Verlässliche Verbindung

Teuer, unpünktlich, unsicher ­- mit diesem Image kämpft der öffentliche Nahverkehr. Der Verkehrsverbund Oberelbe macht vor, wie man flexibel und fortschrittlich auf seine Kunden eingeht.




Am Bahnhof Freital-Hainsberg steigt ein junger Mann aus der S-Bahn und tippt im Gehen eine Fahrplan-Anfrage in sein Handy; noch während er zum nächsten Bahnsteig läuft, signalisiert das Gerät den Eingang einer SMS: "9.42 Uhr, Weißeritztalbahn, Abfahrt Freital-Hainsberg." Wenig später nähert sich bimmelnd und dampfend Deutschlands dienstälteste öffentliche Schmalspurbahn, vorn eine schwarze Lok, Baujahr 1952, aus deren Führerstand mit rußverschmiertem Gesicht der Lokführer grinst; der junge Mann steigt in einen der Wagen, in denen derselbe Dampf für wohlige Wärme sorgt, der in der Lok die Kolben antreibt; als die Schaffnerin vorbeikommt, zückt er lässig seine Schülermonatskarte.

Willkommen beim Verkehrsverbund Oberelbe (VVO), einem der fortschrittlichsten und erfolgreichsten Verkehrsverbünde im Land, der nicht nur herausragt, weil man mit einer Monatskarte in ein 127 Jahre altes Touristenbähn- chen steigen darf, das mit 30 Stundenkilometern durchs Erzgebirge zuckelt. Es gibt noch eine Reihe anderer Gründe für die Erfolgsstory des Unternehmens, die sich in einem einzigen Chart anschaulich darstellen lässt: Die Kurve der Fahrgeldeinnahmen ist seit 1998 um 38 Prozent gestiegen; die Zahl der Fahrgastfahrten hat in diesem Zeitraum um 9,5 Prozent zugenommen.

Das ist besonders bemerkenswert, weil parallel dazu drei Linien im Schaubild beständig ins Minus laufen: Seit 1998 ist die Bevölkerung im VVO-Gebiet (dazu gehören Dresden und die drei umliegenden Landkreise) um 2,7 Prozent geschrumpft, sank die Zahl der Beschäftigten um 16 und die Zahl der Schüler sogar um 46 Prozent. Das heißt: Trotz extrem ungünstiger Bedingungen hat der Verkehrsverbund seine Akzeptanz erhöht. Das Unternehmen hat offenbar viel richtig gemacht.

Beispielsweise das Infrastrukturprogramm. "Anders als andere Verbünde haben wir nicht in Großprojekte wie Tunnelbauten investiert, die viel Kapital binden und die Attraktivität des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) erst nach vielen Jahren erhöhen", sagt VVO-Geschäftsführer Burkhard Ehlen. Stattdessen haben der Verbund und seine 15 Verkehrsunternehmen seit 1999 fast 50 Millionen Euro für neue Park-and-Ride-Plätze, für barrierefreie Haltestellen und Übergangsstationen ausgegeben. Weitere Millionen flossen in neue Gleisfahrzeuge und Busse. "Im VVO-Gebiet sehen Sie kein einziges altersschwaches Schienenfahrzeug und keinen heruntergekommenen Bus", sagt Ehlen.

Trotzdem kann der Gast vor Ort in Verkehrsmittel steigen, die sich auch gut im Museum machen würden. Wie etwa Deutschlands älteste Schmalspurbahn, in der zwar vor allem Ausflügler und Eisenbahnnostalgiker unterwegs sind, die ihre 15 Kilometer lange Strecke aber dennoch fahrplanmäßig sechsmal täglich befährt, auch im Winter. Das Dampfzüglein ist genauso mit dem VVO-Fahrplan getaktet wie die historische Seilbahn, eine Schwebebahn, mehrere Personenfähren über die Elbe sowie die Lößnitzgrundbahn, eine zweite Schmalspurbahn zwischen Radebeul und Radeburg, oder die Kirnitzschtalbahn, eine Straßenbahn, die mitten durch die Felsenlandschaft des Elbsandsteingebirges fährt.

Für diese "Sonderverkehrsmittel" hat der VVO schon vor acht Jahren ein Tourismusbüro eingerichtet, das mit Wandertipps und Fahrradanhängern an Linienbussen um die Freizeit-Klientel wirbt, die bereits ein Drittel aller Fahrgäste stellt. "Kein anderer Verkehrsverbund in Deutschland vermarktet die touristischen Angebote seiner Partner mit einem eigenen Büro", sagt Gabriele Clauss, die Leiterin von Oberelbe Tours. Wo die Demografie-Keule zuschlägt, müsse man sich durch ÖPNV-Angebote für den Freizeitverkehr neue Märkte erschließen, meint Clauss und gibt als Ziel aus, dass sich alle fünf Verkehrsverbünde des Bundeslandes zu konzertierten Aktionen zusammenfinden: "Gemeinsam müssen wir den Leuten zeigen, was es zu sehen gibt in Sachsen." Und darüber hinaus: Seit zwei Jahren verkauft der VVO auch das grenzüberschreitende Elbe-Labe-Ticket, mit dem Urlauber ohne zusätzliche Fahrkarte in die Böhmische Schweiz und fast bis nach Prag fahren können.

Modern und mobil mit Menschen und Maschinen

Ungewöhnlich ist auch, wie der VVO um seine Stammkundschaft wirbt. Bundesweit als Vorreiter vorzeigbar dürfte das Infomobil sein, ein Transporter, mit dem ein Kundendienstmitarbeiter jährlich 20000 Kilometer durch die Region tourt, bestückt mit Informationsmate-rial und gesteuert von einem Mann, der gern mit den Leuten redet. Meist macht er halt auf Wochenmärkten und Festen, auf Anfrage kommt er aber auch in Schulen und Kindergärten. In Dresden leistet sich das Unternehmen ein eigenes Reisebüro mit Mitarbeitern hinter einem Schalter inklusive einer Hotline, "hinter der sich nicht irgendein Callcenter verbirgt, sondern echte VVO-Mitarbeiter", wie Hendrik Wagner betont, der Abteilungsleiter für Marketing und Vertrieb.

Die Alternative zur Auskunft von Mensch zu Mensch gibt es freilich auch: VVO-Kunden im Besitz eines iPhone können sich Verbindungsauskünfte und Liniennetzpläne auf ihr Gerät laden und sich über GPS die nächstgelegene Haltestelle anzeigen lassen. Fahrplanauskünfte via SMS sind schon lange möglich, zudem beschäftigt sich der VVO seit vielen Jahren mit dem elektronischen Ticket. Im Rahmen eines Forschungsprojektes zur "Mobilität in Ballungsräumen" testeten die Dresdner ein System, bei dem die Fahrgäste mit einer Chipkarte in den Bus oder die Straßenbahn steigen und sie wieder verlassen können, ohne sich um eine Fahrkarte kümmern zu müssen ­ das Fahrzeug "erkennt" selbstständig, welcher Chipkartenbesitzer wo ein- und aussteigt, am Monatsende kommt die Rechung. "Wir konnten nachweisen, dass es funktioniert", sagt Hendrik Wagner, "trotzdem braucht diese Technik noch Zeit. Vor 2015 ist ihr Einsatz nicht realistisch, aber das ist die Endstufe, die wir einmal erreichen wollen."

Bis dahin wird sich das Mobiltelefon als kleiner Fahrkartenautomat weiter durchsetzen. Im VVO-Verbund nutzen bereits mehr als 4000 Menschen das Angebot, sich ihr Ticket per SMS aufs Display zu laden, bargeldlos und unabhängig von Öffnungszeiten oder Verkaufsautomaten. Nur an Rhein und Ruhr, in Hamburg und im Großraum Nürnberg gibt es auf den Strecken heute schon mehr Fahrgäste mit Handyticket. Ein weiterer Vorteil für die Avantgarde des ÖPNV: Das Mobilfunk-Ticket funktioniert auch in Nürnberg, Hamburg, Freiburg und zehn weiteren Regionen Deutschlands. "Wir wollten keine Lösung anbieten, die nur innerhalb des VVO funktioniert, sondern über den Tellerrand hinausschauen", sagt Wagner.

Technisch möglich wäre es inzwischen sogar, dass sich die Reisenden von Freital-Hainsberg nach Dippoldiswalde für die Tour mit der Bimmel-Schmalspurbahn ihr Ticket via Mobiltelefon kaufen. Für die Nostalgiker in den Oldie-Waggons mit der Dampflok vorn dran dürfte allerdings der Fahrkartenblock zum Abreißen trotz Handyticket die beliebtere Variante bleiben.