Die Strippenzieher

Der weit verzweigte Würth-Konzern, Weltmarktführer für Montagetechnik, lässt einen großen Teil seiner globalen Logistik von einer kleinen Firma in der Schweiz organisieren. Genauer gesagt: von gerade einmal 24 seiner rund 51.000 Mitarbeiter.




Das Lebenswerk der Unternehmerfamilie Würth ist ein weltumspannender Konzern: Rund um den Globus arbeiten gut 51.000 Beschäftigte für die Würth-Gruppe. Sie liefern an rund 2.800.000 Handwerker und Werkstätten in 81 Ländern ein Sortiment von gut 100.000 Produkten aus dem Bereich Montage- und Befestigungstechnik – Stichwort: Schrauben. Voraussichtlicher Umsatz 2005: 6,9 Milliarden Euro. Weltmarktführer. Bei Zahlen wie diesen kann Manuel Knöpfli nicht mithalten. Wenn der Chef der Würth Logistics AG aus dem beschaulichen Schweizer Örtchen Chur seine Powerpoint-Folien präsentiert, geht es um andere Dimensionen. Ein Säulendiagramm zeigt, dass der Jahresumsatz seit Gründung des Unternehmens 2002 von rund zehn Millionen Euro auf knapp 30 Millionen gestiegen ist. Ein anderes Chart, die Zahl der Mitarbeiter: 24 statt früher nur sieben. Knöpfli führt damit eine der kleinsten der mehr als 350 Tochtergesellschaften des deutschen Familienkonzerns.

Umso erstaunlicher ist der Beitrag, den der 37-Jährige mit seinem Team in der Alpen-Dependance leistet. Die kleine Truppe bei WüLo, so der firmeninterne Jargon, leitet seit vier Jahren den größten Teil aller Transporte der Würth-Gruppe und spart der Konzernmutter seither Millionenbeträge. Rund 60 Prozent der weltweiten Beschaffung des Konzerns, schätzt Knöpfli, werden von der Logistiktochter bereits organisiert – Tendenz steigend. Darüber hinaus hat die WüLo-Truppe schon 50 konzernfremde Auftraggeber akquiriert, die ihr Frachtgeschäft von den Schweizern betreuen lassen.

„Alles in allem haben wir im vergangenen Jahr rund 300.000 Transporte koordiniert“, sagt Manuel Knöpfli. Ganz korrekt sagt er „koordinieren“, „steuern“, „organisieren“ und nicht „transportieren“. Denn für die schweren Paletten- und Containerfrachten in alle Welt leistet sich Würth Logistics keinen einzigen Lkw, kein Frachtflugzeug und kein Containerschiff. Würth Logistics kommt dem Ideal-Modell eines so genannten 4PL (siehe Kasten) ziemlich nahe, dessen Leistung in reiner, computerbasierter Koordination besteht. Damit ist WüLo die kleine, doch entscheidende Instanz, die an den Fäden des Logistiknetzes zieht, das sich rund um die Erde spannt. Wenn Würth-Gesellschaften im In- oder Ausland heute Materialnachschub von den Herstellern benötigen, kontaktieren sie nicht mehr wie früher direkt die großen Speditionen, sondern wenden sich immer öfter an die Würth Logistics. Die Schweizer sammeln die Transportwünsche, prüfen, sortieren, ordnen und bündeln sie zu effizienten und günstigen Frachten. Dann picken sie aus dem Heer der Spediteure die zuverlässigsten und günstigsten heraus, beauftragen sie und setzen damit die Flotten in Marsch. Nach demselben Prinzip organisiert WüLo auch die Transporte für externe Kunden.

Die Bündelung reduziert die Transportkosten, und zu bündeln gibt es bei Würth viel: Schrauben, Muttern, Nägel, Scheibenwischer, Spachtelmasse, Silikonspray, Heißklebepistolen – Würth liefert auf Bestellung alles nur Erdenkliche fürs Kfz-, Holz-, Bau- und Metall-Handwerk. Und Würth kauft überall ein. Egal, ob Bohrmaschinen, Kreissägen oder Schmiermittel, das Sortiment aus insgesamt rund 100.000 Waren ordert das Unternehmen bei hunderten von Lieferanten weltweit. Sie werden geprüft, mit dem Firmenlogo versehen und verkauft. Nur hinter fünf Prozent des Würth-Umsatzes stehen selbst produzierte Waren.

In der Ruhe liegt die Kraft

Das riesige Handelsvolumen bestimmt das Kerngeschäft von Würth Logistics: Die Schweizer Konzerntochter steuert in erster Linie die Beschaffungslogistik, also die Transporte zwischen den vielen Lieferanten und den Gesellschaften des weit verzweigten Konzerns. Die Auslieferung von kleinen Paketen oder Paletten an die Endkunden, die Handwerker, erledigen die Gesellschaften in der Regel in Eigenregie.

Um die gewaltigen Transportaktivitäten zu koordinieren, bedarf es der Übersicht, folglich beschreibt Knöpfli seine Firma als „Tower auf einem Flughafen“. Allerdings steht dieser Tower weit weg vom Geschehen. Chur, mitten in den Alpen gelegen, ist nicht gerade ein Verkehrsknotenpunkt. Eher ein Ausgangspunkt – für Bergwanderungen. Die Lage des 35.000-Einwohner-Städtchens zwischen den Bergen Calanda, Pizokel und Mittenberg ist verkehrstechnisch alles andere als aussichtsreich.

Das Gelände der WüLo ist deshalb auch kein Warenumschlagsplatz, auf dem Gabelstapler wuseln und Transportarbeiter zupacken. Es gibt lediglich eine Tiefgarage mit Parkplätzen für Büroangestellte. Statt der Betriebsamkeit, die von einer Spedition ausgeht, herrscht hier die ruhige Atmosphäre eines Kunstmuseums: Im Erdgeschoss, dank des offenen Innenhofs von allen Etagen aus einsehbar, hat die konzerneigene Kunstsammlung Hundertwasser-Grafiken ausgestellt.

Knöpflis Truppe ist hier nur eine Würth-Firma von vielen. Die 24 Beschäftigten sitzen in einem Großraumbüro, in dem auch Vertreter anderer Würth-Töchter arbeiten, etwa für Firmen-IT, Werbemittel oder Finanzdienstleistungen. Die Übergänge zwischen den Bereichen sind fließend, organisatorische Grenzen nur am Postkasten ersichtlich. Der Leiter selbst sitzt unauffällig inmitten seiner Angestellten. „Troubleshooter“ nennt Knöpfli sein Abwicklungsteam, denn sie kümmern sich um die Ausnahmen von der Regel, und die Regel lautet: Die Arbeit erledigt der Computer. Per Telefon kommen Transportaufträge nur selten herein, üblicherweise werden sie von den Kunden online eingegeben. Dank des Internets könnte WüLo überall auf der Welt beheimatet sein.

„Wir beobachten das Programm nicht mal“, sagt Katja Kümmin, die Assistentin von Manuel Knöpfli. Die Software verlangt nur ein einziges Mal am Tag menschliche Aufmerksamkeit: Die einfließenden Transportwünsche werden, nachdem sie unter Berücksichtigung aller Artikel-, Kunden-, Termin- und Preisdaten automatisch arrangiert wurden, von den für die jeweiligen Regionen zuständigen Mitarbeitern nur kurz überflogen und alle gemeinsam per Knopfdruck freigegeben. „Wir müssen dann nur noch aufs Knöpfli drücken“, sagt Knöpfli tatsächlich, und auf dem Knopf steht „Transportaufträge anlegen“. Die Aufträge gehen dann online zu den Speditionen, „zack, fertig“, sagt Katja Kümmin.

Was simpel klingt, ist das Ergebnis einer langen, komplexen Reihe von Berechnungsschritten mit etlichen Variablen: Welche Waren sollen von woher wie und wann wohin gebracht werden? Welche Transportmittel sind dafür am besten geeignet? Was wird der Transport kosten? Wo lässt sich sparen? Die Kompetenz von WüLo besteht darin, Antworten auf all diese Fragen in ein reibungslos funktionierendes standardisiertes System münden zu lassen. Erst diese Leistung macht es möglich, dass Firmen aus aller Welt zu jeder Zeit völlig unspektakulär bei Würth bestellen können. Ordert beispielsweise ein Unternehmen aus Norwegen per SAP-Zugriff oder über eine Internetmaske 10.000 Schrauben aus dem Würth-Katalog, tippt der Kunde über das Bestellsystem der Würth International einfach seine Kundennummer ein, dazu den Artikel und die Menge. Dieses System, quasi das digitale Spiegelbild des Würth-Katalogs inklusive laufend aktualisierter Preis- und Artikellisten, ist mit der WüLo-Datenbank verbunden und berücksichtigt automatisch die Transportkonditionen wie etwa Lieferzeiten und -kosten. „Das Bestellsystem und das Transportsystem sind voll integriert“, sagt Knöpfli. Diese Verknüpfung bedeutet: Das WüLo-System registriert bei der Koordinierung der Transporte jede einzelne Bestellung und hält dabei den Warenbestand auf dem jeweils notwendigen Level.

Nachdem die Transportdaten der Bestellung bei Manuel Knöpfli gelandet sind, läuft der Rest – von Sonderwünschen abgesehen – von allein. Wann geliefert wird? „Norwegen immer dienstags und donnerstags“, sagt Kümmin, es sei denn, der Kunde will außer der Reihe eine Expresslieferung. In welcher Woche? Errechnet sich aus der Transportdauer plus der Bereitstellungszeit des Lieferanten. Die Software bestimmt, wann die Lieferung beim Produzenten an der Rampe abholbereit liegt.

Welche Spedition den Auftrag bekommt, hängt von der Route ab – 4500 solcher Verbindungen zwischen Sendern und Empfängern, für die WüLo arbeitet, sind im Computersystem gespeichert, jeder Route ist jeweils ein Spediteur oder Reeder zugeordnet. „Anders als große Logistiker müssen wir uns nicht an eigene Strecken, Slots oder Flotten halten, sondern können uns den jeweils günstigsten Anbieter aussuchen“, sagt Knöpfli. Ist der gefunden, bekommt er alle Aufträge für die jeweilige Route. Nachdem WüLo den Auftrag mit sämtlichen Termin- und Preisangaben an den Spediteur vergeben hat, liefert der aus, der Kunde erhält die Rechnung, der Spediteur eine Gutschrift. Die Gutschriften prüft WüLo anfangs genau, etwa bei Preisänderungen, nach einer gewissen Zeit aber nur noch stichprobenartig – wiederum geschieht alles automatisch. All das ist keine Selbstverständlichkeit, wie Katja Kümmin aus eigener Erfahrung weiß. „Ich habe recht gestaunt, als ich bei Würth angefangen habe“, sagt die 28-Jährige. Bis 2003 arbeitete sie bei der Rhätischen Bahn, einem regionalen Schweizer Eisenbahnunternehmen, wo das Prozedere weniger komplex war, aber wesentlich umständlicher ablief. „Dort haben wir jeden Transportauftrag einzeln manuell eingegeben, diese Erfassung war meine Haupttätigkeit – hier ist das alles schon drin“, sagt Kümmin und zeigt auf den Computer.

Mit den Daten kann sie arbeiten. Statistiken zur Liefertreue der Speditionen beispielsweise, die so genannte Just-in-time-Quote, gibt’s auf Knopfdruck. Über die Statusrückmeldungen aus der Sendungsverfolgung der Spediteure erfährt Würth Logistics vollautomatisch, ob der Auftragnehmer pünktlich und korrekt geliefert hat. Bei wiederholtem Versagen tauscht WüLo den Partner aus. Die Rohertragsanalyse jedes Transports – ein Klick. Der Transportkostenanteil – eine Taste genügt.

Die Bündelung der Transporte spart Kosten und Leerfahrten

Früher war an solche Transparenz in der Konzernlogistik nicht zu denken. Jede Würth-Tochter im In- und Ausland sorgte selbstständig für den Transport. „Das war alles nicht koordiniert“, sagt Knöpfli. So kam es häufig vor, dass an ein und demselben Tag verschiedene Spediteure im Auftrag unterschiedlicher Würth-Töchter bei einem Produzenten vorfuhren, und alle holten die gleichen Schrauben ab. „Und jeder nur eine Palette“, sagt Knöpfli ärgerlich. Unnütze Fahrten, nicht ausgelastete Lkw – ein Albtraum für jeden Logistiker. „Frachtgeschäft ist nun mal ein Mengengeschäft“, sagt der WüLo-Chef. „Es geht um Synergien.“

Heute sammelt die Würth Logistics viele Bestellungen und schickt regelmäßig an bestimmten Wochentagen Lkw zum Lieferanten. Einer holt dann die Schrauben für alle. Der Laster schafft die Paletten in eines der zehn Zwischenlager, einen Kumulationspunkt, wohin auch Lkw von anderen Würth-Lieferanten der Region Ware bringen. Dann wird umgeladen, und ab gehen die Lkw an die Besteller. Nicht mehr halb leer mit einem Artikel, sondern voll gepackt mit dem jeweils georderten Sortimentsquerschnitt. Auch die Anlieferung beim Besteller ist heute auf bestimmte Wochentage festgelegt – darauf können sich alle einrichten. „Diese Planbarkeit hilft unseren Kunden, den Lagerumschlag zu verbessern“, sagt Knöpfli.

Die Bündelung der Transporte soll in erster Linie Kosten einsparen. Zum Beispiel beim Einkauf in Fernost: Es lohnt sich, die vielen tausend Containerladungen, die Würth-Unternehmen pro Jahr in China und Südostasien einkaufen, zumindest in Teilen erst mal am Hafen zu sammeln, bevor sie auf ein Schiff kommen – sofern dabei der Zeitrahmen für die Lieferung eingehalten wird. Mit der Menge verbessern sich die Frachtraten. „Wenn ich zum Reeder oder Spediteur gehe und sage, ich habe 3000 Container, macht er mir einen besseren Preis pro Container, als wenn ich nur mit 300 komme“, sagt Knöpfli. Natürlich hat der Massentransport nur Sinn, wenn die erzielte Einsparung nicht aufgezehrt wird durch die Lagerkosten, die beim Sammeln der Ware am Pier entstehen – ab wann sich das gebündelte Verschiffen lohnt, entscheidet WüLo.

Dank der Koordination durch Würth Logistics spart die Würth-Gruppe jährlich viel Geld – wie viel genau, wird nicht verraten. Die Würth-Tochter Mepla-Alfit, ein österreichischer Beschläge-Spezialist, beziffert ihre Ersparnis bei den Logistikkosten immerhin auf rund 20 Prozent. Zudem partizipiert der Konzern am Gewinn, den WüLo selbst erzielt.

Keine Sonderbehandlung innerhalb des Konzerns

In gewisser Weise verdankt das Unternehmen die Ertragssteigerungen durch die verbesserte Logistik Manuel Knöpfli persönlich, denn es verläuft eine direkte Linie von Knöpflis Diplomarbeit bis zur Gründung von Würth Logistics. Der Speditionskaufmann fing 1995 bei Würth im Zentraleinkauf an und studierte gleichzeitig Betriebswirtschaft. In seiner Abschlussarbeit mit dem Thema „Lösungsansatz und Nutzenanalyse im Rahmen der Transportlogistik“ befasste er sich exakt mit seinem heutigen Betätigungsfeld. Knöpflis Analyse ergab, dass sich der zentrale Einkauf der Transportaktivitäten für Würth schnell rechnen würde: „Laut den berechneten Kennzahlen erweist sich die Investition als außerordentlich lohnend. Sie hat sich schon nach 0,45 Jahren durch den Cash Flow amortisiert.“

Knöpfli konnte sein Konzept umsetzen und begann als Abteilungsleiter für Traffic Management der Würth International AG in Chur, wo er die Software entwickelte und testete. 2002 wurde die Abteilung in die heutige Würth Logistics AG ausgelagert. Den ersten Kunden, Würth International, gewann Knöpfli aufgrund einer strategischen Entscheidung von Reinhold Würth, dem Gründer des Konzerns. Der bestimmte aber auch, dass Würth Logistics um alle weiteren Transporte zu kämpfen habe. Würth-Tochter hin oder her, jeder Konzernbereich im In- und Ausland darf frei entscheiden, ob er mit dem hauseigenen Logistiker oder mit einem externen Dienstleister arbeitet. Die Konsequenz: „Wir müssen eben einen besseren Service und bessere Preise als die Konkurrenten anbieten“, sagt Knöpfli.

Allerdings hatte er sich, als er seine Diplomarbeit schrieb, das Prozedere einfacher vorgestellt. „Ich hätte nie gedacht, dass es so schwierig sein kann, in das langjährige Beziehungsnetzwerk zwischen den Würth-Gesellschaften und den Speditionen einzugreifen“, sagt der 37-Jährige. Für die Töchter bedeutete die Delegation des Frachtwesens eine massive Umstellung. „Früher haben die Gesellschaften selbst eine Menge Speditionen angefragt, Preise verglichen und Frachtrechnungen kontrolliert“, sagt Knöpfli. „Heute läuft das alles bei uns – über den Computer.“ Die meisten Würth-Firmen, darunter immerhin die größten Auslandsgesellschaften in Frankreich, Portugal, Spanien und Italien, hat Knöpfli inzwischen überzeugt: Sie sind Kunden von Würth Logistics. Dass Preis und Service stimmen, will WüLo auch durch das Werben externer Kunden unter Beweis stellen. Ihr Anteil am Gesamtumsatz des Unternehmens liegt zwar erst bei rund 13 Prozent, soll aber schnell wachsen. Für 2006 erwartet Knöpfli eine Zunahme des Fremdgeschäftes um mindestens 50 Prozent. Der Chef räumt ein, dass er bei Firmen, bei denen Würth als großer Kunde auftritt, auch als Logistikanbieter „schneller willkommen“ sei. Doch der größte externe Kunde habe keinerlei Bindung zum Mutterkonzern. „Der ist nur interessiert an unserem Gut Logistik“, sagt Knöpfli stolz.

Und das will er in den kommenden Jahren im großen Stil verkaufen. WüLo soll mit jährlich mindestens zweistelligen Raten wachsen. 2015 will Manuel Knöpfli 50 Mitarbeiter beschäftigen und 100 Millionen Euro Umsatz erzielen. Die Grafik dazu hat er schon vorbereitet. Weil sich auch der Konzern ehrgeizige Ziele gesetzt hat – in zehn Jahren soll der Umsatz um fast 250 Prozent auf 17 Milliarden Euro zulegen –, sieht Knöpfli einiges auf sich zukommen. Und freut sich: „Das bedeutet Arbeit, oder?“ Er spricht von „hingehen, verkaufen, überzeugen“, nicht von disponieren, kommissionieren, speditieren. Aber das erledigt ja eh der Computer.

Transport von A nach B ist Pflicht – 4PL ist die Kür

Würth Logistics entspricht aufgrund seines Business-Modells am ehesten einem so genannten 4PL, einem Fourth-Party-Logistics-Provider. Das ist eine recht neue Unternehmensform in der Logistikbranche.
1PL ist der Werksverkehr: Die Industriebetriebe erledigen ihre Transporte selbst. 2PL ist die erste Stufe des Outsourcings. Hier nehmen externe Dienstleister den Betrieben den klassischen Transport, den Umschlag und die Lagerung ab, während in der nächsten Stufe die 3PL außerdem zusätzliche Aufgaben wie die IT-gestützte Sendungsverfolgung oder das Verpacken anbieten.
Ein 4PL schwebt quasi über den Dingen und lässt andere machen – er steuert nur noch das Treiben entlang der Logistikkette. „Der 4PL ist der Systemkopf des Dienstleisternetzwerks“, erklärt Professor Frank Straube, Leiter des Bereichs Logistik an der Technischen Universität Berlin. „Die Kompetenz eines 4PL besteht in der Bündelung von Diensten Dritter, ähnlich dem Konzept eines Generalunternehmers.“ Dieses Konzept entspringe den Bestrebungen der Logistiktheorie, durch integrative Betrachtung netzwerkübergreifender Informations- und Güterflüsse kürzere Lieferzeiten sowie niedrigere Transport-, Bestands- und Transaktionskosten zu erreichen. 4PL ist also, wenn man so will, die Kür. „Externen Logistikdienstleistern fehlt oft das tiefe Verständnis der internen Abläufe ihrer Kunden“, weiß Markus Zils, Logistikexperte bei McKinsey. „Also verlassen sich manche Unternehmen lieber auf unternehmenseigene Koordinatoren, die mit den Prozessen genauestens vertraut sind.“ Dadurch lasse sich das Service-Level und die Qualität der Logistik steigern, wodurch das Unternehmen indirekte Kosten senken könne.
Als unabhängige Dienstleistung ist das 4PL-Modell in der Realität nur selten zu finden. Erstens stellt der netzwerkübergreifende Ansatz extrem komplexe Anforderungen. Zweitens ist die logistische Steuerung eine Kernkompetenz gegenüber dem Kunden – der Sinn des Outsourcings daher fraglich. Oft scheitern 4PL-Projekte auch schlicht am mangelnden Kooperationswillen der beteiligten Partner oder an unlösbaren Haftungsfragen. Wer vertraut seine gesamte Logistik einer praktisch kapitallosen IT-Truppe an, die bei Produktionsausfall mangels Substanz keinen Schadenersatz leisten kann? „Aus diesen Gründen hat sich das Konzept des 4PL als neutraler, assetfreier Steuerer der Supply Chain in der Praxis nicht durchsetzen können“, sagt Professor Straube. Vielen der 4PL-Neulinge, die in den neunziger Jahren gegründet wurden, habe das Vertrauen der Kunden gefehlt. Aber: „Es gibt eine Reihe interner Dienstleisterlösungen, die Ähnlichkeit mit dem Konstrukt des 4PL aufweisen.“ Neben der Würth-Gruppe setzen beispielsweise auch Metro, Siemens und demnächst Volkswagen auf solche internen 4PL-Lösungen. Die Vorteile: Das bessere Verständnis der unternehmensinternen Prozesse senkt die Komplexität. Zudem ist es intern viel einfacher, die Datenweitergabe als Voraussetzung für die Steuerung logistischer Prozesse sowohl organisatorisch als auch technisch zu arrangieren.
„Eine zentrale Logistik hat aber nur Sinn, wenn tatsächlich logistische Synergiepotenziale zwischen einzelnen Geschäftseinheiten vorhanden sind und die kritische Masse im Unternehmen eine eigene Gesellschaft oder Funktion rechtfertigt“, sagt Straube. „Nach erfolgreichem Geschäftsstart öffnen sich viele interne Dienstleister dann auch externen Kunden.“ Das bestätigt McKinsey-Berater Markus Zils: „Bei Inhouse- Logistiklösungen sind externe Kunden nicht unbedingt nötig. Das höhere Volumen trägt aber dazu bei, weitere Skaleneffekte zu realisieren. Zudem sind externe Kunden nicht zuletzt ein Zeichen für die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Logistik-Angebots.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.