Schalom Chemnitz

Hätten sie keinen besseren Ort finden können als ausgerechnet Chemnitz? Eigentlich nicht, finden die Brüder Dziuballa, die Betreiber des einzigen jüdischen Restaurants in Sachsen.




New York wäre vielleicht eine Alternative gewesen. Aber am Ende lief es doch auf Chemnitz hinaus – die Stadt, die 1965, als Uwe Dziuballa dort geboren wurde, noch nach Karl Marx benannt war. Dort lebte Dziuballas Mutter und wollte nach dem Tod ihres Mannes auch nicht mehr fort. Deshalb haben die Brüder Uwe und Lars Ariel hier ihr Lokal eröffnet. Das „Schalom“ ist das ­erste und bisher einzige öffentliche jüdische Restaurant in Sachsen.

Großstadtflair verbreite es, schwärmte kürzlich ein Gastro-Kritiker. Viel Holz, klare Linien, warme Farben – das Schalom ist auf eine sehr moderne Art gemütlich. Und für seine gute Küche bekannt: Am Herd steht ein Profi, der nach strengen jüdischen Speisevorschriften koscher kocht. „Wir haben alte Rezepte durchstöbert“, erzählt Uwe Dziuballa. Das Ergebnis ist eine Speisekarte mit ost-, mitteleuropäischen und nahöstlichen Einflüssen. Blinzes gehören dazu – jiddische Pfannkuchen mit allerlei Füllungen –, die osteuropäische Rote-Bete-Suppe Borschtsch und natürlich auch der legendäre jüdische Küchenklassiker Gefilte Fisch.

Knapp 40 Plätze hat das Restaurant, und über schlechte Auslastung können die Wirte nicht klagen. Amüsiert, aber auch etwas genervt beobachtet Dziuballa, wie verdruckst der anfängliche Umgang vieler Gäste mit jüdischer (Ess-)Kultur ist, wie bemüht sie sind, bloß nichts Falsches zu sagen oder zu tun. Darf man äußern, dass man Gefilte Fisch optisch und geschmacklich scheußlich findet? Darf man fragen, warum es neben der eleganten Bar ein Handwaschbecken gibt?

Man darf, und man soll! Denn die Dziu-ballas sind eher zufällig Gastronomen geworden. Ihre eigentliche Mission ist, deutsch-jüdisches Leben wieder zu einem Teil der Alltagskultur werden zu lassen. Speis und Trank, haben sie festgestellt, eignen sich dabei ganz vorzüglich als Transportmedium. Uwe Dziuballa hat in der DDR Elektrotechnik studiert und nach der Wende außer­dem bei der Deutschen Bank gelernt, Lars Ariel, der einige Jahre Jüngere, ist Maschinen- und Anlagenbauer. Für beide spielten jüdischer Glaube und Kultur in ihrer DDR-Jugend keine große Rolle.

Wie selbstverständlich Judentum praktiziert und akzeptiert werden kann, erlebte Uwe Dziuballa erst, als er 1993 für ein knappes Jahr als Broker nach New York und Miami ging. „Den ungezwungenen Umgang der verschiedenen Ethnien untereinander fand ich sehr erfrischend“, sagt er. Es war der prägendste Eindruck, den er aus den USA mit zurücknahm. Inzwischen war auch die vormals winzige jüdische Gemeinde in Chemnitz durch den Zuzug von Immigranten aus der zerfallenden Sowjetunion rasant gewachsen. 1998 gründete Uwe Dziuballa mit sechs Freunden den Verein Schalom e. V. – als Kulturvermittler und als Hilfsorga­ni­sation für die Neuankömmlinge aus dem Osten. Das Restaurant ist das wichtigste Forum des Vereins – für Konzerte, Vor­träge, Ausstellungen und Lesungen.

Es wäre wohl verlogen, Dziuballa nur nach jüdischer Kochkunst und nicht nach Antisemitismus in der Stadt zu fragen. Auch Chemnitz hat eine Neonazi-Szene, und in der Tat haben die Dziuballas seit Bestehen des Schalom mehr als 40 000 Euro ausgegeben, um Schäden zu beheben – zerstochene Autoreifen, kaputte Scheiben, Schmierereien. Nach dem Umzug vor vier Jahren in eine belebtere Wohngegend sei es aber besser geworden, sagt Dziuballa. Früher seien Hooligans auf dem Weg zum Bahnhof fast automatisch am Schalom vorbeigekommen.

Entmutigen lassen sich die Brüder von solchen Attacken nicht. Da trinkt Uwe Dziuballa lieber noch ein Glas „Freude“. Simcha – Freude – heißt das zertifizierte koschere Pils, das sie im nahen Hartmannsdorf brauen lassen. Es ist die einzige koschere Biermarke Deutschlands. Mit den importierten Lagerbieren aus Israel gab es öfter Lieferprobleme. Aber eine deutsche Gaststätte ohne Bier? Kaum auszudenken.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.