Der oberste Verwalter

Rainer Hess, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)




„Als oberstes Selbstverwaltungsgremium der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen konkretisieren wir den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, und wir entscheiden im Rahmen des AMNOG auf Grundlage von Herstellerdossiers, Nutzenbewertungen des IQWiG und Ergebnissen von Anhörungen über den Zusatznutzen von neuen Medikamenten. Auf Basis unserer Bewertung verhandelt der Spitzenverband der Krankenkassen – sofern ein Zusatznutzen festgestellt wurde – anschließend mit den Herstellern den Erstattungsbetrag – je höher der Zusatznutzen gegenüber anderen Therapien, desto höher der Preis. Wenn kein Zusatznutzen belegt ist, wird das Medikament in eine Festbetrags-
gruppe eingeordnet, oder der Preis der Ver
gleichstherapie bildet die Obergrenze für Erstattungspreisverhandlungen.

Mit unserer Arbeit sind wir den Versicherten und deren guter, solidarisch finanzierbarer Versorgung verpflich
tet. Dass sich die Industrie für das solidarische System verantwortlich fühlt, würde ich nicht erwarten. Wir
entscheiden aber nicht über den Markt
zugang von Arzneimitteln, der ist nach wie
vor frei. Wir legen lediglich Wegmarken für
die Erstattungspreise fest. Deswegen verhindern
wir auch keine Innovationen. Und wir entscheiden
nach Nutzen beziehungsweise Zusatznutzen und nicht nach gesundheitsökonomischen Grundsätzen. Der G-BA macht keine Marktpolitik.

Natürlich gibt es innerhalb des Ausschusses bei Entscheidungen über Medikamente durchaus auch unterschiedliche Auffassungen zwischen Ärzten und Kassen. Aber die Bänke einigen sich meist relativ schnell auf der Grundlage objektiver Daten. Diese Auseinandersetzungen werden absolut transparent geführt und sind Teil unserer Arbeit.

Auf dem Weg zum AMNOG hat es von der Industrie massiven Druck auf die Politik gegeben. Das ist zwar legitim, hat aber zu Regeln geführt, die ich nicht gutheiße. So können wir seit 2011 etwa kein zugelassenes Medikament mehr ausschließen, weil es – einmal am Markt – automatisch als nützlich gilt. Wir können über die Zusatznutzenbewertung nur noch auf den Preis Einfluss nehmen. Auch die Abstufung dieses Zusatznutzens hat uns die Politik vorgegeben. Und obwohl wir von den Unternehmen jetzt einen Nachweis über die Zweckmäßigkeit ihrer Arzneien verlangen können, sind wir mit dem Status quo noch nicht glücklich: Bis so eine Studie vorliegt, vergehen etwa drei Jahre, und so lange bleibt das Medikament am Markt und muss mit dem vereinbarten oder festgesetzten Erstattungspreis bezahlt werden.

Aber all das ist jetzt Gesetz, und wir gehen damit um. Unser Verhältnis zur Politik ist trotzdem mitunter angespannt, weil sie einerseits Wert legt auf Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, sich andererseits aber wiederholt inhaltlich einmischt. Die Indifferenz ist den heftigen Interessenskämpfen der Industrie geschuldet, die die Politik natürlich weiterhin bearbeitet, und das prallt an Politikern ja nicht ab. Als parteiisch würde ich die Politik dennoch nicht bezeichnen. Sie hat sich mit dem neuen Gesetz in einem echten Kraftakt mit der Industrie angelegt, und wir sind nun einmal ein Verbändestaat. Politik ist da immer ein
Kompromiss.


Wir bearbeiten zurzeit etwa 20 Verfahren der frühen Nutzenbewertung, und wir haben keine grundlegenden Probleme mit den betreffenden Pharmaunternehmen. Natürlich streitet man sich bei der Bewertung über die zweckmäßigen Vergleichstherapien, aber das kann ja auch gar nicht anders sein. Insgesamt gehen die Unternehmen fair mit uns um, denn auch sie wollen fair behandelt werden. Und wir sind schließlich nicht in einem Boxkampf, sondern in einem Lernprozess.


Wie sich unsere Nutzenbewertung am Ende auf die Preise neuer Medikamente auswirken wird, lässt sich noch nicht sagen, weil bislang noch kein Verfahren bis zu konkreten Preisverhandlungen gediehen ist. Aber die Politik wird die Sache sehr genau beobachten und nicht akzeptieren, dass Innovationen nicht anerkannt werden oder die Preise unangemessen in den Keller gehen. Wir müssen jetzt erst einmal in Ruhe arbeiten und erst dann gegebenenfalls nachjustieren, wenn genügend Erfahrungen bestehen. Aber das ist völlig normal. In einem komplexen System brauchen gute Lösungen nun einmal ihre Zeit.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.