Der Vertreter der Krankenkasse

Norbert Klusen, Vorstandsvorsitzender, Techniker Krankenkasse




„Viele Konflikte im Gesundheitswesen basieren auf den steigenden Kosten. Man kriegt sie schwer unter Kontrolle, weil Marktmechanismen nur bedingt greifen. Eine Schokolade setzt sich durch, wenn die Qualität stimmt, und dazu gehört auch der Preis. Ein Patient aber kauft seine Medikamente nicht, sie werden verschrieben. Vom Verschreiber werden sie aber auch nicht bezahlt, sondern von den Krankenkassen, also von der Versichertengemeinschaft.

Unser Problem ist: Wir zahlen nicht selten für Verschwendung. Die Pharmaindustrie konzentriert sich oft auf Scheininnovationen, für die sie bei geringem Aufwand hohe Preise erzielen will. Unser Ziel ist aber die bestmögliche Versorgung mit bewährten Medikamenten und Innovationen, die wirklich einen therapeutischen Fortschritt bringen. Wir sind nicht bereit, hohe Preise für Arzneien zu zahlen, die das Geld nicht wert sind. Und deshalb haben wir unseren Interessenkonflikt mit der Industrie – auf deren Seite muss sich etwas ändern.

Die Kassen selbst haben in
diesem Bereich relativ wenig
Einfluss. Wir entscheiden nicht
über die Zulassung von Medi
kamenten. Unser Spitzenverband spricht zwar mit im Gemein-
samen Bundesausschuss bei der Frage, welche Arzneien von den Kassen erstattet werden, aber ausgeschlossen wird da praktisch nichts. Und als einzelne Kasse kann ich zwar bei Generika Rabatte aushandeln, aber letztlich kann ich dem Arzt nicht vorschreiben, was er zu verschreiben hat, und das will ich auch gar nicht. Was ich mir daher vorstellen könnte, wäre eine kasseneigene Positiv-Liste – man könnte damit ausgezeichnet behandeln, und gleichzeitig wäre es ein wirksames, marktkonformes Instrument, weil wir als Einkäufer auftreten könnten. Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass diese Liste alle medizinisch notwendigen Behandlungsmöglichkeiten abdeckte.

Natürlich tragen auch wir Verantwortung für ein finanzierbares Gesundheitssystem. Aber wir können und wollen deswegen keine notwendigen Medikamente verweigern. Wir informieren Patienten über das Für und Wider von Arzneien und haben Verträge für die Integrierte Versorgung, was ja auch Kosten senkt. Wir machen das, obwohl Versicherte schnell argwöhnen könnten, dass ihre Kasse nur Geld sparen will. In die Therapiefreiheit der Mediziner greifen wir jedenfalls nicht ein. Ärzte verschreiben mittlerweile ohnehin wirtschaftlicher, weil auch sie kritischer geworden sind. An dieser Schraube zu drehen löst die Probleme nicht.

Bleibt also die Industrie. Ich sage nicht generell ,Preise runter‘, und ich will auch keinen ,VEB Pharma‘, sondern pharmazeutische Vielfalt. Aber ich will wirkungsvolle Medikamente, bei denen Kosten und Nutzen im Verhältnis stehen. Die frühe Nutzenbewertung im AMNOG begrüße ich deshalb sehr.

Der Kampf gegen hohe Preise kann zwar zu sinkenden Renditen bei den Herstellern führen, aber das gefährdet die pharmazeutische Forschung nicht. Warum müssen Pharmaunternehmen eine Umsatzrendite von 20 Prozent erzielen? In anderen, auch risikoreichen Branchen sind es zwei oder drei Prozent. Ich habe nichts gegen Gewinne, aber da wird auf sehr hohem Niveau gejammert. Wenn man Firmenrepräsentanten darauf anspricht, ist ihnen das selbst oft peinlich. Als die Rabatte auf Generika eingeführt wurden, hieß es auch, kleinere Pharmaunternehmen würden vom Markt verschwinden. Das ist aber nicht passiert.


Durch solche Scheinargumente hat die Industrie viel Vertrauen verspielt. Wenn sie nun von Kooperation spricht, begrüße ich das, aber ganz ehrlich: Ich habe wenig Hoffnung. Weshalb sollten Konzerne freiwillig auf Rendite verzichten? Ihr Zielkonflikt zwischen Gewinnerwartung und Gesamtverantwortung ist schwer auflösbar.

Die Industrie will sich jetzt Gedanken machen über effiziente Versorgungskonzepte? Prima, gute Modelle habe ich da jedoch noch nicht gesehen. Wir als Kasse stehen dem offen gegenüber, auch wenn es aus wettbewerbsrechtlichen Gründen schwierig ist, mit einzelnen Unternehmen zu kooperieren. Grundsätzlich ist eine Zusammenarbeit sicher leichter als früher. Noch vor wenigen Jahren war alles sehr ideologisch aufgeladen, heute sind wir raus aus den Schützengräben und gehen die Probleme pragmatischer an.


Was allerdings nicht heißt, dass immer sachlich argumentiert wird. Auch kämpft jede Seite weiter für ihre eigenen Ziele. Um Lösungen zu finden, bedarf es da gelegentlich der Politik. Natürlich verhandeln wir mit Herstellern, aber selbst als große Kasse haben wir zu wenig Verhandlungsmöglichkeiten, gerade bei Neuerungen. Da brauchen wir Hilfe, sonst gibt es ein Preisdiktat.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.