Sonnenstrahlenmusterqualität

"Made in OWL" ist in China gefragt ­ auch wenn kaum ein Chinese weiß, dass es in Deutschland eine Region namens "Dong Weisitefalun Lipuo" gibt.




Wenn Frau Liu das Fenster schließt, dann ist es zu. Einfach nur zu. Keine Ritzen, durch die der Wind pfeift, kein Glas, das in der Fassung scheppert, kein Griff, den man mit Paketschnur zubinden muss, damit er nicht wieder aufspringt. "Deutsche Technik", sagt Frau Liu mit einem Tremolo in der Stimme und hält beide Daumen hoch.

Wenn Frau Liu das Fenster öffnet, dann ist es offen. Und bleibt offen, ohne dass sie eine Klopapierrolle zwischen Fenster und Rahmen klemmen müsste, um zu verhindern, dass es von selbst wieder zufällt. Aus der Tiefe wirbeln Autolärm, Staub und Küchendüfte hinauf in die Penthouse-Wohnung. "Deutsche Technik", sagt Frau Liu noch einmal, als hätte sie gerade einen Zaubertrick vorgeführt, schließt das Fenster, und plötzlich rauscht einem die Stille in den Ohren. "Wie gesagt ..."

Frau Liu ist kein Technik-Freak und steht auch nicht auf der Gehaltsliste eines deutschen Betriebs. Sie ist Unternehmerin mit verwandtschaftlichen Beziehungen zu einer chinesischen Großbank, was für ihr Geschäft eine gewisse Rolle spielt. Seit Ende der neunziger Jahre der Pekinger Immobilien-Boom begann, kauft Frau Liu Wohnungen in guter Lage, wartet, bis sich der Quadratmeterpreis verdoppelt und stößt sie dann wieder ab. Anfangs dauerte das drei bis vier Jahre, doch dann kam sie auf den Dreh mit der deutschen Technik, der die Wertsteigerung um einige Monate beschleunigt. "Die chinesische Bauqualität ist in der Regel miserabel, sodass man für erstklassig renovierte Wohnungen einen guten Aufpreis bekommt", erklärt sie. "Und weil jeder weiß, dass deutsche Technik die beste ist, baue ich überall deutsche Fenster ein." Deguo Xuge heißt die Marke ihres Vertrauens, was in etwa "deutsches Sonnenstrahlenmuster" bedeutet und der chinesische Name des Traditionsunternehmens Schüco ist.

Küchen, Kabel, Kompressoren für den Kunden in China

Dass heute in China Märkte entstehen, wo früher keine waren, nützt bekanntlich nicht nur Frau Liu, sondern vielen ausländischen Unternehmen. Auch für die großen Marken aus Ostwestfalen-Lippe ist es längst eine Selbstverständlichkeit, mit ihren Produkten in China präsent zu sein: Schüco aus Bielefeld betreibt vor Ort ein eigenes Werk für Fenster- und Solarsysteme. Der China-Umsatz der Firma beträgt rund 15 Millionen Euro im Jahr, die Fassadenmo-dule des Europa-Marktführers kommen unter anderem bei der Pekinger Olympia-Sportarena zum Einsatz. Auch der Türenhersteller Hörmann hat seit 2000 einen seiner 17 Produktionsstandorte in Peking. Bisher investierten die Steinhagener 25 Millionen Euro vor Ort und werden bald nachlegen: Um den Bedarf zu decken, soll 2009 ein zweites Chinawerk eröffnet werden.

Die Haushaltsgerätemarke Miele (Gütersloh) und das Küchenhaus SieMatic (Löhne) statten mit ihrem Sortiment die Wohnungen chinesischer Gutverdiener aus. Der Automobilzulieferer Benteler versorgt seinen Großkunden Volkswagen nicht nur von Paderborn aus in Wolfsburg, sondern auch an dessen Standorten Schanghai und Changchun. Weidmüller, der Elektroexperte aus Det- mold, produziert im südchinesischen Suzhou; die erste Auslandsfertigung in der mehr als hundertjährigen Firmengeschichte des Kompressorenentwicklers Boge (Bielefeld) steht in Schanghai.

Und auch Bertelsmann ist mit seinen Publikationen in China vertreten, darunter ein Wissenschaftsmagazin, ein Modejournal und eine Elternzeitschrift. Für die Gütersloher ist die Volksrepublik einer der wichtigsten Wachstumsmärkte. Der Anteil am Unternehmensumsatz soll von derzeit einem Prozent mittelfristig auf zehn Prozent steigen.

Natürlich haben nur die wenigsten Chinesen je von dem deutschen Landstrich gehört, für den in ihrer Sprache die am Klang orientierte Übersetzung "Dong Weisitefalun Lipuo" existiert, genau wie deutsche Konsumenten kaum registrieren, ob ihre Hemden oder Haartrockner aus der Provinz Zhejiang, Fujian oder Guangzhou kommen. Dabei haben die Unternehmen aus OWL durchaus ihren Anteil daran, dass "Made in Germany" zu dem Ruf kam, den es im Westen schon seit Langem und seit Kurzem auch in China genießt.

Deutsche Marken, so lautet das Ergebnis einer Umfrage der Beratungsfirma BBDO, stehen bei Chinesen weitaus höher im Kurs als die Konkurrenz aus den USA, Japan, Frankreich oder Korea. Vor allem bei "Qualität", "Zuverlässigkeit" und "Leistungsstärke" verfügen die Deutschen über einen großen Vertrauensvorsprung; nur in puncto "Innovation" liegen japanische und amerikanische Marken weiter vorn.

Was die Erschwinglichkeit angeht, sind die Deutschen bekanntlich jenseits von Gut und Böse ­ doch nicht zuletzt deshalb schätzen reiche Chinesen deutsche Waren als Statussymbol. Germany ist der Mercedes unter den "Made in ..."-Aufdrucken der Welt. Woran die Limousinen mit dem Stern durchaus mit schuld sind. Denn das deutsche Image wird auch in China vor allem durch die Automobilindustrie transportiert: Mercedes, Porsche und BMW definieren den Goldstandard auf Chinas Straßen, während VW, die meistverkaufte Automarke der Volksrepublik, das neue Wohlstandsglück des gehobenen Mittelstandes repräsentiert.

Nicht ganz so bekannte Unternehmen profitieren vom Gütesiegel "Made in Germany", indem sie ihre Herkunft in ihren Markennamen oder Leitspruch übernehmen. "Kommt aus Deutschland, führt in Europa, dient in China", lautet etwa der Slogan von Schüco. Hörmann wirbt mit dem "Standard deutscher Handwerkskunst", SieMatic als "Botschafter deutscher Qualität". Das funktioniert: "Wenn auf einem Produkt Deutschland draufsteht, weiß man, dass man ihm vertrauen kann", sagt eine junge Käuferin in der Haushalts-geräteabteilung der edlen Pekinger Pacific Century Mall. Die meisten Chinesen wagen sich hier nicht mal zum Schaufensterbummel hinein, doch die Gruppe derer, die hier kaufen, wächst beständig. Die Zahl der Dollarmillionäre wird inzwischen auf mehr als eine Million geschätzt.

Deutsche Wertarbeit ­

zum Benutzen fast zu schade

"Diese Küche hält ein Leben lang", erklärt die Verkäuferin im Pekinger Sie-Matic-Küchenstudio, "in Deutschland sind das sogar Erbstücke." Ganz glauben mag der ältere Herr, den sie gerade bedient, das offenbar nicht. Die Welten aus Milchglas und Chromglanz, die sie ihrem Interessenten zeigt, wirken eher futuristisch als traditionell. Jede Lauchzwiebel wird da zur Skulptur, jede Schüssel zur Installation, jede Weinflasche zum Grand Cru. "Den alten Stil haben wir aber auch im Programm", sagt die Dame deshalb schnell und zeigt im Prospekt die "Painters' Collection", eine heimelige Einrichtungsvariante, die es wahlweise im Stil eines Landhauses oder eines Barockschlosses gibt. "In die verlieben sich die meisten Kunden auf den ersten Blick", erläutert sie, "aber am Ende entscheiden sie sich meist doch für etwas Modernes."

Einer, der sich auch vom Design der Zukunft hat überzeugen lassen, ist der chinesische Unternehmer Kevin Mou. Eigentlich heißt er Mou Guosheng, aber er benutzt lieber seinen englischen Vornamen, weil das internationaler klingt. In seine Pekinger Vorortvilla hat sich Kevin vergangenes Jahr eine Musterküche einbauen lassen und seinen Inneneinrichter beauftragt, ihn auch gleich mit sämtlichen dazugehörigen Utensilien zu versorgen: Geschirr, Besteck, Töpfe ­ alles ließ er sich liefern, obwohl das teure Vollsortiment in erster Linie Demonstrationszwecken dient. Seit seinen Studentenzeiten habe er nie wieder gekocht, erzählt Kevin fröhlich und gibt zu, dass er in seinem Hightech-Küchenstudio auch heute eigentlich nur Wasserkocher und Kühlschrank nutzt. Wie die meisten Chinesen essen Kevin und seine berufstätige Frau am liebsten außer Haus, wird doch einmal daheim gekocht, erledigt das die Schwiegermutter. Die moderne Küche kommt auch dabei nicht zum Einsatz: "Wir gehen meist zu ihr ­ bei uns hat sie immer Angst, etwas schmutzig zu machen."

So hat es das eine oder andere Spitzenprodukt in der fremden Kultur noch etwas schwer, was die einheimischen Hersteller nicht daran hindert, sich das Image des Guten aus der westlichen Welt zunutze zu machen ­ in gewohnter Manier. Längst nicht in allem, auf dem Deutschland draufsteht, steckt auch Deutschland drin. Zahlreiche chinesische Firmen haben die Qualitätsmarke "Made in Germany" längst kopiert und vermarkten ihre Produkte erfolgreich als deutsch.

Die chinesischen Kunden zu täuschen ist meist nicht schwer, viele ausländische Marken sind ihnen neu. Zudem ist die Praxis oft nicht einmal illegal, lässt sie sich doch mühelos hinter sprachlicher Doppeldeutigkeit kaschieren: Weil Deutschland auf Chinesisch "De Guo" ­ "Tugendland" ­ heißt, nehmen die chinesischen Hersteller das Wort "De" (Tugend) einfach in ihren Namen auf. Das steigert den Absatz ­ zumindest noch so lange, bis sich der Konsument vor Ort genauer informiert.

Die chinesischen Medien haben inzwischen mehrfach auf den Schwindel aufmerksam gemacht. Vor dem Kauf ausländischer Waren solle man im Internet recherchieren, woher genau sie kommen, empfahl erst kürzlich eine Pekinger Zeitung ihren Lesern. Durchaus möglich also, dass Dong Weisitefalun Lipuo den Chinesen in Zukunft ein wenig geläufiger wird.