Zurück zu den Wurzeln

Wirtschaft im Jahr 2002: Grenzenlose Kommunikation, Handel über alle Kontinente hinweg, der Wandel von der Industriein eine Wissensgesellschaft ist in vollem Gang. Und die Welt entdeckt die Kraft der Region. Clusterbildung heißt das Konzept, das aus Industriebrachen blühende Landschaften machen soll, das Aufbruch und Arbeitsplätze verspricht. Sieht so die Zukunft aus?




Die Idee ist neu, der Ursprung Geschichte: Cluster sind so alt wie der sesshafte Mensch. Schon Alexandria und Karthago waren nicht nur Marktplätze und Schutzburgen, sie waren auch Sammlungsorte von Handwerk und Wissenschaft: Viele Experten eines Faches konnten ihre Erkenntnisse zusammenbringen und austauschen. Aus alten Ideen entstanden neue, der Erfolg des einen war Antrieb für den anderen, die enge Kooperation ließ Erstaunliches entstehen. Gotische Kathedralen wuchsen in den Himmel, wo kühne Baumeister und geschickte Steinmetze aus aller Herren Länder an einem Punkt zusammenkamen. Das Können der Genfer Uhrmacher war über Jahrhunderte konkurrenzlos.

Die Besinnung auf das Motiv Cluster, die Erforschung von Clustern und die Nutzung der Erkenntnisse bedeuten einen Schritt nach vorn für das traditionell so freudlose Fach der Regionalentwicklung. Standorten im internationalen Wettbewerb bringt das Clusterkonzept den entscheidenden Vorsprung. Die Gründe hierfür:

Regionale Netzwerke erlauben Wertschöpfung außerhalb der eigenen Unternehmensgrenzen – bei niedrigen Transaktionskosten

Der Wertschöpfungsanteil am Produkt, den ein Unternehmen allein hält, sinkt kontinuierlich. Produkte und Dienstleistungen sind zunehmend arbeitsteilig, das gilt für Entwicklung wie Produktion. Jeder Markterfolg verteilt sich auf viele Schultern und bedarf eines funktionierenden Netzwerks von Hochleistern. Anders als früher findet die Wertschöpfung nicht mehr hauptsächlich innerhalb eines Unternehmens statt – die Kette läuft kreuz und quer über öffentliches und privates Gelände. In so einer Welt treten nicht nur Unternehmen gegeneinander an, sondern auch Regionen. Mercedes-Benz ist nicht Mercedes-Benz, sondern Mercedes-Benz in Südwestdeutschland. Ohne die gewachsenen und gepflegten lokalen Leistungsbeziehungen wäre das Endprodukt nicht mehr denkbar.

Privatwirtschaftliche Initiativen reichen über tradierte Verwaltungsgrenzen hinaus

Wer heute über Regionen spricht, meint in der Regel Verwaltungsbezirke: Gemeinden, Kreise, Regierungsbezirke, Bundesländer, Staaten, Staatenbünde. Für Regionalentwicklung, die das Potenzial von Clustern fördern will, sind dies die falschen Begriffe, und zwar in zweierlei Hinsicht. Cluster kennen keine Verwaltungsgrenzen. Mal sind sie größer, mal kleiner. Es gibt ein europäisches Chemie-Cluster, das von Rotterdam bis Basel reicht, aber auch ein Steckdosen- und Schalter-Cluster im geografisch kleinen Sauerland.

Wo formale Grenzen fehlen, greift auch die herkömmliche Organisationsform zu kurz: die öffentliche Verwaltung. Die erfolgreichsten Cluster sind das Produkt privater oder privat-öffentlicher Initiativen. Ihre Treiber sind Unternehmer, Hochschulrektoren, Investoren, engagierte Bürger, nicht nur Politiker und Beamte. Der Greater Phoenix Economic Council, die H. J. Heinz Company Foundation, die Wolfsburg AG (siehe Seite 100), die Stanford University, die Greater Austin Chamber of Commerce sind Beispiele. Und wenn die Politik die Initiative treibt, dann die lokale und regionale Politik: Katalonien, nicht Spanien; Dortmund, nicht Nordrhein-Westfalen (siehe Seite 60); Jena, nicht Thüringen; Poitiers, nicht Paris; Sassuolo, nicht Piemont.

Wissensbasierte Jobs sichern dauerhaften Vorsprung

In Clustern kommen Menschen, Kapital und Wissen zusammen. Ihre Interaktion stellt einen wertvollen Standortfaktor dar. Dieses Zusammenspiel ist ortsgebunden. Das gilt zumindest für wissensintensive Tätigkeiten. In Deutschland haben sich technologie-intensive Industrien in den vergangenen 20 Jahren konzentriert, weniger technologie-intensives, verarbeitendes Gewerbe hat sich dagegen dekonzentriert. Mit Letzterem lässt sich auf Dauer kein Standortvorteil schaffen. Öffnen sich die Türen zu Ländern mit niedrigem Kostenniveau, wandert dieses Gewerbe weiter. Cluster bleiben. Wenn sie gepflegt werden.

Gemeinsinn zahlt sich für jeden Unternehmer aus

Institutionelle Wirtschaftsförderer sind notwendige, aber keinesfalls hinreichende Impulsgeber für die nachhaltige Entwicklung einer Region. Erfolgreiche Standortentwicklung braucht vor allem Unternehmer. Warum aber sollten erfolgreiche Firmen ein Interesse daran haben, in ihr Umfeld zu investieren? Ganz einfach: Wenn die Zusage des dringend gesuchten Entwicklungsingenieurs von der Vielfältigkeit des Ausbildungs- oder Berufsangebotes am Standort abhängt, der Markterfolg von der Leistungsfähigkeit aller lokalen Zulieferer und Dienstleister, die Investitionsrendite von der engen Verzahnung städtischer und privater Projekte, dann wird lokales Mitmachen zum unternehmerischen Imperativ. Und wie einst Siemens und Krupp Siedlungen für ihre Industriearbeiter bauten, so bauen heute immer mehr Unternehmer mit an einem Cluster vor der eigenen Haustür.

Attraktive Regionen sind ein Magnet für qualifizierte Mitarbeiter

Cluster sind Netzwerke aus Experten in Unternehmen, Verwaltungen, Bildungseinrichtungen und Vereinigungen. Eine Region ist allerdings erst erfolgreich, wenn es gelingt, diese Wissensträger zu interessieren und zu binden. Das ist nicht leicht. Die gesuchten Experten sind begehrt und mobil und sie stellen hohe Anforderungen – nicht nur an ihren Arbeitgeber, sondern auch an den Ort, an dem sie sich niederlassen. Zu den notwendigen Merkmalen im globalen Standortwettbewerb zählen Verkehrsanbindung und Gewerbeflächen, aber auch historische Stadtkerne, Jazz-Kneipen, Kirchen, Schulen, Spielplätze, Radwege oder Rodelhänge. Wer Standortentwicklung auf Gewerbeparks und Autobahnanschlüsse beschränkt, bekommt Baumärkte und Gebrauchtwagenhandel – aber keine wertschöpfungsintensiven Zukunftsindustrien und erst recht kein Wissens-Cluster.

Standorte mit Potenzial sind leicht identifizierbar

Cluster benötigen einen Kern, eine Kompetenz, die anderswo so nicht vorhanden ist. „Stärken stärken“ heißt die Maxime. Ist diese Stärke nicht offensichtlich, muss sie gesucht und entwickelt werden – und zwar konsequent, auch wenn das oft genug die Vernachlässigung anderer regionaler Kompetenzen bedeutet. Ohne Kernkompetenz kein Cluster, auch das ist eine Regel: Die Region hat den Lackmustest nicht bestanden. Nur wenn ein Standort in mindestens einer Disziplin oder in einer Industrie in der Weltliga mitspielen kann, bietet sich ein Cluster-Entwicklungsprogramm an. Sonst müssen andere Rezepte herhalten. Strukturhilfen, die das Kostenniveau für lokale Investoren künstlich absenken, öffentliche Investitionen am Standort, Bestandssicherungsmaßnahmen oder Mobilitätshilfen. Nicht alles clustert, schon gar nicht überall. Das Mittelmaß-Valley gibt es nicht.

Erfolg lässt sich organisieren

Eine Region in ein wirtschaftlich prosperierendes Cluster zu verwandeln ist anspruchsvoll. Viele Beteiligte müssen viele Dinge gleichzeitig und lange genug richtig machen. Patentrezepte gibt es nicht, aber ein paar Zutaten sind essenziell: der richtige Industrie- oder Dienstleistungsfokus, die Definition eines messbaren Anspruchsniveaus, das Übersetzen der Strategie in Einzelmaßnahmen, die Institutionalisierung durch eine Trägergesellschaft mit professionellem Vorstand, die Einbindung aller wichtigen Führungspersönlichkeiten, ein Portfolio aus schnell und langsam wirkenden Maßnahmen, ein offensives Branding. Insgesamt: der Mut, klassische und bewährte Managementtugenden in den Dienst einer guten Sache zu stellen.

Literatur

Michael J. Enright: Cluster-based Development Strategies. In: Neil Hood / Stephen Young (Hrsg.): The Globalisation of Multinational Enterprise Activity and Economic Development. McMillan, London, 1999; S. 303–331

Richard Florida: The Economic Geography of Talent. Carnegie Mellon University, September 2000

Richard Florida: Toward the Learning Region. In: Futures, Vol. 27, 5, 1995; S. 527–536


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.