Wenn es dunkel wird im goldenen Land

Regelmäßige Blackouts im Silicon Valley schockierten vor fünf Jahren die Welt. Lehren wurden daraus nicht gezogen. Nach dem Blackout ist vor dem Blackout. Wenn nicht schnell die nötigen Reformen vorangetrieben werden, dürften der Region nach Ansicht von McKinsey die nächsten Energie-Engpässe unmittelbar bevorstehen.




Inmitten der grünen Hügel des Coyote Valley südlich von San José legen 400 Arbeiter letzte Hand an das Metcalf Energy Center. Noch steht die schwere Eisentür des Maschinenraums mit Turbinen der Marke Siemens Westinghouse offen, Schweißer sind an den Sichtblenden der Kühltürme zugange. Doch schon bald wird hier ein 24-köpfiges Team dafür sorgen, dass über das benachbarte Umspannwerk genug Strom fließt, um eine halbe Million Haushalte zu versorgen. Im Frühsommer soll das auf 600 Megawatt ausgelegte Gaskraftwerk mit Kraftwärmekopplung ans Netz gehen und der Wiege der Hightech-Industrie im Silicon Valley eine der größten Sorgen nehmen: dass eine erneute Stromkrise die Versorgung zusammenbrechen lässt.

Die Stromkrise ist aufgeschoben: 2006 und 2007 sind kritisch

Die Welle von geplanten Abschaltungen und unerwarteten Blackouts zwischen Mai 2000 und Juni 2001 erschütterte das Selbstverständnis der boomenden Region. „Es war ein Schuss vor den Bug für uns alle“, sagt Art Gonzales vom Kraftwerkbetreiber Calpine bei einem Rundgang über die acht Hektar große Baustelle. „Bis zur Krise hatte sich kaum jemand darüber Gedanken gemacht, wo unser Strom herkommt“, meint Gonzales, dessen Vater noch vor ein paar Jahrzehnten schräg gegenüber vom neuen Kraftwerk seine Felder bestellt hatte. „Die Leute glaubten immer, es gibt genug Energie. Jetzt sind wir alle schlauer.“

Wirklich? Lenny Mendonca, Direktor im Büro von McKinsey & Company in San Francisco prophezeit dem Land bereits neue Probleme: „Alle Zahlen deuten darauf hin, dass der Region im Sommer 2006 oder 2007 die nächste Krise ins Haus steht.“ Keine Panikmache. Der Berater stützt seine Prognose auf mehr als 200 Seiten komprimierter Analyse, die er zusammen mit seinem Kollegen Tommy Inglesby verfasste und dem Bay Area Economic Forum (BAEF) unentgeltlich zur Verfügung stellte, einem einflussreichen Zusammenschluss örtlicher Verwaltungen, Unternehmen und Wirtschaftsverbände in San Francisco. Die Experten hatten sich vier Jahre Zeit genommen, die Ursachen der Blackouts zu erforschen, die es um die rund sieben Millionen Einwohner der Bay Area dunkel werden ließen – und die Ursachen hinter den Ursachen. Das BAEF veröffentlichte die Ergebnisse seit April 2001 in bislang fünf Reports – in der Hoffnung, Politik und Öffentlichkeit wachzurütteln. Denn die Analyse ist beunruhigend.

Drei Problemkomplexe liegen der kalifornischen Stromkrise zu Grunde: Strukturprobleme bei der Erzeugung, eine mangelhafte Nachfragesteuerung und ein unzureichendes gesetzliches und institutionelles Rahmenwerk, das durch eine nicht durchdachte Deregulierung zusätzliche Belastungen schuf. Mendonca ist überzeugt, dass die Zeit drängt: „Wie schwerwiegend die nächsten Engpässe ausfallen, hängt davon ab, was wir in den kommenden 18 Monaten zu Wege bringen. Wenn wir nicht schnell handeln, sind neue Blackouts unvermeidlich. Die Trendlinien für Energieangebot und -nachfrage decken sich einfach nicht. Was wir seit dem Sommer 2000 getan haben, waren ein paar Schönheitsreparaturen. Wir haben das Problem aufgeschoben, aber nicht gelöst.“ Der jüngste Statusbericht vom August 2004 trägt folglich eine alarmierende Überschrift: „Der Blitz schlägt zweimal ein. Kalifornien droht eine zweite Stromkrise.“

Die Suche nach Lösungen führt zunächst in die Vergangenheit. Vor der großen Marktöffnung dominierten drei Unternehmen die Industrie: Pacific Gas & Electric, Southern California Edison und San Diego Gas & Electric. Die großen drei lieferten 75 Prozent des Stroms in Kalifornien und vereinigten 77 Prozent aller Kunden im Staat auf sich. Den Rest des Marktes teilten sich vier Kooperativen und 34 Kommunalunternehmen.

Die Monopolisten bestimmten den Preis: Mitte der neunziger Jahre zahlten kalifornische Stromkunden die höchsten Gebühren im Westen der USA. Mit 9,9 Cents pro Kilowattstunde war Elektrizität mehr als doppelt so teuer wie in Oregon oder Washington, 60 Prozent teurer als in Nevada und 30 Prozent teurer als in Arizona.

Die Deregulierung startete als Vorbild für mehr Wettbewerb

Um dies zu ändern, machte sich der Staat Kalifornien Mitte der neunziger Jahre mit großen Ambitionen an die Deregulierung des Strommarktes. Das Gesetzesvorhaben „AB 1890“ sollte nicht nur die Preise senken, sondern auch ein Vorbild für den Rest der USA sein. Anstatt wie bisher ein paar vertikal integrierten Energieunternehmen Erzeugung, Vertrieb und Lieferung von Strom zu überlassen, sollte mehr Wettbewerb zwischen unabhängigen Kraftwerksbetreibern, Strommaklern und Versorgern für frischen Wind sorgen. Dank der Deregulierung, so hofften vor allem industrielle Großverbraucher, würden sie endlich von billigerem Strom aus den Nachbarstaaten profitieren und sich unter einer Reihe neuer Energie-Dienstleister entscheiden können. Im September 1996 – ein Jahr, nachdem Netscape an die Börse gegangen war und den Beginn des Technologie-Booms eingeläutet hatte – unterzeichnete Gouverneur Pete Wilson das Gesetz, das über die Grenzen Kaliforniens hinaus als historischer Meilenstein gefeiert wurde.

Die Einschnitte waren drastisch. Der Gesetzgeber zwang die Energieversorger, sich auf den Vertrieb zu konzentrieren. Die großen Utilities erhielten Anreize, alle mit fossilen Brennstoffen befeuerten Kraftwerke abzustoßen und nur Atom- und Wasserkraftwerke zu behalten. So gingen rund 19.000 Megawatt oder ein Drittel der Erzeugungskapazität des Golden State an eine Handvoll etablierter US-Kraftwerkbetreiber wie Southern Energy, Houston Industries und Duke Energy. Der boomende Wirtschaftsraum Kalifornien mit seinen rund 35 Millionen Einwohnern bot große Wachstumschancen.

Auch die Kontrolle über das Leitungsnetz mussten die etablierten Versorger abgeben – an eine neu geschaffene Non-profit-Organisation namens California Independent System Operator (ISO), die die Funktionsfähigkeit der Infrastruktur garantieren und allen Marktteilnehmern gleiche Zugangsrechte zum Netz gewähren sollte. Zudem mussten die Versorger Restriktionen auf ihre langfristigen Lieferverträge hinnehmen und auf der neu geschaffenen Strombörse Power Exchange (PX) die benötigten Megawatts ein paar Stunden oder Tage im Voraus zum aktuellen Kurs einkaufen. Damit endete aber auch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage: Die Preise für private Endverbraucher wurden gedeckelt.

Die Strompreise sinken – und mit ihnen die Reservemargen

Die Regelung schien zunächst gut zu funktionieren. Nach ihrem Inkrafttreten 1998 sanken die Großhandelspreise für Strom und pendelten sich bei 20 bis 50 Dollar für die Megawattstunde ein, die Endverbraucher freuten sich über einen Rückgang ihrer Stromrechnungen um zehn Prozent. Das Strom-Überangebot auf dem Spotmarkt gab den Erzeugern jedoch wenig Anreize, in neue Kraftwerke zu investieren. So stieg in den neunziger Jahren die Stromnachfrage in Kalifornien insgesamt um mehr als 10.000 Megawatt – die Erzeugungskapazität wurde um gerade einmal 1200 Megawatt erhöht.

Im Jahr 2000 begann das neu geschaffene System zu kippen. Der Preis für eine Megawattstunde durchbrach im Juni die 100-Dollar-Marke. Zum anhaltenden Nachfrageschub gesellten sich unbarmherzige Wetterverhältnisse. Ein ungewöhnlich trockener Winter hatte die Pegel der Stauseen, die Wasserkraftwerke im kalifornischen Nordwesten antreiben, drastisch sinken lassen, außerdem litt die Westküste unter Rekordtemperaturen im Sommer. Alles zusammen ließ die Reservemarge, die normalerweise auf 15 bis 16 Prozent der gesamten Kapazität angesetzt ist, um Spitzenlasten abzufangen, in den einstelligen Bereich sinken.

Gedeckelte Preise legen den Markt lahm: Die Lichter gehen aus

Importe aus Anrainerstaaten wie Arizona und Nevada hätten theoretisch helfen können – tatsächlich kämpften die Nachbarn selbst mit einem gestiegenen Bedarf. Zudem waren die Kapazitäten der Überlandleitungen nahezu ausgelastet. Auch Erdgas bildete keine Alternative: Der Stoff, aus dem Kalifornien rund 40 Prozent seines Stroms erzeugt, war ebenfalls knapp. McKinsey-Berater Lenny Mendonca bringt die Situation auf den Punkt: „Im Frühling 2000 braute sich der perfekte Sturm zusammen.“

In einem funktionierenden Markt korrigiert der Preis ein Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Den kalifornischen Versorgungsunternehmen war der Einfluss darauf per Gesetz genommen: Privatkunden durften sie den Preis nicht erhöhen, für Großabnehmer gewährte die Regelung nur begrenzten Spielraum nach oben. Bei Verbrauchsspitzen, wenn Fabriken und Klimaanlagen auf Hochtouren liefen, drohte das Netz deshalb zusammenzubrechen. Nicht immer reagierten die Versorger schnell genug: Am 14. Juni 2000 beispielsweise gingen in San José ohne Vorwarnung aufgrund schierer Überlastung die Lichter aus. Halbleiterwerke und andere Fabriken mussten ihre Notstromaggregate anwerfen oder teure Produktionsausfälle in Kauf nehmen.

In den folgenden Monaten kappten die bis zum Maximum ausgelasteten Versorger an 13 Tagen jenen Kunden die Elektrizität, die in ihren Verträgen auf eine Versorgungsgarantie verzichtet hatten. An neun Tagen im Jahr 2001 kam es zu insgesamt 42 Stunden unfreiwilliger Stromausfälle in Kalifornien. Der schwärzeste Tag war der 18. Januar dieses Jahres, an dem rund eine Million Haushalte keinen Strom hatten.

Die Versorger traf es härter. Weil sie die enormen Preissteigerungen nicht weitergeben durften, blieben die drei größten Unternehmen, PG&E, SCE und SDG&E, auf ihren hohen Kosten sitzen und mussten ihre Zahlungsunfähigkeit erklären. Im Januar 2001 schritt der Staat als Garant ein und unterzeichnete Lieferverträge mit Stromanbietern zu horrenden Preisen, um die Stromversorgung zu garantieren. Die Strombörse PX erklärte Konkurs. Trotz Klagen und Rückzahlungsforderungen an Anbieter, die das Stromangebot absichtlich verknappten, indem sie Kraftwerke gezielt vom Netz nahmen, gelten die Vereinbarungen bis heute. Kalifornien ächzt unter Energieverträgen von bis zu zehn Jahren Laufzeit mit einer Gesamtverpflichtung von rund 48 Milliarden Dollar.

„Die öffentliche Diskussion konzentrierte sich seit 2001 überwiegend auf die bösen Energiehändler“, sagt Sean Randolph, Präsident und CEO des BAEF. „Aber sie waren nicht die Ursache der Energiekrise. Die regulatorische Unsicherheit verlangsamte den Bau neuer Kraftwerke, damit gab es weniger Reserven, und das System wurde anfällig für Manipulationen – mit ein Grund für die Insolvenz der Versorger. Wenn man seinen Privatkunden die Preise nicht erhöhen darf, obwohl sie sich auf dem Spotmarkt verdoppeln, ist das Ergebnis vorhersehbar.“

Eigentlich sei das Wirtschafts-Grundkurs, meint McKinsey-Berater Mendonca: Nachfrage und Angebot passten nicht zusammen. „Gleichzeitig sind die Lehren aus der Energiekrise so unglaublich kompliziert, dass kein Politiker das Problem und seine möglichen Lösungen in ein paar leicht verdaulichen Sätzen erklären kann.“

Die Nachfrage steigt weiter, das Angebot stagniert – auch heute

Zunächst einmal fehle es dem Staat Kalifornien und der Region weiterhin an ausreichenden Kapazitäten zur Stromerzeugung. Das neue Metcalf Energy Center ist eines von wenigen Kraftwerken, das nach jahrelangem bürokratischen Tauziehen in Betrieb genommen werden kann. Die Lösung des Problems ist es nicht. Stadt und Landkreis San José haben in Spitzenzeiten eine Nachfrage von 2200 Megawatt, von denen bislang nur 300 Megawatt vor Ort erzeugt wurden. Mit Metcalf steigt die verfügbare Kapazität auf 900 Megawatt. Der Großteil des Stroms, den Unternehmen wie Cisco, Intel oder Yahoo beziehen, muss deshalb auch künftig über einige wenige Hochspannungsleitungen herangeschafft werden. Den Löwenanteil der Energie für die Region liefert ein einziges Großkraftwerk an der Küste bei Monterey: Das Moss Landing Power Plant hat eine Kapazität von 2538 Megawatt.

Seit 2001 kündigen die kalifornischen Betreiber an, neue Kraftwerke mit mehr als 28000 Megawatt Leistung bauen zu wollen. Experten haben diese Zahl inzwischen auf realistische 9100 Megawatt in den kommenden zwei Jahren reduziert. Im besten Fall. Im Sommer 2004 waren gerade mal 3800 Megawatt neuer Kapazität am Netz.

Im Schnitt wird in Kalifornien nur eines von vier geplanten Projekten realisiert, bemängelt Lenny Mendonca: „Das ordnungspolitische Rahmenwerk und der Genehmigungsprozess sind so kompliziert, dass sie neue Investoren abschrecken.“

Calpine beispielsweise hat die Genehmigungen für mehrere Großkraftwerke in der Schublade – konnte aber bis heute nicht mit dem Bau beginnen, weil die Versorger bisher keine langfristigen Abnahmeverträge unterschreiben konnten. Ohne Abnahmegarantien wiederum findet sich keine Bank, die Calpine auch nur eines seiner 500 Millionen Dollar teuren Projekte finanzieren würde. Deswegen existieren die modernen Kraftwärmekopplungs-Anlagen wie Calpines East Altamont Energy Center südlich von Oakland (1100 Megawatt) und das Russell City Energy Center bei Hayward (600 Megawatt) bislang nur auf dem Papier.

Auch bei den Überlandleitungen, die zu Spitzenzeiten Energie-Engpässe abwenden können, und den Erdgasleitungen, die moderne Kraftwerke mit Brennstoff versorgen, hat sich seit der Krise zu wenig getan. Zwar wurde gerade der 300 Millionen Dollar teure Ausbau der Verbindung zwischen Nord- und Südkalifornien, Path 15, fertig gestellt, doch um weitere Blackouts zu verhindern, reicht eine Vergrößerung des Angebots nicht aus, solange sich nicht auch bei der Nachfrage etwas ändert.

Es fehlt am Bewusstsein: „Die meisten Privatverbraucher bekamen von der Krise nur über die Medien etwas mit. Die Preise blieben stabil, selbst als die Blackouts durch die Region wanderten“, sagt BAEF-Chef Randolph. „Wirkliche Kostensteigerungen erlebten nur industrielle Kunden. Das war umso schlimmer für die wirtschaftliche Lage im Staat, weil Kaliforniens Strompreise immer noch weit über dem Landesdurchschnitt liegen.“ Im Februar 2004 zahlten private Endverbraucher für die Kilowattstunde im Schnitt zwölf US-Cent, während der Preis in den anderen westlichen Bundesstaaten bei 7,2 Cent und in den USA insgesamt bei 8,3 Cent lag. Bei Geschäftskunden, denen zu dem Zeitpunkt in Kalifornien 11,6 Cent pro Kilowattstunde in Rechnung gestellt werden, ist die Differenz zu den Nachbarstaaten noch größer – dort werden im Schnitt 6,6 Cent gezahlt.

Höchste Zeit, dass etwas passiert. Wenn die Region, die sich als dynamischstes Technologie-Zentrum der Welt begreift, keinen dauerhaften Image-Schaden erleiden will, müssen Lösungen gefunden werden. Die kalifornische Energiekommission geht von einem Wirtschaftswachstum von knapp 1,4 Prozent für die kommenden vier Jahre aus – und verzeichnete schon im ersten Quartal 2004 einen Zuwachs bei der Stromnachfrage von 3,5 Prozent. Wenn dieser Trend anhält, wird die Nachfrage bis 2006 um 2100 Megawatt, bis 2008 sogar um mehr als 3000 Megawatt über die aktuellen Prognosen ansteigen.

Die Kapazitäten werden sinken. Alte Kraftwerke, die aus Wartungs- und Umweltgründen vom Netz genommen werden müssen, lassen das knappe Reservepolster schrumpfen. Nach Prognosen der Regierung in Sacramento schrumpft Kaliforniens Sicherheitspuffer je nach Wetterbedingungen und Konjunkturlage bis August 2005 auf 9,9 bis 6,9 Prozent und bis August 2008 sogar auf 5,4 bis 2,7 Prozent. Das wäre wieder Blackout-Territorium: Bei einer Reservemarge von weniger als sieben Prozent ruft die Aufsichtsbehörde die erste Stufe eines Stromnotstandes aus. „Ein heißer Sommer, geringe Reserven, ein paar Kraftwerke, die ausfallen, und wir hätten wieder Stromausfälle“, warnt Randolph.

Sparanreize und Stromtarife: Nachfragesteuerung als Soforthilfe

Also was tun? Das schnellste und billigste Gegenmittel wären staatlich geförderte Sparprogramme und die Einführung einer verbrauchsabhängigen Preisstruktur. Um die Nachfrage dauerhaft in den Griff zu bekommen, müssten alle Verbraucher – auch private Haushalte – von der Tageszeit abhängige Strompreise bezahlen. Was in Europa und inzwischen sogar in einigen US-Bundesstaaten gang und gäbe ist, kennt Kalifornien nämlich noch nicht. McKinsey und der jüngste BAEF-Report rechnen vor, dass ein flächendeckendes Programm mit neuen Zählern für Unternehmen und Haushalte die Energiekosten in den kommenden zehn Jahren um 2,7 bis 3,8 Milliarden Dollar senken würde – nach Abzug von rund 1,7 Milliarden Dollar Installationskosten.

Der Einbau neuer Zähler rechnet sich. In einem Pilotversuch in Kalifornien mit 2400 Haushalten führte ein zeitabhängiger Stromtarif zur Verlagerung von 20 Prozent des Verbrauchs auf Nebenzeiten. „Das ist eine handfeste Chance für den Staat“, sagt Unternehmensberater Mendonca. „Die Technik existiert und funktioniert. Nachfragesteuerung ist schneller zu verwirklichen als neue Kraftwerke und sollte deswegen ganz oben auf der Liste der Reformen stehen. Aber es ist ein politisch brisantes Thema, weil den Leuten auf den ersten Blick mehr Geld für Strom abverlangt wird. Dazu muss man erst einmal den Mut aufbringen.“

Der ist ohnehin gefragt. „Die Deregulierung in den neunziger Jahren war ein politischer Kompromiss, bei dem jeder ein Stückchen annähen durfte“, sagt Sean Randolph. „Dabei entstand ein Monster à la Frankenstein: Als das System unter Druck geriet, wurde deutlich, dass die einzelnen Teile nicht zusammenpassen.“ Das gilt es jetzt zu ändern. Doch die Reform des politischen Rahmenwerks, in dem unabhängige Erzeuger, Strommakler, ortsansässige Versorger, Aufsichtsbehörden sowie industrielle und private Kunden operieren, ist eine immens schwierige Aufgabe.

Politiker und Energieunternehmen streiten sich weiterhin um Details: Wer darf künftig Kraftwerke bauen und betreiben? Wie viel Auswahl sollten Verbraucher und Unternehmen bei der Wahl ihrer Stromlieferanten haben? Die fünf vorliegenden Energie-Berichte listen Lösungsvorschläge auf, und dank Arnold Schwarzenegger, der das Thema Energie zur Priorität erklärt hat, haben sie sogar Chancen, umgesetzt zu werden: Die Analysen von Randolph und Mendonca dienen Kaliforniens Gouverneur als Referenzdokument für die Energiepolitik.

Seit 2003 besitzt Kalifornien außerdem einen Energy-Action-Plan, in dem sich die unterschiedlichen Aufsichtsbehörden und Ministerien auf eine gemeinsame Vision und Vorgehensweise geeinigt haben. Die Absprachen reichen von der Prognose in Bezug auf Angebot und Nachfrage über die Kalkulation der erforderlichen Reservekapazitäten bis zur wachsenden Bedeutung erneuerbarer Energiequellen wie Sonne, Wind und Wasser. „Es ist ein erster Schritt“, sagt Randolph. „Zumindest reden die unterschiedlichen Ämter endlich miteinander.“ Doch auch erste Taten folgten. So gestattet die Energiekommission den Versorgern jetzt wieder den Abschluss langfristiger Lieferverträge. Das schafft endlich die nötige Investitionssicherheit, um neue Kraftwerke zu bauen.

„Die Chancen sind besser als je zuvor, dass sich in den kommenden ein bis zwei Jahren etwas ändert, um ein stabileres Umfeld zu schaffen, damit das Angebot steigen und die Nachfrage besser gemanagt werden kann“, sagt Lenny Mendonca. Zweckoptimismus: „Wenn wir es jetzt nicht auf den Weg bringen, wird es die Wirtschaft der Region später unverzeihlich teuer zu stehen kommen.“

Literatur

Die Analysen von McKinsey & Company sind in bislang fünf Reports eingeflossen (alle herausgegeben vom Bay Area Economic Forum, kostenlose Downloads: http://www.bayeconfor.org/keyinfra.html )

April 2001: The Bay Area – A Knowledge Economy Needs Power

October 2001: California at a Crossroads

November 2002: California’s Energy Future: A Framework for an Integrated Power Policy

Mai 2003: California is Still Coming up Short on Electricity

August 2004: Lightning Strikes Twice: California Faces the Real Risk of a Second Power Crisis

Christopher Weare: The California Electricity Crisis: Causes and Policy Options. Public Policy Institute of California, 2003

LICHT AN!

Wie kann Kalifornien künftig Stromkrisen verhindern?
Ein Fünf-Punkte-Plan von McKinsey soll kurzfristig helfen, Stromausfälle zu vermeiden, und langfristig dafür sorgen, eine stabile Wettbewerbsstruktur zu schaffen.

1. Die Regierung sollte das Nachfragevolumen im Bundesstaat für die nächsten drei bis vier Jahre so genau wie möglich kalkulieren. Und dann Energiekonzernen das Recht geben, Verträge mit privaten Erzeugern oder anderen Versorgern abzuschließen. Diese Verträge sollten in einem Ausschreibungsverfahren vergeben werden, wobei sich die Preise an Marktindizes orientieren.

2. Kalifornien sollte eine Preisstruktur einführen, die sich an Verbrauch und Tageszeit orientiert. Damit könnte die Nachfrage in den kommenden zehn Jahren in der Hauptzeit um 20 Prozent schrumpfen. So würden Energiekosten in Höhe von 2,5 Milliarden Dollar gar nicht erst entstehen.

3. Der Staat muss die Erneuerung der Netze beschleunigen. Zweifache Genehmigungsverfahren verlangsamen die erforderliche Projektentwicklung und verursachen eine eingeschränkte Zuverlässigkeit sowie höhere Verbraucherkosten. Die Arbeit der verschiedenen beteiligten Gruppen muss von einer Stelle koordiniert werden.

4. Energielieferanten sollten dazu verpflichtet werden, angemessene Stromreserven für ihre Kunden vorzuhalten – und einen virtuellen Marktplatz zu schaffen, der als transparentes Clearinghouse für diese Reserven fungiert.

5. Schließlich muss Kalifornien den Schritt zurück zum freien Wettbewerb für Großverbraucher wagen. Dies wird die Kosten aller Kunden senken, auch derjenigen, die darauf verzichten, ihren Stromanbieter auf Grund der Preise zu wechseln.

VORSICHT SONNE

Ab 2006 werden Kaliforniens Reservemargen stetig sinken – bei heißen Temperaturen wird es gefährlich.

Die Energiebehörde Kaliforniens rechnet mit einem erhöhten Risiko niedriger Reservemargen – vor allem in Jahren mit heißem Wetter. 750 MW neuer Kapazitäten sind noch vor 2006 nötig, um eine Reservemarge von sieben Prozent garantieren zu können.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.