Unerwartete Konkurrenz

Nein, vom Wein verstehen Amerikaner nichts. Viel zu komplex, die Winzerei – ein subtiles Spiel um Boden und Klima, Schweiß und uralte Handgriffe, über Generationen zur Kultur verfeinert. Kelter-Kunst gedeiht nur in reifen Gesellschaften wie der Region Bordeaux.
Falsch. In Kalifornien hat eine einzige Gründergeneration das Napa Valley zu einem Weingebiet von Weltniveau geformt. Ihre Essenzen: Transfer von Wissen, Kapital, Hightech und Highmarketing, ein enges Netzwerk.




Ende März springt rund um Bordeaux eine komplexe Maschinerie an. Wie ein altes, aber regelmäßig schlagendes Herz pumpt sie den Wein der Region bis in die feinsten Verästelungen des Weltwirtschaftskörpers. Es ist die Zeit der Primeurs, die Zeit gurgelnder Geräusche, genau bemessener Gesten und halblauter Worte des Wohlgefallens. Der junge Wein ist gezogen und 100 Makler, Courtiers genannt, ziehen in einem uralten Ritual zu 12.000 Winzern und 117 Châteaux, um den Jahrgang zu verkosten. Tannin, Säure und Körper, fruchtige, holzige oder erdige Noten werden in Empfehlungen an die 400 Négociants und die Kommissionäre gewogen. Die Handelshäuser entscheiden, welche Flasche Bordeaux bei welchem Grossisten oder Importeur landet – von China bis Cottbus, vom 700 Euro teuren Tropfen im Keller des Sammlers bis zum ordinären Tafelwein beim Discounter an der Ecke.

„Es ist ein wunderbares System, um das uns die Welt beneidet, weil es so gut funktioniert“, sagt Véronique Sanders, Managerin des renommierten Château Haut-Bailly. „Ich verkaufe meinen gesamten Jahrgang in einer Stunde. Allein würde ich das nie schaffen.“ Propheten der Neuen Wirtschaft, die den Tod des Mittelsmannes beschwören, schlagen vermutlich die Hände über dem Kopf zusammen: Sanders nutzt für ihren Vertrieb ein Dutzend Makler und 100 Kommissionäre, um jährlich 120.000 bis 140.000 Flaschen Rotwein zu verkaufen.

Man spielt nach alten Regeln in Bordeaux. Die Klassifizierung der Schlösser, Almanach de Gotha hoher Kelterkunst, wurde seit Napoleon III. nie novelliert. 675 Millionen Flaschen, drei Viertel der gesamten Produktion, finden über die örtlichen Händler ihren Weg in den Laden. Für jeden Handgriff, ob Rebenschnitt, Trennung vom Trester oder Abzapfung, gibt es Vorschriften. Wie der Winzer seine Flaschen etikettiert, ist im Wortlaut festgeschrieben. Und sollte ein Château einmal schlecht ernten, darf es nicht einmal beim Nachbarn Trauben zukaufen – Mischungen sind allein den Négociants erlaubt.

„All diese Regelungen und all diese Akteure haben einen guten Grund: Sie sind ein historisch gewachsenes System. So kann sich der Verbraucher auf die Qualität eines Bordeaux verlassen“, erläutert Francis Cruse, Chef der Vereinigung der Kommissionäre. Cruse ist mit einem der ältesten Makler der Stadt verwandt; man bewegt sich in Clans, und die Kultur des Weinbaus ist ein Modell für die Gesellschaft des gutbürgerlichen Bordeaux. Im und um den Wein finden im Département Gironde 84 000 Menschen einen Arbeitsplatz.

Am anderen Ende der Winzerwelt, im Napa Valley, sind Güter wie das französische Haut-Bailly die Messlatte. Aber der Weg zum Wein ist in Nordkalifornien eher eine Partie Monopoly als ein überkommenes Ritual. Draufgängerische Unternehmer mit praller Kriegskasse machten das verschlafene Bauerntal seit Mitte der sechziger Jahre in wild entschlossener Aufholjagd zur ersten Adresse für amerikanischen Wein. Napa hat sich auf Flaschen mit einem Ladenpreis von 25 bis 30 Dollar spezialisiert. Passé die Produktion billigen Fusels. Frankreich war lange Standard und Vorbild – heute gibt Kalifornien Impulse für den Weingeschmack in aller Welt. Sogar die Franzosen neigen neuerdings den stark holzbetonten Cabernet-Sauvignons und Merlots amerikanischen Gustos zu.

„Wir gehen das Weingeschäft an wie junge, ehrgeizige Unternehmer“, sagt Vic Motto, Gründer der Marktforschungsfirma Motto Kryla and Fisher (MKF) im Städtchen St. Helena. Er verfolgt den Boom seit den Anfängen in den sechziger Jahren: „Die Franzosen handelten wie Großvater. Erst seit sie sich vor der Neuen Welt fürchten, ist Marketing nicht mehr unter ihrer Würde.“

Erlaubt ist im Napa Valley, wie im Silicon Valley und anderen jungen Industriezonen der USA, was nicht explizit verboten ist. Die Winzereien des nur 48 Kilometer langen Tals nördlich von San Francisco bedienen sich all dessen, was Önologen, Chemiker, Ökologen, Agronomen und neugierige Winzer über die Jahrhunderte beobachtet und ersonnen haben, um guten Wein zu produzieren. Napas Reben dürfen bewässert und gedüngt werden. Winzereien setzen Weltraumtechnik der Nasa ein, um bessere Ernteergebnisse zu erzielen. Es gibt keine 57 Appellationen, die über Qualität entscheiden, und keine Klassifizierungen, über die Staat und Standesverbände wachen. Kein Korsett aus Händlerorganisationen und Fachverbänden, die über den Erfolg eines Weines entscheiden.

Vorteil der Amerikaner: Sie müssen keine Tradition bewahren

„Nirgendwo wird Wein moderner angebaut als hier“, sagt Volker Eisele, ein deutscher Winzer, der schon 1963 ins Tal gekommen ist. „Napa existiert, weil eine Handvoll Unternehmer zum Äußersten bereit war. Von ihren Egos und ihrem Egoismus haben wir alle profitiert.“ Zwar stammen nur vier Prozent des kalifornischen Weins aus Napa, aber 20 bis 25 Prozent des Umsatzes. Zu Beginn der sechziger Jahre gab es eine Handvoll Pioniere, heute zählt man mehr als 250 Kellereien. Weinmeister dürfen ihre Ernten nach Belieben mit Trauben von mehr als 600 Kollegen mischen. Die Interessenverbände nehmen Außenseiter mit offenen Armen auf, solange sie frische Ideen und Kapital mitbringen. Einzige Beschränkung: Farmland darf kaum überbaut werden. So mussten Nebenindustrien wie Speditionen oder Etikettendrucker an den Südrand des Tals ausweichen. Direkt und indirekt beschäftigt der Wein 23.000 Menschen, bei mehr als sieben Milliarden Dollar Umsatz.

Seinen Aufstieg, ostentativ zur Schau gestellt, verdankt Napa dem Visionär Robert Mondavi. Der Sohn eines italienischen Landarbeiters reiste in den sechziger Jahren durch Europa und hatte ein Aha-Erlebnis: „Wir sahen im Wein ein Geschäft – die großen Châteaux Europas aber behandelten Wein als hohe Kunst“, schreibt Mondavi in seiner Autobiografie „Harvests of Joy“ (Ernten der Freude). „Ich war mir sicher, dass wir das im Napa Valley genauso gut konnten oder gar besser! Es würde Zeit, Geld, Geduld erfordern und genaue Kenntnisse darüber, wie man in Bordeaux Wein macht ...“ Entscheidend war: „Wir konnten schnell lernen und entscheidende Sprünge in der Qualität unserer Weine machen. Ich wollte amerikanische Technologie, Managementmethoden und Marketingverständnis mit Tradition und Eleganz der Alten Welt verschmelzen. Napa Valley war bereit für die Herausforderung.“ Mondavi überwarf sich mit seiner Familie, aber er realisierte die Vision. Heute lockt sie jährlich fünf Millionen Besucher ins Tal. Seine Weinfabrik ist, wie viele andere, an der Börse notiert. Vier Ernten pro Jahr fährt das Unternehmen Robert Mondavi Wineries mit seinen Joint Ventures rund um den Globus ein und vermehrt so sein Know-how. In Bordeaux guckte er sich die Essentials ab und die Rebsorten. Europäische Kellermeister und Önologen, von Innovationskraft, Geld und Erfolg angelockt, mehren das Wissen der Amerikaner. Fliegende Winzer nennt sie die Branche.

Gilles de Chambure, Mondavis Chef-Weinerzieher, ist einer von ihnen. Monsieur glaubt an eine große Abfolge der Weinkulturen: „Wein ist der Luxus großer Zivilisationen“, sagt er bei einem Spaziergang durch Mondavis neueste Kellerei, für die er – teurer Weltrekord – 56 Gärungstanks aus französischer Eiche nach Kalifornien verschiffen ließ. „Es gibt eine direkte Linie von den Griechen über die Römer und Italiens Renaissance nach Bordeaux und schließlich ... nach Kalifornien. Napa ist ein Konzentrat aller großen Weinkulturen.“ Früher, sinniert Chambure, standen die Kalifornier als Lehrlinge in französischen Kellern: „Nun sind wir selbstbewusst genug, unsere eigenen Ideen zu verwirklichen.“

Pflanzen Frankreichs Winzer die Reben enger oder schneiden sie mit neuer Technik – sogleich gibt ein Berater aus Übersee den Tipp an die Kalifornier weiter. Da keine Vorschriften Lese, Kelterung oder Ausbau bestimmen, konnten Mondavi und seine Jünger jede neue Idee ausprobieren. Fermentierungstanks aus Edelstahl. Wärmegesteuerte Gärung. Unterirdische Bewässerungssysteme.

Oder Wettersensoren: Die Nasa half. 40 Stationen messen jetzt Temperatur und Feuchtigkeit, speisen sie mit Daten aus dem Global Positioning System (GPS) und Infrarot-Satellitenaufnahmen in die Datenbank der Önologie-Abteilung der Universität Davis bei Los Angeles ein. „In Frankreich dauerte es vier Jahrhunderte, bis Generationen von Winzern wussten, welche Lagen besonders gut sind, weil der Schnee früher schmilzt, der Regen besser abläuft oder die Sonne in einem günstigen Winkel einfällt. Das ist die Kraft des Terroir“, erklärt de Chambure den Kern des Selbstverständnisses der Winzer von Bordeaux: die sklavische Treue zum Standort, zur Appellation. „In Napa haben wir dieses Wissen mit modernster Technik in nur 15 Jahren gesammelt.“ Und perfektioniert: Chambure verfügt über genaue Terroir-Daten für jede einzelne Reben-Reihe.

Der Drang, es den Franzosen gleichzutun, wurzelt auch in der Prohibition (1919 bis 1933). Sie löschte die ersten kalifornischen Weingüter europäischen Ursprungs aus. Danach war Wein von der Westküste gleichbedeutend mit billiger Massenware (wie die bauchigen Flaschen der Gebrüder Ernest und Julio Gallo). Rare Kenner in New York tranken Bordeaux und Burgunder. Vor den ehrgeizigen Winzern aus Napa lag ein gewaltiger unerschlossener Markt.

Robert Mondavi und seine Mitstreiter brachen ihn auf. Der Gründer ist ein unermüdliches Verkaufstalent und weiß auch um die Kraft immaterieller Werte: Er schuf in Napa Valley eine Weinkultur. Ein herkulisches Unternehmen – neun von zehn Amerikanern neigen eher Bier und Softdrinks zu. „Seinem Kreuzzug haben wir uns alle angeschlossen. Je mehr Verständnis für guten Wein in diesem Land herrscht, desto besser ist es für die Branche“, sagt Tom Shelton, Präsident und CEO der Winzerei Joseph Phelps, einem Weinbauer der ersten Stunde.

Das Vorhaben gelang. Amerikas Weintrinker kauften die besseren Tropfen. Nur jede sechste Flasche geht ins Ausland, Kaliforniens Winzer brauchen den Export nicht. „Aber wir wollen auf den Weltmärkten dort präsent sein, wo Spitzenweine gefragt sind“, sagt Shelton. Das sind in erster Linie die Wein-Hochburgen Deutschland und England. Der Wettbewerb mit Bordeaux-Weinen ist eher ein Duell um Expertennoten als ein Verteilungskampf. Zumindest aus Sicht der Kalifornier.

In Bordeaux wird der Aufstieg der Neuen Welt argwöhnisch betrachtet, obwohl die Weinproduzenten von Kalifornien über Südafrika bis Neuseeland in Frankreich eigentlich nichts zu melden haben. Sie halten dort nur 0,18 Prozent Marktanteil, weiß Jean-Philippe Code vom allmächtigen Wein-Dachverband Conseil Interprofessionnel du Vin de Bordeaux (CIVB). Ihm gehören, in freiwilliger Pflicht, alle Weinproduzenten, Makler und Händler an. In seinem Sandstein-Palast gegenüber dem Grand-Théâtre von Bordeaux laufen die Informationsstränge zusammen. Alle Verträge, die ein Makler zwischen Erzeuger und Händler aushandelt, gehen als Kopie an den CIVB. 20 Millionen Euro seines rund 27 Millionen-Etats steckt der Verband in die Vermarktung des Weins. Davon allerdings gehen nur Bruchteile in die USA. Die Franzosen konzentrieren sich aufs europäische Ausland, wo der Saft aus Übersee ihre Marktanteile bedroht.

Im Kampf um die Märkte sind die alten Meister Lehrlinge. Der höhere Weinbau, die Premiers, Deuxièmes und anderen Crus der Châteaux, prägten zwar den Ruhm des Landstrichs, machen aber nur vier Prozent des Volumens aus. Marketing brauchen die Châteaux kaum: Einen Margaux oder Haut-Brion Pessac reißen die Gourmets dem Produzenten aus der Hand. „Aber wir erzeugen auch jede Menge Mittelklasse-Wein“, sagt Jean-Philippe Code – die durchschnittliche Flasche Bordeaux kostet im Einzelhandel gerade mal 4,10 Euro. Prêt-à-boire. In diesem Markt gelten neue Gesetze. Code: „Wir müssen starke Marken entwickeln.“

Nachteil der Franzosen: wenig Marketing

Der Funktionär zitiert Statistiken, wonach Australien in vier Jahren mehr Reben neu gepflanzt hat, als im gesamten Anbaugebiet Bordeaux wachsen. Riesige australische Weinfarmen haben schon rund 20 Prozent des britischen Marktes erobert. Code, philosophisch: „Die Briten können die Namen auf den Etiketts aussprechen.“ Massenware von Gallo oder Jacobs Creek, eine australische Marke, und nicht Napa Valleys teure Weine bedrohen die französischen Winzer. Beide Marktsegmente zusammen aber beschädigen ihr Image.

Wein als massiv beworbene Markenware zu verkaufen, also ein amerikanisches Konzept anzuwenden, das haben die Weinbarone auf ihren Landsitzen und eng begrenzten Weinlagen bisher kaum erwogen. Aufgeschreckt schicken sich die großen Händler nun an, statt obskurer Châteaux verschiedene Weine unter einem Label oder gar einzelne Rebsorten statt der klassischen Verschnitte (Méritage) anzubieten.

Zuvorderst das Handelshaus Mestrezat & Domaines, dem das Label Cordier gehört. Mit dem Vertrieb berühmter Lagen macht das Handelshaus 30 Prozent des Gesamtumsatzes von 88 Millionen Euro. Alle Hoffnungen ruhen auf einem Club von 30 bis 40 Kleinerzeugern, die auf eine Qualitäts-Charta eingeschworen wurden. Im Gegenzug erhalten sie kostenlos technische Beratung, von der Pflege des Weinbergs bis zur Abfüllung in Tanklaster. „Das ganze Unternehmen ist auf diese Strategie eingeschworen. Heute bei 17 Prozent, könnten die beiden Segmente bald 50 Prozent unseres Umsatzes bringen“, hofft Exportchef Vincent-Noël Martelly.

Baron Philippe de Rothschild hat den Wert von Zusammenarbeit und starker Marke früh erkannt. Spitzenprodukt des Hauses ist der Château Mouton-Rothschild. Das Weinimperium betreibt eine 11.000 Quadratmeter große Fabrik, in der pro Jahr der Wein von 300 Erzeugern gemischt und zu rund 22 Millionen Flaschen der Marke Mouton Cadet und anderer Eigen-Labels abgefüllt wird.

Doch in der traditionsbewussten Gesellschaft des Bordeaux sind solche Neuerungen schwer durchzusetzen. „Warum sollte ich meine Strategie mit anderen Großhändlern besprechen?“, quittiert Martelly die „lachhafte Frage“ nach Zusammenarbeit. „Ich gebe eine Menge Geld aus, um dieses Konzept zu entwickeln. Wieso sollte ich meinen Konkurrenten einen Blanko-Scheck geben?“

Derlei steht in hartem Kontrast zu den Umgangsformen in Napa. Von Rebberg zu Rebberg hilft man sich mit Ratschlägen, leiht auch mal Gerätschaften aus. „Wir tauschen hier viele Informationen, die in jeder anderen Branche zu einer Klage wegen Geschäftsspionage führen würden“, sagt Larry Maguire, CEO der Winzerei Far Niente.

Gemeinsamkeiten existieren in Bordeaux vor allem dort, wo sie verordnet werden. Startet der Dachverband CIVB Werbekampagnen, ziehen die Verbände der einzelnen Appellationen mit. Veranstaltet die Handelskammer ihre Weinausstellung Vinexpo im Juni in Tokio und im Herbst in New York, fahren Bordeaux-Erzeuger mit. Die Schaffung einer Marke indes hat die Region verschlafen, glaubt Jean-Louis Despagne, Eigentümer eines Familienguts in der Region Entre-Deux-Mers. Aber: „Der CIVB ist wie eine große Familie. Familien kann man sich nicht aussuchen.“

Wein global ist für das Bordeaux neu – fürs Napa Valley Alltag

Despagne schwimmt gern gegen den Strom. Anfang der siebziger Jahre tourte er durch Südamerika und Kalifornien, kostete auch von Robert Mondavis Wein, um Anregungen für den Familienbetrieb zu sammeln. „Wir haben kostbare Zeit verloren. Vor 20 oder 30 Jahren standen Bordeaux-Weine allein auf weiter Flur. Damals wäre es leicht gewesen, gemeinsam starke Marken aufzubauen“, sagt Despagne, „aber wenn man Château Latour und Mouton Rothschild quasi automatisch verkauft, wird man bequem. Heute muss sich Bordeaux neu erfinden, um keine Marktanteile zu verlieren.“

In 20 Jahren Schwerstarbeit hat Despagne, dem vier Kellereien und fünf Châteaux gehören, sein eigenes weltweites Vertriebsnetz aufgebaut, über das er knapp eine Million Flaschen verkauft. „Damals baute ich fast nur Weißwein an, daran war kein Négociant interessiert. Also musste ich mir selbst helfen.“ Er brachte sich Englisch bei und überzeugte Importeure und Fluggesellschaften wie British Airways, KLM und SAS.

Nun hat er seinen Sohn Thibault auf Schnuppertour nach Australien, Chile, Neuseeland und Kalifornien geschickt. Despagne jr. ist fasziniert vom Gedankenaustausch unter Winzern seiner Generation. Doch die meisten Bordeaux-Produzenten sind Familiengüter von wenigen Hektar, zwei Drittel von ihnen verkaufen ihren Wein an Kooperativen, ohne sich über die rasante Globalisierung der Branche Gedanken zu machen.

Wein global ist für Jean-Louis Mandrau Alltag. Früher Kellermeister von Château Latour, waltet er über ein eigenes Weingut in dem 188-Seelen-Dorf Ladaux und reist zugleich als fliegender Önologe um die Welt. Seit 1986 berät er Beringer Vineyards in Napa Valley beim Vorhaben, Weine in Bordeaux-Tradition zu keltern. „Gefragt sind keine Handlungsanleitungen; wir tauschen Erfahrungen aus, unter gleichwertigen Partnern“, sagt Mandrau. „Die wenigsten Leute bei uns sind sich des weltweiten Wettbewerbs so bewusst wie die Leute in Napa. Der Name Bordeaux bietet eine enorme Chance. Aber ich finde inzwischen überall in der Welt großartigen Wein.“ Seien diese Weine erst einmal qualitativ ebenbürtig, fürchtet Mandrau, habe der Verbraucher „keinen vernünftigen Grund mehr, Bordeaux zu kaufen.“

Gallische Liebhaber komplexer Weine mögen sich trösten, die Fruchtigkeit amerikanischer Säfte, ihre Beliebigkeit und Lieblichkeit seien ein modisches Phänomen. Tatsächlich stoßen zwei Kulturen aufeinander: Wo der Bordeaux-Kenner gern über die glückliche Unwägbarkeit des Weinbaus parliert und in der Blume eines Weins die Nebel der Region wittert, sieht sich der kalifornische Winzer im Dienst des Kunden. Will der buttrige Eiche im Weißwein, bekommt er sie. Verlangt er nach detaillierten Lagebeschreibungen, druckt der Weinkünstler den Namen der Talsenke freiwillig aufs Etikett – eine liberale Interpretation des französischen Appellations-Gedankens.

Dem Weltbild entspricht die Organisation. Im örtlichen Winzer- und Weinbauern-Verband von Napa Valley „findet jede Idee Gehör, wenn sie nur interessant klingt“, sagt Sandra Elles, Vorsitzende der Grape Growers Association. In Bordeaux dagegen regiert eine Art unausgesprochenes Ständesystem, mit Delegierten und sensibler Machtbalance. Önologe Mandrau: „Die Kellermeister der Premiers Crus bleiben unter sich, ebenso die der Seconds Crus, bis hinunter zu den Pflückern.“

Wo die einen auf gewachsene Lebensart vertrauen, setzen die anderen auf Erziehung. „Nach einer Generation des Aufbaus hatte sich Napa Valley eine eigene Kulturinstitution verdient“, sagt Peggy Loar. Sie leitet Copia, einen 55 Millionen Dollar teuren Tempel für Essen, Trinken und Lebensart rund um Wein. Besucher können Lavendelsorten beschnuppern, in zwei Restaurants Foie Gras oder kalifornische Gemüsekreationen verkosten, ausländische Filme und moderne Kunst betrachten. Die Hälfte des Stiftungskapitals, um Lehrgärten, Testküchen, Restaurants und ein Museum auf zwölf Hektar anzulegen, stammt von Pionier Mondavi und anderen Weingütern der Region. Copias Satzung legt fest, dass keine örtlichen Weine verkauft werden außer einer Museums-Marke. Für seine Weinkurse greift das Personal auf 2500 edle Tropfen aus aller Welt zu. Das beste Restaurant der Gegend, French Laundry, führt unter seinen 700 Weinen nur zur Hälfte örtliche Gewächse. „Wir bieten Weltklasse-Weine an, egal, woher sie kommen“, sagt Bobby Stuckey, der Sommelier.

Speist man in Bordeaux, sucht man vergeblich nach kalifornischen Weinen. „Für die Produzenten im Médoc ist Entre-Deux-Mers schon so gut wie Ausland“, sagt der globale Weinberater Mandrau. Michael Silacci pflichtet ihm bei. Er studierte in Bordeaux Önologie und arbeitet heute für die Edelwinzerei Opus One, einem Joint Venture von Robert Mondavi und Baron Philippe de Rothschild in Napa. „Wir verkosteten nie ausländische Weine, es sei denn, ein Student kümmerte sich darum.“ Selbst für Exportschauen der rund 350 Firmen, die sich in der Region Bordeaux auf Sekundärindustrien wie Befüllung, Kelterung oder Etikettierung spezialisiert haben, musste die Handelskammer Bordeaux unter Winzern erst um Verständnis werben. „Viele haben immer noch nicht verstanden, dass jemand in Italien oder Deutschland die Anlagen in die Neue Welt liefern wird, wenn wir es nicht tun“, sagt Catherine Leparmentier von der Industrie- und Handelskammer in Bordeaux.

Wenig erfolgreich war die Promoterin auch mit ihrem Projekt Great Wine Capitals Network. Auf dem Papier soll der Verbund von sechs Städten den Ideenaustausch rund um Wein, Tourismus und Weiterbildung fördern – schließlich sorgt der Wein nur für ein Zehntel der örtlichen Wirtschaftskraft. Doch der Konkurrenz Stände anzubieten, ist für den Wein-Dachverband CIVB unvorstellbar. „Das Weinfest ist unsere Veranstaltung, für die unsere Mitglieder bezahlen“, sagt Sprecherin Florence Raffard. „Nette Idee, das Netzwerk, aber ohne wirtschaftlichen Wert für uns.“

Ebenso wenig warb der Weinverband für einen neuen Wein-MBA, den die Business School in Bordeaux eingerichtet hat. Von den elf Teilnehmern des ersten Jahrgangs, die sich an fünf Universitäten in aller Welt auf den globalen Weinmarkt vorbereiten, stammt keiner aus der Region.

Der Mut zum Experiment findet sich nur vereinzelt. Thibault Despagne hat sich auf zehn Hektar ein Experimentierfeld geschaffen. Er pflanzte die Reben eng wie keiner seiner Nachbarn und hielt die Trauben dicht am Boden. „Mein Formel-1-Weinberg“, sagt er. „Hier ist viel Potenzial. Aber so was macht man hier nicht – die Leute halten mich für verrückt.“

Weincluster Napa Valley / Weincluster Bordeaux

Ausdehnung: 48 km x 6,4 km / 150 km x 60 km
Kern: St. Helena, 6000 Einwohner / Bordeaux, 220.000 Einwohner
Region: 124.000 Bewohner / 1,3 Millionen Bewohner
Beschäftigte Weinindustrie: 23.000 (inkl. Tourismus) / 84.300
Erzeugung: 120 Millionen Flaschen / 900 Millionen Flaschen (11,3 Prozent der französischen Produktion)
Durchschnittlicher Preis pro Flasche: 28–33 Euro / 4,10 Euro
Produzenten: 250 Winzereien, 666 Weinbauern / 12.000 Erzeuger, 400 Négociants (Händler), 130 Kommissionäre
Anbaufläche: 17.000 Hektar (Kalifornien: 173.000 Hektar) / 115.000 Hektar (Frankreich: 792.000 Hektar)
Appellationen: 15 / 57
Export in Prozent des Volumens: 13 / 37
Wichtigste Märkte: Kanada, Großbritannien, Deutschland, Japan / Deutschland, USA, Großbritannien, Belgien, Japan
Besucher pro Jahr: 4,9 Millionen / 2,9 Millionen

Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.