Die Quadratur des Kreises

Westlich von Stuttgart haben sich sechs Krankenhäuser zu einem Klinikverbund zusammengeschlossen – nach vielen vergeblichen Anläufen und überaus anstrengenden Debatten. Am Ende siegte die Einsicht, dass ein Kompromiss besser ist als ein Ruin.




Die Lokalpolitiker tagten im Dunklen. Wenn es Abend wurde, verließen der Sindelfinger Oberbürgermeister und die Landräte von Böblingen und Calw ihre Büros und trafen sich im kleinen Kreis. Von Februar bis März, fünf Wochen lang, abends und nachts, hielten die Herren, damit niemand davon Wind bekam, abseits der Öffentlichkeit ihre Besprechungen. Meist fanden sie im Büro von McKinsey & Company in Stuttgart statt, sozusagen auf neutralem Grund.

Als das Resultat der Gespräche am 17. März 2006 auf einer Konferenz verkündet wurde, nannte die Lokalpresse es einen Überraschungscoup: Sindelfingen, Böblingen und Calw legen ihre Krankenhäuser zusammen. Für die Region war das eine spektakuläre Nachricht. Denn die Fusionsdebatte, die fast fünf Jahre geführt worden war, galt inzwischen als abgehakt, nach zahlreichen gescheiterten Einigungsversuchen war das Klima zwischen den Verhandlungspartnern schlecht. Und dann das. Nach so langer Zeit. Gegen alle Widerstände. Plötzlich war von Synergieeffekten, Einsparungen in zweistelliger Millionenhöhe, von Qualitätssteigerung und einer Entlastung der Kommunalhaushalte die Rede. Der Durchbruch.

Hätten die Treffen nicht im Geheimen stattgefunden, gäbe es den Klinikverbund Südwest GmbH bis heute nicht, da ist sich Martin Lösch, Partner bei McKinsey in Stuttgart, ganz sicher. Fusionen sind ein schwieriges Terrain. Auf der Managementebene großer Konzerne – erst recht auf Ebene der Lokalpolitik. Bis sich die Vehandlungspartner in allen wesentlichen Punkten einig sind – und auch in so manchem Detail – kann es dauern. Letztlich sind die Entscheider in der Region jedoch zu der Einsicht gelangt, dass eine Fortsetzung der Konkurrenz das Geschäft nicht beleben, sondern ruinieren würde.

An guten Argumenten hatte es auch vorher nicht gemangelt. Gutachter hatten schon lange zur Fusion der Krankenhäuser geraten. „Rein ökonomisch gesehen“, sagt Berater Martin Lösch, „war der Zusammenschluss zum Klinikverbund Südwest die sinnvollste Option.“

Genau wie viele andere Regionen in Deutschland sind die Landkreise vor Ort medizinisch eher überals unterversorgt. Die Patienten können in unmittelbarer Nähe zu ihrem Wohnort unter diversen Krankenhäusern wählen – und in jeder Klinik mit einem nahezu identischen Leistungsangebot rechnen. Die Folge: leere Betten, sinkende Erträge, steigende Verluste. Die haben sich in den vergangenen Jahren zu Millionenbeträgen addiert, und sie werden im Zuge der Gesundheitsreform weiter ansteigen.

Die Einführung der Fallpauschalen wird die Krankenhäuser in diesem Jahr mit rund 1,25 Milliarden Euro belasten, hinzu kommen die Tariferhöhungen der Gehälter für Ärzte von mehr als 15 Prozent. Allein die Stadt Stuttgart, um ein Beispiel aus der Region zu wählen, rechnet in diesem Jahr mit fünf Millionen Euro mehr Personalkosten, der Landrat im benachbarten Esslingen geht von einem Kostenzuwachs von 2,5 Millionen Euro aus. Die Einsparungen, die sich aus einem Zusammenschluss von Sindelfingen und den Landkreisen Böblingen und Calw ergäben, bezifferten die Unternehmensberater auf deutlich mehr als 20 Millionen Euro.

Fusionen sind oft vernünftig – und immer hochemotional

Alles handfeste, rationale Gründe für eine Fusion. Wenn aus Wettbewerbern Verbündete werden sollen, geht es aber zunächst nicht rational zu. Das Symptom, das den Zusammenschluss begleitet, lässt sich bundesweit beobachten. Ob im fernen Berlin oder in Bremen, im nahen Ludwigsburg oder in Tübingen, in Hannover oder in Nürnberg: Überall im Land werden zurzeit Kliniken zusammengelegt – und überall geht der Entscheidung ein mühsamer, oft lähmender Diskussionsprozess voraus. Denn unabhängig von der jeweiligen Strategie – mal schnappt sich eine große Klinik mehrere kleine, damit die ihr die schwierigen Fälle zuliefern, mal integriert ein Privater ein weiteres Haus in seine Kette – meist resultieren die Zusammenschlüsse aus Krisen. Deshalb ist der Verzicht auf Selbstständigkeit bei den Beschäftigten gefürchtet, der Machtverlust bei den Lokalpolitikern unpopulär.

Die Berater von McKinsey unterstützten das Sindelfinger Krankenhaus bereits 2004 zum ersten Mal. Die Klinik hatte sie beauftragt eine Strategie für das erfolgreiche Bestehen am Markt auszuarbeiten. Denn die Konkurrenten hatten sich formiert: Die Klinikgesellschaft des Kreises Böblingen, zu der neben dem Böblinger Kreiskrankenhaus auch eine Rehaklinik und zwei kleinere Häuser in Leonberg und Herrenberg gehörten, hatte sich mit zwei Krankenhäusern des Nachbarkreises in Calw und Nagold zur Kreiskliniken-Holding Böblingen-Calw GmbH zusammengeschlossen. Zwar machten alle Häuser – anders als Sindelfingen – Verluste. Angesichts der neuen Konkurrenz jedoch wollte die Klinik ihre Position vorsichtshalber mithilfe der Berater stärken, erzählt Martin Lösch, damals mit dem Prozess betraut. Der erste Beratungsvertrag hatte deshalb explizit die Selbstständigkeit der Sindelfinger zum Ziel.

Zwei Jahre später wurden die Consultants ein zweites Mal geholt, Auftraggeber waren diesmal der Oberbürgermeister von Sindelfingen und der Landrat der Region. Ihr Plan: die Fusion der Kliniken Sindelfingen und Böblingen. Ein gemeinsamer Wunsch. Und doch, wie sich schnell zeigte, keine leichte Aufgabe.

Böblingen und Sindelfingen sind Nachbarstädte, die – nur durch eine Autobahn getrennt – wie ein einziges ineinander verwachsendes großes Gewerbegebiet aussehen. Die beiden großen Krankenhäuser, das Städtische Krankenhaus Sindelfingen und das Kreiskrankenhaus Böblingen, stehen sich auf Augenhöhe gegenüber, auf zwei angrenzenden Hügeln, Luftlinie nicht mal drei Kilometer entfernt, mit dem Auto zehn Minuten, mit Blaulicht vielleicht fünf.

Und doch haben sich beide über Jahre die Waffen gezeigt. „Wir haben gegenseitig aufgerüstet“, sagt Rudolf Küster, der technische Direktor der Böblinger Klinik heute. Beide Häuser hatten den Anspruch, eine große Palette medizinischer Leistungen anzubieten, sodass fast jede Fachabteilung ihr Pendant auf dem Nachbarhügel fand. Die Patientenzahl im identischen Einzugsgebiet reichte nicht immer aus, diese Kapazitäten auszulasten. Doch statt durch Kooperation und Konzentration Synergien zu erzielen, existierte eine Allianz aus Bürgern, Krankenhaus-Belegschaften, Betriebsräten und Politikern für die Gegnerschaft.

Konkurrenz und Konfrontation – statt Kooperation

Eines der Objekte, an denen die Fortsetzung der rivalisierenden Krankenhauspolitik mit medizintechnischen Mitteln deutlich wird, findet sich in der Kardiologie der Böblinger. Dort steht ein neuer Linksherzkathetermessplatz, eine von Flachbildschirmen umgebene Operationsliege, die inklusive Rechenkapazität im Nebenraum rund eine Million Euro gekostet hat. Dank minimalinvasivem Hightech können Herz und Gefäße hier zielgenau per Sonde behandelt werden, ohne dass eine teure offene Operation nötig wird. „Das wird von den Kassen sehr gut vergütet“, sagt Martin Lösch, „deswegen ist es eigentlich eine hochprofitable Sache.“ Wenn da nicht die Konkurrenz im Nachbarort gewesen wäre: Auch im Sindelfinger Krankenhaus gibt es so einen Platz. Die Böblinger Kollegen fuhren eine Zeit lang hinüber, um ihre Patienten dort zu behandeln. Doch diese Kooperation endete jäh mit der Entscheidung, selbst zu investieren. „Damals dachten wir noch zu Recht: Wir halten dagegen“, sagt Rudolf Küster.

Sindelfingen dachte derweil über die Zukunft der Frauenheilkunde nach. Dass auch viele Sindelfingerinnen ihre Kinder in der topausgestatteten Geburtsstation in Böblingen zur Welt brachten – dem Prunkstück der Konkurrenten –, musste ja nicht so bleiben. Obwohl die eigene, nicht ausgelastete Abteilung jährlich mehr als eine Million Euro Verlust machte und die Rivalen mit dreimal mehr Geburten pro Jahr weit voraus waren, stand die Option massiver Investitionen im Raum. „Das hätte sich nicht gerechnet“, sagt Martin Lösch mit Blick auf die einstigen Konkurrenten. „In Böblingen steht eine neue große Geburtsstation, inklusive Neugeborenen-Intensivstation und Brustkrebszentrum, also ein bestens ausgestattetes Zentrum für die Behandlung von Frau und Kind.“ Da mitzuhalten hätte Sindelfingen finanziell überfordert. Zumal die Erfolgsaussichten einer Investition unsicher waren. Die niedrige Geburtenrate zwingt die Geburtsabteilungen überall in Deutschland zu Anpassungen.

Überzeugende Argumente. Und doch waren eine Reihe anstrengender Diskussionen nötig, bis der Krankenhausausschuss Sindelfingen der Empfehlung der Berater gefolgt ist, die Geburtsabteilung nicht zu erweitern, sondern zu schließen. Der Widerstand gegen die einseitige Abrüstung rührte vor allem aus dem lokalen Selbstwertgefühl. Das Krankenhaus wurde einst als Geburtsklinik gegründet – und nun sollten in der Stadt keine Kinder mehr zur Welt kommen? Tatsächlich werden die künftigen Neubürger in ihren Pässen als Geburtsort nicht mehr Sindelfingen stehen haben, sondern Böblingen. Solche Entscheidungen fallen naturgemäß jedem Lokalpolitiker schwer.

McKinsey-Berater Lösch betrachtet regionale Sentimentalitäten deshalb als ein Phänomen, das jeden Klinikzusammenschluss begleitet – neben der grundsätzlichen Haltung: „Jeder will die Vorteile eines Verbundes, aber keiner will die Opfer bringen.“ Abteilungen auflösen? Sobald etwas geschlossen werden soll, gibt es Demonstrationen und Unterschriftenaktionen, die ganze Palette von Ich-bin-der-Bürger-und-wehre-mich.

Kleine Gesten – große Wirkung

Erfahrungsgemäß ist es die erste, hart erkämpfte Entscheidung, die den Stein ins Rollen bringt. Auch darin bildet die Region in Baden-Württemberg keine Ausnahme. Die Aufgabe der Sindelfinger Fachabteilung signalisierte der Böblinger Konkurrenz die Friedensbotschaft und gab Anlass für den erneuten Fusionsanlauf. Nach den schlechten Erfahrungen mit endlosen Debatten in der Vergangenheit ließen Landrat und Oberbürgermeister Gemeinde- und Kreisvertreter diesmal ebenso außen vor wie Verwaltungsgremien und Betriebsräte und einigten sich in den nächtlichen Treffen auf ein Eckpunktepapier, das die wichtigsten Vorhaben der Fusion enthält. Die Liste wird nun Punkt für Punkt abgearbeitet.

Erstes sichtbares Zeichen der hindernisreichen Vermählung: Auf die Sindelfinger Befindlichkeit nimmt das Kreiskrankenhaus Böblingen Rücksicht, indem es in einem symbolischen Akt einen seiner Kreißsäle nach der Nachbarstadt benannt hat. In großen Lettern prangt an der Tür: „SINDELFINGEN“. „Als er das gesehen hat, hat sich der Oberbürgermeister sehr gefreut“, erzählt der technische Direktor Küster. Der Zusammenschluss kostet natürlich mehr als diese Geste. Die Böblinger erklärten sich bereit, den gerade erst eingerichteten Linksherzkathetermessplatz nach Sindelfingen zu transferieren, wo die kardiologische Kompetenz gebündelt werden soll. Die Rochade bleibt nicht auf Kardiologie und Geburtshilfe beschränkt, sie umfasst eine Reihe weiterer medizinischer und nicht medizinischer Abteilungen und auch die anderen Kliniken im Verbund, die zusammen rund 2000 Betten haben.

Einige elementare medizinische Leistungen – zum Beispiel Notfallmedizin, Intensivstation, Allgemeinchirurgie – werden an allen Standorten aufrechterhalten. Andere dagegen werden an einem der beiden großen Standorte konzentriert, die zu einem 1000-Bettenhaus verschmolzen werden. Eine moderne Schnittbilddiagnostik, die in allen Kliniken installiert wird, und die Vernetzung per Lichtwellenkabel sorgen dafür, dass die Chefärzte im Informationsaustausch schnell entscheiden können, ob der Patient vor Ort behandelt werden kann oder ob er besser in die jeweilige Spezialabteilung des Verbunds eingeliefert wird. Sindelfingen wird das Zentrum für Herz- und Gefäßkrankheiten, für Hämatologie, Urologie, Unfallchirurgie und Orthopädie. Böblingen wird Hauptstandort für Onkologie, Strahlentherapie, Baucherkrankungen sowie Gynäkologie und Geburtshilfe.

Neue Hoffnung – aber noch keine Sicherheit

Die Arbeitsteilung im Verbund muss nicht zulasten der kleinen Häuser gehen: In den ersten acht Monaten hat beispielsweise das Krankenhaus in Nagold, wo schon kräftig investiert wurde, einen Patientenzuwachs von zehn Prozent erzielt. „Es handelt sich um ein Schwerpunktkonzept, das darauf setzt, dass es aus sechs Standorten besteht, also auf die Nähe zu den Menschen vor Ort“, sagt Klinikverbund-Chef Gunther Weiß.

Vor Ort ist noch nicht viel zu sehen von den Plänen. Anders als im Papier vereinbart, sitzt die neue Verwaltung noch nicht in Sindelfingen, sondern in einem Nebengebäude des Böblinger Klinikums. „Das ist alles nur ein Provisorium“, sagt Detlev Herre, der stellvertretende Geschäftsführer der Klinik-Holding. Der Umbau in Sindelfingen läuft, der Umzug folgt gegen Jahresende.

Der ganze Klinikverbund Südwest ist derzeit ein Provisorium. Streng genommen gibt es noch gar keinen Verbund zwischen Sindelfingen, Böblingen und Calw: Das Bundeskartellamt hat den Zusammenschluss noch nicht abgesegnet. „Wir erwarten aber keine Probleme“, sagt Gunther Weiß. Schließlich betrachtet das Kartellamt bei seiner Prüfung einen Umkreis von 100 Kilometern als relevanten Markt – und da gibt es starke Wettbewerber reihum in Stuttgart, Pforzheim, Ludwigsburg und Tübingen. In diesem Umkreis hatte die bisherige Kreiskliniken-Holding Böblingen-Calw einen Marktanteil von lediglich 6,9 Prozent. Das Ende der Konkurrenz auf lokaler Ebene beseitigt nicht den regionalen Wettbewerb.

Er war ein wichtiger Grund für den Zusammenschluss in den neuen Klinikverbund Südwest. Hinzu kamen die Kosten. „Wir erwirtschaften zwar unsere laufenden Betriebsausgaben, nicht aber unsere Abschreibungen“, sagt Gunther Weiß, „die Krankenhäuser zehren deshalb seit Jahren von der Substanz.“ Der neue, frischerstreikte Tarifabschluss für Mediziner und nicht ärztliche Mitarbeiter sowie die Mehrwertsteuererhöhung und die gesundheitspolitischen Mehrbelastungen werden den Verbund 7,5 Millionen Euro im Jahr kosten – kein Pappenstiel bei einem Gesamtumsatz von knapp 220 Millionen Euro. Zudem sinken, wie überall in Deutschland, die Zuschüsse von Land und Kommunen. „Es ist absehbar, dass wir bald sämtliche Investitionen selbst erwirtschaften müssen“, sagt Weiß. Der 40-Jährige betrachtet das als Herausforderung: Spätestens 2011 soll der Verbund eine Umsatzrendite von neun Prozent erzielen. „Ich will beweisen, dass das auch in öffentlicher Trägerschaft funktioniert.“

Erste Lösungen – und viele Ängste

Für das ehrgeizige Ziel hält sich Weiß gewappnet. Bevor der studierte Mediziner, Gesundheitsökonom und ehemalige Unternehmensberater 2006 nach Böblingen wechselte, hatte er eine Reihe von Kliniken kennengelernt. Als Berater traf er überall auf dieselben Probleme: mangelnde Finanzen, träger Entscheidungsfluss, überholte Strukturen. „Ich habe gemerkt: Mit modernen Managementmethoden lässt sich in Krankenhäusern einiges bewegen.“ Seine Praxiserfahrung im Management der Uniklinik Tübingen verschaffte ihm die letzte Gewissheit, in Böblingen ist Weiß seit Jahresbeginn deshalb vor allem dabei, den Mitarbeitern die prekäre Situation zu erklären: Um das Renditeziel zu schaffen, muss die bisherige Kreisklinik-Holding bei derzeit knapp 170 Millionen Euro Umsatz rund 19 Millionen Euro Kosten sparen.

Für viele eine erschreckende Nachricht. „Die Beschäftigten haben zwar gesehen, dass hier ringsum in der Wirtschaft Leute entlassen werden – ob bei DaimlerChrysler, Philips oder bei HP. Sie haben das aber nicht mit sich selbst in Verbindung gebracht“, sagt Weiß. „Die Mitarbeiter, das muss man ehrlich sagen, sind zum Großteil verunsichert.“

Betriebsbedingte Kündigungen sind nur bis Ende 2007 ausgeschlossen. Danach hält Bernhard Maier, der Böblinger Landrat und Aufsichtsratsvorsitzende des Klinikverbunds, Kürzungen vor allem in den Servicebereichen wie Küche oder Wäscherei für unausweichlich: „Wie soll man auch anders sparen, bei 70 Prozent Personalkosten in einem Krankenhaus?“ Gemeinsam mit seinem Aufsichtsratskollegen Hans-Werner Köblitz, Landrat in Calw, gab er kürzlich die Richtung für Holding-Geschäftsführer Weiß öffentlich zu Protokoll: „Die Gefechtslage für ihn ist klar. Sein Auftrag lautet, in fünf Jahren schwarze Zahlen zu schreiben.“

Zusammenlegen oder outsourcen heißen die Alternativen, die sich ihm bieten. Den Kritikern, die angesichts der geplanten Kürzungen unweigerlich eine Verschlechterung der Versorgungsqualität befürchten, widerspricht Weiß. Sinnvolle Bündelungen und der Abbau von unwirtschaftlichen Doppelvorhaltungen hätten keinerlei negativen Einfluss auf die medizinische Versorgung – im Gegenteil: Sie schafften erst den Raum für ein innovatives medizinisches Leistungsangebot in einem hocheffizienten Klinikbetrieb. Noch existiert die geplante neue Küche in Calw nicht. Sie soll künftig für alle sieben Verbundkliniken Essen zubereiten und am besten auch andere Kliniken, Behörden und Unternehmen beliefern, also über Fremdaufträge Geld verdienen. Wenn zentral gekocht und gekühlt und dezentral erhitzt und serviert wird, können allein in den sechs Kliniken der Böblingen-Calwer-Holding 1,9 Millionen Euro gespart werden, rechnet McKinsey vor. In den Berliner Vivantes-Kliniken, denen die Berater bei der Sanierung ebenfalls zur Seite standen, funktioniert das bereits.

Der Verbund macht stark – der Druck bleibt

Servieren sollen künftig nicht mehr die Pfleger. „Ich möchte die knappe Zeit unserer Krankenschwestern auf die pflegerische Arbeit beim Patienten fokussieren. Für die Speiseversorgung stellen wir geschulte Fachkräfte ein“, sagt Weiß. Die Produktivitätssteigerung im Pflegebereich soll bei 12,5 Millionen Euro liegen, auch weil künftig nur noch eine – gemeinsame – Schule den theoretischen Teil der Ausbildung übernehmen wird.

Weitere 1,5 Millionen Euro könnten durch Mengenerträge erbracht werden, wenn die Beschaffung von medizinischem Gerät und Utensil zentral organisiert wird. Ein gemeinsames Labor und die Bündelung von Apothekendiensten sollen laut Plan ebenfalls viele hunderttausend Euro sparen helfen. Reinigung und Wäsche werden komplett ausgelagert. Das bringt zusammen noch mal 1,9 Millionen Euro.

„Durch das Heben der Effizienzreserven in Verbünden können auch kleinere Häuser wirtschaftlich betrieben werden, die sonst schließen müssten“, sagt McKinsey-Partner Lösch. Er sagt auch: „Ein Klinikverbund ist immer nur so erfolgreich wie die einzelnen Glieder.“ In dem Satz schwingt eine Bedrohung mit. Aus ökonomischer Sicht, so viel ist klar, genügten in der Region mit mehr als 500.000 Einwohnern auch zwei große Krankenhäuser, ohne dass sich die medizinische Versorgungsqualität verschlechtern würde. Der Wettbewerbsdruck wird also bleiben.

Um die eigene Position dauerhaft zu stärken, sollen im Klinikverbund Südwest die Einsparungen bei den patientenfernen Leistungen wie Wäsche und Küche direkt in Qualitätssteigerungen in patientennahen Bereichen umgemünzt werden. Die künftigen Gewinne bleiben im Krankenhaus und kommen den Patienten zugute, zum Beispiel durch neueste Technik, sagt Gunther Weiß. Auch der Komfort soll wachsen, jedes Krankenzimmer wird eine Dusche und Toilette erhalten.

So plausibel das klingt, so schwer waren die Entscheidungen auch in derartigen Details. Fusionieren bedeutet Geben und Nehmen. Für jede Partei. Weil der Böblinger Landrat seinen Geschäftsführer Weiß auch als Chef des Verbunds haben wollte, setzte der Sindelfinger Oberbürgermeister seinen Ärztlichen Direktor durch und den Umzug der Verwaltungszentrale in seine Stadt. Apotheke nach Sindelfingen, Labor nach Böblingen. Die Kommunen mit kleineren Kliniken, die keinen medizinischen Schwerpunkt bilden dürfen, werden entschädigt, indem sie Standort der nicht medizinischen Schwerpunkte Küche, Lager und Rechenzentrum werden.

So geht es seit Monaten Zug um Zug, das Eckpunktepapier spiegelt nicht nur die ökonomische Vernunft, die auf Einsparungen durch Synergien zielt, sondern auch politischen Proporz wider. In puncto Küche zum Beispiel wäre es möglicherweise noch günstiger gewesen, alles von einer Fremdfirma zu beziehen. Auch die mit 33 Personen sehr üppige Besetzung des Aufsichtsrats – je zu einem Drittel aus den Kreisen Böblingen, Calw und der Stadt Sindelfingen – war ein Preis, ohne den die Fusion nicht zu haben war. Die recht große Entscheidungsgewalt in den Händen des Geschäftsführers gab es nur im Tausch für Vetorechte, die sich die Träger jeweils gesichert haben, falls Standortschließungen doch virulent werden. Aber all das ist bei öffentlichen Vorhaben üblich.

Inzwischen sind die Positionen politisch so fein austariert, dass kein Baustein mehr verrückt werden darf, wenn das Vorhaben nicht scheitern soll. „Es ist die letzte Chance“, sagen die beiden führenden Verhandler übereinstimmend. So erklärten sie es nach der Veröffentlichung auch ihren Gremien, die das Projekt absegnen mussten: „Alles oder nichts“, hieß die Formulierung bei Oberbürgermeister Bernd Vöhriger in Sindelfingen. „Friss oder stirb“, meinte Landrat Bernhard Maier in Böblingen.

In trockenen Tüchern ist das Projekt trotz der Beschlüsse noch nicht. Die Pläne müssen auch konsequent umgesetzt werden. Gunther Weiß hat bereits beobachtet, dass sich einige seiner Mitarbeiter an ihre Vertreter im Kreis- und Gemeinderat gewandt haben – an seine Aufsichtsräte also – um den Umsetzungsprozess abzuschwächen. Er kann das verstehen. „Dieselben Politiker, die seit Jahren gesagt haben, es bleibt alles, wie es ist, teilen den Leuten jetzt mit: Ihr müsst aus dem Eigenbetrieb eine GmbH machen, ihr müsst euch selbst tragen, ihr seid insolvenzfähig, ihr kriegt keine Zuschüsse mehr.“ Nach so einem radikalen Perspektivwechsel wird so schnell keine Ruhe einkehren. Weiß ist dennoch zuversichtlich. „Wenn wir unsere Renditeziele erreichen, wird sich wieder ein Gefühl der Zukunftssicherheit einstellen.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.