Alles fließt

Konzentration. Der Maschinenbauer Trumpf gilt als eines der innovativsten Unternehmen in Deutschland. Dabei haben die Schwaben eigentlich nur dreierlei im Sinn: permanente Bewegung, kontinuierliche Verbesserung und Perfektion im Detail.




Die Präsentation ist beeindruckend. Vor allem diese eine Grafik. Mathias Kammüller klickt sie immer an, wenn er etwas hervorheben will. Etwas Besonderes. An diesem Nachmittag wird es noch oft um dieses eine Bild gehen. Es zeigt eine Übersicht mit dutzenden verschiedenfarbigen Ovalen. Am unteren Rand verläuft eine Zeitleiste, oben drüber steht: „Das Unternehmen als innovatives Gesamtkunstwerk“. Mathias Kammüller, Vorsitzender des umsatzstärksten Geschäftsbereichs Werkzeugmaschinen und Produktionschef des Maschinenbaukonzerns Trumpf GmbH + Co. KG in Ditzingen, kann nach Belieben auf die Elemente klicken, und jedes Mal springt eine neue Grafik auf, ein Foto, eine Tabelle, zu der er eine Innovationsgeschichte erzählen kann.

Angesichts der Zahlen und des Rufs von Trumpf könnte man erwarten, dass aus jedem Innovations-Oval eine Weltneuheit springt, eine bahnbrechende Idee nach der anderen, mit der Trumpf die Konkurrenz wieder mal überrascht und abgehängt hat, befeuert von einem Forschungsetat, der ungefähr beim Doppelten des Branchendurchschnitts liegt. Erst vor wenigen Wochen hat Trumpf wieder glänzende Zahlen vorgelegt: Nie in der 83-jährigen Unternehmensgeschichte war der Umsatz höher: 1,4 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2004/2005. Ergebnis, Zahl der Beschäftigten (rund 6050 weltweit), Auftragseingang – alle Kurven zeigen nach oben, und die Aussichten für die kommenden Jahre sind bestens. Trumpf ist Weltmarktführer in der Lasertechnologie und größter deutscher Werkzeugmaschinenbauer. Wo immer heute Blech präzise geschnitten, gestanzt, geschweißt oder gebogen werden muss, ist Trumpf meist die erste Adresse. Das Familienunternehmen spielt in derselben Liga wie Porsche oder Bosch, deren Stammsitze nur ein paar S-Bahn-Stationen entfernt liegen. Und wenn Bundespräsident Horst Köhler seinen Antrittsbesuch in Baden-Württemberg macht, kommt er natürlich auch nach Ditzingen.

Im Schnitt der vergangenen Jahrzehnte ist die Firma um 15 Prozent jährlich gewachsen, es war ein natürliches Wachstum, Firmenzukäufe spielten in der Unternehmensgeschichte eine geringe Rolle. In seiner Historie hat Trumpf nur zweimal Verluste geschrieben, das war Anfang der neunziger Jahre. 1993 wurden sogar 200 Mitarbeiter entlassen. „So etwas wollen wir nie mehr haben“, sagt Mathias Kammüller und schiebt das Rezept dafür gleich hinterher: „Wir müssen als Unternehmen tun, was der Mensch nicht kann – Alterungserscheinungen verhindern. Und dazu müssen wir uns fortwährend verändern und bewegen.“

Wo andere Firmenchefs den Geist der Innovation beschwören, das technisch Machbare anmahnen oder die nächste revolutionäre Durchbruchsinnovation herbeireden, bleibt Kammüller bescheiden. Seine Definition von Innovation klingt sehr zurückhaltend, was nicht nur dem allgemeinen Understatement in der schwäbischen Firma geschuldet ist: „Wir verstehen Innovation als Erneuerung, weniger als etwas ganz Neues. Viele unserer Erfolge sind von außen angeregt, von den Kunden, von den wissenschaftlichen Instituten und Labors.“

Keine Frage, es gab Meilensteine in der Geschichte von Trumpf. Früher als die meisten anderen Maschinenbauer setzte Firmenpatriarch Berthold Leibinger auf die enge Verbindung von Maschine und Elektronik. 1979 integrierte er als einer der Ersten einen Laser in eine kombinierte Stanz-Lasermaschine, damals noch mit zugekauften Lasern. Sechs Jahre später präsentierte er bereits den ersten Laser aus eigener Entwicklung und Produktion. Für einen Maschinenbauer war das damals ein kühner Schritt. Laser waren bis dahin vor allem dort zum Einsatz gekommen, wo sie auch entwickelt wurden: in Labors. Noch längst war nicht absehbar, wie vielseitig die Anwendungsmöglichkeiten der extrem stark gebündelten Lichtstrahlen einmal sein würden – von Kreuzfahrtschiffen mit stabilen Laserschweißnähten bis hin zu Bohrungen im Mikrometerbereich. Heute sind die Trumpf-Laser eine der vier Säulen des deutschen Konzerns, neben Werkzeugmaschinen, Elektronik/Medizintechnik und Elektrowerkzeugen.

Was das „innovative Gesamtkunstwerk“ aber vor allem ausmacht, sind die vielen kleinen Mosaiksteinchen, die in Mathias Kammüllers Präsentation nach vier Begriffen sortiert sind: Maschinen, Märkte, Menschen und Methoden. Innovativ kann man in der Führung, im Prozess, im Produkt, in der Produktion, in der Technologie, im Unternehmensalltag oder auch nur in einem winzigen Feature sein. Die Kraft des Innovations-Champions Trumpf liegt im Detail. Und darin, dass er vieles ein Stück konsequenter, mutiger, genauer und schneller verwirklicht als die Konkurrenz.

Um zu verstehen, wie sie bei Trumpf ticken, ist eine Parabel hilfreich, ein persönliches Erlebnis, von dem Kammüller nebenbei erzählt. Der groß gewachsene schlanke Manager ist begeisterter Radfahrer, ärgerte sich unterwegs aber oft, wenn die Sportkleidung nicht zur Witterung passte. Mal fror er, mal war ihm zu warm. Bis er sich eine Liste erstellte, in der Bekleidungsoptionen mit verschiedenen Außentemperaturen verknüpft wurden. „Für so eine Liste muss man sich zwei Stunden hinsetzen. Und dann nie wieder spontan entscheiden. Danach ist das Fahrradfahren das ganze Jahr über angenehmer. Man erhöht die Qualität, indem man Standards setzt.“

Standards sorgen für Qualität – und Freiraum

Standards gelten bei Trumpf auch in den Büros. Sie sind ein trefflicher Beleg für die These, dass Innovationen Freiraum und Kreativität brauchen – und dass man sich beides erarbeiten kann, durch knallharte Disziplin. Es gibt Standards für die Farben und die Beschriftung der Aktenordner und für die Zahl der Stifte, Standards für Ablagekästen und Klarsichthüllen. Immer geht es darum, Komplexität zu reduzieren und Verschwendung zu vermeiden. Vor allem Zeitverschwendung durch Überinformation, unnötige Wiederholungen und Sucharbeit. Zum Projekt „Büro Synchro“ gehören zum Beispiel Bedienungsanweisungen an jedem Faxgerät, „damit spart man sehr viel Suchzeit von Leuten, die immer wieder dieselbe Aufgabe erledigen“, sagt der Chef. Sie haben auch herausgefunden, dass die Mitarbeiter in manchen Abteilungen pro Jahr 360 Kilometer Wegstrecke zwischen ihrem Schreibtisch und dem Fotokopierer zurücklegen. „Wenn man das Gerät in die Mitte des Büros stellt, lässt sich die Strecke halbieren.“

Die Büroarbeitsplätze bei Trumpf sehen heute meist sehr karg aus, so als wäre man eben erst eingezogen. Diddl-Mäuse und ähnliche Dekorationen zur Kennzeichnung des Arbeitsplatzes sind verpönt. Beim Umzug ins neue Vertriebs- und Servicezentrum vor zwei Jahren sortierten die 160 Mitarbeiter 5,5 Tonnen Papier aus, eine Tonne Metall, 1400 Ordner und 100 Möbelstücke wie Rollcontainer und Beistelltische. Und weil die Informationsflüsse ebenso abgespeckt und standardisiert wurden, liegt die Mitarbeiterproduktivität weit über jener der Maschinenbaubranche – trotz eines freigestellten „Synchro“-Beauftragten pro 50 Büromitarbeitern. „Am Anfang war sehr viel Abwehr“, erinnert sich Mathias Kammüller. Er überwand sie auch dadurch, dass er bei sich selbst reinen Tisch machte. Neben seinem Bildschirm stehen gerade fünf Stifte im Becher: drei Kugelschreiber und zwei Füller in unterschiedlichen Farben. Für die Fotos seiner Kinder und seiner Frau Nicola Leibinger-Kammüller, der neuen Vorsitzenden der Geschäftsführung bei Trumpf, entschuldigt er sich fast. „Man muss Veränderungen oben vorleben, um die Menschen davon zu überzeugen“, lautet ein Credo. Ein anderes besagt, dass Menschen Veränderungen dann akzeptieren, wenn sie Sicherheit empfinden. „Deshalb muss man den Leuten ihren Arbeitsplatz garantieren“, weiß Kammüller.

Arbeitsplatz, Arbeitszeit, Alltag – Innovation geht überall

Er klickt jetzt auf eines der Ovale im Gesamtkunstwerk, „3. Bündnis für Arbeit“ steht darauf. Das erste Bündnis schlossen sie bei Trumpf 1997 und waren damit eines der ersten Maschinenbauunternehmen überhaupt. Inzwischen schließt die Hälfte der Branche solche Verträge ab. Anfang 2005 hat Trumpf mit seinem dritten Bündnis wieder eine Novität hervorgebracht: die „flexible Arbeitsplatzgarantie“, nach der 95 Prozent der rund 2100 Beschäftigten an vier deutschen Standorten ihren Arbeitsplatz garantiert bis ins Jahr 2011 behalten. Dafür wird ihre jährliche Arbeitszeit erhöht, weiter flexibilisiert und teilweise als Gewinnbeteiligung und in Form von „Bausteinen“ zur Altersversorgung vergütet. „Die flexiblen Arbeitszeitregelungen haben uns schon viel geholfen“, sagt Kammüller, „zuletzt im Jahr 2003, als die Lage kritisch war und wir die aufgefüllten Zeittöpfe aus guten Jahren anzapfen konnten. Von einer auf die nächste Woche konnten wir so rechnerisch die Kosten für 250 Mitarbeiter abbauen.“

Kammüller klickt weiter, „Integrierte Produktentwicklung“ steht auf dem Punkt in der Präsentation. 1990 fing Trumpf damit an, neue Maschinen von einem Team aus Mitarbeitern aller Funktionsbereiche entwickeln zu lassen. Anders formuliert: Man beendete die Praxis, dass die Konstrukteure die Zeichnungen ihrer Prototypen weiterreichten, um dann von den Kollegen in der Produktion oder im Vertrieb zu hören, dass die Maschine so nicht zu bauen oder zu verkaufen sei. Das Ergebnis ist beeindruckend. Entwicklungszeit und Produktionskosten sanken um jeweils 30 Prozent; die Zahl der verwendeten Bauteile ging um 60 Prozent zurück; der Anteil der Maschinen, die jünger sind als drei Jahre, stieg auf 60 Prozent; statt 20 werden jetzt nur noch acht Maschinentypen angeboten. „Es geht immer um die Reduzierung der Komplexität, ob im Büro oder in der Fertigungshalle“, sagt Kammüller. Parallel steigt die Zufriedenheit, weil der Kunde qualitativ bessere Produkte erhält, und das auch noch schneller.

Das nächste Oval. „Synchrone Produktion“. Es ist Kammüllers Baby. Es stammt aus Japan, wo er drei Jahre arbeitete und darüber las, aber zunächst nicht erkannte, wie „Synchro“ auch Trumpf verändern könnte. Synchro ist im Grunde nichts anderes als Lean Production, wie es die Automobilindustrie und vor allem Toyota vorgemacht haben. Nur dachte zunächst keiner daran, es für die Produktion von Kleinserien im Maschinenbau zu adaptieren. „Lean Production heißt für uns Vermeidung von Verschwendung“, sagt Kammüller. Seit 1998 sorgt Synchro an allen 15 Fertigungsstandorten von Trumpf dafür, dass Geschäftspartner noch immer ungläubig schauen, wenn sie durch die Hallen geführt werden.

Weil dort Maschinenkomponenten, aber auch ganze Maschinen auf Luftkissen oder Schienen von einer Montagestation zur nächsten gleiten, während just in time Werkzeuge und Material bereitgestellt werden. An der Hallenwand hängt eine Uhr, die den Takt vorgibt. Je nach Maschinentyp sind es mal zehn Stationen à elf Stunden und mal 30 Stationen mit einem Takt von weniger als vier Stunden, wie im Schweizer Trumpf-Werk. In diesem Rhythmus gehen die Hightech-Maschinen auf den Weg zum Kunden in alle Welt. Es ist ein Rhythmus, der Mathias Kammüller immer noch begeistern kann: „Es ist fantastisch zu sehen, dass das auch mit High- tech-Maschinen von 15 oder 20 Tonnen Gewicht möglich ist“, sagt der Produktionschef.

Konzentration und Synchronisation zahlen sich aus

Beim alten Prinzip, der Standplatzmontage, standen die Maschinen bis zur Auslieferung an einem Platz, um den sich wochenlang alles sammelte. Mathias Kammüller klickt wieder eine Folie an, man sieht ein Gewirr von Linien, die die Bewegungen von Menschen, Material und Informationen um die Maschine herum nachzeichnen. Das wirre Netz zeigt eine Komplexität, die auf verschiedene Weise bekämpft wurde. Zum Beispiel durch das Anlegen von „Angstbeständen“ – einem eisernen Vorrat an eigentlich überflüssigem Material, das im Zweifel für eine spontane Problemlösung reicht. Dennoch gab es viel Leerlauf und viel Improvisation. „Wenn früher ein Monteur nur alle 100 Stunden auf ein bestimmtes Problem stieß, war er in der Versuchung, es durch Improvisieren zu lösen“, sagt Kammüller. „Wenn er heute dasselbe Problem im Zehn-Stunden-Takt hat, ruft er irgendwann beim Lieferanten an und sagt: ‚Die Bohrung muss um zehn Millimeter nach links‘.“ Denn wenn er den Takt nicht einhält, steht die ganze Linie still. Der Problemlösungsdruck ist höher und betrifft dann alle.

Am Beispiel einer Stanz-Laser-Maschine hat Kammüller durchgerechnet, was die Umstellung von der Standplatz- zur Fließmontage brachte: Seit 1999 hat sich der Wert der „Ware in Arbeit“ bei diesem Maschinentyp von 4,6 auf 1,9 Millionen Euro reduziert, weil eben nur jene Bauteile und Komponenten vor Ort sind, die für die Montage wirklich gebraucht werden. Die Flächenproduktivität stieg auf das Doppelte. Die Durchlaufzeit sank von 56 Tagen (plus minus zehn Tage) auf 19 Tage (plus minus 0). „Wir können dem Kunden heute auf die Viertelstunde genau sagen, wann er seine Maschine bekommt“, sagt Kammüller. In Ditzingen funktioniert das System mittlerweile so perfekt, dass auf einer „gemischten Linie“ sogar zwei verschiedene Maschinentypen im selben Takt gefertigt werden können.

Kein Wunder also, dass für Synchro 70 Mitarbeiter freigestellt sind, das entspricht 2,5 Prozent der Beschäftigten in der Produktion. Es gibt ein Synchro-Kernteam und Spezialistentage, Betriebsleitertagungen und Grundlagenteams. Irgendwo im Werk gibt es immer Konferenzen zur Abstimmung, bis heute wurden weit mehr als 700 Workshops veranstaltet. Ständig arbeiten sie an der weiteren Verbesserung, das aktuelle Projekt heißt „Synchro 4“ und hat einen neuen Rekord zum Ziel. Zwischen der Bestellung des Kunden und der Auslieferung der Maschine sollen nur noch vier Wochen liegen. Heute sind es noch acht.

Einer der Synchro-Spezialisten ist Maschinenbauingenieur Michael Tiefel. Von seinem Schreibtisch aus hat er durch eine große Scheibe immer den Blick auf jene Linie, auf der jetzt sogar zwei Bautypen hergestellt werden. Mit dieser Aufgabe hat er einen Großteil des Jahres 2005 zugebracht. Tiefel arbeitet seit 25 Jahren bei Trumpf, er hat schon seine Diplomarbeit im Unternehmen geschrieben. Das war noch auf einer mechanischen Schreibmaschine, der Ingenieur musste mit Tipp-Ex herumhantieren. „Unvorstellbar“, sinniert er, „danach kam die elektrische Schreibmaschine, dann die mit Disketten, und heute hat jeder einen PC.“ Auf seinem findet er nach wenigen Tagen Abwesenheit manchmal bis zu 80 E-Mails, aber nur zehn davon sind wirklich wichtig. „Wie kann man diese Infoflut beherrschen? Das ist ja auch Verschwendung“, überlegt Tiefel. Er will darüber nachdenken. Die Antwort auf die Frage könnte irgendwann einmal ein neuer Baustein im „innovativen Gesamtkunstwerk“ sein.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.