Bittere Pillen

Fast zwanzig Jahre ist es jetzt her, da hat es der Begriff Gesundheitsreform schon einmal zum "Wort des Jahres" gebracht. Das war von der Gesellschaft für deutsche Sprache nicht freundlich gemeint, und die Stimmung hat sich gehalten. Zwar hat es seit 1988 diverse große und kleinere Anläufe zur Reparatur des deutschen Gesundheitswesens gegeben. Die entscheidende Frage, wie viel Gesundheit wir uns künftig leisten wollen und wie wir sie finanzieren, ist allerdings bis heute unbeantwortet. Auch der gerade verabschiedete Kompromiss der schwarz-roten Regierung ist lediglich ein provisorischer Minimalkonsens, das bestreiten nicht einmal seine Erfinder.




Stattdessen wiederholen sie gebetsmühlenartig, was inzwischen jeder weiß – das heutige System ist auf Dauer nicht tragbar – und verweisen bei der Suche nach Auswegen auf die üblichen Vedächtigen. In vorderster Front stehen dabei die Kliniken, die den größten Kostenblock bilden, was kein Wunder ist, da sich Krankheit nun einmal im Krankenhaus abspielt.

Es ranken sich eine Reihe Mythen und Märchen um das deutsche Krankenhaus, das als teuer und ineffizient verschrien ist – in Wahrheit den Wettbewerb aber nicht scheuen muss. Die deutschen Kliniken zählen zu den leistungsfähigsten der Welt. Kaum irgendwo sonst wird ein ähnlich hoher medizinischer Standard geboten wie hierzulande. Für alle Bedürftigen gleichermaßen. Zu einem sehr guten Preis.

Mit 26 Prozent des Gesamtbudgets investieren wir viel in den Krankenhaussektor, aber weit weniger als nahezu jedes andere entwickelte Land der Welt. In Deutschland ist die stationäre Behandlung pro Bürger billiger als anderswo, und auch bei den Kosten pro Krankheitsfall schneiden wir deutlich besser ab als die internationale Konkurrenz. Jede Krankheit, die in einem deutschen Krankenhaus therapiert wird, kostet nach Berechnungen von McKinsey & Company im Schnitt 3908 Euro – günstiger behandeln nur noch die Franzosen mit 3852 Euro pro Fall. In den USA liegen die Fallkosten bei 13.128 Euro. Der amerikanische Krankenhausmediziner bezieht auch das höchste Gehalt weltweit. Im Gegensatz zu seinem deutschen Kollegen: Der muss mehr leisten als fast jeder Klinik-Arzt der Welt – und verdient dafür weniger als die Ärzte aller untersuchten Nationen.

Die Bilanz ist das Ergebnis enormer Anstrengungen, die in den Krankenhäusern seit Jahren unternommen werden, um besser und billiger zu arbeiten. Die Kliniken haben Personal und Betten abgebaut – und gleichzeitig mehr Patienten behandelt. Sie haben Kosten reduziert und Abläufe verbessert, Leistungen ausgelagert und Disziplinen kombiniert. Sie haben den Einkauf gebündelt, Strukturen optimiert. Und sich mit all dem doch nur eine Atempause verschafft: Die eigentliche Arbeit steht ihnen noch bevor.

Im kommenden Jahr werden sich neue Arbeitszeitregelungen, Fallpauschalen, Mehrwertsteuererhöhung und Tarifabschlüsse zu einer Mehrbelastung von fast sechs Milliarden Euro addieren, rechnet die Deutsche Krankenhaus Gesellschaft vor. Die Gesundheitsreform ringt den Kliniken 2007 außerdem einen Sanierungsbeitrag in Höhe von 500 Millionen Euro ab.

Was das bedeutet? Den Totalumbau der deutschen Krankenhauslandschaft. Ohne ganz neue Strukturen und Prozesse, ohne die Auflösung der Grenzen zwischen den Sektoren, ohne Spezialisierungen, Fusionen, Privatisierungen und ohne die Schließung einzelner Häuser wird es nicht gehen. Jede dritte Klinik, prognostiziert McKinsey, wird dem neuen Wettbewerb auf Dauer trotz intensiver Sanierungsbemühungen wohl nicht gewachsen sein. Das führt nicht zwangsläufig zu einer Verschlechterung der medizinischen Versorgung in Deutschland. Ganz sicher aber erfordert es über kurz oder lang eine Gesundheitsreform, die den Namen tatsächlich verdient.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.