto bescheidene 30 Minuten unterwegs.

Mobilität ist durchaus lustvoll und hemmt Aggressionen. Meine Freundin Else war im Gastgewerbe tätig. Jedes Mal, wenn es wieder so weit war, dass ihr der Kragen geplatzt wäre, setzte sie sich ins Auto und fuhr in der Gegend herum. Sie sang, nein, sie schrie sich die Seele aus dem Leib. „Und? Was hast du dir angehört? Mamma Mia? Heaven Is In The Backseat Of My Cadillac?“

„Du spinnst wohl! Ich brauchte etwas Härteres. Prodigy oder Rammstein.“ „Dazu kann man doch gar nicht singen!“

„Das meinst bloß du! Nach der Fahrt war mir jeweils deutlich wohler, und ich brüllte weder das Personal an noch die Gäste.“

Else wohnt in den Bündner Bergen. Dort kann man noch rumkurven und rumbrüllen, und keiner hört einen außer ein paar Murmeltieren. In der Stadt sähe das verdächtig aus, eine tobende Frau, allein in ihrem Auto, eingeklemmt in einem Stau auf der Ringstraße ...

In den Bergen ist die Freiheit weniger begrenzt, abgesehen vom Wohnmobil mit Panoramafahrern drin, das ausgerechnet hier und jetzt den Berg hinaufkriecht, wo wir sportlich Kurven fahren wollten. Dann wünscht man dem Panoramafahrer eine Panne, damit der Sohn nach Hause schreiben kann: „Liebe Oma, unser Urlaub ist sehr schön. Unser lustigstes Erlebnis ereignete sich mit unserem Wohnmobil. Wir sind in die Berge gefahren, und wie der Zufall es wollte, blieb unser Auto stehen. Andere Leute kamen, und die Männer packten mit an, um das Auto wieder in Schwung zu kriegen. Danach haben wir zusammen lecker gegessen. Grüße, Dein Kevin.“

Hallo Tante Heilwig, Mama und Papa hauen an die Scheiben, aber die sind dunkel getönt, und hören kann uns eh keiner

Was würde ein Kind heute nach Hause schreiben können, wo der Anteil der Elektronik im Auto wächst? Und das ist seit dem Einbau der elektronischen Zündung in den sechziger Jahren der Fall. „Das Auto des Baujahrs 2002 hat mehr Gemeinsamkeiten mit einem Airbus als mit einem VW-Käfer“, stellte Die Welt vergangenen September fest. Jedes zweite Auto fällt inzwischen aufgrund von Fehlern in der Elektrik und Elektronik aus. Da genügt schon, dass der Inventur-Scanner einer Apotheke auf derselben Frequenz funkt wie die Wegfahrsperre des Autos auf dem Parkplatz vor der Apotheke. Und der 100.000 Euro teure Wagen rührt sich nicht mehr vom Fleck.

Also. Das Kind würde heute schreiben: „Hallo Tante Heilwig, ich hoffe, du kriegst diese Zeilen. Ich sitze gerade mit Mama und Papa im Auto. Der Computer ist ausgefallen. Wir stehen am Straßenrand irgendwo zwischen Alfeld an der Leine und Bad Salzdetfurth. Die Fenster sind dicht und die Türen verriegelt. Außerdem funktioniert Papas Handy nicht. Das heißt, es würde eventuell funktionieren. Aber er hat es zum Fenster hinausgeschmissen, weil jedes Mal die Heckklappe des Autos aufging, wenn das Telefon klingelte. Mama und Papa hauen an die Scheiben, aber die sind dunkel getönt, und hören kann uns eh keiner. Grüß mir Fido. Liebe Grüße, Deine Sandra.“

Der Brief ist selbstverständlich erfunden. Die Wahrheit war so: Kaum hatte der thailändische Finanzminister mit seinem Fahrer die Garage verlassen, stellte sich der Computer des Autos ab. Türen und Fenster wurden bei brütender Hitze umgehend blockiert, ebenso die Klimaanlage. „Es war eine grauenvolle Erfahrung“, gab der Minister zu Protokoll, „ich kriegte kaum noch Luft.“ Nach einer Weile gelang es ihm, die Aufmerksamkeit eines Wachmannes auf sich zu ziehen. Mit einem Vorschlaghammer zerschmetterte der ein Fenster und rettete den Minister.

Mechanischen Pannen konnte man noch eine humoristische Seite abgewinnen. Da stand am Straßenrand in Rimini ein Citroën, die Klappe weit aufgesperrt. Rot gebrannte Urlauber und fuchtelnde Einheimische machten sich freudig über die Innereien des Autos her, zerrten an Schläuchen und Kabeln, zwackten hier und löteten dort – und begossen den Erfolg in der Bar am Eck.

Autopannen schufen Bande. Und in der Not waren wir schließlich alle Mechaniker. Aber sind wir in der Not alle Programmierer?

Auf einer Forumsseite im Internet verschaffte sich der unglückliche Besitzer eines brandneuen – und äußerst eigensinnigen – Autos Luft. Schon dreimal habe die Wegfahrsperre seinen Wagen total stillgelegt. Wenn er die Musikanlage anwerfe, gehe der Beifahrersitz in die Liegeposition und die Außenspiegel schlackern wie die Ohren. Gegenwärtig beharre die Elektronik auf einem „Airbag-Fehler“. Das alles seien ja bloß „virtuelle Fehler“, hätte ihn der Werkstattchef beruhigt, ein „realer Fehler“ sei nicht da. Der Autobesitzer befürchtet nun, dass die Software irgendwann der Meinung ist, sie müsse die Airbags zünden, weil ein „virtueller Frontalaufprall“ stattgefunden habe.

Ein Forumspartner nahm sich schließlich des Pannenopfers an.

„Hallo Detlef, ich habe genau das richtige Auto für dich. Opel Kadett C. Alles mechanisch. – Didi.“

Danke, Didi.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.