Wie begeistert man einen Kandidaten für Harsewinkel?

Der Mangel an Talenten ist weltweit ein Thema, in der Provinz allerdings wirkt er sich besonders stark aus. Um Fach- und Führungskräfte zu locken, lassen sich Unternehmen deshalb allerlei einfallen. Die zentrale Frage, die große wie kleine Arbeitgeber umtreibt, lautet, auch wenn der Ort austauschbar bleibt:




Der Barkeeper hat alle Hände voll zu tun. Er gießt, schüttelt, rührt. Limettensaft, Erdbeersirup, Rohrzucker. Vor seiner Theke hat sich eine Schlange gebildet. Junge Leute im Anzug oder in Hemd und Jeans warten auf "Virgin Colada", "Sunrise", "Amazonas". So heißen die alkoholfreien Drinks auf der Karte. Popmusik der Marke "Das Beste von heute" beschallt den Saal. Ein paar Dutzend Mitt- bis Endzwanziger ­ viele Männer, wenige Frauen ­ sitzen an Sechsertischen und schauen zum Podium. Vor dem angestrahlten Transparent von Radio Bielefeld begrüßt der Moderator professionell gut gelaunt seine Zuhörer. "Herzlich willkommen. Heute sind wir live bei der itelligence AG. Um uns herum sind ganz viele Studenten." Er wendet sich ans Publikum: "Wo sind sie, die 60 Studenten?" Applaus, Jubel und Pfiffe aus dem Saal.

Dieter Schoon steht auch auf der Bühne. Mit dem einsetzenden Beifall lacht der Zwei-Meter-Mann befreit auf. Für ihn, den Gastgeber, steht heute viel auf dem Spiel ­ die Zukunft des Unternehmens, könnte man sagen. Schoon ist der Personalleiter von itelligence. 1205 Mitarbeiter arbeiten für die SAP-Beratungsgesellschaft, rund 13 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Zu wenig: Schoon sucht händeringend neue Kollegen, nur so kann itelligence wachsen.

Wer sich von dem Personalchef locken lässt, darf auf spannende Projekte, ein gutes Betriebsklima, ein ordentliches Salär hoffen. Und auf einen Arbeitsplatz in Bielefeld-Stieghorst. Modern verglast liegt dort das Gebäude der Firmenzentrale zwischen Gewerbegebiet und freiem Feld. Weiter hinten der Waldrand, davor ein paar Bauernhöfe. Vor dem Haupteingang plätschern drei Springbrunnen im künstlich angelegten Teich. Mittelstandsarchitektur.

Hierhin hat der Personalchef nun schon im zweiten Jahr zum "itelligence Absolventen-Tag" gebeten. "Wir können nicht nach Kreta oder Tirol einladen wie die großen Beratungsunternehmen. Wir müssen mit spannenden Themen dagegenhalten", sagt Schoon. Also kreierte er für die Studenten einen Tag voller Vorträge, Workshops und Wettbewerbspräsentationen. Lunch, Snacks, Kuchen, iPod-Gewinne, Cocktails und Live-Radio inklusive. Das Unternehmen lässt sich das Gesamtpaket durchaus etwas kosten. Notgedrungen. "Der Personalmarkt ist ein Verkäufermarkt geworden", sagt Schoon. "Und ich als Einkäufer der Kompetenzen sitze am kürzeren Hebel."

Spannende Jobs, wenig Interesse

Diesen Platz teilt er sich mit einer stattlichen Zahl von Kollegen. Landauf, landab, quer durch alle Branchen, wird derzeit qualifiziertes Personal gebraucht. Auf der Suche nach Talenten kämpfen Banker gegen Berater, Mittelständler gegen Konzerne, Stadt gegen Land. Regionen wie Ostwestfalen-Lippe haben es im Wettbewerb um den Nachwuchs besonders schwer. In den Köpfen junger Aufsteiger gilt die Provinz als lahm, der Arbeitgeber fernab der Metropole als langweilig. Zwar ist Work-Life-Balance, Neudeutsch für Lebensqualität, den meisten Hochschulabsolventen wichtig ­ der Begriff wird aber nicht mit einem Leben auf dem Land in Zusammenhang gebracht. Angesichts der weitverbreiteten Ignoranz haben es Städte wie Bielefeld, Gütersloh oder Paderborn naturgemäß schwer. Ganz zu schweigen von Orten wie Blomberg, Kirchlengern oder Harsewinkel.

Der Landmaschinenhersteller Claas, der seinen Standort an jenem letztgenannten Fleck hat, diverse Innovationspreise sein eigen nennt und weltweit eine Größe darstellt, ist deshalb laut Personalmanager Christoph Molinari "unabhängig von der Personalplanung permanent auf der Suche". Die Elektrotechnikfirma Phoenix Contact aus Blomberg sucht derzeit 200 Mitarbeiter, Konkurrent Weidmüller 160, der Automobilzulieferer Spier in Steinheim braucht 30 bis 40 neue Kollegen, die IT-Verbundgruppe Synaxon in Bielefeld 35. Bertelsmann, der Platzhirsch der Region, will in diesem Jahr sogar mehr als 500 Absolventen einstellen. Leicht wird das nicht, denn auch das internationale Image des globalen Medienriesen wird getrübt durch den Makel des Standortes im Herzen der Provinz. "Machen wir uns nichts vor", sagt Rainer Schulze, der Leiter Zentrale Managemententwicklung. "Gütersloh ist schwieriger zu verkaufen als München."

Herbert Weber, Geschäftsführer der OstWestfalenLippe Marketing GmbH mit Sitz in Bielefeld, brennt das Problem seit Jahren auf den Nägeln. "Wir spüren den bundesweit verbreiteten Fachkräftemangel hier besonders stark", sagt er. In seiner Funktion als oberster Vermarkter der Region versucht er regelmäßig dagegen anzugehen, mit Veranstaltungen, Kampagnen und Broschüren. Aber die Vorurteile halten sich hartnäckig, die Stärken des Standortes bleiben blass, besonders die Ehepartner potenzieller Kandidaten, erzählt Weber, fragten oft, OWL ­ was soll ich denn da?

Gute Gründe für die Provinz

Kein Zweifel, die Region als attraktiven Wohn- und Arbeitsplatz zu verkaufen, ist kompliziert. Und die Mentalität der Menschen vor Ort, denen man nicht grundlos nachsagt, dass sie den Pelz innen tragen, weil Understatement mehr zählt als lautstarke Präsentation, macht die Aufgabe nicht gerade leichter. "Hier gilt das Sprichwort: Tue Gutes und rede nicht darüber", sagt Professor Gunther Olesch, Mit-Geschäftsführer von Phoenix Contact und Vorsitzender der örtlichen Initiative für Beschäftigung. "Für Kandidaten von außerhalb gilt OWL nun mal als Provinz. Es wird schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein, jemanden aus Hamburg zu bewegen, hierher zu kommen."

Olesch sagt das ganz nüchtern, kein Hauch von Larmoyanz, denn auch Jammern zählt nicht zu den vordringlichen Eigenschaften der Ostwestfalen. Sie kontern die Vorurteile lieber mit Fakten ­ und halten dem Nachwuchs gebetsmühlenartig die guten Argumente des Landstrichs entgegen. Die schöne Landschaft. Eine Kunst- und Kulturszene, die gern belächelt wird, tatsächlich aber in den vergangenen Jahren beachtlich gewachsen ist. Ein Branchenmix, der den Vergleich mit anderen starken Regionen im Land nicht scheuen muss. Unternehmen und Marken von Weltruf. Prosperierende Hochschulen, 13 an der Zahl, darunter mit Bielefeld sogar eine, die sich in der Exzellenzinitiative der Bundesregierung einen Namen gemacht hat und die im Verein mit den anderen vor Ort für beeindruckende Fortschritte in Wissenschaft und Praxis sorgt. Dazu all das, was den erfolgreichen deutschen Mittelstand prägt: kurze Wege, flache Hierarchien, wenig Reglement, viel Spielraum, hoher Innovationsgrad ­ gepaart mit einem Gehalt, das zwar keinen "Wüstenzuschlag" enthält, wie gern behauptet wird, das aber schon wegen der günstigeren Lebenshaltungskosten vor Ort mehr wert ist als so manches höhere Einkommen, das ein Arbeitnehmer in vergleichbarer Position in der Großstadt bezieht.

Nur glamourös, glitzernd, weltstädtisch, das ist OWL nicht. Und deshalb suchen die Arbeitgeber der Region nach immer neuen Wegen, um sich dem Nachwuchs zu empfehlen. Die Bertelsmann AG, die für angehende Führungskräfte eine viermonatige Station im Hauptquartier in Gütersloh zur Bedingung macht, versucht neuerdings erst gar nicht mehr, die zähen Provinz-Vorurteile zu widerlegen. Die neue Recruiting-Homepage, die bald online gehen soll, wird den Standort stattdessen selbstironisch ins-zenieren. Zu sehen ist der neue Vorstandschef Hartmut Ostrowski, der die Internet-User auf der grünen Wiese in ländlicher Idylle begrüßt. Dann ein harter Schnitt, erst danach folgt der Einspieler, der die bunte, internationale Medienwelt demonstriert, die der Konzern vor allem zu bieten hat. Und trotzdem. Auch der mit Abstand größte europäische Medienkonzern, der weltweit ganz vorn mitspielt, hat mit mangelndem Interesse beim Nachwuchs zu kämpfen, wenn es um den Unternehmenssitz geht. Mag das Image der einzelnen Marken auch noch so weit strahlen ­ die drei Buchstaben OWL gelten nicht als Standort-Gütesiegel.

Beim itelligence Absolventen-Tag ist das auf den ersten Blick sichtbar. Die Studenten kommen fast ausnahmslos aus der Umgebung, auf der Teilnehmerliste wimmelt es von Eintragungen "Uni BI" und "Uni PB", also von Absolventen aus Bielefeld und Paderborn. Der Teilnehmer, der sich als "Master of Mathematics an Unis in Frankreich, London" eingetragen hat, verabschiedete sich schon am Vormittag wieder. Dafür beeindruckt bereits die Psychologiestudentin aus dem Rheinland durch Weltgewandtheit. In der Kaffeepause erzählt sie, dass sie nur wegen ihres Freundes nach Bielefeld gezogen sei. Davor habe sie in Bonn studiert und in Köln gewohnt; ein Vorstellungsgespräch hatte sie schon in Düsseldorf. "Wo die schon überall rumgekommen ist ...", raunt eine andere Teilnehmerin anerkennend.

Ein Besuch überzeugt

Die wenigen, die von etwas weiter her angereist sind, bringen hohe Erwartungen mit. Etwa der junge Wirtschaftswissenschaftler aus Wuppertal, der neben einem spannenden Job und einem attraktiven Arbeitgeber für einen Umzug nach OWL vor allem ein "After-Work-Leben mit Kultur" zur Bedingung macht. Ansprüche wie diese sind auch Claas-Personalmanager Christoph Molinari nicht fremd. Beim Hinweis auf Harsewinkel, den Standort des weltweit agierenden Unternehmens, erntet er in der Regel nur Achselzucken. Seine Herausforderung bei der Besetzung von Führungspositionen in der Verwaltung lautet deshalb: "Wie bekommen wir jemanden aus Berlin ­ ich sag's mal vorsichtig ­ nach Bielefeld?"

Zuletzt ist ihm dieser Coup vor zwei Jahren geglückt. Das Unternehmen mit weltweit rund 8400 Mitarbeitern und einem Umsatz von 2,7 Milliarden Euro suchte einen Leiter Unternehmensentwicklung. Wunschkandidat Holger Krumel arbeitete in Berlin als Berater bei Roland Berger. Um den Großstadtmenschen von der Kleinstadtidylle zu begeistern, lud Molinari Krumel samt Ehefrau zu einem maßgeschneiderten Wochenend-Wohlfühltrip nach Ostwestfalen ein. Neben einem Rundgang durchs Unternehmen standen Sightseeing-Touren durch Bielefeld, Gütersloh, Münster, Warendorf und Rheda-Wiedenbrück auf dem Programm. Daneben lieferten die Claas-Rekrutierer eine Immobilienberatung. Sie präsentierten dem Ehepaar verschiedene Wohnlagen, informierten über die günstigen Grundstückspreise. Abends wurden die Krumels schick ausgeführt ­ in die Bielefelder Szene-Location "Noodles", in den "Schlosshof" und ins Feinschmeckerrestaurant des Parkhotels in Gütersloh.

Krumels ließen sich überzeugen, die Familie mit zwei Kindern zog nach Bielefeld ­ und mag sich heute gar nicht mehr vorstellen, die Kleinstadt gegen die Metropole einzutauschen. Der Job macht Spaß, die halbe Stunde zur Arbeit nach Harsewinkel sei für einen Berliner keine Fahrzeit, meint Holger Krumel. After work hat er die In-Treffs "Paris Bar" und "Lutter & Wegner" in der alten Heimat gegen Bielefelds "Tomatissimo" oder "Klötzers kleines Restaurant" getauscht. Ein vollwertiger Ersatz. Und daneben genießt der 38-Jährige jetzt die Nähe zur Natur. "Im Vergleich zu den Nachteilen des Großstadtlebens mit Kindern ist das hier für mich ein Stück heile Welt."

Die Chance: direkter Kontakt

Weltstädtisch, wählerisch und wechselwillig ­ solche Mitarbeiter könnte auch Jörg Hesse beim Möbelzulieferer Hettich in Kirchlengern gut gebrauchen. Der Personalmanager kämpft nicht nur gegen die gängigen Standortvorurteile an, er hat dem potenziellen Nachwuchs auch mit Blick auf die hauseigene Produktpalette nichts Spektakuläres zu bieten. "Scharniere sind eben nicht wirklich sexy", weiß Hesse, er versucht deshalb, möglichen Mitarbeitern das Drumherum schmackhaft zu machen. Etwa die Kultur, die Kompetenz und die Internationalität des Unternehmens. "Der direkte Kontakt ist unsere einzige Chance", davon ist Hesse überzeugt ­ um sie besser zu nutzen, hat er im vergangenen Jahr das Projekt "Hettich Experience" aufgelegt.

Gemeinsam mit der Fachhochschule Bielefeld hat der Rekrutierer einen Praxisblock für den Lehrplan entwickelt, der helfen soll, junge Ingenieure möglichst früh an die Firma zu binden. Seitdem lernen Studenten des sechsten Semesters unter anderem Projektmanagement, Kre-ativitätstechniken und Zeitmanagement ganz praktisch und mit Unterstützung von firmeninternen Hettich-Mentoren. In Kleingruppen brüten die angehenden Ingenieure anschließend sechs Wochen über einer Projektarbeit. Die Ergebnisse müssen vor Vertretern aus Wissenschaft und Praxis präsentiert werden, die Be-wertung geht in die Note ein.

Im vergangenen Juni wurde das Pilotprojekt abgeschlossen ­ mit Blick auf die Rekrutierung äußerst erfolgreich, wie der Personalmann berichtet. Rund ein Viertel der Teilnehmer ließ sich im Anschluss an "Hettich Experience" für ein Praktikum, eine Diplomarbeit oder einen Auslandsaufenthalt im weltweiten Unternehmensverbund engagieren. Insgesamt hat Jörg Hesse sein Rekruting-Budget in den vergangenen drei Jahren fast verzehnfacht. Eine sinnvolle Investition, wie er findet. Im Wintersemester exportierte er das Projekt bereits an drei weitere Hochschulen.

So kämpft jeder Arbeitgeber mit seinen Mitteln und seinen individuellen Methoden. Doch seit die Personalnot wächst, kämpfen sie vor Ort immer häufiger auch gemeinsam ­ als Vertreter eines wachstumswilligen Wirtschaftsraums. Die Vision, die Gunther Olesch als Vorsitzender der Initiative für Beschäftigung OWL formuliert hat, ist ehrgeizig: 2015 ist Ostwestfalen-Lippe die innovativste Region Deutschlands. Die größte Hürde, die es dafür zu nehmen gilt: "Wir müssen den Menschen klarmachen: Hier gibt es nicht nur das Hermannsdenkmal."

Um für Aufklärung zu sorgen, hat Jürgen Weber von der OstWestfalenLippe Marketing GmbH die Initiative "Talenten ein Zuhause geben" ins Leben gerufen. Mit der Aktion sollen Fach- und Führungskräfte in OWL gehalten und Leute von außerhalb für die Region begeistert werden ­ zum Beispiel mit Kooperationsabkommen zwischen Schulen und Betrieben, mit mehr innerbetrieblicher Weiterbildung, Kinderbe- treuung und dem Ausbau der örtlichen Verkehrsinfrastruktur. In einem Wettbewerb um Fördergelder für die Regionale 2013/2016, ein Strukturprogramm der nordrhein-westfälischen Landesregierung, kam das OWL-Konzept zwar nicht zum Zug. Das Ziel soll dennoch weiterverfolgt werden. Genau wie die vielen Kooperationen.

"Hier schießen die Netzwerke inzwischen wie Pilze aus dem Boden", hat Hettich-Personalmann Hesse beobachtet. Als innovativ und besonders erfolgreich hat sich dabei BANG, ein Ausbildungsnetzwerk im Bereich industrieller Metallberufe erwiesen. Die Initiative in Form gemeinnütziger Vereine hilft vor allem kleinen Mittelständlern, ihren Fachkräftemangel zu decken, die es in der Gegend schwer haben zwischen den vielen Großen. Die Idee entstand 2001 in Hövelhof. Damals schlossen sich sieben Metall verarbeitende Firmen zusammen und teilten sich erstmals die Ausbildungskapazitäten. Inzwischen ist die Zahl der Verbündeten auf 85 gestiegen, 130 Auszubildende durchlaufen derzeit ein Programm bei den mittlerweile fünf Netzwerken im Bereich Metall- und Elektroberufe. Daneben haben sich Netzwerk-Neugründungen wie MecBANG (Mechatroniklabor), BANG Foodtec (Lebensmittel- und Getränkebranche), BANG Kubik (Kunststoff) und BANK, ein kaufmännischer Ausbildungs-Ableger, etabliert.

Die Gesellschaft für Projektierungs- und Dienstleistungsmanagement in Paderborn organisiert für die beteiligten Unternehmen die Suche nach Bewerbern, hilft bei der Auswahl, stellt Ausbilder und vermittelt Trainingszeiten in den Werkstätten beteiligter oder externer Betriebe. Jedes BANG-Mitglied stellt sich seine Lehreinheiten nach einem Baukastensystem aus 60 Trainingsmodulen zusammen. Pro Auszubildendem fallen so Kosten in Höhe von dreieinhalb bis viereinhalbtausend Euro im Jahr an. Im eigenen Betrieb müsste jedes Unternehmen pro Ausbildungsplatz jährlich bis zu 15000 Euro investieren.

Frühe Suche ­ spätes Glück

Es tut sich was in der Region. Mehr und mehr Ideen gegen den Fachkräftemangel machen die Runde. Und auch, wenn es den Ostwestfalen schwerfällt, stellt Hettich-Personalchef Jörg Hesse inzwischen fest: Es gibt immer mehr Leute, die für die Region trommeln. Professor Gunther Olesch agiert dabei zweifellos an vorderster Front ­ durchaus auch im eigenen Interesse, weil er als Geschäftsführer für Personal, Informatik und Recht bei Phoenix Contact das nervige Nachwuchsproblem nur allzu gut kennt. Das Unternehmen gehört zu den Marktführern im Bereich industrielle Elektrotechnik, ist weltweit an 70 Standorten aktiv und erwirtschaftete 2007 mit rund 9300 Mitarbeitern einen Umsatz von mehr als einer Milliarde Euro. Aber nun ja, der Standort, die alte Leier. Die Kleinstadt Blomberg im lippischen Südosten zählt gerade mal 17600 Einwohner. Olesch hat gelernt, "hierhin kriegen wir nur Top-Leute, wenn wir auch nachweisen können, dass wir ein Top-Arbeitgeber sind."

Neuerdings kann er das ganz offiziell: Gerade wurde Phoenix Contact im angesehenen bundesweiten Ranking "Top Job" zum Arbeitgeber des Jahres 2008 gekürt. Damit ehrt die Jury um das Institut für Führung und Personalmanagement der Hochschule St. Gallen insbesondere "die ausgewogene, zukunftsorientierte Gesamtkonzeption der Personalarbeit und die Umsetzung in eine Kultur des Miteinanders".

Die Auszeichnung kommt nicht von ungefähr, das Unternehmen legt schon lange Wert auf ein gesundes Betriebsklima, und auch neue Wege in der Rekrutierung gehören seit Jahren zu Oleschs Spezialgebiet. Statt vergeblich auf Talente von auswärts zu schielen, umwarb der Unternehmenschef schon früh den Nachwuchs vor Ort. 1992, lange bevor die Wirtschaft um Schüler buhlte, etablierte er Schulpatenschaften. Bis heute geben seine Mitarbeiter Technikunterricht und lehren in den Klassen, wie man ein Unternehmen führt ­ ein Thema, das auf deutschen Stundenplänen noch immer fehlt. Auch nach dem Abitur lässt Phoenix Contact den Kontakt zu den Schülern nicht abreißen. 1997 etablierte die Firma eine duale Ingenieurausbildung. Innerhalb weniger Semester können die Abiturienten sowohl den Studienabschluss als auch den Ausbildungsabschluss erwerben ­ ersteren an der Fachhochschule, letzteren im Betrieb. Das Modell klappt so gut, dass es weiter ausgebaut werden soll.

Mit den Jahren peilte Olesch immer neue Zielgruppen in der Region an. So bauen etwa Elf- und Zwölfklässlerinnen auf Frauen-Power-Tagen regelmäßig Schaltungen zusammen und lernen am PC die Faszination von Hightech kennen. Hauptschüler vor Ort werden zum Jahrespraktikum in den Betrieb eingeladen, die praktischen Einsätze sind voll in den Stundenplan integriert. Neuerdings hat Olesch sogar den Kindergarten als Ziel ausgemacht. Zurzeit konzipiert das Unternehmen eine Broschüre, die schon den Kleinen Lust auf Technologie machen soll.

Recruiting im Kindergarten? Nichts ist unmöglich in einem Landstrich, der sein Wirtschaftswachstum dauerhaft sichern will. Auch andere in OWL nehmen jetzt die Kids ins Visier. Das Talentarium, ein Berufserlebnishaus, das Kinder für technische Berufe begeistern will, bietet seinen Besuchern an rund 300 Stationen von der Holzwerkstatt über die Elektromontage bis zur Architektur-Ecke die Möglichkeit, sich auszuprobieren. Der Hersteller von Werkzeugen für mechatronische Regelungssysteme dSpace in Paderborn schickt seine Mitarbeiter unter anderem als Vorbild in Schulen und Kindergärten, verteilt künftig kostenlos Metallbaukästen und entwickelt gerade die ersten Kita-tauglichen Experimente. "Wir müssen den Schülern zeigen, dass der Beruf des Ingenieurs genauso attraktiv ist wie der des Managers oder Piloten", erklärt Kristin Natrup, Referentin im Strategischen Personalmarketing, die Anstrengungen des Unternehmens.

Um die Weichen für die künftige Berufswahl so früh wie möglich zu stellen, werden ihre Kollegen Drei- bis Fünfjährigen bald zum Beispiel das Phänomen des Unterdrucks demonstrieren. Dazu wird ein gekochtes, gepelltes Ei auf die Öffnung einer Flasche gelegt, die mit heißem Wasser gefüllt ist. Sobald es abkühlt, wird das Ei ­ schwupps ­ in die Flasche gesogen. Den kleinen Forscher freut's, und wenn die Rechnung aufgeht, werden so aus den technikbegeisterten Kids später mal große Entwickler bei dSpace. Das freut den potenziellen Arbeitgeber.

itelligence-Personalchef Dieter Schoon muss nicht mehr so lange auf den dringend benötigten Nachschub an Mitarbeitern warten. Der zweite Absolventen-Tag des Beratungsunternehmens hat sich gelohnt, Schoon konnte 18 der insgesamt 60 angereisten Absolventen ein Angebot machen, die Gespräche laufen auf Hochtouren. Einer der Auserwählten hat sogar noch am Abend der Veranstaltung zugesagt. Für den Firmenstandort Köln. Aber immerhin.