Tal ohne Titel

Der Waldschlösschen-Zwist ­ oder: Wie der Bau einer Brücke eine Stadt entzweit. Zusammengestellt von: Michaela Streimelweger




Chronologie

"Siebenmal seit der Stadtgründung Dresdens ist der Brückenschlag über die Elbe beinahe reibungslos gelungen. Aber über die achte Brücke wird nun schon seit 125 Jahren gestritten: die Querung des Flusses am Waldschlösschen, also an jener Stelle, an der die Maler der Romantik einst ihre Staffeleien aufstellten, um das Landschaftspanorama von 'Elbflorenz' aus dem reizvollsten Blickwinkel festzuhalten. Vor der Ausführung eines Verkehrsbauwerks an diesem sensiblen Ort schreckten Stadtplaner, Oberbürgermeister und selbst der sächsische König schon zu einer Zeit zurück, als die Fahrzeuge noch von Pferden gezogen wurden." (Die Welt)

Neunziger Jahre

"1990 begann in Dresden eine Debatte über die Verkehrslenkung in der Stadt, dass neue Brücken über die Elbe hermüssen, damit die Verstopfungen durch Autos und nicht vorankommende Straßenbahnen ein Ende haben. Damals waren sich fast alle Beteiligten auch noch einig, mitten in der Stadt eine Brücke zu bauen, (...) die sogenannte Waldschlösschenbrücke. Doch nach anfänglicher Eintracht wurden Gutachter eingeschaltet, die mal dafür plädierten, diese eine Brücke zu bauen, dann dafür warben, mehrere zu errichten." (Frankfurter Rundschau)

15. August 1996

"Der Dresdner Stadtrat beschließt den Bau einer neuen Elb-Brücke am Waldschlösschen. Umplanungen verzögern den Baustart." (AP)

1998

"Seit einem Architektenwettbewerb 1998 ist die Waldschlösschenbrücke beschlossene Sache. (...) Gleich-zeitig präsentiert die Bürgerinitiative "VerkehrsFluss" ein Alternativkonzept, nach dem die Brücke durch einen Tunnel ersetzt werden kann, ohne dass Mehrkosten entstehen." (Die Welt)

29. November 2000

"Im Rahmen des Wahlkampfes zur Oberbürgermeisterwahl führte Amtsinhaber Herbert Wagner am 29. November 2000 ­ ungeachtet der zu diesem Zeitpunkt wegen fehlender Unterlagen und Überschreitungen von Lärmgrenzwerten fehlgeschlagenen Planfeststellung (...) ­ den ersten Spatenstich zur Waldschlösschenbrücke aus." (Wikipedia, Dresdner Brückenstreit)

2. Juli 2004

"Am 2. Juli 2004 erhielt ein 19,5 Kilometer langer Streifen im Dresdner Elbtal den Titel 'Unesco Weltkulturerbe'." (Sächsische Zeitung)

27. Februar 2005

"Bei einem Bürgerentscheid sprechen sich knapp 68 Prozent der Dresdner für den Bau aus." (AP)

27. Februar 2005

"Sie rissen die Arme hoch, sangen und veranstalteten Freudentänze. Als am Sonntagabend im Plenarsaal des Dresdner Rathauses das Ergebnis des Bürgerentscheids über die Waldschlösschenbrücke feststand, fielen sich Oberbürgermeister Roßberg (FDP) und die Mitglieder der Bürgerinitiative, die den Bau der seit 146 Jahren geplanten und immer wieder verworfenen Elbquerung gegen die ablehnende Haltung der Stadtverordneten durchsetzen wollten, gegenseitig in die Arme. 50,9 Prozent der Wahlberechtigten hatten sich beteiligt ­ fast vier Prozent mehr als bei der Kommunalwahl 2004. Und mehr als zwei Drittel von ihnen (67,88 Prozent) hatten für den Brückenschlag gestimmt." (Die Welt)

11. Juli 2006

"Das Welterbekomitee setzt das Elbtal in Dresden wegen der Brückenpläne auf die Rote Liste der gefährdeten Weltkulturstätten." (AP)

2003 bis 2006

"2003 stellte die Stadt den Antrag, mit dem Elbtal ins Weltkulturerbe aufgenommen zu werden. Die geplante Brücke wurde darin kurz und an falscher Stelle erwähnt.

Damit war alles angerührt für einen Krach, der niemals ein gutes Ende finden sollte: Die Unesco nahm Dresden 2004 auf, und 2005 stimmten 67 Prozent der Elbstädter in einem Bürgerentscheid dafür, die gigantische Brücke durchs Welterbe zu bauen. Danach wurden alle wach: Meine Güte, vierspurig? 635 Meter lang? In Sichtweite der historischen Altstadt? Die Unesco, in deren Karten die Brücke einige Kilometer entfernt eingezeichnet war, hob sofort drohend den Finger und setzte Dresden auf die Rote Liste gefährdeter Stätten." (Frankfurter Rundschau)

10. August 2006

"Der Stadtrat stimmt gegen den Bau, das Land Sachsen beharrt indes auf dem Vorhaben." (AP)

14. August 2006

"Regierungspräsidium ordnet Baubeginn an, Klagen folgen." (Ruhr Nachrichten.de)

6. Juni 2007

"Dresden scheitert vor dem Bundesverfassungsgericht mit einer Klage gegen den vom Freistaat angeordneten Bau." (AP)

August 2007

"Das Tauziehen um den Bau der Waldschlösschenbrücke durch das Unesco-geschützte Dresdner Elbtal nimmt kein Ende. Vorläufiger Stand: Die Brücke wird vorerst nicht gebaut ­ obwohl eigentlich am kommenden Montag die Arbeiten beginnen sollten. (...) Buchstäblich in letzter Minute hat das Dresdner Verwaltungsgericht den Baubeginn (...) gestoppt. Grund ist der Schutz einer Fledermausart, der Kleinen Hufeisennase." (Spiegel online)

November 2007

"Drei Monate war die 'Kleine Hufeisennase' für alle, die für den Erhalt des Dresden 2004 verliehenen Welterbetitels kämpfen, ein Symbol der Hoffnung.

(FAZ.net)

November 2007

"Vergangene Woche lehnte das Sächsische Oberverwaltungsgericht Bautzen die Anträge dreier Naturschutzverbände auf vorläufigen Baustopp ab. Die Wald-schlösschenbrücke darf gebaut werden, obwohl sie das Weltkulturerbe Elbtal zerstört. Denn es bleibt eine Zerstörung, auch wenn die winzige Fledermaus, um die es zuletzt ging, sich durch die vierspurige Autotrasse nicht behelligt fühlen sollte." (Die Zeit)

November 2007

"Die Stadt ist seitdem gespalten: Linke, Grüne, SPD, Bewohner der betroffenen Stadtteile waren mehrheitlich gegen die Brücke, weil sie hässlich sei und nicht gebraucht werde. Die Autopendler aus den entfernteren Stadtteilen, die Wirtschaft, die Regierung, der ADAC, CDU und FDP waren stets dafür. Doch während noch der Krieg der Worte tobte, waren die Bagger längst am Werke. Seit dem 19. November 2007 wird auf beiden Ufern gebaut (...)." (Frankfurter Rundschau)

Januar 2008

"Trotz massiven Widerstandes hat die Stadt die besetzte Rotbuche in der Dresdner Neustadt gestern Mittag gefällt. Ein Sondereinsatzkommando der Polizei hatte in der Nacht zuvor den Baum geräumt, auf dem acht Aktivisten der Umweltorganisation Robin Wood seit einem Monat ausgeharrt hatten. (...) Die Dresdner Grünen bedauerten den gestrigen Kettensägen-Einsatz. "Schlimme Bilder von Fällungen wertvoller Bäume schaden dem Ansehen der Stadt ebenso wie der drohende Verlust des Welterbetitels", hieß es. Die Linksfraktion im Landtag kritisierte den ihrer Ansicht nach überzogenen Polizeieinsatz. Die FDP-Fraktion, die den Brückenbau befürwortet, verlangte dagegen, die Baumbesetzer sollen die Kosten für die Aktion übernehmen." (Sächsische Zeitung)

10. März 2008

"Unesco-Gutachter empfehlen Tunnel statt Brücke."

(Ruhr Nachrichten.de)

13. März 2008

"Fein säuberlich wurden gestern mehrere Hundert Brücken- und Tunnelbefürworter auseinandergehalten, als sie sich zum Auftakt der Stadtratssitzung vor dem Rathaus versammelten. (...) Als die OB-Kandidatin der Grünen, Eva Jähnigen, gegen 16.40 Uhr verkündete, dass es keinen Baustopp an der Brückenbaustelle geben werde, nahmen das die laut Polizeiangaben etwa 200 Tunnelverfechter ruhig auf. (...) Die Polizei war zufrieden. Außer einer kleinen Rangelei zu Beginn der Veranstaltungen kam es bis zum Abend zu keinen gewalttätigen Auseinandersetzungen." (Sächsische Zeitung)

20. Mai 2008

"Bürgerinitiativen scheitern mit dem Versuch, einen neuen Bürgerentscheid über einen Tunnel als Alternative zur Brücke durchzusetzen."

(AP)

Juni 2008

"Günter Grass, Martin Walser, Wim Wenders und fünf weitere namhafte Künstler haben die Regierungschefin in einem offenen Brief zum schnellen Eingreifen aufgefordert. Für die acht steht nichts Geringeres als der 'Ruf unseres Landes als Kulturnation' auf dem Spiel. 'Wir befürchten, dass der bisher nicht gestoppte Frevel an einem einzigartigen Kulturerbe wie dem des Dresdner Elbtals vieles von diesem Ansehen zunichte macht', schreiben sie. (...) Der Streit, der längst zu einer nationalen Angelegenheit erwachsen ist, bekommt damit noch einmal eine neue Dimension." (Spiegel online)

3. Juli 2008

"Auf der Welterbe-Komitee-Sitzung 2008 im kanadischen Québec wurde Dresden noch einmal verwarnt und eine Frist von einem Jahr gesetzt, die Bauarbeiten zu stoppen. Lediglich ein Tunnel anstatt der Brücke hätte die Meinung der 21 Mitglieder des Komitees noch ändern können."

(Frankfurter Rundschau)

16. September 2008

"Verwaltungsgericht lehnt Antrag auf Baustopp ab." (Ruhr Nachrichten.de)

November 2008

"Militante Brückengegner sabotieren mal wieder die Baustelle der Waldschlösschen-Querung. Jetzt sitzt ihnen die Polizei im Nacken." (Sächsische Zeitung)

März 2009

"Richter erteilen der unterirdischen Elbquerung eine Absage (...). Bereits Ende Oktober hat das Dresdner Verwaltungsgericht die Klage von Naturschützern gegen den Brückenbau am Waldschlösschen abgewiesen. Jetzt liegt die schriftliche Begründung vor. Darin urteilen die Richter: 'Die Tunnellösung ist keine vorzugswürdige Variante.' Die unterirdische Querung sei teurer als die Brücke. Der Bau gefährde die Umwelt." (Sächsische Zeitung)

26. März 2009

"Mehrere Naturschutzverbände legen Berufung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Dresden ein, mit der die Klage gegen den Brückenbau abgewiesen wurde." (AP)

Mai 2009

"Auf der Neustädter Elbseite laufen die Arbeiten an den Zufahrtstunneln für die Elbquerung auf Hochtouren. Auf der Johannstädter Seite ist der Umbau des Kollwitz-Ufers beinahe abgeschlossen. Zudem wird Erde für eine Zufahrtsrampe aufgeschüttet. Arbeiter machen einen riesigen Platz frei, auf dem voraussichtlich ab Juni die ersten Brückenteile lagern werden. Bislang liegt der Bau des rund 160 Millionen Euro teuren Verkehrszugs weitgehend im Zeitplan. Ab 2011 sollen Autos über die Brücke rollen." (Sächsische Zeitung)

15. Mai 2009

"Das Welterbezentrum in Paris empfiehlt der Unesco die endgültige Streichung des Dresdner Elbtals von der Welterbeliste."

(AP)

Juni 2009

"Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz (CDU) will weiter um den Erhalt des Unesco-Welterbetitels für das Dresdner Elbtal kämpfen. "Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagte sie am Montag in Dresden im Vorfeld der Sitzung des Welterbekomitees im spanischen Sevilla. Sie wolle vor dem Gremium noch einmal die rechtlichen Aspekte skizzieren und deutlich machen, dass es um eine etwa 20 Kilometer lange Flusslandschaft mit mehreren Stätten von historischer Bedeutung gehe. Ziel sei es, einen weiteren Aufschub bis nach Vollendung der von der Unesco kritisierten Waldschlösschenbrücke zu erreichen."

(Lausitzer Rundschau)

Juni 2009

"Eine neue Brücke, mit deren Bau entgegen allen Bedenken längst begonnen wurde, soll bald das Tal überqueren und den in seiner Schönheit unendlich oft dokumentierten Blick über Fluss und Auen stören. Aber ist das Elbtal an dieser Stelle tatsächlich weniger schön, wenn eine Brücke hindurchführt? Muss der Blick über die Biegung des Flusses, wie ihn der Maler Bellotto um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts festhielt, allen Spätgeborenen Maßstab und Muster sein?" (Süddeutsche Zeitung)

Juni 2009

"Von allen Aussichtspunkten am Hochufer über den Weinbergen, aber auch von den Spazierwegen unten am Ufer aus wird man die vierspurige Brücke ­ sie überquert das Tal ungefähr im Scheitel der Kurve ­ als extreme Störung, als auslöschenden Querstrich in der Landschaft erleben. Und von überall wird man mitansehen und mitanhören müssen, wie das Tunnelmaul oben am Hang massenhaft Pkw und Lkw ausspuckt, die laut über die grobschlächtige Brücke fahren und am anderen Ende auf den Auwiesen beim Einfädeln ihre umständlichen Schleifen ziehen. Ruhe wird es auf den Elbwiesen also nie mehr geben.

Schmerzlicher und heimtückischer als die reale Wunde in der Landschaft wird aber der geistige, um nicht zu sagen: der moralische Schaden sein, den Sachsen als Kulturstandort und Deutschland als Musterland des Natur- und Denkmalschutzes durch diese berechtigte Rüge aus der Völkergemeinschaft erleiden werden." (Süddeutsche Zeitung)

Juni 2009

"Jetzt ist die Frist abgelaufen, der Titel weg. Nach einer aktuellen Umfrage in Dresden stört es aber eine knappe Mehrheit überhaupt nicht. Sie halten sich an Kurt Biedenkopf, den früheren Ministerpräsidenten, der gerne sagte: 'Na und. Dresden ist auch ohne Titel schön.'" (Frankfurter Rundschau)