Der große Kommunikator

Vor 30 Jahren versuchte ein Kölner Wirtschaftswissenschaftler in Deutschland eine zweite Gründerzeit einzuläuten – weit vor seiner Zeit und zunächst weithin vergebens. Heute genießt Professor Norbert Szyperski, einer der ersten Business Angels der Bundesrepublik, seine späte Rehabilitation.




Norbert Szyperski

ist eine Art Mensch gewordener ADAC: Wo immer etwas nicht in Gang kommt, leistet der Professor Starthilfe – mit Wissen, mit Kontakten, mit Geld. Szyperski ist Gründungsmitglied des Business Angels Netzwerk Deutschland und leitet an der Uni Köln die Betriebswirtschaftliche Forschungsgruppe Innovative Technologien.

Im Nachhinein haben es natürlich alle gewusst. Heute ist es ein Allgemeinplatz, ein wirtschaftspolitisches Mantra, ein Aber-klar-doch-wie-denn-auch-sonst. Aber damals?

Damals, im Oktober 1977, brachte der Stuttgarter Poeschel Verlag ein Buch auf den Markt, das sich mit den Mühen und Chancen der Gründerzeit beschäftigte. Norbert Szyperski hieß der Verfasser, „Probleme der Unternehmensgründung“ sein Werk, und das war ein schön zweideutiger Titel, denn Probleme bereitete das Thema Unternehmensgründungen vor allem dem Autor: Es interessierte niemanden.

„Det könn’ Se glauben oder nich“, beteuert Szyperski, mittlerweile 70, „aber damals haben wir mit dem Thema keinen Blumentopp jewinnen können.“ Der Mann, der Deutschland das Gründen beibringen wollte, trägt Strickjacke, schwarze Jeans und einen blau gefütterten Anorak. Obwohl er seit mehr als 30 Jahren im Rheinland lebt, berlinert Szyperski immer noch; er sagt „abjebrüht“ und „jut“, was bei dem Honorarprofessor angenehm hemdsärmelig wirkt. Auf seiner Knollennase thront eine Silberrandbrille, sein weißes Haar ist wuselig nach hinten gekämmt, und am Strand von Westerland auf Sylt, wo er gerade Tochter und zwei frisch geborene Enkel besucht, könnte man ihn für einen kurenden Pensionär halten.

In Wirklichkeit ist Norbert Szyperski eine Art Mensch gewordener ADAC: Wo immer etwas nicht in Gang kommt, leistet der Wirtschaftswissenschaftler professionelle Starthilfe – mit Wissen, mit Kontakten, manchmal auch mit Geld. 65 Unternehmen sind aus dem universitären Dunstkreis Szyperskis und seines Informatik-Kollegen, Professor Paul Schmitz, entstanden, darunter das Softwarehaus SQS, der Verlag von Norman Rentrop, der IT-Consulter Experteam, die 1991 an AT & T verkaufte Infoplan oder die Frechener Genes GmbH, Deutschlands erstes Venture-Capital-Unternehmen nach US-Muster. An „zehn oder 15“ dieser Firmen – die genaue Zahl hat Szyperski nicht im Kopf – ist der notorische Gründer persönlich beteiligt, bei vier weiteren sitzt er im Aufsichtsrat. Nebenbei ist Szyperski Gründungsmitglied des Business Angels Netzwerks Deutschland (BAND) und Ehrenpräsident des Förderkreises Gründungs-Forschung (FGF). Und natürlich freut er sich, dass heute „keine Politiker-Sonntagsrede mehr zu Ende geht, ohne dass betont wird, man brauche mehr Unternehmergeist. Denn die Öffentlichkeit ist ganz wichtig für das Klima, in dem Gründungen gedeihen.“

Damals, als Szyperski die „Probleme der Unternehmensgründung“ auflistete, herrschte aus Gründersicht gerade eine Klimakatastrophe. Im Deutschland der Post-68er-Ära galten Unternehmer als Ausbeuter, Firmenerben wie Jan Philipp Reemtsma und Hans Gerling suchten ihr Heil lieber außerhalb der väterlichen Unternehmungen, als sich den Nimbus des Parasiten anhängen zu lassen. Auch Szyperskis Studenten wollten nicht Entrepreneure, sondern lieber Controller werden. Einer seiner Doktoranden wettete damals, er würde sich trauen, mit einem CDU-Anstecker am Revers über den Campus zu spazieren. Am helllichten Tage. Der Rest des Instituts setzte dagegen. „Wir begegneten einer unheimlich ignoranten Haltung“, erinnert sich Klaus Nathusius, damals Szyperskis wissenschaftlicher Mitarbeiter und Co-Autor von „Probleme der Unternehmensgründung“, heute Honorarprofessor an der Universität Kassel. „Die Deutschen waren eingelullt von den Zeiten des Wirtschaftswunders und der Überbeschäftigung. Und die Betriebswirtschaftler beschäftigten sich lieber mit der Prozessoptimierung im Konzern, statt sich um Inkubation zu kümmern.“

Selbst bei Unternehmerverbänden, Gewerkschaften und den Parteien, die der Gründungsforscher hartnäckig mit seinem Anliegen nervte, wollte ihm kaum jemand zuhören. „Machen Sie sich keine Sorgen, der Markt wird’s schon richten“, beschied beispielsweise Otto Graf Lambsdorff von der FDP. Dass heutzutage jeder Bürgermeister das Wort Inkubator buchstabieren kann, ist unter anderem der Hartnäckigkeit Norbert Szyperskis zu verdanken. Weil Gründungsforschung nicht auf dem Lehrplan stand, fädelte er das Thema in seine Vorlesungen über Unternehmensführung ein. Ermutigte seine Studenten, es selbst zu versuchen. Knüpfte eine Partnerschaft zum Babson College in Wellesley, Massachusetts, das gerade Entrepreneurial Research zu entdecken begann. Strickte Leitfäden für Unternehmensgründer, die dann an den Schaltern der Deutschen Bank verteilt wurden. Bildete 1978 zusammen mit Klaus Nathusius die ersten Gründungsberater für die Industrie- und Handelskammern aus. Und planierte auf diese Weise langsam, aber sicher eine Schneise für jene Gründerwelle, die über 20 Jahre später durch Deutschland schwappen sollte. „Frust“, sagt seine ehemalige Doktorandin Margot Eul, „ist für Szyperski etwas völlig Fremdes. Wenn etwas nicht funktioniert, probiert er eben etwas anderes.“

In puncto Unternehmensgründung funktionierte Anfang der siebziger Jahre vieles nicht, und auch Szyperski ist damals eher zufällig auf sein Lebensthema gestoßen. Zusammen mit Klaus Nathusius untersuchte er die wirtschaftliche Entwicklung des Großraumes Köln. Dabei fiel ihnen auf, dass es seit Ende der sechziger Jahre mehr Gewerbeabmeldungen als -anmeldungen gegeben hatte. „Dann fanden wir heraus, dass der Saldo auch bundesweit negativ war. Und dass es niemanden gab, der etwas dagegen tat. Also haben wir damit angefangen.“

Das eine ergab sich aus dem anderen, so war es immer in Szyperskis Leben. Er wechselte 1986 von der Uni in die Wirtschaft, als man ihm ein interessantes Angebot machte. Wechselte zurück, als er davon genug hatte. Stieg immer wieder in neue Projekte ein, als Business Angel, wenn sich eine Gelegenheit ergab.

Neulich, erzählt er, habe seine Frau im Fernsehen einen buddhistischen Mönch gesehen, der mit unheimlichem Gleichmut den Klosterhof fegte und gedankenverloren murmelte: „Ich fege. Ich fege jetzt. Ich fege ...“ – „Genau so bist du“, habe seine Frau gesagt, zu Recht: „Wenn ich etwas mache, dann immer voll und ganz. Pläne oder Träume haben mich nie sonderlich interessiert. Jedenfalls nicht als verbindliche Richtschnur.“ Glaubt man Szyperskis Weggefährten, dann ist auch das typisch für ihn: Sobald sich eine Chance auftut, ist er sofort hellwach. Wirft den Besen weg. Nimmt das Zepter in die Hand und macht sich auf den Weg. Auch wenn der ein paar Jahrzehnte dauert.

Da war zum Beispiel Hela, seine erste Frau, die er Anfang der fünfziger Jahre in Berlin kennen lernte. Helas Vater besaß einen Bürobedarfshandel und suchte findige Vertreter für Büromaschinen. Also finanzierte Norbert Szyperski sein Studium fortan dadurch, dass er auf einem Lambretta-Motorroller durch Berlin röhrte und Büromaschinen verkaufte. Daher kommt sein Interesse für Büro- und Kommunikationsapparate. Daher kommen auch die ersten Programmierlehrgänge, die er 1955 für Studenten an der FU Berlin organisierte. Daher kommt das Betriebswirtschaftliche Institut für Organisation und Automation, das er nach seinem Ruf an die Universität Köln 1970 fast 30 Jahre lang mit betreute. Daher kommt zwischendurch der Job als Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung in Sankt Augustin, einer 1400 Köpfe starken Großforschungseinrichtung, die er von 1981 bis 1986 führte. Und daher kommt bis heute seine Neugier an allem, was nach Computerisierung, Netzwerk, Kommunikation riecht.

Das alles ist nicht ganz unwichtig, denn ohne Hela und die Büromaschinen wäre der Röhrenkonzern Mannesmann vermutlich niemals ins Mega-Geschäft Mobilfunk eingestiegen. Seine Lambretta beförderte Norbert Szyperski nämlich auf jahrzehntelangem, aber direktem Weg in die Geschäftsführung der Mannesmann Kienzle GmbH in Villingen-Schwenningen. Das 14.000-Mitarbeiter-Unternehmen baute unter anderem Armaturen und Apparate für Lkw. Als der Vorsitzende der Geschäftsführung, Norbert Szyperski und sein Kollege Peter Mihatsch, Geschäftsführer für die Automotive-Sparte, 1987 von der geplanten Ausschreibung der D2-Lizenz erfuhren, sagten sie sich: Warum eigentlich nicht? „An Handys hat damals noch keiner von uns gedacht. Aber für das Auto schien uns die Lizenz hochinteressant. Denn wir vertrieben ja bereits Autotelefone – mächtige Kästen, die damals fast ein Viertel des Kofferraums einnahmen. Wir hatten Know-how, wir hatten die Ressourcen, also hatten wir auch eine Chance. Dachten wir.“

Die Wettbewerbshüter in Christian Schwarz-Schillings Postministerium sahen das völlig anders. Dort wollte man Szyperski nicht einmal die Ausschreibungsunterlagen aushändigen. Mannesmann war schließlich ein Röhrenkonzern, wo käme man denn da hin? 18 Monate später, während derer Szyperski still, aber unaufhörlich Lobbyismus betrieb, hatte sich der Außenseiter durchgesetzt – und Szyperski plante seinen Ausstieg. „Als die Lizenz kam“, erzählt er mit traurigem Kopfschütteln, „war ich platt.“ Zwei Jahre Kampf, nebenbei ein Unternehmen führen, dazu an der Uni Doktoranden betreuen – das war selbst für einen wie ihn zu viel.

Hinzu kam die ständige polizeiliche Beobachtung: Der Name des Top-Managers war schon früh auf einer Liste der RAF aufgetaucht. Bei seiner Familie durfte er sich deshalb von unterwegs nur verschlüsselt melden, sein Haus wurde mit schusssicheren Scheiben verrammelt, Leibwächter avancierten zu ständigen Begleitern. Als dann noch einer seiner Söhne starb, und er selbst einen dramatischen Autounfall nur wie durch ein Wunder unverletzt überlebte, wusste Szyperski: Es ist genug. 

Seine Uni hatte sich mittlerweile zu einem Zentrum für Gründungsforschung entwickelt. Als Norbert Szyperski 1993 dorthin zurückkehrte, machte er weiter wie er vor seinem Ausflug in die Wirtschaft aufgehört hatte. Heute leitet der Honorarprofessor dieBetriebswirtschaftliche Forschungsgruppe Innovative Technologien, steht dem Sachverständigenbeirat beim BMBF-Programm Exist vor, führt den Arbeitskreis Electronic Commerce im Mittelstand der Bundesregierung und koordiniert im Auftrag der Stiftung Industrieforschung das Forschungsprogramm Bio4C – insgesamt taucht der Name Szyperski in etwa zwei Dutzend Gremien auf, die sich irgendwie mit Gründungsförderung und Regionalentwicklung beschäftigen.

Nebenbei tut der 70-Jährige das, was er am liebsten tut: gründen. Für die Gemeinde Westerland strickt er an einem Konzept, das der Insel neben dem Tourismus andere Einkünfte bescheren soll. Zwischendurch ist er für seine eigene Drei-Mann-Beratungsfirma InterScience Consulting unterwegs. Und für das Hotel Vier Jahreszeiten auf Sylt konzipiert er „Seminare, die Körper, Geist und Seele zusammenbringen sollen“. Mitmachen sollen ein Dominikanerpater, der nebenbei Manager coacht, eine Ernährungsberaterin, die nebenbei Szyperskis Tochter ist, sowie acht Manager mit ihren Partnern, die sich Gedanken über den Sinn des Lebens machen wollen. „Ich hol’ einfach die richtigen Leute mit den richtigen Ideen zusammen“, verkündet der Senior. „Det is wie beim Clustern: Der Rest erjibt sich dann janz von selbst. Wer’n Se sehen.“ 

Das Existenzförderungsprogramm des Bundesforschungsministeriums:
www.exist.de

Szyperskis Homepage:
www.uni-koeln.de/wiso-fak/szyperski/szyperski.htm

Norbert Szyperski
E-Mail: [email protected] 

Bücher über und von Norbert Szyperski:

Norbert Szyperski/Udo Winand/Dietrich Seibt/Rainer Kuhlen/Rudolf Pospischil (Hrsg.): Perspektiven der Medienwirtschaft – Kompetenz, Akzeptanz, Geschäftsfelder. Josef Eul Verlag, Lohmar, 1999; 496 Seiten; 41 Euro

Norbert Szyperski/Klaus Nathusius: Probleme der Unternehmensgründung – Eine betriebswirtschaftliche Analyse unternehmerischer Startbedingungen. Josef Eul Verlag, Lohmar, 1999; 132 Seiten; 29 Euro

Klaus Nathusius/Heinz Klandt/Dietrich Seibt: Beiträge zur Unternehmensgründung – Gewidmet Prof. Dr. Dr. h. c. Norbert Szyperski anlässlich seines 70. Geburtstages. Josef Eul Verlag, Lohmar, 2001; 422 Seiten; 51 Euro

Norbert Szyperski: Unternehmens-Informatik – Grundlegende Überlegungen zu einer Informationstechnologie für Unternehmungen. Josef Eul Verlag, Lohmar, 2001; 64 Seiten; 9 Euro

„Wir sind Weltmeister.“

Gründungspionier Norbert Szyperski über Wachstumsschübe für Cluster und die Zurücklehn-Mentalität der Deutschen.

McK: Derzeit werden überall in Deutschland Regionen entwickelt, Netzwerke geknüpft, Cluster gebildet. Dabei sagt man den Deutschen nach, sie seien im Grunde cluster-avers: zu eigenbrötlerisch, zu unkommunikativ, zu sehr auf Abgrenzung bedacht.

Szyperski: Ganz falsch. In Wirklichkeit sind wir Weltmeister im Clustern, allerdings nur, wenn wir die unmittelbare Notwendigkeit einsehen. In Deutschland sind zum Beispiel die ersten Produktions-, Einkaufs- und Wohnungsbaugenossenschaften der Welt entstanden, weil die Handelnden wussten, dass sie nur gemeinsam ihre Interessen durchsetzen könnten. Wir verfügen auch über den größten Verbandsgrad der Branchen in der Welt und unsere Verkammerung bei den Handwerkern etwa ist beispiellos. Trotzdem – und das ist eine gewichtige Einschränkung – wissen deren Mitglieder meist recht wenig übereinander. Was uns fehlt, ist eine Mitarbeitermobilität und -flexibilität, wie sie beispielsweise den Amerikanern eigen ist. In den USA entstehen durch steten Arbeitsplatzwechsel ganz automatisch Vernetzungen zwischen den Firmen und damit ein profundes Wissen von- und übereinander. Das führt zu einem dynamischen, fein granulierten Clustering. Wir Deutschen hingegen sind gut im Bewahren des Bewährten. Wir clustern nicht dynamisch, sondern statisch. Und das ist dem neu hinzukommenden Unternehmer nun einmal nicht förderlich.

Sie meinen, er stößt zunächst einmal auf Ablehnung?

Richtig. Wir pflegen diese Zurücklehn-Mentalität: Erst mal sehen, wie der Junge sich schlägt ... Das haben auch die Gebrüder Georg und Eberhard Färber erlebt, die Anfang der achtziger Jahre in München ihre PCS-Workstation für wissenschaftlich-technische Aufgabenstellungen vorstellten – etwa zur gleichen Zeit, in der Andreas von Bechtolsheim in Kalifornien an seiner Sun-Workstation bastelte. Beide Maschinen waren qualitativ vergleichbar, beide richteten sich an etwa die gleichen Zielgruppen. Der Unterschied: Der amerikanische Markt hat die Sun-Maschine sofort angenommen, obwohl sie erst zu 60 bis 70 Prozent fertig war. Die Universität Berkeley hat sie nicht nur sofort gekauft, sondern auch begonnen, das Berkeley UNIX, jenes auf Sun installierte Betriebssystem weiterzuentwickeln. Auf diese Weise haben die Sun-Kunden geholfen, die Funktionalität der Maschine auszuweiten und ihre Kinderkrankheiten zu überwinden.
Ganz anders in Deutschland. Die hiesigen Forschungseinrichtungen ließen sich lediglich ein paar kostenlose Testmaschinen zur Verfügung stellen. Und als sie dann lange genug gemeckert hatten, besaß Sun Microsystems mit Unterstützung seiner Käufer bereits einen derartigen Vorsprung, dass die meisten nur noch deren Maschinen kaufen wollten. Sun Microsystems lag auf der Kosten-Erfahrungskurve einfach uneinholbar vorn.

Wie soll es mit dieser Haltung gelingen, Regionen durch die Ansiedlung ganz neuer Branchen zu entwickeln?

Nun, glücklicherweise verfügen wir ja auch über einige strategische Vorteile. Ich glaube an die Renaissance der Region, und unsere föderale Struktur ist der Regionalentwicklung viel förderlicher als Zentralstaaten wie beispielsweise in Frankreich oder Großbritannien. Wir können nur Bottom-up, und das ist ein Pluspunkt. Auch die EU ist, wenn man sie zu Ende denkt, durchaus dazu angetan, die regionale und überregionale Entwicklung zu stärken. In Zukunft werden wir daher viele überregionale Allianzen beobachten, die außerhalb der politisch-staatlichen Grenzen Subkulturen abstecken. Zwischen einigen Städten in Nordrhein-Westfalen und in den Niederlanden entwickelt sich gerade schon so etwas, und es würde mich nicht wundern, wenn zwischen süddeutschen und norditalienischen Städten Ähnliches entstünde. Übrigens ist das alles im Grunde nichts Neues: Auch die alte Hanse war eine Allianz von Städten mit gleichen Interessen, aber über Grenzen hinweg.

Sie haben Köln, Dortmund und Nürnberg in Fragen der Wirtschaftsförderung beraten, zurzeit stehen Sie Nordhausen zur Seite. Was muss man tun, um eine Region zum Blühen zu bringen?

Zunächst muss man schauen, welcher Grundhumus vorhanden ist. Welche Quellen des Wissens und der Entwicklung sprudeln, die eine zukünftige Entwicklung speisen könnten. Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie feststellen, dass es in unterschiedlichen Gegenden bestimmte Grundaffinitäten der Menschen zu bestimmten Aktivitäten gibt. In Köln zum Beispiel gab es den WDR, am Stadtrand baute RTL seine Studios, es entstand die Kunsthochschule für Medien. Als wir damals überlegten, wie wir die Stadt weiterentwickeln könnten, lag die Medienbranche deshalb ziemlich nahe.

Hätte das nicht auch etwas ganz anderes sein können – etwa eine Hightech-Region für die Chipherstellung?

Szyperski: Bei aller Liebe – nein. Dafür fehlt es den Kölnern einfach am Bewusstsein für das Industriell-Technische. Wichtig ist ja, dass die Region Selbstbewusstsein entwickelt. Deshalb muss man eine regional attraktive Idee, einen Unique Selling Point konstruieren, an den die Leute glauben können. Das tut man am wirkungsvollsten, indem man an vorhandene Stärken anknüpft.
Und damit wären wir beim zweiten Punkt: Auf die Idee muss schnellstmöglich etwas zum Anfassen folgen – etwas, das die Leute begreifen, besichtigen, weitererzählen können. Bleiben wir bei Köln: Als dort erst einmal der Mediapark stand, konnte die Stadt in aller Welt für die Ansiedlung von Partnern werben. „Warum gerade Köln?“, haben die gefragt. „Weil wir den Mediapark haben“, haben wir geantwortet.
Ist erst ein solcher Same gepflanzt, kann man – drittens – Implantationen vornehmen, die das zarte Wachstum verstärken. Für wissensabhängige Branchen beispielsweise sind lokale Forschungseinrichtungen unabdingbar, die zum einen Know-how, zum anderen Leute in eine Region bringen, die dort heimisch werden und selbst gründen.

Die lassen sich aber nicht beliebig verpflanzen – genauso wenig wie Unternehmerpersönlichkeiten.

Nein, und damit verknüpft sich eine interessante Beobachtung: Die meisten Entrepreneure gründen ihre Firma im Umkreis von 50 Kilometern um ihren Heimatort. Nehmen Sie die Dassler-Brüder in Herzogenaurach, Bertelsmann in Gütersloh, Nixdorf letztlich in Paderborn, Bill Gates in Redmond, Washington, und so weiter. Auch ich helfe überwiegend Firmengründern im Raum Köln, wo meine Kinder zur Schule gegangen sind. Warum? Weil man gerade in der Frühphase auf die Unterstützung durch informelle Netzwerke angewiesen ist. Und über die verfügt man natürlich am ehesten in seinem Heimatort. In Deutschland kommt noch ein Aspekt hinzu: Bei uns ist das gesellschaftliche Risiko des Scheiterns größer als sonst irgendwo in der Welt. Hier zu Lande ist ein Pleitier erst einmal unten durch. Deshalb suchen sich Unternehmer eine sichere Rückzugsposition, und die finden sie meist in ihrer Heimat.

Regionalentwickler müssten also zunächst einmal die Interessen und Pläne der vor Ort Ansässigen analysieren?

Ohne die Einheimischen geht es nicht. Man braucht Leute, die die Kraft, die Fähigkeit und den Drang haben, etwas Neues zu schaffen. Sie müssen Lust haben auf Veränderung, Aktivität ausstrahlen – und viele andere überzeugen. Regionalentwicklung ist deshalb auch breiter anzulegen als die klassische Wirtschaftsförderung, die irgendwo in einer GmbH oder als Dezernat bei der Stadtverwaltung angesiedelt ist. Die greift viel zu kurz.

Und was sollen Regionen ohne optimistische, mitreißende Unternehmernaturen machen?

Für die wird’s schwer. Die Entwicklungsdynamik einer Region kann man nicht einfach so einkaufen, das ist das große Problem der ostdeutschen Städte. Die Entwicklung einer Region benötigt einen strategischen Masterplan. Dynamik entsteht durch organisches Wachstum und nicht, indem ich die Tochterfirma irgendeines Konzerns zu mir auf die grüne Wiese locke. Die wird von der Konzernmutter bei der nächsten Krise als Erstes dichtgemacht.

Angenommen, das industriearme Land Mecklenburg-Vorpommern würde Sie um Entwicklungshilfe bitten. Wo würden Sie ansetzen?

Szyperski: Mecklenburg-Vorpommern würde ich nicht industriell aufbauen, sondern die natürliche Schönheit des Landes nutzen, um interessante Leute ins Land zu locken. Mit tausend Seen und direktem Kanalzugang zur Ostsee würde mir eine Menge einfallen. Warum nicht Yachthäfen bauen und die Parzellen drum herum Menschen zur Verfügung stellen, die über bestimmte Qualifikationen verfügen? Wir verschleudern ja auch Gewerbegrund, um Unternehmen zu uns zu holen – warum also nicht Baugrund verschenken, um Human Ressources anzulocken? Wirtschaftsentwicklung ist primär Personenentwicklung. Diese Erkenntnis ist nur leider noch viel zu wenig verbreitet.

Nun gibt es aber auch Regionen, deren Qualifikationen einfach nicht mehr gefragt sind. Beispielsweise die Lausitz mit ihrem Braunkohlebergbau.

Wo gar nichts geht, würde ich versuchen, eine Kolonie Kreativer als Speerspitze künftiger Entwicklung anzusiedeln. Manchmal lässt sich damit eine Art Worpswede-Effekt generieren, jene weltbekannte Künstlerkolonie bei Bremen. Es gibt aber auch Beispiele aus der älteren Geschichte: Schon der Große Kurfürst förderte die Human Ressources seines Landes auf ziemlich geniale Weise, indem er die Hugenotten mit ihren Fähigkeiten ins Land holte. Friedrich II. hat mit seiner Parole, „Jeder nach seiner Façon“, diese Entwicklung weiter unterstützt. Und ohne die Hugenotten würde die Erfolgsgeschichte Preußens sicher anders aussehen.
Sie sehen: Was ich erzähle, ist nicht neu. Auch nicht einmalig. Erfolgreiche Regionalentwicklung ist eine alte Geschichte. Aber das macht sie nicht weniger spannend und notwendig.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.