Eine Quelle der Hoffnung

Mehr als einer Milliarde Menschen weltweit fehlt der Zugang zu sauberem Trinkwasser. Ein Teil des Problems ließe sich lösen: Ein australischer Ingenieur hat ein bezahlbares mobiles Wasseraufbereitungsgerät entwickelt. Jetzt muss es sich nur noch verkaufen.




Da, wo sich sonst die Sonne im Wasser spiegelt, dampfen heute nur ein paar vereinzelte schlammige Pfützen. Es ist Anfang November und Frühling in Kenia, eigentlich hätte die Regenzeit längst einsetzen müssen, doch die ersehnten Wolken lassen auf sich warten. Fast alle Flüsse in der Gegend sind inzwischen trocken, jetzt ist auch der kleine, flache Gona-Stausee an seinem Ende angelangt. Für die Menschen in den Dörfern Obambo und Kadenge nichts Ungewöhnliches: Zwar regnet es hier im äußersten Westen des Landes zur Regenzeit fast täglich und heftig, doch die übrige Zeit ist es überwiegend heiß und trocken. Wasser ist Mangelware.

Genau wie alle anderen Frauen aus dem Dorf steht Monica Owinji deshalb geduldig mit ihren gelben Kanistern in der Schlange vor der einzigen Wasserstelle der Region. Die 45-jährige Kleinbäuerin hat sieben Kinder, drei weitere sind ihr bereits im Babyalter gestorben. Das Wasser war schuld, da ist sie sich sicher. Es hat die Menschen krank gemacht, ihre Kinder getötet, kein Wunder, sie hat ja nicht einmal das Geld für Brennholz zum Abkochen der braunen Brühe aufbringen können. Oft habe sie der schlammigen Flüssigkeit aus dem Stausee nur etwas Natron zugefügt, das ließ wenigstens den gröbsten Schmutz ausflocken, erzählt sie. Dann winkt sie ab. Die größte Not ist inzwischen gelindert.

Der „SkyHydrant“ verwandelt Dreckbrühe in Trinkwasser

Dass Owinji ihren Kindern inzwischen saubereres Trinkwasser holen kann, verdankt sie drei unscheinbaren Kartuschen. Form und Größe erinnern an mittelgroße Orgelpfeifen, sie sind in einem Steinhäuschen mitten im Dorf untergebracht – und sie sind vor Ort so etwas wie ein Wunder. Die „SkyHydranten“, mobile Wasseraufbereitungsgeräte mit hochmodernen Filtersystemen, verwandeln braune Brühe in einwandfreies Trinkwasser und liefern den knapp 3000 Dorfbewohnern rund 2000 Liter Flüssigkeit pro Tag. Eine kleine Gemeinde in Australien hat sie im März vergangenen Jahres gespendet. Für die Sponsoren sind die Hydranten ein Entwicklungshilfe-Pilotprojekt. Für ihren Erfinder, den Ingenieur und Vertriebsexperten Rhett Butler, sind sie eine Herzensangelegenheit – und die Antwort auf eines der größten Probleme unserer Zeit.

Butler hat viel vor und keine Zeit zu verlieren, morgen muss der Siemens-Mann die Stadt schon wieder für eine Geschäftsreise verlassen, deshalb bombardiert er den Reporter gleich nach der Begrüßung auf dem Flughafen von Sydney mit Zahlen, Fakten und Hintergründen: Wenn es darauf ankommt, kann sein SkyHydrant 1000 Liter Wasser in der Stunde reinigen. In Kenia, um ein Beispiel zu nennen, kommen die Menschen mit einem 20-Liter-Kanister Trinkwasser pro Familie und Tag aus. In sechzehn Ländern wird die technologische Innovation inzwischen bereits genutzt. 2,4 Milliarden Menschen sind heute von sanitären Einrichtungen abgeschnitten, keine Toilette, keine Dusche, kein Bad. Die Zahl beziffert längst nicht die größte Not: Pro Tag, schätzt die Uno, sterben 6000 Menschen aufgrund fehlenden sauberen Trinkwassers. Butlers Erfindung kann helfen, sie ist inzwischen preisgekrönt, sie ist bezahlbar, einfach zu produzieren, leicht zu handhaben und zu warten. Und sie hat eine Geschichte, die lange zurückreicht.

Ihren Anfang nahm sie lange vor Rhett Butler. In den siebziger Jahren begannen Studenten der University of New South Wales in Sydney an neuen Wasserfiltermethoden mit Membranen herumzuexperimentieren. Anfang der achtziger Jahre machte sich der australische Risiko-Investor Denis Hanley die studentischen Erfahrungen zunutze und gründete daraus die Hightech-Firma Memtec. Butler stieß 1986 als Vertriebsfachmann dazu – und begleitete das junge Unternehmen auf dem Weg zum Weltmarktführer im Bereich membrangestützter Filtrierung von Wasser. Die Technologie namens Memcor CMF war bis dahin nur in der Medizin und Lebensmittelindustrie angewendet worden, die Australier entwickelten sie weiter zu der Form, die bis heute revolutionär genannt werden kann.

Ein kleines technisches Detail macht den großen Unterschied

In der Memcor-Fabrik nordwestlich von Sydney, die seit knapp dreieinhalb Jahren zum Siemens-Konzern gehört, lässt sich die Innovation studieren. Hier wird das Herzstück der neuen Filtermethode hergestellt: die etwa anderthalb Meter langen durchsichtigen Kartuschen mit rund 20 Zentimetern Durchmesser, in denen sich jeweils ungefähr 10 000 hauchdünne, zu Kapillaren geformte Membranen mit maximal 0,1 Mikrometer großen Löchern befinden. Das Neue an der Technologie: Anders als üblich wird die zu filternde Flüssigkeit nicht mit Hochdruck durch die Kapillare gepresst, sondern von außen in die haarfeinen Röhrchen gesaugt. Das hat den Vorteil, dass der Schmutz nicht im Inneren, sondern an der äußeren Oberfläche der Membranen hängen bleibt und leicht entfernt werden kann. Die herkömmliche Methode führte häufig zu Verstopfungen, weil der Schmutz in den dünnen Haarröhrchen haften bleibt. Wenn man so will, haben die australischen Ingenieure also einfach den Spieß umgedreht – und damit einen Paradigmenwechsel bei der Abwasserreinigung ausgelöst.

Dank der Memcor-Filtermethode kann selbst schmutzigstes Abwasser mit Membranen höchst effektiv gesäubert werden, die winzigen Löcher der Kapillare lassen kein Stück Dreck, kein Bakterium und kaum ein Virus in den Filter. Zudem ist das Verfahren umweltfreundlich: Wo herkömmliche Filtersysteme Tonnen von Chemikalien oder Baumaterialien für Becken und Dämme zum Auffangen der Flüssigkeit brauchen, sprudelt das Wasser bei der neuen Technologie gemächlich und trinkfertig aus den Kartuschen. „Unser System hinterlässt maximal ein Zehntel des ökologischen Fußabdrucks der bislang üblichen Methoden“, sagt Rhett Butler nicht ohne Stolz.

Der Mann mit dem grau melierten Haar wird nicht müde, den Unterschied zu erklären, seit mehr als 20 Jahren jettet er nun schon im Dienst der guten Sache um die Welt. Von Saudi-Arabien über Thailand und Vietnam bis in die USA und nach Südafrika ist Butler seitdem gereist, um Regierungen und Kommunen vom Vorteil der neuen Technologie zu überzeugen. Mit einigem Erfolg: Laut Bruce Biltoft, Chef des Wassertechnologieunternehmens, arbeitet inzwischen ein Viertel aller Kläranlagen weltweit zumindest teilweise mit den Membranfiltern der australischen Ingenieure. 95 Prozent des Umsatzes in Höhe von rund 100 Millionen Dollar fahre Siemens Water Technologies, wie das Unternehmen heute heißt, im Ausland ein, so Biltoft. Zurzeit seien die Ingenieure dabei, 5000 Module für die Abwasseraufbereitung in Pekings Olympiadorf zu produzieren.

Und doch: Wirklich genießen konnte Rhett Butler den Aufschwung des Unternehmens in der Vergangenheit nicht. Er hat zu viel Elend gesehen auf seinen Reisen. Wie oft hatte er aus dem fahrenden Taxi oder vom Hotelfenster aus Mütter mit ihren Kindern neben stinkendem Abwasser im Dreck sitzen sehen. „Ich empfand es als bedrückend“, erzählt der heute 50-Jährige, „dass wir zwar die Antwort auf deren Probleme hatten, dass die Lösung aber ausgerechnet für jene Menschen unerschwinglich war, die sie am dringendsten brauchten.“ Die neue Technologie konnte Menschenleben retten, das wusste er. Aber für die Ärmsten war sie zu groß, zu aufwendig und zu teuer. Wenn sie helfen sollte, musste sie den Verhältnissen in den Entwicklungsländern angepasst werden. Also startete der Ingenieur Butler ein Projekt.

Der neue Prototyp: dasselbe Prinzip, besserer Preis

Ende der neunziger Jahre begann er in seiner Garage an einer abgespeckten Version der Kartuschen zu basteln. Monate später war ein Prototyp fertig, dessen Herz zwar aus genau denselben Membrankapillaren besteht wie das der raffinierten Vorbilder – im Gegensatz zu den Industriefiltern kann Butlers Entwicklung allerdings auch als Einzelstück eingesetzt werden. Mit einem Herstellungspreis von rund 3500 Dollar ist es außerdem um ein Vielfaches günstiger und zudem wesentlich einfacher zu handhaben. Beflügelt von seinem Erfolg, gründete Butler einen gemeinnützigen Verein und taufte ihn „SkyJuice“, was so viel wie Himmelssaft bedeutet. Die zunächst allein aus Butler bestehende Organisation wurde inzwischen um eine hauptamtliche Organisationskraft und mehrere ehrenamtliche Partner erweitert.

Eigentlich hätte es jetzt richtig losgehen sollen, doch der erhoffte Aufschwung blieb aus. Tatsächlich musste der Sky-Juice-Gründer eine Reihe von Absagen hinnehmen. Obwohl er bereit war, seine ersten SkyHydranten kostenlos an Hilfsorganisationen abzugeben, erntete er nur Stirnrunzeln und Ablehnung: „Die Leute trauten mir nicht“, sagt Butler. „Sie haben wohl irgendwelche finsteren Absichten vermutet.“

Ausgerechnet eine Katastrophe half weiter: Nachdem am zweiten Weihnachtsfeiertag 2004 der Jahrhundert-Tsunami weite Teile der südostasiatischen Küstenregionen mitsamt deren Trinkwasserversorgung verwüstet hatte, galt Rhett Butler plötzlich als Mann der Stunde. Mehr als hundert Freiwillige – darunter viele aus dem Siemens-Werk in Sydney – machten sich auf den Weg nach Sri Lanka, Thailand und Indonesien, um sicherzustellen, dass die Überlebenden der Flut nicht auch noch Opfer von Typhus- oder Cholera-Epidemien wurden. In ihren Weihnachtsferien hatten sie bereits eine verbesserte Version des Butlerschen SkyHydranten entwickelt und auch gleich 300 Exemplare auf Kosten des Unternehmens hergestellt. Vor allem in Sri Lanka konnten die Membranen zeigen, was in ihnen steckt: Dort rissen sich Hilfsorganisationen wie Oxfam und World Vision um die zuverlässigen, betriebskostenarmen und pflegeleichten Geräte.

In den Monaten danach erlebte SkyJuice seinen Höhenflug. World Vision orderte gleich mehrere Hundert Hydranten, sie sollten in Sri Lanka nach dem Tsunami dauerhaft zum Einsatz kommen. Auch die australische Regierung kam erstmals mit ins Boot und unterstützte Butler vorübergehend mit dem Gehalt für 200 Langzeitarbeitslose, die in einer kleinen Produktionsstätte innerhalb von vier Wochen 400 Wasserreiniger fertigten. Die Produktion musste inzwischen wieder eingestellt werden, denn auf den kurzen Boom der SkyHydranten folgte eine neue Flaute. Nachdem die direkten Folgen der Flutkatastrophe einigermaßen unter Kontrolle gebracht worden waren, ist das Interesse an den Geräten wieder erlahmt. Die Order für Sri Lanka fiel dem wieder aufgeflammten Bürgerkrieg zum Opfer, und Butler muss sich regelmäßig die bekannten Ausflüchte anhören: keine Zeit, kein Geld, andere Prioritäten. Seitdem heißt es immer wieder „Don’t call us, we call you“, das Wasserproblem bleibt ungelöst, die Menschen sterben weiter, auch und gerade in Afrika, dem Kummerkontinent.

Die Filteranlagen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein

Lediglich drei SkyHydranten gibt es bis heute auf dem ganzen Erdteil, und die stehen alle drei nebeneinander am Gona-Stausee im Siaya-Distrikt, in Obambo-Kadenge, dort, wo inzwischen auch die Kleinbäuerin Monica Owinji ihr Trinkwasser holt. Die Filtergeräte sind die einzigen Zeichen von Fortschritt, die Owinji in ihrem Dorf jemals zu Gesicht bekommen hat. Elektrizität ist ihr ebenso unbekannt wie eine Teerstraße oder ein Telefon, die nächste kleine Stadt ist 15 Kilometer entfernt, der Weg dorthin auf Schotterwegen beschwerlich.

Um die Gesundheit der Dorfbewohner steht es entsprechend schlecht. Peter Omoth, der Gesundheitsbeamte in der nächstgelegenen Krankenstation, hat dauernd mit Fällen von Durchfallerkrankungen wie Cholera und Typhus sowie Wurmerkrankungen zu tun. Die Wasserversorgung in der Region sei eine einzige Katastrophe, sagt er. Aber was soll er machen? Den Gona-Damm hat ein Geschäftsmann, der unbedingt ins Parlament gewählt werden wollte, einst auf die Schnelle mit einer Planierraupe aufschieben lassen. Ein zweiter Damm, den die sonst wenig präsente Regierung vor vier Jahren baggern ließ, war derart schlecht angelegt, dass der Stausee längst heillos verschlammt ist. Seine dunkelbraune Brühe verschmähen selbst die Rinder.

Da sind die SkyHydranten ein Segen – jedenfalls solange es überhaupt Wasser gibt. Wenn der Regen nicht bald einsetzt, muss das 15-köpfige Wasserkomitee in Obambo und Kadenge den mit Diesel betriebenen Motor abstellen, der das Dammwasser zu den Hydranten pumpt. Dann hilft auch das beste Filtersystem nicht mehr. Peter Otieno, der Patron des Komitees, hat schon diverse Eingaben bei der Regierung gemacht – mit einer Vertiefung des Gona-Stausees könnte dessen Lebenszeit drastisch verlängert werden. Er wartet bislang vergeblich auf Antwort.

Keine Utopie: Das globale Wasserproblem ließe sich lösen

Die Dorfbewohner geben die Hoffnung dennoch nicht auf. Sobald der Regen kommt, wird alles gut. Die Niederschläge in Afrika sind heftig, in einer einzigen Nacht können sie den Damm auffüllen, dann herrscht für die SkyHydranten wieder Hochbetrieb. Die eigentliche Tragik des Dürrekontinents ist schließlich nicht fehlender Niederschlag: Es fehlt vor allem am Wissen und an den Möglichkeiten, das vom Himmel fallende Wasser optimal aufzuhalten und zu säubern. Der Großteil des Regens fließt ungenutzt ab.

Rhett Butler hält es keineswegs für einen Traum, das drängendste Problem dieser Welt zu lösen. „Mit der heutigen Technologie ist das durchaus zu schaffen.“ Er hat es ausgerechnet: Wenn die internationale Gemeinschaft ihr Versprechen wahr machen und die Zahl der Erdbewohner, die ohne sauberes Trinkwasser leben, bis zum Jahr 2015 tatsächlich halbieren wolle, müssten täglich 370 000 Menschen neu versorgt werden, das bedeutet einen Gesamtaufwand von 15 Milliarden Dollar. Zu viel Geld? „Die USA wenden für ihren Irak-Einsatz jeden Monat knapp zehn Milliarden US-Dollar auf.“

Wenn es nach ihm geht, werden jetzt möglichst schnell 200 Versuchs-Stationen in aller Welt mit Hydranten ausgestattet. Dann könne die internationale Fachwelt beurteilen, ob das Filtrationsverfahren tatsächlich hält, was es verspricht. Und es könnten neue Betreiber-Modelle erprobt werden. Denn Butler liefert nur die Technologie, für den Unterhalt der Anlage sind die Nutzer selbst verantwortlich. In Obambo und Kadenge müssen die Dorfbewohner für 20 Liter Wasser ein paar kenianische Schilling zahlen, umgerechnet etwa zwei oder drei Cent. Der SkyHydrant, der kürzlich in der Nagigi-Schule auf den Fidschi-Inseln in Betrieb gegangen ist, wird von den örtlichen Rotariern finanziert.

Seit zwei Monaten ist das Gerät auf Vanua Levu, der zweitgrößten Insel des Archipels, im Einsatz. Seitdem sind Lehrer und Schüler, die bis dahin mit dem verunreinigten Wasser aus einer am Berghang gelegenen Quelle auskommen mussten, bereits deutlich seltener krank. In seiner Dankesrede anlässlich der Feier zu Ehren der neuen Wasserfilter und ihrer Spender schwärmte Direktor Jacob Bekei deshalb von einer neuen Epoche der Geschichte, die für die Nagigi-Schule angebrochen sei. Rhett Butler konnte nicht dabei sein, er war schon wieder unterwegs. Sein Verein soll endlich wachsen: „Denn solche Geschichten könnte es zu Tausenden geben.“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.