Rheuma in Japan

So geht die Welt mit Rheuma um.




Anfangs war es so schlimm, dass ich kaum Fenster und Türen öffnen konnte“, erinnert sich Toshiko Hamada (Name geändert), die in der PR-Abteilung eines großen Unternehmens tätig ist. „Ich konnte keine zehn Minuten in der gleichen Position vor dem Computer sitzen – dann wurden meine Gelenke steif.“ Ständig hatte sie leichtes Fieber und Gelenkschmerzen. Schließlich ergab ein Bluttest, dass die 28-Jährige an Rheuma erkrankt war.

Es wurde so schlimm, dass sie ihre Stelle im Ausland, wo sie lange gelebt hatte, aufgab und nach Japan zurückkehrte. Erst zehn Monate später konnte sie wieder eine geregelte Arbeit aufnehmen. Inzwischen spritzt sie sich alle zwei Wochen ein biopharmazeutisches Medikament. „Zehn Sekunden – und ich bin so fit, dass ich ganz normal ins Büro gehen kann“, erzählt Hamada sichtlich froh. Alle zwei Monate geht sie zum Arzt – zur Kontrolle und Verschreibung weiterer Medikamente.

Wer krank ist, zahlt zu

Die Kosten übernimmt zu 70 Prozent die Krankenkasse, wie bei anderen Erkrankten in Japan auch – ob akutes oder chronisches Leiden spielt keine Rolle. Den Rest zahlen die Patienten selbst, außer sie haben eine Zusatzversicherung, die die Selbstbeteiligung ab einer gewissen Höhe übernimmt. Die Grenze ist abhängig vom Einkommen: Bei einem in Japan durchschnittlichen Monatsgehalt von etwa 300 000 Yen (2300 Euro) liegt sie bei 80 000 Yen (600 Euro). Weil sie über ihre Firma in eine spezielle Versicherung aufgenommen wurde, bezahlt Hamada monatlich nur maximal 20.000 Yen (150 Euro) aus eigener Tasche.

Seit Kurzem müssen auch Senioren bis zum Alter von 74 Jahren 30 Prozent der Kosten selbst tragen – früher waren es nur zehn Prozent. Die Erhöhung soll helfen, den Druck auf das Sozialsystem zu reduzieren: Japan ist die Industrienation mit dem höchsten Durchschnittsalter weltweit, und so dürfte auch die Zahl der Patienten mit chronischen Krankheiten künftig weiter steigen.

Bisher werden Betroffene vom Staat nicht besonders unterstützt, es gibt auch keine staatlichen Präventionsprogramme. Die führen eher Konzerne durch, wie beispielsweise die Elektronikhersteller Panasonic und Fujitsu, die Kosmetikfirma Kanebo oder der Kamerahersteller Fujifilm. Die Unternehmen ermuntern ihre Mitarbeiter, sich fit zu halten, beraten sie zur Ernährung und zum Lebensstil.

Wer kann, schleppt sich ins Büro

Hamada verzichtet auf die Unterstützung durch ihren Arbeitgeber. Sie verschweigt ihre Krankheit, man sieht sie ihr nicht an. Dabei müsste sie sich nicht verstecken – im Unternehmen gibt es noch eine Reihe weiterer Mitarbeiter mit chronischen Beschwerden. Dass sie auch mal zu Hause arbeiten oder früher gehen, wird akzeptiert. „Das ist aber nicht unbedingt typisch für Japan“, sagt Hamada. Was vor allem daran liegt, dass die Japaner die Leistung von Arbeitnehmern nach ihrer Anwesenheitsdauer im Büro beurteilen.

Entsprechend schwierig ist es, freizunehmen: Mehr als zwei, drei Tage Urlaub am Stück gelten als Affront. Zwar sind etwa 20 Tage bezahlter Urlaub pro Jahr Standard, ergänzt um einige Tage für besondere Anlässe und Arztbesuche. Aber die meisten Japaner nutzen weniger als die Hälfte davon.

Wer sich erkältet, schleppt sich ins Büro oder reicht Urlaub ein, um sich auszukurieren, mit Glück ohne große finanzielle Not: Einige Firmen zahlen weiter Gehalt, manche nur einen Teil, wenn jemand über die verfügbaren Urlaubstage hinaus krank ist. In anderen Unternehmen bekommen Kranke gar nichts. Dann springt die Krankenkasse ein und zahlt ab dem vierten Tag Krankengeld: Es beträgt zwei Drittel des Gehaltes.

Damit es gar nicht erst so weit kommt, müssen Angestellte einmal jährlich zur „kenko-shindan“. Das ist eine vom Arbeitsgesetz vorgeschriebene und vom Arbeitgeber finanzierte umfassende Gesundheitsuntersuchung, die je nach Firma und Position mehr oder weniger Leistungen umfasst. Ihre Ergebnisse werden an den Arbeitgeber weitergeleitet.

Nicht untersucht wird dabei die mentale Gesundheit. Japan ist bekannt für extrem lange Arbeitszeiten, ein hohes Pensum und weite Pendelwege – deshalb sind viele Angestellte chronisch übermüdet und überfordert. Zwar halten viele Arbeitgeber ihre Mitarbeiter offiziell dazu an, keine Überstunden zu machen. In der Realität ist es aber durchaus üblich, erst mit der letzten Bahn gegen Mitternacht nach Hause zu fahren.

Die Folge sind psychische Probleme bis hin zu Depressionen: Laut einer aktuellen Studie des Pharmaunternehmens Lundbeck ist jeder zehnte Japaner schon einmal an einer Depression erkrankt. Und auch wenn die psychische Gesundheit inzwischen in der Wirtschaft immer häufiger thematisiert wird, sagten vier Fünftel der befragten Manager, sie seien unzufrieden, wie ihr Arbeitgeber damit umgehe.

Noch in diesem Jahr soll ein neues Gesetz in Kraft treten, das Unternehmen verpflichtet, Stress-Checks am Arbeitsplatz einzuführen. Ohne generelles Umdenken kann deren Erfolg jedoch bezweifelt werden.

Stress gilt auch als ein möglicher Auslöser von Rheuma. Hamada sagt, sie versuche deshalb mindestens acht Stunden zu schlafen und ausgewogen zu essen. Sie wolle sich aber auch nicht ständig um ihre Ernährung sorgen. Als chronisch Kranke laufe man ohnehin Gefahr, an einer Depression zu erkranken. Deshalb versuche sie zu essen, was sie glücklich macht: „Damit meine ich aber nicht Schokolade, sondern richtig gutes japanisches Essen!“


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.