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Ein Schritt zurück, zwei nach vorn

Vereinfachung. Nur wer alle technischen Tricks und Kniffe in seinem Fachgebiet kennt, kann sie bewusst weglassen. So wie der Winzer Martin Tesch. Er hat sich auf das Wesentliche konzentriert. Und produziert seinen Wein heute wieder so, wie es schon sein Großvater gemacht hat.




Manchmal geben Rockbands Unplugged-Konzerte, bei denen die Bandmitglieder ausschließlich auf akustischen Instrumenten spielen, ganz ohne elektrischen Strom. Weil sie zeigen wollen, dass sie auch ohne Verstärker, Verzerrer und sonstige Effektgeräte auskommen. Dass sie wirklich spielen können. Also handwerklich etwas draufhaben. Genau deshalb hat auch Martin Tesch den Begriff für einen seiner Riesling-Weine entlehnt. Aber als der Winzer den Stecker zog, wären bei dem rund 300 Jahre alten Weingut seiner Familie fast die Lichter ausgegangen. „Mit dem Unplugged wären wir beinahe auf dem Bauch gelandet“, sagt Tesch. Eine maßlose Untertreibung.

Tatsächlich hat das neue Produkt Martin Tesch vierzig Prozent seiner Stammkundschaft gekostet. Die Familie schüttelte den Kopf, die Winzer in Langenlonsheim an der Nahe lachten über ihn, Kritiker schrieben seine Weine in Grund und Boden. Der Neue im Gut hatte alle verprellt, weil er sich auf das konzentrierte, was im Weinbau eigentlich das Wichtigste sein sollte: den Wein.

Sämtliche Korrekturen sind verpönt

„Ein Riesling ist ein Riesling“, erklärt Tesch. „Der hat allein genug Überzeugungskraft, wenn man ihn danach schmecken lässt, was er ist.“ Tesch lehnt jegliche Geschmackskorrektur ab. Wo seine Winzerkollegen ihren Wein aus mehreren Lagen vermischen, um einen gefälligen Durchschnittsgeschmack zu erreichen, setzt er ganz auf das Terroir, das charakteristische Aroma, das aus den unterschiedlichen Bodensorten der einzelnen Lagen resultiert. Seine Rieslingsorten sind lagenrein, sie entstehen aus den Trauben jeweils eines Weinbergs. Und sie dürfen in Ruhe reifen. Tesch hat Zeit und mischt seinen Weinen weder Wasser noch Zucker hinzu, um sie etwa saurer oder süßer zu machen.

Das Ergebnis ist ein knochentrockenes Produkt, ohne Schnörkel und so geradeheraus wie der 37-jährige Winzer, der es herstellt. „So wie ich produziere, hat das mein Großvater eigentlich auch schon getan“, sagt Tesch. Doch während sein Vorfahr den Wein nicht manipulierte, weil er viele der heute üblichen Tricks gar nicht kannte, verzichtet der promovierte Mikrobiologe Martin Tesch ganz bewusst darauf. Nicht jede Innovation und jeder Trend, findet er, mache ein Produkt besser.

Eigentlich wollte Tesch gar nicht Weinbauer werden. Mit 15 verließ er das Elternhaus. Nach dem Abitur bei Bonner Jesuiten suchte er sich Orte, die weit genug von Langenlonsheim entfernt waren – und studierte in Tübingen, Karlsruhe und Jülich Biologie. „Ich fermentiere alles, was sich nicht wehrt“, frotzelt Doktor Tesch und weiß, dass seine Lieblingsformel sehr gut zur Weinherstellung passt: „Man hat eine Flüssigkeit A, leitet einen mikrobiologischen Prozess ein, an dessen Ende eine Flüssigkeit B herauskommt. Und B muss mehr wert sein als A.“

Die Kalkulation: lieber weniger, dafür hochwertiger

Martin Tesch hätte Wissenschaftler bleiben können. Doch irgendwann spürte er die Verantwortung und wollte die Tradition der Familie fortsetzen. Schließlich musste das doch alles einen Sinn haben. Dass die Römer vor rund 2000 Jahren die ersten Weinreben an die Nahe brachten und damit das Schicksal der Region als Weinanbaugebiet vorbestimmten. Dass der Mainzer Erzbischof die wenigen Überlebenden in der Region nach dem Dreißigjährigen Krieg mit Weinbergen ausstattete – unter der Auflage, ausschließlich Riesling zu produzieren. Dass die älteste Riesling-Lage an der Nahe zu Teschs Weinbergen gehört. Dass seine Familie vor rund 300 Jahren aus Luxemburg einwanderte und mit dem Weinbau begann. Und dass die deutschen Winzer, auch die an der Nahe, irgendwann ihrer Kundschaft schmeicheln wollten und Süßigkeiten im Glas produzierten, die den Ruf des deutschen Weins auf Jahrzehnte ruinierten.

Tesch versuchte, all diese Zusammenhänge mitzudenken, als er 1997, mit 29 Jahren, die Geschäfte von seinem Vater übernahm. 30 Hektar Rebfläche gehörten damals zum Weingut, das entspricht 42 Fußballfeldern. Tesch warf die Motorsäge an und legte rund 14 Hektar davon brach. Er bewirtschaftete nur noch seine besten Lagen, auf denen er fast ausschließlich Rieslingtrauben anbaute. Das Unternehmen sollte künftig lieber weniger, aber dafür hochwertigen und teureren Wein verkaufen, so seine Kalkulation.

Schmale Produktpalette – schmollende Kunden

Die Stammkundschaft staunte nicht schlecht, als in den Verkaufslisten fast nur noch diese eine Weinsorte stand. Schluss mit Scheurebe, Schluss mit Gewürztraminer, keinen Silvaner, keine Lieblichkeiten mehr und auch kein Schnaps aus Winzers Destille. „Riesling“, sagt Tesch, „ist unsere Kernkompetenz. Darauf mussten wir uns konzentrieren.“

Die Kunden schmollten, weil die lieb gewordene Produktpalette so schmal geworden war. Doch das war noch gar nichts. Denn mit dem Unplugged legte Tesch erst richtig los. Er ist nicht nur der Erste in der Familie, der Englisch kann. Er ist auch der Erste, der sich traut, radikal zu sein. Er tut das nicht aus Lust am Streit, sondern aus Liebe zum Produkt.

So füllt der Winzer sein Werk in schwarze Flaschen ab. Das ist unverwechselbar und obendrein ein Lichtschutz für den Wein. Mit mehreren Grafikdesignern verpasste er seinen Flaschen neue Etiketten. Die fünf lagenreinen, trockenen Spätlesen tragen alle eine Farbe, der Unplugged, der sortenreine Riesling Kabinett, trägt schwarzes Etikett auf schwarzem Glas.Tesch bekam bald die Quittung für seine Brüche mit so ziemlich jeder Weinbautradition.

Innerhalb kurzer Zeit verlor er vierzig Prozent seiner Kundschaft. Auch die Kollegen in der Region ließen ihn deutlich spüren, was sie von seinen Innovationen hielten. Es gibt wohl kaum eine Branche mit derart starker sozialer Kontrolle wie den Weinbau. In den überschaubaren, idyllischen Anbaugebieten bleibt Überwachung nicht aus. Jeder Winzer beäugt den anderen: Wann steigt die Betriebsamkeit im Berg des Nachbarn? Setzt er aufs Öchslemeter oder doch mehr auf seinGefühl? Wann beginnt beim Winzer X die Lese? Und dann so ein Querkopf, mitten in den eigenen Reihen. Martin Tesch muss so manche abfällige Bemerkung verkraften.

Er lässt sich nicht beirren. Nimmt den Verlust der Kunden hin, den Spott der Kollegen, die Häme der Kritiker. Er setzt weiter auf einen sich ändernden Markt, der langsam, sehr langsam wieder klare und trockene Weine zu schätzen lernt. Er wird nicht müde, persönlich für seine Produkte zu werben, diskutiert mit Vertretern des Fachhandels, lädt Sommeliers auf sein Weingut ein, preist seine Produkte bei Importeuren und bereist landauf, landab Restaurants, um sich und den Riesling vorzustellen. Und er weigert sich beharrlich, an seiner Überzeugung zu drehen: „Ich wollte und will diesem Geschnüffel nach Pfirsichnoten und Bananenaromen, nach all den exotischen Charakterisierungen im Riesling keine Nahrung geben.“

Es dauert, aber langsam setzt sich die Qualität von Teschs Weinen durch. Inzwischen verkaufen sie sich auf fünf Kontinenten, „der beste Verkäufer westlich von Wladiwostok“, wie Tesch sich selbst nennt, hat die Importeure überzeugt. Auch der Fachhandel kauft heute rege bei ihm ein. Und der Winzer ist stolz darauf, dass sein Riesling mittlerweile sogar im Berliner KaDeWe einen Platz im Regal gefunden hat.

Damit hat Tesch die strengen Einkäufer überzeugt, die Kritiker sind ohnehin längst umgeschwenkt. Erst kürzlich widmete ihm Stuart Pigott, einer der bedeutendsten Weinjournalisten Deutschlands, in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einen lobenden Artikel. Teschs Betrieb ist Mitglied im angesehenen Verband „VDP Die Prädikatsweingüter“. Das Weingut an der Nahe zählt als erste Adresse unter Weinfreunden in aller Welt.

Und Tesch entwickelt sich weiter. „Man darf nicht nur aus Fehlern, man muss auch aus Erfolgen lernen“, lautet eine seiner wichtigen Erfahrungen. Deshalb hat er nachgelegt – und erweitert seit einiger Zeit Schritt für Schritt die einst reduzierte Rebfläche. Rund 20 Hektar bebaut er inzwischen. Das sind nur etwa zwei Drittel dessen, was möglich wäre. Aber er will sich nicht verzetteln. Nur einen Hektar Weißburgunder und anderthalb Hektar Spätburgunder hat er neben dem Riesling im Programm. 150.000 Flaschen produziert er im Jahr, das ist ein guter Durchschnitt für die Größe der Rebfläche und macht das Weingut Tesch zu einem soliden Mittelständler unter den Winzern in Deutschland.

Experimente für die nächste Innovation

Inzwischen experimentiert er wieder. Seit einiger Zeit verarbeitet Tesch Weißweintrauben wie die blauen Trauben für Rotwein. Das ergibt ein volleres Arom, das durch ungewohnte Gerbstoffe geprägt ist und deshalb an Rotwein erinnert. Er nennt seine jüngste Innovation „Five Miles Out“. Sie sei ein laufendes Experiment, sagt er. Aber sie erregt schon jetzt erhebliche Aufmerksamkeit in der Branche. Tesch ist nicht der erste deutsche Winzer, der das probiert. Aber, so meinte der Weinkritiker Pigott kürzlich, der erste wirklich erfolgreiche.

In der Szene kommt so etwas dem Ritterschlag gleich. Tesch nimmt’s gelassen, schon weil er nicht übermütig werden will. Ja, er ist ein Pionier, und ein Querkopf ist er auch. Am Ende aber ist er halt doch ein Winzer. Seine Bodenhaftung zeichnet ihn aus. Wie er sich fühlt als Innovator einer so grundsoliden Branche? Ach Gott, Innovator, das sei so ein Wort. „Ich kann so innovativ sein, wie ich will“, sagt Martin Tesch. „Wenn das Wetter nicht mitspielt, nutzt mir das alles ja gar nichts.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.