Der Glücksfall

Transformation. Rund hundert Jahre lang waren die Tore auf dem Fußballplatz aus Holz. Bis eines Tages eines einstürzte – und die Welt von Klemens Schäper gleich mit. Der führende Torhersteller Deutschlands musste statt Holz auf einmal Aluminium verarbeiten. Die Geschichte eines Tischlers, der plötzlich die Funken fliegen ließ.




Kaum ein Tor hat die Bundesliga so verändert wie jenes, das am 3. April 1971 in der 87. Minute auf dem Gladbacher Bökelberg fiel. Die Borussen aus Gladbach spielen gegen Werder Bremen, es steht eins zu eins, und Netzer und Co. machen ungeheuer Druck. Le Fevre, den Ball eng am Fuß, kommt über links, dribbelt zwei Bremer Abwehrspieler aus, im Fünf-Meter-Raum lauert Gladbachs Mittelstürmer Herbert Laumen. Die Flanke kommt, Laumen nimmt Anlauf, springt hoch und rammt ungebremst Bremens Tormann Günter Bernard. Beide stürzen ins Netz, und ein Holzpfosten des Tores bricht auf Höhe der Grasnabe wie ein Streichholz entzwei. Knapp 20 Minuten versuchen Spieler, Funktionäre und sogar einige Fans vergeblich, das Tor wieder aufzustellen. Schließlich wird die Partie abgebrochen. Das vermutlich berühmteste Tor der Bundesliga war gefallen, aber das Ergebnis war kein Sieg der Borussen über Werder Bremen, sondern die Einsicht, dass Holztore für den professionellen Spielbetrieb der Bundesliga nicht stabil genug sind.

Marktführer – Krise – Neubeginn – Marktführer

Für den Tischlermeister Klemens Schäper brach damals eine Welt zusammen. Tore waren die Haupteinnahmequelle seines kleinen Münsteraner Handwerkbetriebs. Doch plötzlich wollten die Vereine keine Holztore mehr, stattdessen setzten sie auf modernere Konstrukte aus stabilem Aluminium. Das Material war dem Tischlermeister fremd. Schäpers Betrieb stand vor dem Aus. Doch wenn im Sommer 2006 die Weltmeisterschaft in Deutschland stattfindet, werden in acht von zwölf Stadien wieder Schäper-Tore stehen. Aus der ehemaligen Schreinerei wurde Deutschlands führender Torhersteller. Weil Schäper die Flexibilität besaß, sich weiterzuentwickeln. Und den Mut zum Neuanfang.

Bis zu dem schicksalhaften Ereignis am Bökelberg hatten Holztore dem Fußball rund hundert Jahre treue Dienste geleistet. 1848 war in Cambridge die Torbreite auf acht Yards, also 7,32 Meter festgelegt worden. 1865 einigte man sich im selben Ort auf eine Torhöhe von 2,44 Meter, zehn Jahre später kam zu den zwei Pfosten die Querlatte hinzu. Auch Schäper baute 1971 Holztore nach diesen Maßen. Schon seit elf Jahren, seit sein Heimatverein, der 1. FC Gievenbeck, den jungen Schreiner 1960 zusammen mit der Stadt Münster beauftragt hatte, ein kaputtes Tor zu reparieren. Es hielt so gut, dass weitere Aufträge von Nachbarvereinen folgten. Und es sprach sich schnell herum, dass Schäpers Tore stabiler waren als andere.

Klemens Schäper verbaute nicht die damals üblichen dünnen Stämme, sondern viel dickere, so genannte Tischler-Stammware. Die runde Seite nach oben verhinderte, dass das Holz zwischen den Pfosten nach zwei oder drei Jahren nachgab und durchhing. Der nationale Durchbruch als Torbauer gelang ihm 1967, als selbst der große FC Schalke 04 die ersten Schäper-Tore für seine Glück-Auf-Kampfbahn in Gelsenkirchen bestellte. Doch nach dem Desaster am Bökelberg orderte auch Schalke 04 Aluminium-Tore – aus schwedischen Metallbetrieben.

Qualität ist, wenn man’s besser macht

Ein Zufall war es, der dafür sorgte, dass in den Fertigungshallen von Schäpers ehemaliger Schreinerei noch immer Tore hergestellt werden – und das profunde Wissen des Schreinermeisters in Sachen Torproduktion. Kurz nachdem der Markt für Holztore zusammengebrochen war, hatte der Tischler einen 18-jährigen Aluminiumschweißer kennen gelernt, der einen Job suchte. Schäper stellte ihn sofort ein. Schließlich war ihm an den Alu-Toren der Konkurrenz ein entscheidendes Manko aufgefallen: „Die Schweden waren in Europa zwar führend in der Aluminiumverarbeitung, kannten sich aber nicht mit Toren aus. Sie steckten die Ecken nur zusammen, anstatt sie solide zu verschweißen“, sagt Schäper heute. „Dadurch wackelten die Schwedentore ständig.“

Mithilfe des jungen Kollegen baute Schäper sein erstes Aluminium-Tor. „Wir haben einfach losgelegt“, erinnert sich Günter Bäumer, der noch immer die Fräsmaschine in der Fertigungshalle bedient. „Zum Glück mussten wir keine neuen Geräte anschaffen, denn unsere drei Holzkreissägen schnitten durch das weiche Aluminium wie durch Butter.“

Innerhalb von wenigen Tagen wurde in der ehemaligen Tischlerei nur noch Metall verarbeitet. Klemens Schäper ließ sich auf neue Materialien, Produkte und Prozesse ein. Der kleine Produktionsbetrieb baute sich um – und musste nicht lange warten, bis sich die alte Kundschaft für die neue Qualität interessierte. Einige Wochen später kamen die ersten Aufträge, zunächst aus Regionalligavereinen, aber irgendwann wollte auch Schalke 04 wieder ein stabiles Schäper-Tor.

Der Auftragsbestand stieg, Mitte der Siebziger sollte Schäper so viele Aluminiumtore liefern, dass eine weitere Optimierung der Produktion angezeigt schien. Schäper tauschte seine Holzkreissägen gegen eine moderne Fräsmaschine ein – der 500.000-Mark-Kredit des örtlichen Bankdirektors hatte die vergleichsweise hohe Investition möglich gemacht. Nun konnte Schäper schneller, besser und billiger fertigen und ging daran, konsequent Produktsortiment und Marktposition auszubauen. Inzwischen ist aus dem kleinen Handwerksbetrieb ein mittelständisches Unternehmen mit 14 Mitarbeitern geworden. Neben Fußballtoren produziert die Schäper Sportgeräte GmbH heute auch Handball- und Hockeytore, Basketballkörbe und Leichtathletikanlagen. Alles aus Aluminium, versteht sich.

Seit fünf Jahren führen Ulrich Schäper, Sohn des Gründers, und dessen Schwiegersohn Josef Hesse die Geschäfte. Sie produzieren rund 2500 Tore pro Jahr, jeder Bundesligist bekommt pro Saison zwei Stück à 1500 Euro, inklusive Zubehör. Die früher eckigen Pfosten und Latten der Bundesliga-Tore sind heute zehn Zentimeter breit, zwölf Zentimeter tief und oval, sagt Josef Hesse: „Eine runde Form ist nicht stabil genug.“ Zudem werden die Haken für die Netzaufhängung in die Alu-Profile gefräst – eine patentierte Entwicklung. „Damit sich kein Spieler mehr an den Haken verletzen kann“, erklärt Hesse ein bisschen stolz. Sie hatten die Innovation ersonnen, nachdem „das damals mit dem Jakobs passiert ist“. Ditmar Jakobs, Nationalspieler und in der Abwehr des HSV, verletzte sich 1989 im Derby gegen Bremen, als sich nach einem Sturz ins eigene Tornetz ein Karabinerhaken in seinen Rücken bohrte. Die Verletzung war so schwer, dass der Spieler seine Karriere beenden musste.

Schäpers Marktposition ist seitdem unangefochten. Wer Tore kauft, kauft bei Schäper – größte Bedrohung des Geschäfts: die eigene Qualität. „Wir machen uns das Leben selbst schwer, weil unsere Tore ewig halten“, sagt Josef Hesse. Er macht eine kurze Pause, überlegt, ob er das sagen soll, dann aber, mit einem Lächeln, weil es nicht wirklich ernst gemeint ist: „Wir können nur auf Randale hoffen.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.