Rotkernige Buche - Landkreis Höxter

Eine Marketing-Initiative im Landkreis Höxter macht vor, wie aus einem Makel ein Markenzeichen wird ­ das Projekt "Rotkernige Buche" hat einer lang geschmähten Holzart zu neuem Ansehen verholfen.




Wieso eigentlich gilt die Eiche als der deutsche Baum schlechthin? Wenn es einen Baum gibt, der typisch für dieses Land ist, dann die Buche. Mit mehr als 14 Prozent Anteil an der gesamten Waldfläche ist sie der am weitesten verbreitete Laubbaum, vor 2000 Jahren bedeckte sie sogar drei Viertel des Landes.

Eine Vorstellung, die Martin Wagemann zum Lächeln bringt. Der Oberforstrat des Forstamts Bad Driburg ist stolz, für die buchenreichste Gegend Nordrhein-Westfalens zuständig zu sein, den Kreis Höxter. "65 Prozent unserer Bäume sind Laubhölzer, mehr als die Hälfte davon Buchen, manche sind schon mehr als 150 Jahre alt", sagt Wagemann.

Und damit fangen auch die Probleme an: Je älter eine Buche, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Inneren des Stammes einen roten Kern ausbildet. Und dieses Holz will keiner haben ­ oder besser gesagt: wollte. Denn seit das Forstamt im Verein mit dem Kreis Höxter die Initiative "Rotkernige Buche" gestartet hat, um Tischler, Möbelindustrie und Endkunden von der Qualität des Holzes zu überzeugen, ist das Material mit den individuellen Wuchsmerkmalen begehrt. Was noch vor wenigen Jahren bestenfalls als Brennholz taugte, gilt heute als Gütesiegel.

"Der farbige Kern entsteht, wenn durch Verletzungen am Stamm oder an den Ästen Luftsauerstoff in das Holz eindringt", erklärt Gerald Koch, Wissenschaftler am Institut für Ökonomie der Forst- und Holzwirtschaft in Hamburg. "Die wesentlichen Eigenschaften des Buchenholzes wie Festigkeit oder Verarbeitbarkeit leiden darunter aber überhaupt nicht." Trotzdem hielten fast alle Möbelhersteller und Tischler jahrzehnte- lang an dem Vorurteil fest, das Holz sei von minderer Güte, und verwendeten es nicht. Wer sich dennoch getraute, einen Tisch oder Schrank daraus zu fertigen, stieß auf Ablehnung beim Kunden, der die unruhige Struktur und Färbung des Kerns für Materialfehler hielt.

Gegen diese Voreingenommenheit kämpft Martin Wagemann an. Was ihn antreibt? "Aufklärung! Die alten Buchen prägen unsere Gegend, und der Rot-kern ist ein natürlicher, wertvoller Be-standteil der Bäume. Das müssen die Menschen begreifen." Letztlich, meint der 52-Jährige, profitierten alle davon: die Waldbesitzer, weil sie für ihren Be-stand höhere Preise erzielen. Die Möbel- industrie, die ein neues, attraktives Material gewinnt. Und natürlich der Kunde, der sich über ein edles, langlebiges Produkt freuen kann.

Wer nicht wirbt, der stirbt

Wagemanns Mission beginnt 1999. Mit Rückendeckung von Ernst-Heinrich Uber, dem Leiter des Forstamts, lädt er zu den ersten "Nieheimer Holztagen", wo Tischler aus der Region, die der Oberforstrat persönlich überzeugt hat, den Besuchern Möbelstücke aus rotkernigem Buchenholz präsentieren. Mit Unterstützung des Landesumweltminis-teriums, der Wirtschaftsförderung und des Landrats des Kreises Höxter startet die Initiative 2001 ganz offiziell und geht, getreu Wagemanns Motto "Wer nicht wirbt, der stirbt", in die Vollen: Es folgen Symposien mit Vertretern aus Wissenschaft und Praxis, Runde Tische mit Handwerkern, Holzhändlern, Möbelherstellern, Architekten und Designern, Aufsätze in Fachzeitschriften, Treffen mit Rotkerninitiativen anderer Bundesländer, der Bau eines Messestands aus Kernholz, Broschüren, Messen und Ausstellungen.

Der Auftritt auf der Internationalen Möbelmesse in Köln 2002 markiert "den endgültigen Durchbruch", sagt Ernst-Heinrich Uber. Die Exponate der neun Tischlereien und Holzindustriebetriebe aus dem Kreis Höxter ­ die einzigen aus Rotkernholz auf der Messe ­ beeindrucken auch das internationale Publikum: Ein paar Wochen später flattert im Forstamt die Einladung zu einer Ausstellung in Dubai auf den Tisch.

Dort stellt zufällig auch der Klavierbauer Carl Sauter aus Spaichingen aus. Wagemann begeistert ihn für die Idee, ein Piano ganz aus massivem Rotkernholz zu fertigen ­ im Juli 2004 wird das Instrument auf einer Lichtung im Brakeler Buchenwald mit einem Konzert unter dem Blätterdach eingeweiht. Heute steht das Klavier in der Aula der Kreis- verwaltung Höxter.

Der Behördenchef, Landrat Hubertus Backhaus, setzt auf die Kraft des anschaulichen Beispiels, um den Absatz des heimischen Holzes zu fördern: Er hat die Kreisverwaltung mit einem Konferenztisch, Stühlen im Foyer und einem ganzen Sitzungszimmer aus rotkerniger Buche ausstatten lassen. Ohnehin hat sich der Kreis von Anfang an finanziell und organisatorisch an der Initiative beteiligt und geholfen, sie zu entwickeln. Rund 50000 Euro sind bislang geflossen, außerdem ist das Rotkern-Projekt schon lange in das "Regionalmarketing Kulturland Kreis Höxter" integriert, ein Konzept zur Unterstützung regionaler Produkte und Dienstleistungen.

Im Fall der rotkernigen Buche ist die Saat aufgegangen. Tischler und Möbelindustrie, Architekten und nicht zuletzt die Kunden haben sich auf das Holz mit der ungewöhnlichen Färbung eingelassen. Dank der Marketingoffensive sei die Nachfrage in den vergangenen Jahren stark gestiegen, sagt Lucas Heumann, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Holzindustrie und Kunststoffverarbeitung Westfalen-Lippe, mittlerweile setzen fast alle Möbelunternehmen auf Kernholz.

Decker, ein Möbelhersteller in Borgentreich mit 250 Mitarbeitern, verwendet heute sogar für ein Drittel aller seiner Modelle ausschließlich rotkerniges Buchenholz. "Noch vor fünf Jahren hatten wir kein einziges Stück im Programm", sagt Inhaber Andreas Decker, "weil wir gar nicht auf die Idee kamen, dass man daraus überhaupt Möbel machen kann. Darauf hat uns erst die Rotkern-Initiative gebracht."

Der Tischlermeister Josef Fuhrmann aus Löwendorf hat sein erstes Objekt aus Rotkern, einen Schubladenschrank, auf Einladung von Oberforstrat Wagemann für die Nieheimer Holztage geschrei-nert und ist seitdem begeistert von den gestalterischen Möglichkeiten, die das Material bietet. "Es sieht viel lebendiger aus als das langweilige helle Buchenholz," findet er und hat im Kollegenkreis registriert, dass selbst Tischler, die früher die Nase gerümpft haben, jetzt mit der rotkernigen Buche arbeiten. Die Kunden fragen gezielt danach.

Die gestiegene Nachfrage hat auch bei den Waldbesitzern im Kreis Höxter Konsequenzen: Der durchschnittliche Erlös für den Festmeter rotkerniges Buchenholz ist nach Angaben von Martin Wagemann in den vergangenen Jahren von 50 auf 90 Euro gestiegen ­ damit liegt er zwar immer noch deutlich unter dem Preis von 150 Euro für helles Buchenholz, aber Wagemann ist zuversichtlich, dass "das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht ist".

Wirklich zufrieden wird er wohl erst sein, wenn die rotkernige Buche ihr Stigma endgültig verloren hat ­ sie muss ja nicht gleich den Platz der Eiche als Nationalheiligtum einnehmen.