Rheuma in den USA

So geht die Welt mit Rheuma um.





Im Krankheitsfall bekommen Arbeitnehmer (die seit mindestens vier Wochen sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind) von ihrem Arbeitgeber sechs Wochen lang eine „Entgeltfortzahlung“ in Höhe ihres Gehalts. Voraussetzung dafür ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die spätestens am dritten Tag der Erkrankung im Betrieb vorliegen muss. Der Anspruch auf Fortzahlung beginnt mit dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit.

Rose Vincens ist Sekretärin bei Dauterive Plumbing & Heating, einer Klempnerei mit sieben Angestellten am Rande von New Orleans. Ihr Arbeitstag beginnt morgens um halb acht. Wenn sie pünktlich sein will, muss die 57-Jährige um halb sechs aufstehen, denn sie braucht mehr als eine Stunde, um ihre Gelenke „zu schmieren“, wie sie es nennt; Rose Vincens leidet seit mehr als 30 Jahren unter Rheuma, anfangs nur in den Händen, dann in den Füßen und heute so ziemlich überall im Körper. Vor 15 Jahren bekam sie neue Knie, doch die bereiten ihr inzwischen auch schon wieder Probleme.

Manchmal seien ihre Beine steif, wenn sie aufwacht, erzählt Vincens, und ihre Schmerzen so heftig, dass sie glaubt, sie komme nicht aus dem Bett. „Ich dusche dann erst mal eine Stunde heiß. Ist das Einzige, was hilft.“ Krank meldet sie sich so gut wie nie, denn Dauterive Plumbing & Heating zahlt kein Gehalt, wenn Mitarbeiter wegen Krankheit fehlen. „Ich kann nicht zu Hause bleiben, ich brauche das Geld. Meine Krankenversicherung ist teuer, und ich muss außerdem einen Teil der Kosten für Medikamente und Arztbesuche bezahlen.“ Also sitzt sie manchmal im Büro, auch wenn sie vor Schmerzen weinen möchte.

Seth Ginsberg von der Hilfsorganisation Creaky Joints sagt, dieses Verhalten sei unter Rheumakranken in den USA weitverbreitet: „Wenn Angestellte oft fehlen, nennen wir das ‚Absenteeism‘. ‚Presenteeism‘ hingegen ist, wenn sie zum Job gehen, obwohl sie eigentlich nicht arbeiten können.“

In den Vereinigten Staaten zahlt nur etwa die Hälfte der Unternehmen ihren Mitarbeitern im Krankheitsfall ihr Gehalt, einige Firmen überweisen zumindest einen Teil. Allerdings hat kein Arbeitnehmer darauf einen gesetzlichen Anspruch. Rose Vincens findet das okay. „Wir sind ein kleines Unternehmen, wir können es uns nicht leisten, Krankentage zu bezahlen.“ So hat ihr Boss es ihr erklärt. Er hat Verständnis für ihre Situation, immerhin arbeitet sie schon seit 15 Jahren für ihn. Manchmal, wenn sie wirklich nicht kommen kann und er ein Auge zudrückt, zahlt sie es ihm mit Mehrarbeit zurück – eine Stunde pro Tag. Hauptsache, er feuert sie nicht.

Unseliger Kreislauf

Das ist ihr auch schon passiert, mit Mitte 20, als ihre Krankheit begann. Damals arbeitete sie an einem Bankschalter: Geld zählen, sortieren, herausgeben. Plötzlich schwollen ihre Finger an, sie konnte mit den Geldscheinen nicht mehr umgehen. Kurz darauf wurde ihr unter einem Vorwand gekündigt. Ihr Arzt verschrieb ihr damals Kortison in hohen Dosen, was sich als fatal herausstellte.

Später nahm sie andere Steroide in noch höheren Dosen. Ihre Beine versteiften sich in gebeugter Position. Es war kaum auszuhalten, sie konnte das Haus nicht verlassen. Erst die neuen Knie ermöglichten ihr wieder ein halbwegs normales Leben. Seitdem sie die hat, ist sie bei Dauterive.

Rose Vincens’ Krankenversicherung kostet 1055 Dollar im Monat, wovon Dauterive die Hälfte übernimmt. Hinzu kommen für sie die Zuzahlungen für die zwölf Medikamente, die sie jeden Tag schluckt, und die Arztbesuche – all das summiert sich im Monat auf mehrere Hundert Dollar. „Ich arbeite, um meine Behandlungen bezahlen zu können, und ich lasse mich behandeln, um arbeiten zu können“, sagt Vincens.

Sie hat Glück, dass ihr Haus am Stadtrand von New Orleans schuldenfrei ist – nach dem Tod ihres Mannes zahlte sie es mit der Prämie der Lebensversicherung ab. Wegen der Schmerzen geht sie kaum aus dem Haus, nur ihr Bruder kommt einmal pro Woche vorbei. Immerhin: Über Creaky Joints lernt sie viele Leidensgenossen online kennen.

Hilfe vom Staat können weder sie noch ihr Arbeitgeber erwarten. „Uns sind keine öffentlichen Programme bekannt, die Rheuma-Patienten oder anderen chronisch Kranken helfen würden“, sagt Seth Ginsberg. Wie wird das in den kommenden Jahren gehen?

Mit 57 Jahren wäre es an der Zeit, für die Rente zu planen. Was hat Rose Vincens vor? „Ich habe keinen Rentenplan und nichts gespart“, sagt sie. „Ich werde so lange arbeiten, wie ich kann.“ Vielleicht wird sie Invalidenrente beantragen. Aber das hat sie schon mal versucht. Der Antrag wurde abgelehnt. 


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.