Pingpong

Iteration. Ihr Werk wirkt wie das Poesiealbum eines jungen Mädchens. Seine Skulpturen wie Maschinen eines verrückten Ingenieurs. Doch bei aller Gegensätzlichkeit verband die beiden Künstler Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely eine lebenslange Freundschaft.
Und die Bereitschaft, aneinander zu wachsen und gemeinsam Neues zu schaffen.




Das Zusammentreffen von Jean und mir ist das Zusammentreffen zweier Energien, die sich gegenseitig befruchten, indem sie einander verstärken.
Niki de Saint Phalle über Jean Tinguely

Man sagt, dass es keine drei Minuten dauert, sich in einen Menschen zu verlieben. Dasselbe gilt auch für die Liebe zu einem Kunstwerk. Als Niki de Saint Phalle das erste Mal das Atelier von Jean Tinguely betritt, ist sie gerade 25, Tinguely ist fünf Jahre älter und bereits ein aufstrebender junger Künstler. Niki ist begeistert: „Dein Atelier sah aus wie ein Schrotthaufen, voll wunderbarer Schätze. Ich verliebte mich sofort in deine Arbeit.“ Die beiden werden Freunde, später ein Paar. Dabei könnten die Werke der beiden Künstler kaum gegensätzlicher sein. Während de Saint Phalle bunte Fantasiefiguren und verspielte Bilder schafft, ist Tinguely ein detailverliebter Technikkünstler. In seinen Ausstellungen stolpern Besucher über Drähte und Öllachen, werden von Maschinenteilen fast skalpiert. Doch je länger die beiden zusammenarbeiten, desto mehr beeinflussen sie sich in ihrem Schaffen. Jean führt Niki in die Bildhauerarbeit ein, gibt ihren ersten Gipsbildern mit Drähten und Eisenstücken Halt und Struktur. Niki bringt poetische Elemente in Jeans Maschinenlandschaften. Sie ist es, die ihm rät, seine kühlen Kunstwerke durch Federn aufzulockern. Später schafft das Künstlerpaar auch gemeinsame Kunst-Projekte, etwa die Skulpturengruppe Paradis Fantastique in Stockholm oder den Strawinsky-Brunnen neben dem Centre Georges Pompidou in Paris.

Das gemeinsame Leben und Arbeiten von Niki und Jean verlief turbulent. Beide waren Exzentriker, liebten es, sich immer wieder aufs Neue zu inszenieren, zu Größerem anzutreiben. In den sechziger Jahren gehörten sie der Pariser Avantgarde der Nouveaux Realistes um Yves Klein an. Niki war das einzige weibliche Mitglied – und eine rebellische Mitstreiterin. Kunst war für sie immer auch Befreiung. Ihre ersten Bilder entstanden, als sie wegen Suizidgefahr und eines Nervenzusammenbruchs in ein Sanatorium eingeliefert wurde.

Die künstlerische Zusammenarbeit und gegenseitige Inspiration zwischen Niki und Jean währt ein Leben lang, obwohl ihre Beziehung in den siebziger Jahren in die Brüche geht. Nach Tinguelys Tod im Jahr 1991 kümmert sich Niki de Saint Phalle um seinen Nachlass. Den Schmerz über den Verlust des Gefährten verarbeitet sie in einem ihrer Bilder. Auf die Leinwand schreibt sie: „Plötzlich sah ich dich! In deinem fleckigen und schmutzigen Mechaniker-Overall, den ich nie in die Waschmaschine werfen durfte. Da warst du wieder.
Warum bist du noch hier?
Warum bist du nicht hier?“

Niki de Saint Phalle starb im Mai 2002 mit 72 Jahren in San Diego, Kalifornien.

Jean Tinguely über Niki de Saint Phalle:

Es war wunderbar, und damit begann für mich eine substanzielle Schlacht …

Niki über Jean:

Unsere Werke sind komplementär: Wir sind Gegensätze, die zusammenkommen. Wir haben eine Beziehung zueinander, die in der Kunstgeschichte ohne Beispiel ist ... Meine Farben und seine Maschinen, mein unverhüllter Symbolismus. Wir arbeiteten in getrennten Ateliers, aber einmal, bei Iolas, kamen die Arbeiten meiner Ausstellung gerade an, als Jeans Ausstellung zu Ende war. Bei der Gelegenheit sahen wir unsere Sachen zusammen, und es war wunderschön. Damals beschlossen wir, etwas zusammen zu machen.

Niki über Jean:

Es half uns, dass unser Werk so diametral entgegengesetzt war und dass wir beide eine große Liebe zum Spiel haben, ebenso wie die Tatsache, dass wir die Arbeit des jeweils anderen lieben und von ihr stimuliert werden.

Jean über Niki:

Aber ich glaube, dass Niki der größte Bildhauer unseres Jahrhunderts werden wird, weil sie mit traumwandlerischer Sicherheit auf Sachen zugeht, die noch kein anderer Bildhauer zu lösen versucht hat.

Niki über Jean:

Pingpong! Das war das Spiel.
Der eine regte den anderen an, zum Größeren, zum Verrückteren.

Jean über Niki:

Überhaupt ist es das Weibliche im Mann, das ihn zum Poeten macht.

Jean über Niki:

Sie besuchte Brancusi und kam auch in mein Atelier. Ich zeigte ihr ein Klang produzierendes Relief – die Desorganisation der Ordnung oder die Organisation des Chaos, ein Arrangement aus Flaschenzügen, das ein System aus Schlaginstrumenten aktiviert: alte Tunfisch und Sardinenbüchsen und Flaschen, die hübsche Klänge hervorbringen. Und Niki, ein wunderschönes Mädchen, sagte etwas Ungeheuerliches. Sie sagte, ich solle Federn an meiner Maschine anbringen. Das gefiel mir gar nicht – damals verstand ich es noch nicht.

Niki über Jean:

Hier ein Beispiel, wie wir zusammen arbeiten: Jean bat mich beispielsweise, mit dem Strawinsky-Brunnen oder dem Paradis Fantastique zu beginnen. Also habe ich rund 20 kleine Tonmodelle gemacht, einfach und schnell nach der Idee ausgeführt. Jean wählt aus. Er macht seine Einkäufe. Er nimmt sich, was ihn inspiriert, und greift dann eine Idee heraus.

Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.