Mittelstand in Ostwestfalen-Lippe

Großeltern, Vater, Mutter und Kind ­ das nennt man gemeinhin Familie. Wenn sich alle in einem Unternehmen versammeln, heißt das Familienbetrieb ­ und ist die Erfolgsformel des Mittelstands.




Familienunternehmen sind ein altmodisches Auslaufmodell? Klar ­ wenn als fortschrittlich gilt, was Konzerne in jüngster Vergangenheit gern vorexerzieren: öffentlich geführte Schlammschlachten um Manager-Gehälter, Schmiergelder und Lustreisen, das Totdiskutieren innovativer Ideen in zahllosen Hierarchiestufen, die Verlagerung von Produktionsstätten oder das panikartige Abstoßen von Firmenteilen, die nicht jedes Jahr zweistellige Zuwachsraten verzeichnen, unter dem Diktat des Götzenheiligen Shareholder Value.

All das lässt eine Firmenform vermissen, die vielleicht nicht modisch ist, aber modern ­ Familienunternehmen. Aus langer unternehmerischer Erfahrung wissen sie, dass Werte und Wachstum einander nicht ausschließen, wie Innovationen schnell und marktgerecht umgesetzt werden, welche Mitarbeiter das Unternehmen voranbringen und wie man sie motiviert. Sie wissen auch, was die Kunden wollen. Weil deren Zufriedenheit dem eigenen Geschäft und der Belegschaft nützt. Und wie wichtig gerade in Krisenzeiten ein langer Atem ist.

Mit diesen Tugenden fahren sie gut. Exakte Zahlen gibt es zwar nicht, aber das Institut für Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke (WIFU), der einzigen Einrichtung dieser Art in Deutschland, zieht nach jüngsten Forschungen eine eindeutige Bilanz: "Erfolgreiche Mehrgenerationen-Familienunternehmen wirtschaften auf längere Sicht profitabler als der Durchschnitt der Dax-Konzerne", sagt WIFU-Mitarbeiter Torsten Groth. Vor allem aber prägen sie das Wirtschaftsgeschehen in Deutschland: Mehr als 75 Prozent der Unternehmen hierzulande befinden sich in Familienhand, sie beschäftigen gut 65 Prozent aller Arbeitnehmer und erwirtschaften zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes.

In Ostwestfalen-Lippe geben Familienunternehmen traditionell den Ton an. Auch solche, deren Name nicht jeden Tag in den Zeitungen steht, die aber in ihrer Branche zu den Besten gehören ­ wie die Böllhoff Gruppe mit Hauptsitz in Bielefeld, ein internationaler Spezialist für Verbindungs- und Montagetechnik mit weltweit 41 Gesellschaften für Produktion und Verkauf, mit mehr als 2100 Mitarbeitern in 22 Ländern, die einen Umsatz von 450 Millionen Euro erwirtschaften. Innovationsführer seiner Branche. In Familienhand seit vier Generationen.

Die erste markiert Wilhelm Böllhoff, der sich 1877 mit einem Eisenwarenhandel in Herdecke an der Ruhr selbstständig macht. 1923 verlagert er den Betrieb nach Bielefeld, sein Sohn Josef macht daraus den erfolgreichsten deutschen Eisenwaren- großhändler. Seit Ende der fünfziger Jahre, unter der Ägide der dritten Böllhoff-Generation, wandelt sich die Firma zu einem Industrieunternehmen, das alles produziert, was die moderne Welt zusammenhält. Mittlerweile sind Automobilbranche und Maschinenbau die wichtigsten Abnehmer, in fast allen deutschen Karossen stecken Bolzen, Schrauben, Gewindeeinsätze oder Stanzniete von Böllhoff.

40 Jahre lang hat Wolfgang Böllhoff, Enkel des Gründers, die Geschicke der Firma gelenkt und ihr ein Leitbild gegeben, das bis heute gilt: "Treue", "Mut" und "Fairness" stehen dort, und an diese Eckpfeiler hat sich der Senior auch in schwierigen Zeiten gehalten. Bei Böllhoff gilt das Prinzip Vertrauen, das zeigt sich in vielen Details, die Management und Mitarbeiter gleichermaßen schätzen ­ und auch am Umgang mit Fehlern. "Hier werden keine Protokolle geführt, die eines Tages aus der Schublade gezogen werden. Dass einer aufsteht und sagt, hier steht es doch, ich habe damals schon davor gewarnt, das gibt es bei uns nicht", sagt Wolfgang Böllhoff.

Seine Söhne Michael und Wilhelm, an die er die Leitung 2004 übergeben hat, denken genauso ­ und sorgen mit zwei familienfremden Managern in der Geschäftsleitung dafür, dass sich alte und neue Werte im Unternehmen die Waage halten: Bei Böllhoff gibt es Betriebsausflüge, Fußballmannschaften, Fahradtouren und Familientage, ein Zuschuss der Eigentümer verbilligt das Essen in der Kantine. Daneben setzen die Junior-Chefs auf moderne Betriebs- und Führungssysteme und peilen höchst ehrgeizige Ziele an.

Das Unternehmen will in der hoch kompetitiven Branche auch künftig Innovationsführer sein, mit Meilensteinen wie etwa Rivtac, dem neuen Verfahren für den Karosseriebau in der Autoindustrie. Mit ihm lassen sich unterschiedliche Materialien, etwa ein Stahlprofil und ein Aluminiumblech, bombenfest zusammenfügen ­ ohne Schweißen, Nieten oder vorgebohrte Löcher für Schrauben. Mit Luftdruck wird ein nagelähnlicher kleiner Bolzen von oben in das Material eingetrieben. Kein Konkurrent kann Ähnliches vorweisen. Per Laserschweißen, dem bisher schnellsten Verfahren, lassen sich sieben bis acht Meter Bleche pro Minute zusammenfügen. "Wir schaffen zehn Meter pro Minute", sagt Gerson Meschut, Forschungs-Chef bei Böllhoff. Das Interesse der Autokonzerne ist gewaltig.

Meschut wechselte vor vier Jahren von der Volkswagen-Gruppe zum Mittelständler, "weil sich hier kein Vorstandschef durch Zielvorgaben jenseits von Gut und Böse verwirklichen muss. Und weil die Risikobereitschaft in einem Familienunternehmen größer ist als im Konzern."

Weitere Pluspunkte aus Mitarbeitersicht nennt Katharina Bänsch, Betriebsratsvorsitzende am Standort Bielefeld und seit mehr als 20 Jahren an Bord ­ eine lange Betriebszugehörigkeit ist üblich im Unternehmen. Sie erzählt vom respektvollen Umgang miteinander, von Verlässlichkeit und von guten Konditionen: Böllhoff zahlt nicht nur das tarifliche Weihnachtsgeld, sondern auch einen Bonus, plus Erfolgsbeteiligung, wenn das Geschäftsjahr gut gelaufen ist. Es hat auch schlechte Jahre gegeben, natürlich. Aber auch das ist für Bänsch ein Ausdruck des guten Betriebsklimas: "Wir sind mit den Böllhoffs noch nie vor dem Arbeitsgericht gelandet." So ist das in Familien: Man hält zusammen. Auch in schwierigen Zeiten.

Generationenverträge

Die umsatzstärksten Familienunternehmen in Ostwestfalen-Lippe

Bertelsmann AG (gegründet 1835, heute geführt in vierter Generation)

Dr. August Oetker KG (1891, vierte Generation)

Benteler Aktiengesellschaft (1876, vierte Generation)

Hellmann Worldwide Logistics GmbH (1871, vierte Generation)

Claas KGaA mbH (1913, dritte Generation)

Miele & Cie KG (1899, vierte Generation)

Melitta Unternehmensgruppe Bentz KG (1908, dritte Generation)

Schieder-Möbel Holding GmbH (1964, erste Generation)

Phoenix Contact GmbH & Co. KG (1923, dritte Generation)

Familie Gauselmann Beteiligungs-GmbH (1957, zweite Generation)

Wortmann KG Intern. Schuhproduktionen (1967, erste Generation)

Goldbeck GmbH (1969, zweite Generation)

Möller Group GmbH & Co. KG (1730, achte Generation)

Ahlers AG (1919, dritte Generation)

Merkur Spielothek GmbH & Co. KG (1974, zweite Generation)

Harting KGaA (1945, zweite Generation)

WAGO Kontakttechnik GmbH & Co. KG (1951, dritte Generation)

Joseph Dresselhaus GmbH & Co. KG (1950, zweite Generation)

SieMatic Möbelwerke GmbH & Co. KG (1929, dritte Generation)

Otto Fricke & Co. GmbH (1858, vierte Generation)

Quelle: Studie "Volkswirtschaftliche Bedeutung von Familienunternehmen", herausgegeben von der Stiftung Familienunternehmen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Mittelstandsforschung Bonn, Stuttgart 2007