Der Gesundheitsökonom

Jürgen Wasem, Professor Medizinmanagement, Universität Duisburg-Essen




„Der Arzneimittelmarkt ist nicht wie jeder andere. Es geht um die Gesundheit und damit um eine Grundvoraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Daraus ergibt sich eine ganz besondere Sensibilität, und dass es dabei zu Konflikten kommt, ist nicht verwunderlich.

Viele entzünden sich an der Balance zwischen einer guten Versorgung und ihren Kosten. Das kennen wir auch aus anderen Industrien, aber im Pharmamarkt ist die Nachfrageseite einzigartig: Der Konsument ist nicht derjenige, der ein Produkt auch bezahlt. Es gibt den Patienten, den Mediziner, den Versicherer und die Versichertengemeinschaft, also eine Krankenversicherung, die die gesamte Bevölkerung einschließt. Diese Aufspaltung ist ein Problem.

Die Patienten sehen vor allem ihren individuellen Nutzen. Auch für den Arzt ist der Rezept
block eher ein Versorgungsals ein
ökonomisches Instrument. Die Krankenkasse wiederum hat auf die Verordnungspraxis keinen direkten Einfluss – sie bekommt die Rechnung und muss zähneknirschend zahlen. Wenn sich aber weder Arzt noch Patient um die Kosten kümmern, entwickelt sich kaum ein Preisbewusstsein.

Der Pharmaindustrie ging es sehr
lange sehr gut, das war auch politisch
so gewollt, denn Deutschland ist traditionell stark in der Pharmaforschung,
und der Standort sollte gestärkt werden. Die
Bedeutung des Forschungsstandortes Deutschland hat allerdings in den vergangenen 20 Jahren deutlich abgenommen.

Erst in jüngerer Zeit nimmt die Politik größeren Einfluss auf die Preise. Sie hat mit Rabatten bei den Generika reguliert und mit Festbeträgen bei Analogpräparaten. Da verschwand die Preisautonomie, und der Industrie ist viel Geschäft weggebrochen. Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) zwingt Hersteller jetzt außerdem zum Nachweis des zusätzlichen Nutzens eines neuen, innovativen Medikaments, sonst zahlen die Kassen dafür deutlich weniger Geld. Das ist nicht ohne, denn bislang hat die Industrie Renditeverluste in bestimmten Bereichen durch eine Hochpreispolitik in anderen Sparten ausgleichen können.

Nun aber schließt die Politik nach und nach die üppig sprudelnden Profitquellen, zudem werden die Krankenkassen selbstbewusster – die Bedingungen für die Pharmaindustrie verschlechtern sich. Dass die sich wehrt, ist verständlich, denn die Spielregeln ändern sich, und das schmerzt, zumal Deutschland für internationale Konzerne bislang als leichter Markt galt.

Über ihre Methoden dabei kann man streiten, aber man sollte nicht pauschalieren. Ja, es gibt einige schwarze Schafe, die gegen den fixierten Ehrenkodex ihrer Branche verstoßen, und man darf erwarten, dass dies nicht geschieht. Man sollte allerdings auch nicht verlangen, dass sich die Unternehmen selbst beschränken, denn natürlich sind auch Arzneien ein ökonomisches Gut, wie die Brötchen beim Bäcker. Der backt sie auch nicht vorrangig, um Menschen zu versorgen, sondern um damit Geld zu verdienen. Moralische Appelle werden deshalb kaum zur notwendigen Regulierung führen. Wir müssen die Probleme ökonomisch lösen.


Es stimmt schon: Die Klagen forschender Arzneimittelhersteller sind nicht immer unbegründet. Andererseits waren die Preise in Deutschland lange wirklich außergewöhnlich hoch, und sie sind es oft immer noch. Wenn sie sinken, stellt das keine allumfassende Bedrohung der Forschung dar. Und auch ein verschärfter Nutzen-Nachweis ist für mich kein Grund für Mitleid, selbst wenn es jetzt Medikamente betrifft, für die die Forschung schon vor zehn Jahren begann. Irgendwann muss man schließlich anfangen.


Ob es durch die neuen Regeln wirklich zu einer Kräftebalance zwischen Anbietern und Nachfragern von Medikamenten kommt, wird sich erst zeigen. Wir werden die Kosten aber nur in den Griff bekommen, wenn sich auch auf der Nachfrageseite etwas ändert. Für Laborleistungen wird der Arzt, der traditionell zur Freiheit von der Ökonomie erzogen wurde, schon heute umso besser bezahlt, je weniger er in Auftrag gibt. Warum sollte eine ähnliche Steuerung nicht auch bei Medikamenten möglich sein?

Damit sind wir beim Patienten. Braucht er wirklich all das, was er verlangt? Um jeden Preis? Bislang zeigt er sich wenig kostenbewusst und spielt seine Rolle im eingefahrenen System. Da traut sich die Politik nicht ran, aber wenn der Patient sein Verhalten nicht ändert, wird er möglicherweise zum Opfer des Systems. Ganz einfach, weil es nicht mehr funktioniert.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.