„Unser Hauptprodukt heißt Wissen.“

Die Deutsche Bahn AG betreibt eine der größten EDV-Anlagen der Welt, ist international die Nummer drei in der Seefracht, Nummer zwei in der Luftfracht. Zwischen Asien und Amerika ist sie Marktführer im Warentransport, in Europa managt sie eine Flotte mit mehr als 100.000 Fahrzeugen und ist obendrein der größte Fahrradverleiher auf dem Kontinent. Der globale Logistik- und Mobilitätskonzern muss den Vergleich mit Wettbewerbern nicht scheuen – und wird im eigenen Land doch immer an fünf Minuten Verspätung gemessen. Ein Gespräch mit Hartmut Mehdorn, Vorstandschef der Deutschen Bahn AG, über Logistik, Mobilität, Leistung und die Großmutter aus der Provinz.




McK: Herr Mehdorn, Sie sind seit mehr als sechs Jahren dabei, aus einem behäbigen Staatsbetrieb einen leistungsfähigen privaten Dienstleistungskonzern zu machen und müssen Ihre Strategie doch stets und ständig verteidigen. Ist das auf Dauer nicht ermüdend?

Hartmut Mehdorn: Das stört mich nicht weiter. Wir verlangen nicht, dass jeder auf der Straße versteht, was wir tun und warum wir das tun. Ich weiß auch gar nicht, was daran so interessant ist. Die Leute zerbrechen sich doch auch nicht den Kopf über die Strategie von Siemens, DaimlerChrysler oder Toshiba. Es muss uns nicht jeder begreifen.

Vielleicht helfen Sie uns dennoch dabei.

Eigentlich ist es ganz einfach. Wir sind ein Mobilitäts-Dienstleister. Wir bieten Mobilität für Menschen, Güter und Daten. In der Kombination aller drei erzeugen wir Mehrwert für unser Bahngeschäft. Und würden wir nicht alle drei Bereiche kontinuierlich ausbauen, würde es uns bald nicht mehr geben. Züge von A nach B fahren zu lassen reicht schon lange nicht mehr.

Sondern?

Wir verkaufen nicht mehr bloßen Transport, sondern den sorgenfreien Service drum herum – und das nicht nur auf die Schiene bezogen. Die Deutsche Bahn unterhält heute beispielsweise eines der weltweit größten Internetportale in Bezug auf Mobilität. Wenn Sie einen Güterzug von Prag nach Köln mieten wollen, der 400 Meter lang ist und 3000 Tonnen schwer, können Sie auf unserer Website den Preis ablesen. Sie können aber auch nachschauen, wann die schnellste Zugverbindung von Lissabon nach Baden-Baden geht. Wer will, kann sich den Fußweg von der Theodor-Heuss-Straße in Stuttgart bis zum dortigen Hauptbahnhof beschreiben lassen. Und er findet die Telefonnummer der nächsten Taxistation, die beste Straßenbahn- und Busverbindung und die Adressen von Autovermietungen und Hotels. Die Website der Deutschen Bahn gibt Auskunft über mehr als 22 Millionen Destinationen – allein in Deutschland.

Sie meinen, ein intelligentes Service-Portal rundet das Bahnfahren ab?

Nein, es geht um viel mehr: Das Portal ist Teil unserer Kernkompetenz. Es gibt heute keine Einzelkompetenz mehr, es gibt nur die Kompetenz einer Prozesskette. Unser Hauptprodukt heißt nicht mehr Beförderung auf der Schiene, sondern Mobilität – und meint all das Wissen, das damit zusammenhängt. Der Bahntransport selbst ist austauschbar geworden. Sie können die Bahn gegen Lkw tauschen, gegen Flugzeuge, gegen Schiffe. Alles drum herum macht den Unterschied. Dass wir in die Fabrikhalle gehen, eine Fracht abholen, sie transportieren, zwischenlagern, verpacken, die Zollpapiere ausfüllen, weitertransportieren, wieder lagern, zwischenmontieren und dann verteilen, und zwar überall auf der Welt, das ist nicht austauschbar. Würden wir all das nicht beherrschen, erginge es uns irgendwann wie der deutschen Maschinenbauindustrie.

Die war einst berühmt in der ganzen Welt.

Als ich ein junger Ingenieur war, hatte Deutschland eine fantastische Maschinenbauindustrie. Wir bauten die besten Pressen der Welt, tolle Messmaschinen, Drehmaschinen, Fräsmaschinen. Das waren Schmuckstücke. Aber schauen Sie sich um: Viele berühmte deutsche Maschinenbauer sind Pleite gegangen.
Warum? Weil es eben nicht reicht, die beste Drehmaschine der Welt zu bauen. Wer nicht gleichzeitig dafür sorgt, dass das richtige Werkstück in die Maschine gelangt und auf der anderen Seite wieder rauskommt; wer sich nicht darum kümmert, wo die Späne hingespült werden, die im Arbeitsprozess entstehen; wer sich keine Gedanken über den Materialeinkauf macht und die Werkzeuge, die er vielleicht braucht; und wer sich nicht auch dafür interessiert, dass das Bauteil am Ende sorgfältig verpackt wird, so dass es ohne Kanten und Dellen beim Kunden ankommt, der hat auf Dauer keine Chance. Fantastische Drehmaschinen können viele bauen. Der beste Drehmaschinenanbieter ist der, der den Prozess beherrscht.

Sie haben die gestiegenen Kundenwünsche und den daraus resultierenden Zwang zur Veränderung erst kürzlich für die Deutsche Bahn formuliert: „Keiner braucht eine Bahn, die ihm seine Fracht von Güterbahnhof zu Güterbahnhof transportiert.“

Genau, denn es geht um Vernetzung, auch um vernetztes Denken. Wir müssen uns von den alten Vorstellungen lösen. Auch die Privatperson will heute nicht mehr von Bahnhof zu Bahnhof reisen, sie will von zu Hause zum Ziel. Und das so bequem, so schnell und so günstig wie möglich. Den reinen Transport haben wir jahrzehntelang geboten. Das ging genau so lange gut, so lange Bahnfahren ein hoheitlicher Akt war. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass ein Kunde seine Karte nur kaufen konnte, wenn er am Schalter durch ein Loch sprach und sich dabei bücken musste.
Ohne Scherz: Dieses Loch war nicht zufällig so tief gesetzt, dass man eine gebückte Körperhaltung einnehmen musste. Wir reden hier von der königlich-kaiserlichen Eisenbahn. Ich habe kürzlich im Internet zwei alte Bahnbücher ersteigert. Darin stehen Geschichten, das glauben Sie gar nicht. Aber so war unsere Welt. Und so ist sie nicht mehr. Wir müssen heute liefern, was unsere Kunden wollen. Und genau das tun wir.

Aber die neuen Angebote werden offenbar nicht überall wahrgenommen. Es vergeht kaum eine Woche ohne Kritik und negative Schlagzeilen.

Im vergangenen Jahr sind rund 1,8 Milliarden Menschen mit unseren Zügen gefahren, 750 Millionen mit unseren Bussen. Und das bei jedem Wetter, trotz Baustellen und allem, was sonst noch so auf uns einwirkt. Da kann es nicht die hundert Prozent perfekte Bahn geben. Die Kunden geben uns dennoch deutlich bessere Noten als früher. Die jüngste Zufriedenheitsuntersuchung – und die führen wir nicht selbst durch – war eindeutig: Noch nie sind wir so gut beurteilt worden wie 2005.
Tatsache ist: Sowohl der Personenverkehr als auch der Güterverkehr auf der Schiene sind deutlich gewachsen. Nie zuvor sind in Deutschland so viele Menschen Bahn gefahren wie im vergangenen Jahr. Wir haben nie vorher in unserer Geschichte so viel auf der Schiene bewegt wie 2005. Das hat nur damit zu tun, dass wir den Prozess als Ganzes optimiert haben.

Aber auch das, gerade das, werfen Ihnen die Kritiker vor. Ihr strategisches Ziel, der integrierte Konzern, wird Ihnen als Wettbewerbsverhinderungsinstrument ausgelegt. Ohne die Trennung von Netz und Betrieb, heißt es, sei auch die private Bahn ein Quasi-Monopolist.

Die Schiene ist keine Straße. Man kann nicht einfach einen Zug nehmen, ihn aufs Gleis setzen und losfahren lassen. Infrastruktur und Zug müssen aufeinander abgestimmt sein. In jedem Detail: Weichenstellung, Signale, Schranken, Geschwindigkeiten. Ein Zug von Hamburg nach München erhält auf seinem Weg gut 1400 Befehle der unterschiedlichsten Art.
Wir koordinieren täglich 32.000 Personenzüge und 7000 Güterzüge, die mit verschiedenen Geschwindigkeiten fahren. Da gibt es welche mit 90, mit 120, mit 160, mit 200, 230, 250 oder sogar 300 Stundenkilometern – und alle fahren auf ein und demselben Schienennetz. Dazwischen gibt es dann auch noch Güterzüge, die aus Rotterdam kommen. Die sind mit Eisen beladen und 5000 Tonnen schwer, das heißt, sie haben einen enormen Bremsweg. Verschiebt sich an irgendeiner Stelle im Gesamtsystem ein winziges Detail, verschiebt sich das System. Eine derartige Komplexität lässt sich mit Blick auf Zuverlässigkeit und Sicherheit nur steuern, wenn das gesamte System in einer Hand ist.

Da gehen die Meinungen auseinander. Die Industrie ist gespalten, im Parlament wird heftig darum gestritten. Zudem gibt es einen Vorreiter: Großbritannien hat Betrieb und Schiene getrennt.

Genau, und mit welchem Ergebnis? Dort wird der Netzbetreiber, mittlerweile wieder der Staat, mit einer Prozesswelle überzogen, weil die schöne Idee in der Praxis eben nicht funktioniert. Wie auch? Der eine besitzt das Netz, der andere die Züge. Derjenige, der die Züge hat, verkauft die Fahrkarten und verspricht seinem Kunden: Ich fahre dich zwischen 10.35 Uhr und 11.35 Uhr zu deinem Zielort. Wenn der Netzbetreiber das Signal – aus welchem Grund auch immer – auf Rot stellt, schaut der Kunde in die Röhre. Er hält sich aber natürlich an den, der ihm die Fahrkarte verkauft hat – obwohl der auf den Netzbetrieb keinerlei Einfluss hat.

Sie unterstellen, dass Netz- und Zugbetreiber unterschiedliche Interessen verfolgen. Aber beide wollen zufriedene Kunden.

Ich unterstelle durchaus dasselbe Ziel, zufriedene Kunden, aber wir reden hier über unterschiedliche Geschäfte. Der Netzbetreiber muss die Interessen aller Verkehrsunternehmen berücksichtigen und hat dabei andere Probleme zu bewältigen als die Bahnbetreiber. Damit sind wir beim Thema Innovation. Hier zu Lande sind nach dem Krieg ungefähr 340.000 Kilometer Straße gebaut worden. Neuer, größer, breiter. Deutschland ist das Land der Automobile, jeder fünfte Arbeitsplatz hängt vom Auto ab. Wir haben im selben Zeitraum aber nicht einmal schlappe 800 Kilometer Schiene gebaut. Unsere 29.000 Eisenbahnbrücken haben ein Durchschnittsalter von 80 Jahren, die 800 Tunnel sind noch ein paar Jahre älter. Das alles bedeutet hohen Aufwand in Instandhaltung und Betrieb. Hier müssen wir dringend Ersatz schaffen. Das tun wir, Schritt für Schritt. Gleichzeitig investieren wir in moderne Technologien. Wir sind gerade dabei, einen digitalen Bahnfunk einzuführen. Die Signale an den Gleisen werden verschwinden, wir werden künftig alles per Funksignal steuern. Das ist der nächste Schritt. Irgendwann werden die Bahnen sogar automatisch fahren. Das sind Wirtschaftlichkeitssprünge, die nicht von heute auf morgen zu schaffen sind. Aber es wird sie nur in einem integrierten Betrieb geben. Denn um all das finanzieren zu können, müssen wir an anderen Stellen im Konzern Gewinne erwirtschaften. Wenn wir das System zerschlagen, ist es vorbei. Wir machen heute schon die Hälfte unseres Umsatzes im Nicht-Bahn-Geschäft.

Gleichzeitig machen Ihnen Mineralöl- und Ökosteuer, steigende Energiekosten und der Preisverfall, der durch die Öffnung Osteuropas eingesetzt hat, anderswo das Leben schwer. Das Gütergeschäft läuft nur mäßig.

Immerhin geht inzwischen schon mehr als jeder zweite unserer Güterzüge ins Ausland, wir haben durchaus zugelegt. Aber das Geschäft muss wachsen. Da hoffen wir vor allem auf 2007.

Dann wird Europa die Grenzen für den Güterverkehr öffnen ...

... und wir werden endlich die Verantwortung für unsere Transporte bis zum Ziel übernehmen können. Und damit Einfluss auf die Qualität haben. Im Moment ist für uns an der Grenze Schluss.

Sehr zum Ärger einiger Ihrer Kunden.

Klar, und das kann ich bestens verstehen. Wir haben beispielsweise gerade einen Riesenärger mit Frankreich. Wir fahren für Volkswagen nach Bilbao, das heißt, wir müssen durch Frankreich durch. Die Franzosen geben ihren eigenen Zügen aber den Vorrang. Unsere Transporte werden dann schon mal an den Rand gestellt. Und wir können nichts dagegen tun.

Den anderen Bahnen geht es im Ausland aber doch nicht anders.

In Frankreich gibt es faktisch keinen Wettbewerb, da gibt es erst zwei kleine Wettbewerber zur großen Staatsbahn, in Deutschland fahren mehr als 300 Bahnen – mehr als im restlichen Europa zusammen.

Die Europäische Gemeinschaft ...

... hat die Bahn schlicht vergessen. Das heutige Eisenbahnrecht ist ein sehr nationales Recht. Und das bekommen wir heftig zu spüren. Tatsächlich ist es so, als wenn ein Lkw an jeder Grenze, die er passiert, ein anderes Benzin bräuchte. Der Fahrer bräuchte einen anderen Führerschein, den er im Übrigen nur bekommt, wenn er die jeweilige Landessprache perfekt beherrscht. Daneben gilt in jedem Land auch eine komplett andere Straßenverkehrsordnung, alle Schilder sind anders, alle Funkfrequenzen – das heißt, der Fahrer muss bei jedem Grenzübergang sein Walkie-Talkie austauschen oder sein Handy. Natürlich ändern sich auch die Sicherheitsbestimmungen, also packt der Fahrer in jedem Land einen anderen Feuerlöscher ins Führerhaus. Und nicht zu vergessen: Er meldet den exakten Zeitpunkt, an dem er die Grenze passieren will, mindestens vierzehn Tage vorher an und holt sich seine Fahrerlaubnis ein. So geht Bahnfahren in Europa. Wie gut würden unter derartigen Bedingungen wohl die Transportgeschäfte auf der Straße laufen?

Wie gut kann die Deutsche Bahn im Europa-Geschäft unter derartigen Bedingungen überhaupt sein?

Wir versuchen die Qualität zu steigern, so gut es geht. In Italien haben wir zwei kleine Bahnen gekauft, in der Schweiz halten wir eine Beteiligung, damit können wir zunächst einmal bis Mailand durchfahren und laden dann um auf Lkw – Lieferteilung. Unsere Züge durch Frankreich statten wir neuerdings mit Sendern aus, so dass wir schneller eingreifen können, wenn sie mal wieder irgendwo abgestellt werden.

In welchen Bereichen könnte die Bahn besser sein, wenn man sie ließe?

Überall da, wo wir den Prozess verantworten, haben wir zufriedene Kunden. Da können wir auch kreativ sein. Nehmen wir Porsche. Wir fahren jede Nacht drei Züge von Stuttgart nach Emden, wo wir 700 bis 800 Autos auf Fährschiffe in die USA verladen. Wir fahren sie inzwischen rückwärts auf den Zug, damit sie vorwärts auf die Fähre gelangen, auf eine spezielle Fähre, von der sie vorwärts auch wieder entladen werden. Das spart eine Menge Zeit. Gleichzeitig haben wir Züge konstruiert, die wir über ein Vakuum-Verfahren luftdicht abschließen können. Damit sparen wir das mühsame und teure Einwachsen, das den Wagen bisher auf der Reise vor Schmutz und Feuchtigkeit geschützt hat.

Und der nächste Schritt der Diversifizierung heißt dann: Einstieg in die Schifffahrt?

Ich will das künftig nicht ausschließen. Momentan mieten wir den Fracht- und Containerraum. Die Deutsche Bahn AG ist inzwischen der drittgrößte Seetransporteur der Welt. In der Luftfracht sind wir Nummer zwei. Auch das Mietwagengeschäft läuft. DB Rent, die Firma, die wir vor einigen Jahren gegründet haben, managt heute mehr als 100.000 Fahrzeuge. Wir betreiben den nicht-militärischen Fuhrpark der Bundeswehr und den der Schweizer Post. Und wir sind profitabel.

Mit Stinnes/Schenker und Bax Global sorgt das Frachtgeschäft außerhalb des Schienenverkehrs inzwischen für rund ein Drittel des Gesamtumsatzes. Können Sie sich für die Deutsche Bahn AG auch eine Zukunft ohne Schiene vorstellen? Anders gefragt: Wo sind die Grenzen der Diversifizierung?

Die Bahn muss machen, was ihre Kunden verlangen. Und unsere Kunden sind global tätig. Wir können zu VW nicht sagen: „Wir haben dich lieb, aber wir bieten dir nur Transportservice in Deutschland. Wenn du ins Ausland willst, musst du dir jemand anderen suchen.“ VW sucht sich denjenigen, der die Welt bedienen kann.
Oder Dell. Der Konzern produziert in fast allen Ländern dieser Welt – liefert aber auch überall hin. Amerika – Asien, Amerika – Europa, Europa – Asien. Das ist unser Geschäft.

Für eine weltweite Wachstumsstrategie benötigen Sie Kapital. Noch ist die Deutsche Bahn AG aber nicht an der Börse. Wie gut sind Sie für das globale Geschäft heute schon aufgestellt?

Wir sind einer der wenigen Anbieter, der Kontinente verbinden kann, aber unsere Fähigkeiten sind nicht überall gleich ausgebildet. In Europa sind wir sehr stark im Landverkehr, in den USA bewegen wir uns vor allem in der Luft. In Asien ist unsere Stärke dagegen Lagerhaltung und Distribution. Wir unterhalten in Singapur beispielsweise riesige Lager, von wo aus wir für Konzerne wie Bosch oder VW die gesamte Ersatzteilversorgung für den asiatischen Raum organisieren.

Ihre Kundschaft besteht aber nicht nur aus Global Playern.

Nein, das nicht. Aber beim Schienengüterverkehr machen wir rund 80 Prozent unseres knapp drei Milliarden-Euro-Umsatzes mit etwa 200 Kunden, die zum großen Teil auch international operieren. Die verbleibenden 20 Prozent Umsatz machen wir mit einigen tausend Kunden. Wenn wir die Großen verlieren, ist unser Geschäft kaputt.

Wen betrachten Sie angesichts dieses Dienstleistungsspektrums eigentlich als Wettbewerber? An wem messen Sie sich?

Es gibt eigentlich niemanden, mit dem wir uns direkt vergleichen. Aber in Ausschnitten können wir uns durchaus an anderen orientieren. Im Personenverkehr messen wir uns mit Japan. Die Japaner haben keine Fracht auf der Schiene, das machen sie mit Schiffen. Inländischen Flugverkehr gibt es eigentlich auch nicht. Dafür aber eine unglaubliche Effizienz auf der Schiene. Da lohnt es sich für uns, genau hinzuschauen.
Was die Japaner im Personenverkehr sind, das sind die Amerikaner im Güterverkehr. Die haben natürlich auch tolle Bedingungen: Ihre kürzeste Strecke beträgt 1500 Meilen. Und weil sie keine Brücken haben, können sie die Container übereinander stapeln, es gibt keine Höhenbegrenzung für die Züge. In Deutschland haben wir dagegen viele Tunnel, Brücken, alles ist eng. Wir müssen allein gut 23.000 Bahnübergänge mit Schranken passieren und fahren die Berge rauf und runter. Das müssen trotz ihrer geografischen Bedingungen nicht mal die Franzosen: Der französische Zug fährt nicht durch Tunnel. Das ist eine Grundsatzentscheidung. Ins tiefste Tal fährt die Bahn in Frankreich eben nicht. So einfach ist das dort.

Die Deutsche Bahn fährt ins tiefste Tal, aber die Großmutter aus der Provinz ist trotzdem sauer, weil der Zug mit Verspätung ankommt.

Aber immer seltener. Außerdem ist der Wagen heute klimatisiert, bietet einen bequemen Einstieg, moderne Sitze und auch sonst alle möglichen Annehmlichkeiten. Was wir der Großmutter und allen anderen Kunden allerdings nicht mehr bieten, ist an allen 5700 Stationen den Stationsvorsteher. Diese Bahn gibt es nicht mehr, sie wäre auch viel zu teuer.

Und trotzdem klagen viele über zu hohe Bahn-Preise und nehmen für längere Strecken lieber den Billigflieger.

Transport und Mobilität sind oftmals zu billig. Da stimmt etwas grundsätzlich nicht – auf europäischer Ebene, aber auch speziell in Deutschland. Wir lassen Milch aus Schleswig-Holstein nach Bayern fahren, wo dann Jogurt daraus gemacht wird, der anschließend wieder nach Schleswig-Holstein fährt. Und die Jogurtbecher lassen wir aus Polen oder aus der Ukraine rankarren, um sie wiederum woanders zu bedrucken. Und dann kostet dieser Jogurt, der in Teilen tausende von Kilometern zurückgelegt hat, im Norden wie im Süden das gleiche Geld, ein paar Cent. Wir müssen uns doch nicht wundern, wenn jedes Jahr bei uns Fabriken geschlossen werden, weil wir unsere Produkte anderswo so billig ordern können. Mobilität kostet zu wenig.

Sie hat ihren Preis, aber anderswo ist die Arbeitskraft billiger.

Der Vater meiner Sekretärin wohnt in der Priegnitz und ist kürzlich 80 geworden. Um ihm einen besonderen Tag zu schenken, hat sie ihn mit fünf Freunden eingeladen. Sie hat die ganze Truppe ins Flugzeug gepackt und ist mit ihr nach Palma de Mallorca geflogen. Dort haben sie in der Sonne zu Mittag gegessen, die Kathedrale besichtigt und sind nachmittags wieder entspannt zurück. Fünf alte Herren waren happy – und für sie war es billiger, als wenn sie alle in ein ordentliches Berliner Restaurant zum Essen eingeladen hätte. Das ist doch nicht normal. Da stimmen doch einfach einige Rahmenbedingungen für Auto, Bahn und Flugzeug nicht.

Auch der Markt Ihrer globalen Kunden ist die Welt und sie nutzen die Transportmittel, die am günstigsten sind – nicht zuletzt zu Ihrem Vorteil.

Ja klar, im Prinzip ist das für uns natürlich prima. Je mehr transportiert wird, desto besser. Aber irgendwann werden wir uns alle ein paar grundsätzliche Fragen stellen müssen. Über die Umwelt, die Energievorräte. Irgendwann werden wir es uns als Gesellschaft nicht mehr leisten können, leere Lkw auf die Autobahn zu schicken. Die müssen dann eben so lange warten, bis sie eine Fracht haben. In Singapur hat Mobilität schon heute eine ganz andere Bedeutung als bei uns. Wer da allein im Auto in die Innenstadt will, wird auf einen Parkplatz gewunken. Dort stehen Menschen Schlange, die dann zusteigen dürfen. Die Pkw müssen ausgenutzt werden. Irgendwann werden sie dort nur noch Busse in die Stadt lassen ...

Das ist hier zu Lande noch Zukunftsmusik. Was ist mit Blick auf den geplanten Börsengang Ihr nächster Schritt? Wo werden Sie wachsen?

Wir werden in allen Geschäftsbereichen zulegen. Vor allem auch in denen, die man momentan gar nicht mit uns in Verbindung bringt. Die Leute denken bei der Bahn ja immer noch an die Schiene. Wir dürften in Europa aber beispielsweise eines der wenigen Unternehmen sein, das in der Lage ist, große Netzwerke zu betreiben. Wir halten das für eine Fähigkeit, mit der man Geld verdienen kann. Wir betreiben auch eine der größten EDV-Infrastrukturen der Welt. Zwei riesige Rechenzentren rechnen unseren Fahrplan, liefern alle Reiseinformationen, koordinieren den Verkauf der Fahrkarten, jeden Automaten. In ein, zwei Jahren werden wir dieses Know-how auch Dritten anbieten können.
Auch unser Wissen in Bezug auf Planung und Betrieb großer Bahnstrecken kann sich sehen lassen. Damit sind wir zurzeit in China und Saudi-Arabien unterwegs. Mit dem deutschen Innenminister stehen wir über die Einrichtung eines Sicherheitsfunks für Behörden in Verhandlungen und machen uns berechtigte Hoffnung, dass wir da ins Geschäft kommen können.

Gibt es eigentlich irgendetwas, das die Bahn sich nicht als Geschäftsfeld vorstellen kann?

Letztlich dreht es sich bei uns immer um Logistik und Mobilität. Und in diesen Bereichen tun wir für unsere Kunden eigentlich alles.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.