Die Putzfrauen des Meeres

Bakterien – das klingt nach Krankheit und unordentlichen Verhältnissen. Dabei können
die kleinen Lebewesen durchaus nützliche Freunde sein. Freunde, die die von Menschen angerichtete Unordnung wieder in Ordnung bringen.




Schwarz, stinkend und schleimig tropft das Erdöl in das klare Meerwasser aus der Bucht von Helgoland. Eine kleine Ölkatastrophe – wie sie Christoph Gertler in den vergangenen Monaten dutzende Male verursacht hat. Ein schlechtes Gewissen hat der Doktorand bei der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung (GBF) in Braunschweig deswegen nicht – er sprüht vielmehr vor Zuversicht. Denn seine Versuche in den Labors des Helgoländer Außenpostens des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) könnten dazu führen, die Folgen einer Ölpest besser in den Griff zu bekommen. Gertler setzt dabei auf ein Bakterium, das GBF-Forscher im Sand der Nordseeinsel Borkum gefunden haben: Alcanivorax borkumensis.

„Wenn irgendwo auf den Weltmeeren Erdöl ins Wasser gelangt, dann ist Alcanivorax bereits da und vermehrt sich so stark, dass die Mikrobe bald rund 90 Prozent der Bakterien im Meerwasser ausmacht“, zitiert Gertler die Ergebnisse japanischer Kollegen. Dass Erdöl von im Meerwasser vorkommenden Bakterien abgebaut werden kann, wissen Forscher schon lange. Mit Alcanivorax haben sie jetzt die offenbar fleißigste Putzfrau identifiziert.

Seit den siebziger Jahren versuchen Forscher den Appetit von Bakterien für die Umwelt zu nutzen. 1980 erhielt Ananda Chakrabarty, ein in den USA lebender indischer Biotechnologe, das Patent auf ein Superbakterium. Er hatte Bakterien namens Pseudomonas putida gentechnisch so verändert, dass sie einige Ölbestandteile abbauen konnten. Allerdings nur im Labor, denn zum Einsatz kam das Superbakterium nie. Auch weil der Landbewohner sich im Nassen nicht sonderlich wohl fühlt, geschweige denn Öl frisst. Mit dem Flugzeug über den Ölteppich fliegen und ein paar Bakterien abwerfen?“ Solch eine Öl-fix-weg-Methode gibt es nicht“, sagt Gunnar Gerdts, Gertlers Betreuer und Leiter der Projektgruppe auf Helgoland.

Fehler machen klug. Gerdts ist davon überzeugt, dass die graue Biotechnologie, wie die Umweltbiotechnologie auch genannt wird, nun den Kinderschuhen entwächst. „Man hatte doch bisher keine Ahnung, was im System Meer überhaupt mit den Bakterien passiert.“ Das ändert sich gerade dank der Gentechnik. Während man früher ein Bakterium nur untersuchen und identifzieren konnte, wenn man es in der Petrischale züchtete, dient heute seine DNS als unverwechselbares Erkennungszeichen. Mit diesem Träger der Erbinformation lässt sich genau verfolgen, welche Bakterien wann und unter welchen Umweltbedingungen am Ölabbau beteiligt sind. Das hat zu einer neuen Denkweise in der Wissenschaft geführt. Während Chakrabartys Generation noch meinte, Mikroben per Gentechnik verbessern zu müssen, nutzen die Umweltbiotechnologen von heute die Gentechnik eher zur Beobachtung der Natur – denn sie hat die Lösung für die meisten Probleme längst hervorgebracht. Zum Beispiel den Ölschlucker Alcanivorax borkumensis.

Die Natur richtet es selbst. Mit ein bisschen Nachhilfe

Die Mikrobe ernährt sich normalerweise wahrscheinlich von Kohlenwasserstoffen, die Algen in großen Mengen produzieren, sagt Gerdts. Glücklicherweise ist der Winzling aus Borkum nicht wählerisch und mag auch Erdöl. Ist der Ölteppich verputzt, verschwinden auch die Bakterien wieder. Eine Garantie, die Chakrabarty für seine gentechnisch veränderten Mikroben wohl nicht hätte geben können.

Beim Ölabbau ist Alcanivorax so effizient wie kein anderes Bakterium: „Der Trick beim Ölabbau ist, den Ölfilm zu zerstückeln, um die Oberfläche zu vergrößern“, sagt Gertler. Das schafft das Bakterium mit Hilfe einer Art Spülmittel, so genannten Biotensiden. Sie zerlegen Öl in kleine Tropfen und machen die Zellmembran der Bakterien wasserabstoßend – genau wie die Oberfläche des Öls. So kommt zusammen, was zusammenpasst. Der Mensch muss nur noch ein bisschen nachhelfen.

Draußen schaukeln die Fähren auf der Helgoländer Reede und entlassen die durchgeschüttelten Touristen auf die Insel. Im Keller des AWI-Labors schüttelt eine so laute wie alte Apparatur drei Dutzend Glasflaschen mit den von Gertler simulierten Ölkatastrophen. Hundert Umdrehungen pro Minute. Mal mit Alcanivorax, mal ohne. Und mal mit Stickstoffdünger, mal ohne. Denn einer der Hauptgründe, warum der natürliche Ölabbau im Meer sehr lange dauert, ist die schlechte Versorgung mit Stickstoff, Phosphat oder Eisen. Das Meer ist eine Wüste, was die Versorgung mit solchen Nährstoffen betrifft. Sie begrenzen das Wachstum der Meeresfauna. So werden zum Beispiel bestimmte Algenblüten vor den Küsten Floridas nur deshalb ausgelöst, weil Stürme eisenhaltigen Saharasand dorthin wehen.

Schon jetzt haben Gertlers Versuche gezeigt, dass die Düngung mit Stickstoff und Phosphat den Ölabbau entscheidend verbessert. Stolz zeigt er auf eine Flasche bräunlich-schwarz gefärbten Meerwassers. „Das ist der Ansatz mit Stickstoffdünger. Ist das nicht sensationell?“ Er registriert den skeptischen Blick, denn daneben steht die ungedüngte Probe, die, abgesehen von einem Ölklumpen an der Oberfläche, wesentlich sauberer aussieht. Bräunlich-schwarze Soße ist gut, klares Wasser schlecht? Gertler: „Klingt paradox, aber was hier schmutzig erscheint, ist genau das, was wir erreichen wollen: Der Ölklumpen soll in viele winzige Öltröpfchen aufgelöst werden.“ So vergrößert sich die Oberfläche des Öls, die die Vermehrung der Bakterien und die Verdauung des Öls erst ermöglicht. Nur so kann der schwarze Stoff von den Bakterien in Energie für ihr eigenes Überleben umgewandelt werden. Die Reste, die Alcanivorax verschmäht, werden im Ozean verteilt und von anderen Bakterien verspeist.

Ein prima Hilfsmittel: gehäckselte Schuhe

Besonders gut hat diese Verdünnung des Öls in einem Glas funktioniert, in dem ein Granulat schwimmt. „Das ist das beste Ölbindemittel, das ich bisher gesehen habe“, freut sich Gertler. Es handelt sich um klein gehäckselte Schuhe. Die junge Salzgitter Firma BSR GmbH (Bio Schuh Recycling) liefert den Stoff bereits an die Bundeswehr, die damit in ihren Werkstätten und Maschinenparks ausgelaufenes Öl bindet. „Das Problem mit den bisherigen Ölbindemitteln, wie sie zum Beispiel die Feuerwehr bei jedem Autounfall verwendet, ist ihre Giftigkeit“, sagt Gertler, während er wieder Öl in ein Glas voller Wasser tropft. Dann schüttet er das Schuh-Granulat dazu und schüttelt das Glas ein wenig. Sofort bildet sich in der Mitte ein unförmiger Klumpen, das Wasser bleibt klar. Das Bindemittel sorgt dafür, dass die Bakterien besser an das Öl herankommen – viel besser als an den unangreifbaren Ölfilm. „Je größer die Oberfläche des Öls, umso größer ist der Biofilm aus Alcanivorax-Bakterien, der das Öl abbaut“, so Gertler. Dank Bindemittel und Stickstoff löse sich der Ölklumpen schon nach einer Woche auf. Christoph Gertler versucht seine Begeisterung zu zügeln, denn er weiß, dass sich dieses Experiment im Meer so nicht zwangsläufig wiederholen lässt. Aber er hofft es.

Je wärmer das Wasser, desto schöner für Bakterien

Bei der Havarie des Tankers „Exxon-Valdez“ 1989 im Prinz-William-Sund Alaskas hatten Forscher versucht, die natürliche Bakterienpopulation allein durch Zugabe von Nährstoffen zum Ölabbau zu bewegen. Ohne nennenswerten Erfolg. „Die Mineral- und Nährstoffe müssen dort sein, wo die Bakterien sind: auf der Oberfläche des Öltropfens“, sagt Peter Golyshin, der die Helgoländer Versuche von der GBF und der Technischen Universität Braunschweig aus leitet. „Es hat keinen Sinn, die Nährstoffe einfach nur ins Wasser zu werfen, weil sie sofort verdünnt werden.“ Außerdem komme es auf Umweltbedingungen während einer Ölpest an: Strömung, Temperatur, Wellengang. So sei Ölverseuchung bei höheren Temperaturen kein dauerhaftes Problem, weil sich die Bakterien dort schneller vermehren. Sonst wäre der Persische Golf längst umgekippt.

Die Effektivität des Borkumer Ölfressers hängt zudem möglicherweise vom Zusammenspiel mit anderen Mikroben ab, die zusätzlich notwendige Biotenside produzieren, um den Ölfilm aufzulösen. Das können regional ganz verschiedene Arten sein.

Im kalten Wasser vor der Antarktis hat Golyshins Forschungsgruppe etwa das Bakterium Oleispira antarctica entdeckt, das sich allein von Öl ernährt. Doch wo immer die Forscher auch nachschauen: Wenn Öl im Meer schwimmt, ist Alcanivorax borkumensis nicht weit.

Laborkreationen vergeht in der Nordsee der Appetit

Um optimale Bedingungen für den Ölabbau zu schaffen, muss man das gesamte System verstehen. Gertler, Gerdts und Golyshin sind nahe dran. Seit Anfang der siebziger Jahre – als Kapitäne in der Nordsee noch bedenkenlos Restöl aus ihren Tanks abließen – werden auf dem roten Felsen in der Deutschen Bucht Öl fressende Bakterien erforscht. 20 Jahre lang kontrollierte der Leiter der damaligen Biologischen Anstalt Helgoland jede Woche die Menge der Öl abbauenden Bakterien in der Helgoländer Reede. „Die haben sich natürlich ständig vermehrt da draußen“, sagt Gerdts. Erst als das Waschen von Schiffstanks auf See verboten wurde, ging die Zahl der Öl fressenden Bakterien wieder zurück. Jetzt haben die Braunschweiger an die Forschungstradition angeknüpft und dabei Ökologie, Mikrobiologie und Biotechnologie für ein tieferes Verständnis des natürlichen Ölabbaus kombiniert.

Wie wichtig es ist, naturnah zu forschen, musste auch Gertler lernen. „Wir haben Alcanivorax im Braunschweiger Labor über hunderte von Generationen in künstlichen Meerwasserkulturen gehalten.“ Proben dieser Kulturen nahm er mit nach Helgoland, „aber mit dem normalen Meerwasser kamen die gar nicht mehr zurecht“. Die Forscher hatten sich Laborkreaturen herangezüchtet, die in der Natur unter Appetitlosigkeit litten.

Deshalb stellt sich die Frage, ob es im Fall einer Ölpest sinnvoll wäre, erst große Mengen Alcanivorax in naturnahen Meerwasserbecken zu produzieren. „Hat man dafür zehn Tage Zeit? Und sind diese Bakterien dann die gleichen wie Alcanivorax, die überall im Meer vorhanden sind und sich bei einer Ölpest auf jeden Fall ausbreiten würden?“ Gertlers Versuche sollen diese Fragen beantworten. Wenn feststeht, unter welchen Bedingungen Alcanivorax & Co. einen Bärenhunger entwickeln, könnte die richtige Nährstoffkombination reichen, um den Mikroben auf die Sprünge zu helfen.

Bis er die beste Methode entdeckt hat, wird der Doktorand Gertler noch eine Weile auf Helgoland bleiben müssen. An Land haben einige umweltbiotechnologische Verfahren diese Entwicklungsphase schon hinter sich: So wie die meisten Bestandteile des Öls können Bakterien auch Schwermetalle aus dem Boden lösen. Bei der Gewinnung von Kupfer haben Menschen die Kräfte der Natur jahrhundertelang genutzt, ohne zu wissen, dass so genannte Thiobakterien das Kupfer aus dem Gestein lösen.

Inzwischen verwendet man Bakterien, um mit Quecksilber verseuchte Böden zu reinigen. Allerdings gibt es dabei Hürden, die nichts mit Technik zu tun haben. „Meist sind die Deponie-Kosten so gering, dass Säuberungsverfahren oft die ökologisch, aber nicht ökonomisch sinnvollste Lösung sind“, sagt Ulrich Stottmeister, Leiter des Umweltforschungszentrums Leipzig.

Bei der Reinigung des Meeres und der Küsten nach einer Ölpest scheint Geld dagegen keine Rolle zu spielen. Zurzeit werden allein rund drei Milliarden Euro für Sanierungsmaßnahmen nach dem Untergang des Tankers „Prestige“ im November 2002 vor der nordwestspanischen Atlantikküste ausgegeben.

Die Borkumer Ölfresser kämen deutlich billiger.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.