Fremde Welt

Vor wenigen Tagen, Mitte September, hat McKinsey in Frankfurt ein neues Büro eröffnet: Das Asia House soll internationales Kompetenzzentrum und Knotenpunkt für ein grenzüberschreitendes Netzwerk sein. Berater aus Ost und West werden hier miteinander leben und arbeiten – und voneinander lernen. Ein bislang einmaliges Projekt, ungewöhnlich für eine Unternehmensberatung. Aber passend zur Zeit: China verändert sich. Mit einer Geschwindigkeit, die nicht nur die westliche Wirtschaftswelt alarmiert. Und mit einem Wachstum, das auf absehbare Zeit keine Grenzen kennt.




Was ist das für ein Land, das sich seit Jahren zwischen Kommunismus und Kapitalismus bewegt? Das sich der westlichen Welt öffnet und sich gleichzeitig jedem unerwünschten Einfluss verschließt? Das auf die Mechanismen der freien Wirtschaft setzt und staatlich kontrolliert, wo immer es geht? Und das sich anschickt, eine Supermacht zu werden?

Eine Marktführerschaft nach der anderen ringt China den westlichen Konkurrenten ab. Die Volksrepublik ist der größte Produzent von Spielwaren, Mountainbikes und Mikrowellengeräten. China produziert mehr als die Hälfte aller weltweit verkauften Kameras, ein Viertel aller Kühlschränke. Wir tragen T-Shirts, Pullover und Turnschuhe aus China. Wir leben in Möbeln, die chinesische Arbeiter zusammengebaut haben. Wir kalkulieren mit chinesischen Taschenrechnern, schauen auf chinesische Flachbildschirme, besitzen massenweise Geräte mit Platinen oder Chips, die in chinesischen Fabriken verlötet werden. Nicht mehr Japan, China ist der wichtigste Handelspartner der Deutschen in Asien.

Ein Partner, der uns unheimlich ist. Misstrauisch macht. Der in seinem Land gut 230.000 Dollar-Millionäre sowie drei Millionen Bürger mit einem jährlichen Einkommen von mehr als 100.000 Euro zählt. Und 150 Millionen Menschen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen. Ein Partner, den wir zu kennen glauben. Für den ein Menschenleben angeblich wenig zählt. Der sich, wie wir meinen, weder um die Umwelt noch um zumutbare Arbeitsbedingungen oder Sicherheitsfragen, Marken- und Patentrechte, Pressefreiheit oder Ethikgesetze schert. Und der uns dennoch mit seinem riesigen Markt und dem Heer billiger Arbeitskräfte lockt.

Das Bild, das sich der Europäer von China mache, sei geprägt von Vorurteilen und Klischees, behaupten all jene, die das Land kennen und lieben. Oder von einer ungeheuren Arroganz. Professor Helmut Merkel, Asien-Kenner und Vorstandschef der Karstadt Warenhaus AG, nennt das Verhalten so manchen Westlers seinen chinesischen Partnern gegenüber beschämend (Seite 70). Genau wie John Thornton, der erste Professor aus dem Westen in China seit Gründung der Volksrepublik, der für seinen Lehrstuhl an der Tsinghua Universität Peking eine Wall-Street-Karriere aufgab: Ein durchschnittlich gebildeter Chinese, meint Thornton, wisse heute viel mehr über den Westen als ein vergleichbar gebildeter Europäer oder Amerikaner über China (Seite 46). Grund genug, sich mit der fremden Kultur intensiver auseinander zu setzen.

Die meisten Autoren dieser Ausgabe leben in Asien. Sie haben den Markt und die Menschen beobachtet, glitzernde Metropolen und bitterarme Provinzen bereist, Fabriken und Shopping Malls besucht, Deutsche und andere Ausländer vor Ort getroffen und Experten aus aller Welt befragt. Dabei ist ihnen Erstaunliches und Widersprüchliches begegnet. Vieles, das den Westler abschreckt. Vieles, das ihn beeindruckt. Einiges, von dem er lernen könnte. Und ein Land, das sich auch durch noch so intensive Recherchen nicht wirklich erklären lässt.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.