Auf ein Neues

Die Elbe Flugzeugwerke verwandeln Passagiermaschinen in Frachtflugzeuge ­ und beflügeln damit die Renaissance des Flugzeugbaus in Dresden.




Als Barack Obama Anfang Juni zu seinem Kurzbesuch in Dresden einschwebte, war das Staatsoberhaupt von der Öffentlichkeit strengstens abgeschirmt. Auch die Besucherterrassen des Flughafens Dresden waren für Schaulustige gesperrt. Deshalb kann man nur mutmaßen, ob der US-Präsident beim Landeanflug aus dem Fenster geschaut hat und dabei vielleicht sogar den Blick über das Flughafengelände schweifen ließ. Falls ja, mag ihm die riesige Halle aufgefallen sein, auf deren Tor in manns-hohen Buchstaben EADS steht und darunter EFW und Elbe Flugzeugwerke. Dass ihm in dieser Sekunde schwante, dass die Kürzel auch ihn beschäftigen könnten, ist allerdings unwahrscheinlich. Zwischen Kairo und Buchenwald blieb nicht viel Zeit für die genauere Analyse eines Flughafen-Hangars. Dabei passiert ­ und passierte schon zu DDR-Zeiten ­ hinter dem gewaltigen Schiebetor Bemerkenswertes.

Seit 1996 rüsten hier die Elbe Flugzeugwerke (EFW), eine Tochter des europä-ischen Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, ausgemusterte Airbus-Passagierflugzeuge vom Typ A300 und A310 zu Frachtmaschinen um. Bis zu 20 Jets sind es pro Jahr, im Schnitt dauert so eine Umwandlung etwa vier Monate. Rein äußerlich sind die Maschinen kaum verändert, dafür im Inneren umso radikaler. Mit Winkelschleifern rücken Arbeiter den Maschinen zu Leibe, reißen Sitze, Wände, Bordküchen und Toiletten heraus und schneiden dort, wo sonst First- oder Business-Class-Passagiere sitzen, ein Loch für das neue große Frachttor in den Rumpf. Sie verdecken die Fensteröffnungen an den Seiten und ziehen einen neuen, stärkeren Kabinenboden ein, auf dessen Kugel- und Rollenbahnen künftig Fracht-Container gleiten. Wenn die Piloten der Airlines, darunter bekannte Unternehmen wie Federal Express, DHL, Qatar Airways oder Emirates, die Maschinen für ihre zweite Karriere als Frachter abholen, fliegen sie nicht selten noch eine Schleife über die Stadt mit ihren weltberühmten historischen Bauwerken, wovon auch eine Reihe stolzer Werbefotos in den Prospekten der EFW zeugen.

Knapp 200 Millionen Euro Umsatz haben die gut 1200 Mitarbeiter des Unternehmens im vergangenen Jahr erwirtschaftet, etwa die Hälfte davon entfällt auf den Flugzeugumbau. Zwar leide das Geschäft durch die aktuelle Krise, doch die langfristigen Aussichten seien "sehr positiv", glaubt Geschäftsführer Andreas Sperl, der früher Finanzchef bei Airbus war.

In der Luft auf sächsischem Boden

Experten prognostizieren für das weltweite Luftfrachtaufkommen jährliche Wachstumsraten von sechs Prozent ­ viel zu viel, um den Bedarf nach zusätzlicher Frachtkapazität durch die Produktion neuer Frachtflieger zu decken; zudem ist die Umrüstung betagter Passagierjets wesentlich günstiger. Und weil der Gebrauchtfliegermarkt bei den Typen A300 und A310 begrenzt ist, entwickeln EFW-Mitarbeiter mit Ingenieuren des russischen Rüstungskonzerns Irkut bereits den Umbau des A320, der im Jahr 2011 beginnen soll. "Dann werden viele gebrauchte Maschinen auf den Markt kommen, weil eine Menge Leasing-Verträge auslaufen", sagt EFW-Chef Sperl.

Die andere Hälfte des Geschäfts machen die EFW mit sogenannten Sandwich-Platten, die aus kohlefaser- und glasfaserverstärkten Kunststoffen und Wabenmaterial im Ofen zu extrem festen, aber leichten Bauelementen gebacken werden; verbaut werden die Platten in sämtlichen neuen Airbus-Passagierjets, auch im Airbus-Flaggschiff A380, als Zwischenwände, Küchenschränke und Toilettenkabinen, als Frachtraumverkleidungen, schusssichere Cockpit-Türen oder Fußbodenelemente, weshalb der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich schon witzelte, wann immer man in einen Airbus steige, betrete man sächsischen Boden.

Absturz und Neubeginn

Der erweist sich übrigens als äußerst fruchtbar für die Luftfahrtbranche, an der in Sachsen inzwischen etwa 5000 Jobs in mehr als 100 Firmen hängen. Die Elbe Flugzeugwerke in Dresden sind dabei mit Abstand der größte Arbeitgeber, und das hat seinen Grund in der Geschichte. In denselben Hallen, in denen heute die Airbus-Maschinen umgerüstet werden, trieb vor mehr als 50 Jahren die damalige Regierung unter Walter Ulbricht mit aller Macht ein Prestigeobjekt voran ­ die DDR wollte nicht weniger als die erste deutsche Düsenpassagiermaschine bauen.

Unter Leitung des ehemaligen Junkers-Ingenieurs Brunolf Baade, der zuvor in sowjetischer Kriegsgefangenschaft Projekte für Hochleistungsflugzeuge für die Luftwaffe der UdSSR entwickelte hatte, entstand in den Dresdner Flugzeugwerken die "Baade 152", ein bulliger Flieger für bis zu 72 Passagiere.

Ulbricht persönlich nahm 1958 die ers-te Maschine in Empfang, doch schon der zweite Testflug endete mit einer Katastrophe: Die Maschine stürzte ab, alle vier Besatzungsmitglieder kamen ums Leben, die Absturzursache blieb geheim. 26 Stück der Baade 152 wurden noch gefertigt, teilweise jedoch nur im Rohbau, weil die erhofften Aufträge aus den Ostblockstaaten ausblieben. 1961 stoppte die Regierung das Projekt; der Flugzeugbau, einst Arbeitgeber für 25000 Menschen, schrumpfte zur Bedeutungslosigkeit. Die in VEB Flugzeugwerft Dresden umgetauften Betriebe warteten neben Maschinen der staatlichen Gesellschaft Interflug auch russische Kampfflieger und Hubschrauber; als Airbus nach der Wende eine Absichtserklärung unterzeichnete, den Luftfahrtstandort Dresden zu sichern, waren keine 300 Mitarbeiter mehr in der Werft beschäftigt.

Die Renaissance des Dresdner Flugzeugbaus im Allgemeinen und der Elbe Flugzeugwerke im Besonderen hat funktioniert, "manche unserer Beschäftigten arbeiten bereits in der zweiten und dritten Generation im Werk", sagt Andreas Sperl. Und selbst wenn sich die positiven Prognosen über das steigende Luftfrachtaufkommen nur zur Hälfte erfüllen, dürfte im Hangar der EFW die Arbeit noch lange nicht ausgehen.

Dazu hätte auch Barack Obama bei seinem Besuch in Dresden beitragen können: Seit Jahren schon kämpfen EADS und der amerikanische Konkurrent Boeing um einen hochpolitischen Auftrag im Wert von rund 40 Milliarden Dollar. Die US-Luftwaffe braucht mindestens 179 Tankflugzeuge; erst bekam Boeing den Zuschlag, dann, nach dem Auffliegen eines Beschaffungsskandals und einer neuen Ausschreibung, EADS. Der erste von vier zu liefernden Airbus-Prototypen stand bereits zur Umrüstung zum Tankflugzeug in der Halle der EFW, als Boeing bei der US-Regierung wegen angeblicher Fehler bei der Ausschreibung Protest einlegte. Der Airbus musste unangetastet zurück zu EADS nach Toulouse geflogen werden. Jetzt warten beide Seiten im Bieter-Duell auf eine neue Entscheidung aus Washington. In Dresden nimmt man solch politisches Ränkespiel gelassen: Schließlich hat man den Wiederaufbau hier schon einmal geschafft.