Heilsames Wissen





Mit der Pharmaindustrie ist es wie mit Fußball: Jeder kennt sich aus, jeder kann mindestens eine unglaubliche Geschichte dazu erzählen, und jeder hat eine Meinung. Wenn im speziellen Fall auch meist eine negative: Pharma ist übel und gefährlich.

Es ist schon erstaunlich, wie weit die Wahrnehmungen auseinanderklaffen. An den Produkten sind wir durchaus interessiert, für viele Menschen sind sie überlebenswichtig. Wir erwarten immer neue, bessere, hilfreiche Medikamente, und das möglichst billig, auf jeden Fall ohne Zuzahlung. Von den Unternehmen, die sie produzieren, halten wir wenig: Sie verdienen an unserem Leid. Sie sind uns zu groß, zu gierig, zu unmoralisch, im günstigsten Fall suspekt, ziemlich oft zuwider. Wer wie Wolf Lotter (Seite 22) im Internet nach dem Wort Pharmaindustrie googelt, der findet massenhaft Begriffskombinationen mit „Manipulation“, „Betrug“, „Gefahr“ und „Schäden“ – und nur ganz selten so etwas wie Interesse am pharmazeutischen Fortschritt, von Anerkennung oder Wertschätzung ganz zu schweigen.

Warum sich die Redaktion auf dieses Feld begeben hat? Eben deshalb.
Wir wollten wissen, wie sich diese Diskrepanz zwischen Produkt und Hersteller erklärt und wer das wirklich ist – die Pharmaindustrie. Wir wollten verstehen, wie die Branche tickt, wie sie arbeitet, woran sie forscht und in welchem Spannungsfeld sie sich bewegt. Deshalb haben wir Fragen gestellt: Wie entsteht ein neues Medikament? Warum gibt es für Kinder oft immer noch keine adäquate Arznei? Wieso fehlt uns für medizinische Forschung in Deutschland das Geld? Lebt es sich als Patient in anderen Ländern besser? Können wir uns unsere Gesundheit bald nicht mehr leisten? Bringt uns die personalisierte Medizin weiter? Und welche Verantwortung für Hilfe, Heilung und Kosten tragen wir eigentlich selbst?

Einfache Antworten haben wir nicht gefunden, dazu sind die Themen zu komplex. Weshalb beispielsweise die so wichtige Impfung gegen Papillomaviren, die Gebärmutterhalskrebs auslösen, zum typisch deutschen Desaster geriet, muss man schon ein wenig ausführlicher erzählen, will man die Geschehnisse in jüngster Vergangenheit wirklich verstehen. Mit der simplen Formel „Pharma ist schuld“ ist es jedenfalls nicht getan – bei der HPV-Impfung so wenig wie bei der Kostensteigerung im Gesundheitswesen oder bei der Frage nach bezahlbaren Medikamenten für die Dritte Welt.

Im komplizierten Geflecht aus Bedürfnissen, Erwartungen, Ansprüchen und Möglichkeiten der unterschiedlich Beteiligten im Gesundheitswesen spielt die Pharmaindustrie eine wichtige Rolle. Darin ist sie unersetzlich – und wie jede andere wissensgetriebene Industrie oft auch ungeschickt in der Kommunikation oder im Umgang mit Ängsten und öffentlicher Kritik. Doch wer sich die Mühe macht, genauer hinzuschauen, findet Stärken und Schwächen – und jede Menge Stoff für spannende Geschichten. Die immer gleiche Story vom dritten Tor ist dagegen einfach langweilig.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.