Der Strom, aus dem die Zukunft ist

Am 16. Februar dieses Jahres sind die Beschlüsse der Weltklimakonferenz von Kyoto in Kraft getreten. Mit weitreichenden Konsequenzen für den europäischen Elektrizitätsmarkt.
Ab 2008 sind Vorgaben zu erfüllen. Für die Strombranche ist das übermorgen, deshalb haben sich auf Einladung von McKinsey 60 Vertreter der größten europäischen Stromversorger getroffen, um Möglichkeiten zu diskutieren. Denn klar war schon vor der Konferenz: Es gilt, in Höchstgeschwindigkeit Entscheidungen zu treffen. Und etliche Gleichungen mit x Unbekannten zu lösen.




I. EIN PROTOKOLL UND VIELE PROBLEME

Seit 1950 hat sich der weltweite Ausstoß von Kohlendioxid (CO2), das vor allem bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Gas, Kohle oder Öl entsteht, auf heute fast 24 Milliarden Tonnen jährlich vervierfacht. Über den Schaden, den eine derartige Menge von Treibhausgasen dem Erdklima zufügen kann, streitet die Wissenschaft bis heute. Die Politik hat 1997 gehandelt – und auf einer UN-Konferenz im japanischen Kyoto beschlossen, die Emission von klimaschädlichen Gasen zu verringern. Der gemeinsame Beschluss sollte in Kraft treten, sobald mindestens 55 Länder, die zusammen für 55 Prozent des CO2-Ausstoßes der Industrienationen verantwortlich sind, das Protokoll ratifiziert haben würden. Ende vergangenen Jahres war es so weit. Nach jahrelangen zähen Verhandlungen unterzeichnete auch Russland, einer der größten Kohlendioxid-Emittenten der Welt, die internationale Vereinbarung. Gemeinsam mit den USA ist das Land für knapp 50 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes der Industrienationen verantwortlich. Damit war die Hürde genommen, die Unterschrift von Präsident Vladimir Putin ließ die Vision der Politiker wahr werden: Seit Februar dieses Jahres haben die Vereinbarungen von Kyoto Rechtsverbindlichkeit.

Für Europa sieht das Protokoll bis 2012 eine CO2-Reduktion von acht Prozent vor, gemessen am Stand von 1990. Weltweit soll der Kohlendioxidausstoß bis dahin um durchschnittlich 5,2 Prozent sinken. Um dieses Ziel zu erreichen, haben die 141 Länder, die das Abkommen ratifizierten, neben der Reduzierung ihrer Emissionen mehrere Möglichkeiten: Sie können Energie einsparen, weltweit mit Emissionsrechten handeln, umweltfreundliche Technologien entwickeln und weitergeben oder geeignete Maßnahmen in Entwicklungsländern umsetzen. Bis zur Erreichung der Ziele ist es weltweit noch ein weiter Weg, die europäischen Regierungen versuchen deshalb, den Veränderungsprozess zu beschleunigen. In Europa können seit Anfang des Jahres Emissionszertifikate gehandelt werden; das System soll helfen, das Verhalten bei Stromerzeugern, Raffinerien und Koksöfen sowie in Branchen mit sehr hohem Energieverbrauch – das sind beispielsweise Zement-, Metall-, Glas-, Ziegel-, Papier- und Kartonerzeuger – nachhaltig zu verändern. Nationale Allokationspläne legen genau fest, wie viele Emissionen jedem EU-Mitgliedsland und jedem einzelnen Unternehmen in den genannten Industrien bis zum Jahr 2007 gestattet sind. Insgesamt darf die CO2-Emission der Stromerzeuger bis zum Jahr 2012 nur noch um rund drei Prozent steigen. Gleichzeitig wird jedoch auch der Bedarf wachsen. Experten gehen ziemlich sicher davon aus, dass der Stromverbrauch in Europa, ausgehend von 2002 bis zum Jahr 2010 um rund 15 Prozent anschwellen wird – wirtschaftliches Wachstum vorausgesetzt.

Wie aber lässt sich mehr Strom mit weniger schädlichen Folgen für die Umwelt erzeugen? Wie sollen die Emissionsziele erreicht werden – und zu welchem Preis? Die Berater von McKinsey & Company haben versucht, Antworten zu finden. Dazu haben sie die Einflussfaktoren ermittelt, die den Verbrauch, die Herstellung und den Preis des europäischen Stroms in den nächsten Jahren bestimmen werden, zudem haben sie die jeweiligen Wechselwirkungen untersucht. Ihre Recherchen sind in ein Modell eingeflossen, das die unterschiedlichsten Szenarien analysiert, die komplexen Zusammenhänge und ihre jeweilige Wirkung transparent macht und Unternehmen helfen kann, ihre individuelle Strategie zu entwickeln, um rechtzeitig und adäquat auf die möglichen Entwicklungen der Zukunft reagieren zu können. Denn jetzt werden die Weichen gestellt. Es geht um viele hundert Millionen Euro. Um einen Abgleich zwischen Ökonomie und Ökologie. Und um die Beantwortung der alles entscheidenden Frage: Wie kann man in den verschiedenen Regionen Europas viel mehr Strom mit kaum mehr CO2-Ausstoß erzeugen? Bis 2012, aber auch danach. Und vor allem: Was wird das kosten?

II. SPORTLICHE ZIELE

Der nüchterne Blick auf die Fakten verdeutlicht das Ausmaß des Dilemmas. Im Jahr 2002 verbrauchte jeder Haushalt in Europa im Schnitt etwa vier Megawattstunden Strom. Das addiert sich auf eine Menge von insgesamt rund 3000 Terawattstunden (TWh) oder drei Milliarden Megawattstunden (MWh) pro Jahr. Fast die Hälfte, exakt 46 Prozent dieser Energie, wurde mithilfe von Techniken gewonnen, bei denen kein CO2 als Nebenprodukt anfällt: 14 Prozent stammen aus Wasser-, Abfall-, Wind- und Solarenergie, 32 Prozent aus Kernenergie.

Die andere Hälfte (54 Prozent) des europäischen Stroms wurde durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe erzeugt, bei der Kohlendioxid entsteht: 18 Prozent aus Gas, 19 Prozent aus Steinkohle, elf Prozent aus Braunkohle und sechs Prozent aus Öl. Alles in allem wurden 2002 damit 1190 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft gepustet. Laut Kyoto-Protokoll dürfen es – proportional gerechnet – zwischen 2008 und 2012 nicht mehr als 1225 Millionen Tonnen jährlich sein, also drei Prozent mehr als im Jahr 2002. Weil der Strombedarf gleichzeitig um etwa 15 Prozent steigt, dürfen bei der Mehrproduktion dieser Menge (449 TWh) bis 2010 also nur 35 Millionen Tonnen CO2 entstehen.

Wie das gelingen soll, ist noch unklar. Zudem könnte sich das Problem verschärfen. Zwar gibt es heute noch keine Entscheidungen darüber, welche Vereinbarungen nach 2012 gelten sollen oder ob womöglich die Verteilungsschlüssel geändert werden. Diskutiert wird beispielsweise die Idee, die zulässigen Emissionsmengen von der Einwohnerzahl der jeweiligen Länder abhängig zu machen. Wahrscheinlich aber ist, dass die CO2-Emissionen auch in der nächsten Kyoto-Periode nicht weiter ansteigen dürfen, wenn sie nicht sogar fallen müssen. Der Stromverbrauch jedoch wird steigen: um durchschnittlich sieben Prozent in den Jahren 2010 bis 2015 – auf 3597 Terawattstunden.

Der Handel mit CO2

Im Kyoto-Protokoll ist genau festgelegt, wie viel Treibhausgase jedes Land pro Jahr ausstoßen darf. Das europäische Emissionshandelssystem, das am 1. Januar dieses Jahres seine Arbeit aufnahm, verteilt diese Menge – ähnlich wie die Stückelung von Unternehmenskapital in Aktien – auf Emissionszertifikate. Jedes Zertifikat erlaubt die Emission einer bestimmten Menge klimarelevanter Gase, damit erhält die Tonne CO2 erstmals einen Wert. Dieser Wert orientiert sich an den bisherigen Emissionen und folgt dem so genannten nationalen Allokationsplan, der aus zwei Komponenten besteht.

Der Makroplan bestimmt, wie viel CO2 die Industrien insgesamt emittieren dürfen. Deutschland etwa wurde ein Gesamtbudget von 495 Millionen Tonnen CO2 zugeteilt. Der Mikroplan regelt die konkrete Zuteilung für jede einzelne Anlage und bestimmt die Menge an Emissionen, die es zu reduzieren gilt. Im ersten Schritt gehen die Zertifikate nur an Stromerzeuger, Koksöfen, Raffinerien und Fabriken, in denen Glas, Zement, Ziegel, Papier oder Karton hergestellt werden. Unternehmen, die ihre erlaubte Emissionsmenge überschreiten, also mehr Zertifikate benötigen, als ihnen zugeteit werden, können sie denen abkaufen, die weniger CO2 produzieren, als

sie dürfen. Damit ist es den Unternehmen freigestellt, wie schnell oder langsam sie ihre Reduktionsverpflichtungen erfüllen und welche konkrete Strategie sie dabei verfolgen – technische Umstellungen oder Kauf von Emissionsrechten. Ob ein Unternehmen Treibhausgase reduziert oder mit Zertifikaten handelt, wird vom Preis der Rechte abhängen, der sich in Abhängigkeit vom Gas- und Kohlepreis entwickeln wird.

II. MEHR STROM, WENIGER KOHLENDIOXID – WIE SOLL DAS GEHEN?

Wir erhöhen den Anteil an Strom, der aus Kernkraft und erneuerbaren Energien kommt.

Strom aus Kernenergie ist CO2-frei, die Idee scheint also verlockend. Nur leider hat der Plan einen Haken: Vom Beschluss, neue Kernkraftwerke zu bauen, bis zur Inbetriebnahme dauert es rund acht Jahre, je nach Genehmigungslage können es auch deutlich mehr als zehn Jahre sein. Entschieden wir uns heute für den Bau, wären die Kraftwerke bis 2015 also noch nicht fertig. Zudem wurde in Deutschland der Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2021 vereinbart. Bleibt es beim politischen Beschluss, wird der Anteil von Strom aus Kernkraftwerken bis zum Jahr 2010 also leicht sinken – und sich nach dieser Frist deutlich reduzieren.

Auch mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen könnte helfen, den künftigen Bedarf zu decken, ohne mehr Kohlendioxid zu produzieren. Politisch ist das durchaus gewollt, doch die Zahl möglicher Standorte für Wind- oder Wasserkraftwerke ist begrenzt, in weiten Bereichen sogar ausgeschöpft. Rein mengenmäßig wird der Strom, der aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen wird, den Rückgang des Stroms aus Kernenergie bis 2015 deshalb bestenfalls kompensieren können. Optimistisch geschätzt. Der „saubere“ Strom birgt außerdem Unsicherheiten: Die Produktion unter- liegt ungleich höheren Schwankungen, beispielsweise durch die Abhängigkeit der Windanlagen vom Wetter.

Wir ersetzen Öl durch Gas, bei dessen Verbrennung vergleichsweise wenig CO2 anfällt.

Eine gute Idee, mit Blick auf das Ziel jedoch wenig hilfreich. Öl hält an der gesamten Stromerzeugung nur einen Anteil von drei Prozent, die CO2-Einsparung durch den Wechsel von Öl zu Gas fiele also kaum ins Gewicht. Der Anteil des Stroms, der durch die Verbrennung von Öl gewonnen wird, wird bis zum Jahr 2010 sinken. Es ist zu teuer geworden.

Wir setzen auf Effizienz, ersetzen oder modernisieren ältere Braunkohle-, Steinkohle- und Gaskraftwerke – und produzieren so mehr Strom und weniger CO2.

Ein guter Plan. Eigentlich. Die Neukonstruktion von moderneren Kraftwerken kann die Stromproduktion in Relation zur CO2-Emission um rund zehn Prozentpunkte erhöhen. Doch auch der Neubau eines Kraftwerks dauert: Zweieinhalb bis sechs Jahre vergehen mindestens, so dass für die Kyoto-Protokoll-Phase von 2008 bis 2012 nur mit einem kleineren Beitrag zur Emissionssenkung gerechnet werden kann. Zudem sind Neubauten sehr teuer.

Auch eine Modernisierung bestehender Kraftwerke könnte helfen. Das Potenzial zur Steigerung der Effizienz ist allerdings gering: etwa zwei Prozentpunkte. Das ist ein Anfang – aber mit Blick auf die Kyoto-Ziele bis 2012 doch nur ein sehr kleiner Hebel.

Wir erzeugen mehr Strom aus Gas statt aus Steinkohle, weil bei seiner Verbrennung viel weniger CO2 anfällt als bei der Stromgewinnung aus anderen fossilen Brennstoffen.

Aus heutiger Sicht eine vielversprechende Lösung. Pro Megawattstunde Strom aus Steinkohle oder Öl entstehen rund 0,9 Tonnen CO2. Braunkohle sorgt für eine ganze Tonne Kohlendioxid, bei Gas fällt lediglich die Hälfte davon an. Ein höherer Einsatz von Gas in der Stromerzeugung – als Ersatz für Kohle – ist der größte Hebel, um die Kyoto-Ziele zu erreichen.

Die steigende Gasnachfrage würde sich befriedigen lassen, von möglichen Engpässen durch saisonale, regionale oder Auslastungsprobleme einmal abgesehen. Knapp 60 Prozent des Gases, das heute in Europa verbraucht wird, stammt aus Norwegen, Großbritannien und den Niederlanden. Zwar würde dieselbe Menge bei einem gestiegenen Bedarf bis zum Jahr 2015 nur noch knapp 40 Prozent des Gesamtverbrauchs decken, die Differenz ließe sich jedoch mehr als wettmachen. Zum einen könnte die Gasmenge erhöht werden, die aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, aus Algerien und Libyen nach Europa importiert wird. Daneben ließe sich aber auch die Einfuhr von Liquefied Natural Gas (LNG) steigern. LNG ist verflüssigtes Erdgas, das so stark abgekühlt ist, dass sich der Transport auch über weite Entfernungen lohnt. Es wird größtenteils per Schiff aus Afrika und dem Mittleren Osten geliefert. Um es nutzen zu können, bedarf es spezieller Anlagen, in denen es in seinen Urzustand zurückgeführt wird. Bauen wir solche Anlagen in Europa im bisher geplanten Umfang, könnte die Kapazität für LNG in den kommenden Jahren von heute 65 auf 170 Milliarden Kubikmeter im Jahr 2015 steigen.

Europa kann die Vorgaben des Kyoto-Protokolls also erfüllen, wenn zum Beispiel
  1. die Produktion von Strom aus Gas steigt – bis 2010 um 33 Prozent, bis 2015 um 80 Prozent;
  2. die Menge der Kohle, die wir zur Stromproduktion einsetzen, bis 2010 gleich bleibt – und danach sinkt: bis 2015 um 75 Millionen Tonnen pro Jahr.

Kurzum: Das Ziel ist beispielsweise erreicht, wenn 50 Prozent des Stroms, den wir heute aus Kohle gewinnen, im Jahr 2015 mit Hilfe von Gas erzeugt wird.

IV. ALLES EINE FRAGE DES PREISES

Offen bleibt vorerst die Frage der Finanzierung. Der Strom der Zukunft soll nicht nur „sauberer“ sein, er muss sich auch rechnen. Sollen die Stromerzeuger für die Produktion künftig mehr Gas einsetzen, müssen die Kosten für Kohlestrom steigen. Genau dafür soll das europaweite Emissionshandelssystem sorgen, das den CO2-Emissionen Kosten zuordnet – und so höhere CO2-Ausstöße verteuert. Doch was muss eine Tonne Kohlendioxid eigentlich kosten, damit sich der Umstieg von Kohle auf Gas für einen Stromerzeuger lohnt? Auch diese Antwort ist komplex, wie alles beim Thema Kyoto.

Der Gaspreis ist an den Ölpreis gekoppelt, und der ist seit Jahren hoch. Auch Steinkohle ist momentan teuer: rund 80 Dollar pro Tonne, inklusive Versicherungs- und Lieferkosten (CIF). Doch der Preis wird wieder sinken, weil auf dem europäischen Markt mehr billige Steinkohle aus Südafrika, Kolumbien, Indonesien und Polen gehandelt wird. 2010, schätzt McKinsey, wird die Tonne Steinkohle noch 55 Dollar wert sein. Viel mehr Spielraum nach unten wird es allerdings kaum geben, denn auch der Preis für Steinkohle wird letztlich von den globalen Märkten bestimmt. Es ist deshalb realistisch, auch in den Jahren nach 2010 von einem Preis in Höhe von etwa 55 Dollar pro Tonne auszugehen.

Gas ist seit Beginn der Erdgaswirtschaft in den sechziger Jahren an den Ölpreis gekoppelt, und zwar mit einem Abschlag von 37 Prozent (Durchschnitt aus den Jahren 1996 bis 2004). Damit sollte eine langfristige Absatzsicherheit gewährleistet sein – und genau das wird nun zum Problem: Weil die Verträge der Energiekonzerne über Gaslieferungen in der Regel lange Laufzeiten haben, wird sich der Gaspreis vermutlich auch in den kommenden Jahren nicht vom Ölpreis lösen. Immerhin wird sich aufgrund der steigenden Nachfrage wohl der Abschlag ändern: Bis 2010 rechnen Experten mit 23 Prozent vom Ölpreis, bis 2015 könnte er sogar ganz entfallen.

Was bedeuten die Differenzen nun für den Preis von Kohlendioxid? Was wird CO2 künftig kosten? Der Ölpreis gibt den Takt vor, und zurzeit diktiert er 45 Dollar pro Barrel. Sollte er wieder sinken und sich im Jahr 2010 auf 22 Dollar eingependelt haben, wie zuletzt im August 1999, würde es sich für Stromerzeuger lohnen, Strom aus Gas statt aus Steinkohle zu produzieren, ganz egal, was CO2 kostet. Bleibt der Ölpreis hoch, beispielsweise bei 40 Dollar pro Barrel, müsste der Preis für eine Tonne CO2 auf rund elf Euro steigen, damit es sich für den Erzeuger rechnet, auf Gas umzusteigen. Einigen Branchen könnte das ernste Probleme bereiten, generell negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum wären bei Kosten in dieser Höhe allerdings nicht zu erwarten.

Für die Zeit nach 2012, die zweite Kyoto-Phase, muss allerdings neu gerechnet werden. Verbindliche Ziele für diesen Zeitraum gibt es zwar noch nicht, es ist aber zu erwarten, dass die Produktion von Strom aus Kohle dramatisch herunterzufahren ist – zu Gunsten von Gas. Selbst bei einem vergleichsweise niedrigen Gaspreis müssten die Kosten für eine Tonne CO2 auf 25 Euro steigen, um den günstigeren Steinkohlepreis wettzumachen. Bei einem hohen Gaspreis müsste die Tonne Kohlendioxid ab 2015 sogar 40 Euro kosten.

Auch der Großhandels-Strompreis wird steigen. Ausgehend von einem Ölpreis von 30 Dollar, würde er sich von heute 29 Euro pro Megawattstunde auf 33 Euro im Jahr 2010 bewegen. 2015 würde Strom sogar 45 Euro kosten, das entspricht einem Plus von 55 Prozent. Der Privatkunde spürt das weniger als die Großkunden in der Industrie: Der Strompreis eines Unternehmens hängt zu 60 Prozent von Großhandelspreisen ab, in den Preis für Privatverbraucher fließt der Großhandelskurs nur zu 23 Prozent ein.

Fazit: Einen Preis von etwa zehn Euro pro Tonne Kohlendioxid bis zum Jahr 2012 könnte sich Europas Wirtschaft leisten, von Härtefällen in einzelnen Branchen abgesehen. Bei Kosten, wie sie aus heutiger Sicht für die Zeit nach 2012 realistisch scheinen, wäre es kritisch: 20 Euro und mehr pro Tonne CO2 schadeten der europäischen Wirtschaft in der Fläche – und wären ohne Wachstumseinbußen kaum zu tragen. Dazu wird es aber wohl nicht kommen. Es ist anzunehmen, dass die Wirtschaft rechtzeitig auf die drohende Entwicklung reagiert. Oder die Politik.

V. WAS ALSO TUN? VIER MÖGLICHE SZENARIEN

Die Nachfrage nach Strom in Europa sinkt.

Schon eine Reduktion im Verbrauch um nur zwei Prozent ließe den Preis für CO2-Emissionen sinken – um rund 20 Euro pro Tonne – und mit ihm den Preis für Strom. Um das zu erreichen, wäre jedoch eine Verhaltensänderung der Verbraucher nötig oder ein Verbot von Geräten mit hohem Stromverbrauch. Das ist derzeit jedoch noch kein Thema.

Die Nachfrage könnte sich natürlich auch verringern durch ein Abwandern besonders stromintensiver Industrien, beispielsweise in den Mittleren Osten. Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch hängen eng zusammen. Schon ein ein- bis zweijähriges Nullwachstum der Wirtschaft würde einen Rückgang der Stromnachfrage von zwei Prozent bedeuten. Aber selbst mit Blick auf das Weltklima kann diese Option wohl kaum wünschenswert sein. Zumal sie die Emissionen nicht reduzieren, sondern nur verlagern würde.

Deutschland stoppt den Ausstieg aus der Kernenergie.

Diese Entscheidung hätte in etwa die gleichen Effekte wie eine geringere Nachfrage nach Strom: CO2 würde um rund 20 Euro pro Tonne günstiger werden. Viele europäische Regierungen hoffen darauf, Frankreich hat die Laufzeiten seiner Kernkraftwerke bereits verlängert.

In Deutschland dagegen ist die schrittweise Stilllegung von Kernkraftwerken und der Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2021 vereinbart und politischer Wille. Unter einer rot-grünen Regierung wird diese Entscheidung derzeit vermutlich nicht rückgängig gemacht.

Neue Technologien helfen, die CO2-Emissionen zu verringern.

Als Erfolg versprechende neue Technologie zur Verringerung der Kohlendioxid-Emission gilt die Carbon-Capture-and-Storage-Technik: Man entzieht entstehendes CO2 dem Verbrennungsprozess, pumpt es in Gasspeicher unter der Erde und senkt so den Netto-CO2-Ausstoß.

Bis 2015 wird dies jedoch nicht so günstig zu machen sein, dass zu hohe Öl- beziehungsweise Strompreise dadurch kompensiert werden könnten.

Wir nutzen beide Möglichkeiten, die uns erlauben, unsere Emissionsmengen zu vergrößern.

Der Kauf von Emissionsrechten („Hot Air“) oder Aktivitäten, die anderswo helfen, die Emissionsmenge zu senken („Clean Development Mechanism“, CDM) sind legale Optionen, sich von den Kyoto-Zielen sozusagen freizukaufen.

Noch: Bis zum Jahr 2015 könnten die verfügbaren Emissionsrechte, die deutsche Unternehmen im Ausland erwerben können, um ihre zulässige CO2-Emissionsmenge zu erhöhen und so den Preis für CO2 zu senken, zur Neige gehen.

Anders verhält es sich mit der Hilfestellung in Ländern, die ihrerseits keinen Reduktionszielen unterliegen. Allerdings nur theoretisch: CDM-Maßnahmen sind häufig sehr langfristiger Natur. Da momentan niemand weiß, wie die Kyoto-Ziele für die Zeit nach 2012 heißen werden, sind Aktivitäten im Ausland für Unternehmen mit hohen Risiken verbunden.

VI. HANDELN UNTER UNSICHERHEIT

Noch sind viele politische und wirtschaftliche Fragen offen, entsprechend schwer lassen sich Entwicklungen abschätzen. Dennoch können und sollten Stromerzeuger tätig werden, indem sie die Prognosen und Einschätzungen in Bezug zum eigenen Geschäft setzen und sich Fragen stellen: Wie zukunftsfähig ist das Unternehmen mit seiner Aufstellung in den verschiedenen Stromerzeugungsquellen, wenn extreme Szenarien wie ein dauerhaft hoher Ölpreis Realität werden? Und wie kann es angesichts dieser Unwägbarkeiten und Unsicherheiten Risikomanagement betreiben, sich vor allem gegen die Abhängigkeit vom Ölpreis absichern?

Unabhängig von politischen Entscheidungen dürfte es für jeden Stromerzeuger unumgänglich werden, selbst Maßnahmen zu ergreifen und Ideen zu entwickeln, die langfristig helfen, die eigenen CO2-Emissionen zu senken. Einen Schlüssel dafür bilden Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, die neue Technologien vorantreiben können. Auch über die Rolle, die CDM-Technik oder Joint-Implementation-Projekte spielen können, muss nachgedacht werden. Und das gesamte Unternehmen muss um die Bedeutung des Themas wissen, damit es im Fokus möglichst vieler Anstrengungen liegt. Schließlich kann jeder, der unter seinen Emissionsvorgaben bleibt, Emissionsrechte auch am Markt verkaufen – eine zusätzliche Einkommensquelle.

Kapitalgeber und Investoren, die die Lage in der Stromwirtschaft nach der Privatisierungsphase als stabil eingestuft haben, betrachten sie zunehmend als unsicher und als in hohem Maße vom Ölpreis abhängig – darauf müssen sich Unternehmen, Aktionäre und Verbraucher einstellen.

Der Zeitpunkt, an dem die in Kyoto vereinbarten Emissionsziele erreicht werden müssen, ist nicht mehr weit weg, die Zukunft hat längst begonnen. Unabhängig von der politischen und ökonomischen Sprengkraft, die dem Protokoll innewohnt, mag es die Entwicklung Europas bestimmen. Ganz sicher jedoch bestimmt es die Entwicklung der Strom erzeugenden Industrie.

Wie können Länder oder Unternehmen ihre zulässige Emissionsmenge beeinflussen?

Hot Air

Für die Bemessung der erlaubten Emissionsmengen ist meist das Jahr 1990 entscheidend (Aufgrund des Verbrauchs an fossilen Brennstoffen wurde berechnet, wie viel CO2 die einzelnen Länder ausstoßen). Während die Industrieländer ihre Emissionen laut Kyoto-Protokoll bis 2012 im Durchschnitt um etwa fünf Prozent senken sollen, wurde für Russland, die Ukraine und einige andere osteuropäische Länder ein anderes Ziel vereinbart: Sie dürfen die Emissionsmengen von 1990 nicht überschreiten.
Weil nach 1990 einzelne Branchen komplett einbrachen und zahlreiche umweltverschmutzende Fabriken aus Rentabilitätsgründen stillgelegt wurden, liegen die Emissionen in diesen Ländern heute bis zu 20 Prozent unter denen von 1990. Also verfügen die Länder über freie Emissionsrechte, die sie bis 2012 nicht verbrauchen werden – die so genannte „Hot Air“. Andere Länder können diese Hot Air kaufen und damit ihre zugelassenen Emissionsmengen erhöhen.

Clean Development Mechanism

Jedes Land darf seine festgelegte Emissionsmenge erhöhen, wenn es gleichzeitig dazu beiträgt, sie in Ländern zu senken, die selbst keinen Reduktionszielen unterliegen. Dadurch will das Kyoto-Protokoll der Tatsache Rechnung tragen, dass der Ort der Emissionsreduktion für das Weltklima keine Rolle spielt.
Baut ein deutsches Unternehmen also beispielsweise auf einer brasilianischen Mülldeponie eine Anlage, die Methangas in CO2 umwandelt – Methangas begünstigt den Treibhauseffekt etwa 21-mal so stark wie CO2 –, erhält es die Erlaubnis, in Deutschland mehr CO2 auszustoßen. Die neuen Emissionsrechte erteilt die UNFCCC, die UN-Organisation zum Klimaschutz.

Joint Implementation

Ähnlich wie beim Clean Development Mechanism ist damit das Engagement von Unternehmen gemeint, das helfen soll, Treibhausgase zu mindern – allerdings in Ländern mit eigenem Reduktionsziel unter dem Kyoto-Protokoll. Typische Standorte für derartige Engagements wären beispielsweise Bulgarien oder Rumänien.
Ein Land oder Unternehmen, das die genannten Möglichkeiten geschickt nutzt, kann seinen Spielraum für Emissionen enorm erhöhen. Und damit auch die Preise für Strom und CO2 beeinflussen.

Die USA, China und Kyoto

Die amerikanische Regierung hat das Kyoto-Protokoll bislang nicht ratifiziert. Ein offizieller Grund: China, der wichtigste Konkurrent als größte Wirtschaftsmacht der kommenden Jahre, weigert sich ebenfalls, das Abkommen zu unterzeichnen.
Ein anderer, nicht offizieller, aber auf der Hand liegender Grund: Die USA ist der größte CO2-Produzent der Welt. Der Preis, den Amerika bezahlen müsste, um eine Reduktion im Sinne der Kyoto-Ziele zu erreichen, wäre deshalb schon heute so hoch, dass er sich vermutlich negativ auf die US-Wirtschaft auswirken würde.
Früher oder später werden auch in den USA Maßnahmen zur Reduktion des CO2- Ausstoßes vorgenommen werden – egal, ob das Kyoto-Protokoll unterzeichnet wird oder nicht. Abhängig vom Bedarf an ausländischen Investitionen wird das auch in China geschehen. Bis dahin ist es denkbar, dass sehr stromintensive Industrien beispielsweise nach China auswandern oder dass Nachbarländer wie Russland ihren Strom aus China beziehen – Strom etwa aus Steinkohlekraftwerken, der billiger ist als in Russland, weil kein Extrapreis für CO2-Emissionen gezahlt werden muss.

Was steckt im Strompreis?

23 Prozent des Preises, den ein privater Stromkunde in Deutschland auf seiner Stromrechnung vorfindet, entfallen tatsächlich auf die Stromerzeugung. Dieser Anteil wird vom Großhandelspreis für Strom bestimmt. Mit den restlichen 77 Prozent bezahlt der Verbraucher zu rund einer Hälfte Ökosteuer, Mehrwertsteuer, Konzessions- abgaben an Städte und Gemeinden und Abgaben an ökologisch wünschenswerte Einspeisungen (Strom aus regenerativen Energien). Die andere Hälfte sind Kosten für die Leitung des Stroms vom Kraftwerk bis zum Haushalt. Besonders teuer dabei ist die örtliche Verteilung des Stroms durch so genannte Niedrigspannungsnetze.
Diese Kosten muss ein großer Industriekunde nicht zahlen. Er bekommt seinen Strom meist direkt aus den Höchstspannungsleitungen vom Kraftwerk und spart so die Durchleitungsentgelte und Transformationskosten für die Hoch-, Mittel- und Niedrigspannungsnetze. Der Endpreis, den der Industriekunde für seinen Strom bezahlt, hängt deshalb viel stärker von den Großhandelspreisen ab, konkret: zu 60 Prozent.

Flüssiggas für mehr Unabhängigkeit

Der Bedarf an Gas in Europa wird steigen – von etwa 550 Milliarden Kubikmetern 2002 auf 700 bis 800 Milliarden Kubikmeter pro Jahr in 2020. Knapp 60 Prozent des heutigen Bedarfs werden aus einheimischen Quellen gedeckt, etwa zu je einem Drittel aus Großbritannien, den Niederlanden und Norwegen. Doch die europäischen Gasreserven gehen zur Neige. 2020 wird Europa bis zu 70 Prozent seines Gasbedarfs importieren. Heute kommt der größte Teil der Gasimporte über Pipelines nach Europa, vor allem aus Russland, aber auch aus Algerien. Bis 2020 ist der Bau weiterer Pipelines von knapp 90 Milliarden Kubikmetern geplant. Nicht genug Kapazität, um die drohende Versorgungslücke in Europa zu schließen. Deshalb macht der Engpass eine Technologie interessant, mit deren Hilfe schon heute einer kleiner Teil des Gasbedarfs gedeckt wird: Liquefied Natural Gas. LNG wird im Ursprungsland auf -161°C abgekühlt, in Tanker gefüllt, nach Europa verschifft und in Verdampfungsanlagen wieder in den gasförmigen Zustand überführt. Derzeit laufen in Europa zwölf solcher Anlagen mit einer Kapazität von 65 Milliarden Kubikmetern, die meisten davon in Spanien und Frankreich.
24 Erweiterungs- und Neubauprojekte sind im Bau oder zumindest geplant. Ihr Vorteil: Sie lassen sich schneller realisieren als Pipelines. Der Bau von LNG-Anlagen dauert vier bis fünf Jahre, der Bau einer Pipeline kann sich, je nach Genehmigungsverfahren, bis zu 20 Jahre hinziehen. Auch preislich ist LNG durchaus attraktiv: Die teuersten LNG-Importe etwa aus dem Mittleren Osten kosten um die drei Dollar pro mmbtu (Million British Thermal Units) – die Gaspreise auf dem alten Kontinent dagegen steigen auf mehr als 3,20 Euro pro mmbtu, sobald der Ölpreis die 25-Dollar-Marke überschreitet. Auch politisch macht LNG Sinn, hilft es doch den europäischen Abnehmern, ihre Gasimporte zu diversifizieren und die Abhängigkeit von russischen Importen zu lockern. Bei der Verwendung von LNG sind jedoch wichtige Sicherheitsfragen genau zu untersuchen und zu berücksichtigen (Havarie von Tankern oder Anlagen). Neue Verflüssigungsanlagen zur Deckung des europäischen Bedarfs entstehen derzeit insbesondere in Nord- und Westafrika und im Mittleren Osten. Ihre gesamte Kapazität könnte 2015 an die 400 Milliarden Kubikmeter betragen – mehr als genug also, um Europa üppig mit LNG zu versorgen.

Auch die Amerikaner wollen ihre LNG-Importe steigern. Transatlantische Geschäfte sind für die Lieferanten durchaus interessant: Höhere Transportkosten in die neue Welt werden durch höhere Marktpreise in den USA mehr als kompensiert. Trotzdem wird für Europa voraussichtlich ausreichend LNG übrig bleiben: Sollten die USA mehr als 150 Milliarden Kubikmeter jährlich importieren, würden dort die Preise fallen und die höheren Transportkosten nicht mehr rechtfertigen.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.