Wachstumsmodell

Die Sumpfeichen vor dem Berliner Kanzleramt, die Kirschbäume zu Füßen des Millennium Wheel in London, die Linden am Moskauer Tsvetnoy-Boulevard ­ sie alle sind einst bei Dieter Lappen in Nettetal zur Baumschule gegangen. Auf 600 Hektar wächst hier heran, was später europaweit Laub und Nadel trägt.




Von Berufs wegen ist Dieter Lappen eigentlich ein geduldiger Mensch. Als Baumschuldirektor ist er es gewohnt, in Ewigkeiten zu denken, weil seine Produkte Jahre oder gar Jahrzehnte bis zur Marktreife brauchen. Neulich erst hat er eine 16 Meter große Eiche ausgeliefert, deren Setzling er Anfang der sechziger Jahre selbst in den Boden gedrückt hatte. Was aber seine persönliche Zeit betrifft, ist der Großgärtner ungehalten wie ein Inkassovertreter. "Rufen Sie vor Ihrem Besuch unbedingt noch mal an", befiehlt er knapp am Telefon, "wenn dann gerade ein Russe bei mir auf dem Hof steht, der für Hunderttausend ordert, hab' ich keine Zeit für Sie!" Es knackt in der Leitung. Lappen ist schon wieder weiter. An diesem Morgen wartet glücklicherweise kein solventer Russe auf dem Lappenschen Betriebshof, sondern ein freundlicher Aserbaidschaner, von dem man noch nicht genau weiß, wie viel Geld er in Grünanlagen investieren wird. Was man weiß: Der Mann betreibt in Baku einen blühenden Pflanzengroßhandel. "Park Premium" heißt das Geschäft von Oleg Sklyar, einem fülligen Hünen mit ausgehendem Haupthaar und schläfrigen Augen, was allerdings auch daran liegen kann, dass der Mann an diesem Morgen bereits um drei Uhr früh aufgebrochen ist.

Zusammen mit seiner Frau hat Sklyar die lange Reise von Baku über Wien nach Düsseldorf gemacht und von dort weiter zu dieser Baumschule am Niederrhein, deren Stand ihm vor ein paar Wochen auf der Internationalen Pflanzenmesse in Essen ins Auge gefallen war. "Tolles Sortiment, so was gibt es bei uns gar nicht", sagt er, bevor sich zum ersten von zig Malen an diesem Tag sein Handy mit einem Big-Ben-ähnlichen Läuten meldet.

Dann ist auch schon Dieter Lappen da. Wer ihm das erste Mal gegenübersteht, einem älteren Herrn mit grau meliertem Vollbart, Fleece-Pulli und herzig hechelndem Berner Senn an der Seite, der könnte ihn leichtsinnigerweise für einen gemütlichen Naturfreund halten. Lappen aber ist aus anderem Holz geschnitzt. Arbeitstag und Betriebsgelände durchpflügt der 65-Jährige im Laufschritt, dabei instruiert er per Zuruf den Betriebsleiter, kontrolliert in der Kantine die ordnungsgemäße Einsortierung der Kaffeetassen in den Geschirrspüler, moniert bei seiner Sekretärin die Abwesenheit des vorbestellten Besucherbusses und füttert die Gäste nebenher mit allerlei botanischen und betriebswirtschaftlichen Brocken.

Die mächtigen Eichen, die Mitarbeiter auf einen Hänger hieven? "Gehen nach England." Die mit Strohballen für den Transport gepolsterten Birken? "Sind für die Schweiz bestimmt." Und was ist mit der Truppe Tannenbäume da drüben? "Verladen wir in Richtung St. Petersburg." Seltsam, gibt's denn in Russland keine Baumschulen? "Nein. Sie wissen doch: Chruschtschow hatte die Devise 'Mais, Mais, Mais' ausgegeben. Die Leute wurden in Wohnblocks gesteckt, die Felder für Ackerfrüchte reserviert, da blieb weder Raum noch Kraft für schöne Bäume. Und heute gibt es dort einfach kein Angebot. Wenn die Russen Bäume brauchen", sagt Lappen, "holen sie die aus dem Wald."

Baum-Shopper aus Baku

Nicht wesentlich fruchtbarer sieht es heute in Westeuropa aus. Im großformatigen Geschäft mit der "Stadt- und Projektware" hat sich laut Lappen nicht einmal eine Handvoll ernst zu nehmender Wettbewerber behauptet ­ europaweit. Die meisten Baumschulen züchten lediglich "kofferraumfähige Ware", wie er jenes Klein- und Grünzeugs nennt, das über Gartencenter und Baumärkte verklappt wird. Das erklärt auch, warum zur Hauptsaison im Herbst Hundertschaften an Investoren, Landschaftsarchitekten, Städteplanern und Händlern aus Bergen, Bristol, Bordeaux oder Baku zum Baum-Shopping nach Nettetal reisen. Leute wie Oleg Sklyar.

"Los geht's", entscheidet Lappen, verfrachtet den Aserbaidschaner samt Gattin und Dolmetscherin in einen grauen VW-Bus und legt den ersten Gang ein. In den nun folgenden Stunden juckelt die kleine Reisegruppe durch schier endlose Reihen quadratisch, rechteckig, säulen-, kugel-, bienenkorb- oder pyramidenförmig geschnittener Hecken und Pappeln, Eichen, Buchen, Ahorne sowie 146 weiterer Sorten, alle makellos geschnitten, alle perfekt ausgerichtet wie eine Kompanie Rotarmisten bei der Oktoberparade und alle mit dem braun-beigen Lappen-Logo am Feldrand.

Beim Passieren der Reihen spult der Firmenchef die botanischen Bezeichnungen ab wie ein Novize seinen Morgenpsalm, zwischendurch stoppt er, um ein besonders prachtvolles Exemplar vorzuführen. Sklyar wiederum erkundigt sich nach Größe, Preis und Verfügbarkeit einer Art. Wenn ihm ein Gewächs besonders gefällt, steigt er aus und schießt mit seinem Fotohandy ein Bild des Baumes mit der Gattin im Vordergrund. Die Dolmetscherin, im Hauptberuf Bürokauffrau in der Lappen-Verwaltung, notiert vom Rücksitz aus Sklyars Präferenzen.

Spätestens nach drei Stunden ruckeliger Rundfahrt ist klar: Ein Hubschrauber wäre praktischer gewesen. Lappens Outdoor-Showroom, von den Einheimischen scherzhaft "Lappland" getauft, erstreckt sich allein im Landkreis Viersen über gigantische 400 Hektar und ist damit rund 60 Hektar größer als der Central Park in New York. Weitere 200 Hektar stehen auf niederländischer Seite, eine Fläche von zirka 280 Fußballfeldern, auf denen man Lappens Bäumen beim Wachsen zusehen kann.

"Als hier in den siebziger und achtziger Jahren reihenweise kleine Höfe schließen mussten, haben wir den Landwirten ihre Felder abgekauft", erzählt der Firmenchef, "und die Bauern eingestellt." Die Verstärkung erweist sich heute als Vorteil, denn im Gegensatz zu Gärtnern können die Ex-Landwirte all die schweren Maschinen aus Lappens Wagenpark führen. Der umfasst unter anderem sechs Tankwagen, 40 Regenmaschinen, eine ungenannte Zahl an Schleppern, Treckern, Spezialmaschinen sowie 300 Anhänger, die mit "DL" alle die Initialen des Firmenchefs im amtlichen Kennzeichen tragen. Darüber hinaus stößt man in den Maschinenhallen auf eine ganze Reihe Lappenscher Eigenentwicklungen wie einen speziellen Baumroder zum rationellen Ausheben der Bäume oder eine Maschine, die Baumkronen ruck, zuck versandfertig einschnürt. "Damit schaffen wir 150 bis 200 Bäume pro Stunde, mit der Hand wäre es höchstens ein Zehntel", rechnet Lappen vor.

Die rotbäckigen Äpfel, die neben dem Empfangstresen zum Mitnehmen bereitliegen, sind zugekauft ­ was viel billiger ist, als jemanden raus auf die Lappenschen Ländereien zu schicken, um das dort reifende Kernobst einzusammeln. Betriebswirtschaftlich gesehen ist das Unternehmen hoch effizient organisiert. "In meine Fabrik kann's ja jederzeit reinregnen", erklärt der Boss, "das heißt: Wenn Pflanzwetter ist, müssen wir mit großer Schlagkraft loslegen. Und dabei helfen uns die Maschinen."

An diesem Vormittag aber scheint die Sonne, Frau Sklyar stopft eifrig Herbstblätter für die Kinder daheim in ihre Taschen, ihr Mann brummt zufrieden in sein Handy, es scheint gut zu laufen. Bei solchem Wetter, murmelt Lappen, so, dass es die Dolmetscherin nicht hört, verfielen seine Kunden manchmal in einen regelrechten Kaufrausch. "Da verkauf' ich gleich das Doppelte. Ich erkenn' das schon daran, ob die aussteigen oder nicht." 20 Millionen Euro Umsatz macht Lappen heute auf diese Weise, mehr als die Hälfte seiner Ware versendet er ins Ausland. 20000 Kunden finden jedes Jahr den neuen Lappen-Katalog in der Post, einen kiloschweren Ziegel mit 960 Seiten voller Bäume, Büsche und Solitärgehölze.

"Das hier zum Beispiel", sagt Lappen feierlich bei einem der zahlreichen Stopps, "ist ein Schlitzahorn." Auf den botanischen Laien wirkt das trauerweidenähnliche Gewächs mit seinen schlanken rötlichen Blättern wenig spektakulär ­ Gartenfreunde hingegen verehren es wie ein Juwel. Für ein ähnliches Exemplar hat der Popstar Elton John kürzlich 16000 Euro an Lappen gezahlt.

Sein Standardsortiment aus 150 Sorten erweitert der Unternehmer daher immer wieder um spektakuläre Neuigkeiten. Aus Peking brachte er eine neue Form eines Perlschnurbaums mit, im südafrikanischen Paarl entdeckte er einen Amberbaum, der jetzt vor der Hauptverwaltung in den Himmel wächst. Urlaubsreisen sind für Lappen immer auch botanische Fischzüge, was für seine Kunden erfreulich, für die Baumschule gewinnbringend, fürs örtliche Finanzamt aber zu Lappens Ärger fiskalisch nicht nachzuvollziehen ist. Aus Mitbringseln und Klassikern selektiert er eigene Typen wie die Spitzahorn-Art "Acer Platanoidis Columnare Dila", wobei das "Dila" für "Dieter Lappen" steht. Als Klone wachsen sie perfekt im Gleichschritt, blühen und verlieren ihre Blätter zum selben Zeitpunkt und sind daher als Grünmöbel für Alleen oder Konzernzentralen bestens geeignet.

Spree-Eichen für die Kanzlerin

Viele von Lappens Kreationen stehen an allerersten Adressen. Wenn Madame Bruni-Sarkozy durch die Fenster des Elysée-Palastes schaut, blickt sie auf Taxusbüsche, die auf Lappens Ländereien groß geworden sind. Vor Angela Merkels Arbeitsplatz im Kanzleramt wiegen sich Lappensche Sumpfeichen im Wind, die er dafür allerdings aus nahe liegenden Marketinggründen in "Spree-Eichen" umgetauft hat. Auch die Platanen links und rechts der Champs-Elysées, die Linden am Moskauer Tsvetnoy-Boulevard und die Platanen am Terminal 5 in London-Heathrow haben ihre Jugend am Niederrhein verbracht. Lappens Plantage ist eine Art Eton der Baumschulen: Jungpflanzen, die bei ihm gezogen werden, kommen später häufig groß raus.

Jeden Herbst, sobald die Blätter gefallen sind, werden die Baumschul-Absolventen im Nettetal ausgekuhlt, verpackt und per Lkw durch Europa gekarrt. Transportkosten fallen bei Preisen von bis zu 25000 Euro für einen einzelnen Baum kaum ins Gewicht. Grenzen kennt das Versandgeschäft denn auch nicht nach Wert, sondern schlicht nach Größe: Kawenzmänner mit einem Ballendurchmesser von mehr als drei Metern lassen sich nicht mehr über die Straßen bewegen. Lappen: "Die müssten wir schon mit einem Hubschrauber abtransportieren. Aber auch das wäre machbar."

Was wohl sein Großvater zu all dem sagen würde? Adolph Dietrich Lappen litt an Asthma und suchte einen Job an der frischen Luft. 1894 stellte er einen Bauantrag für ein Versandgebäude auf dem Herrenpfad 14 ­ jenes Gelände, auf dem Dieter Lappen heute noch arbeitet und im Obergeschoss des Verwaltungsgebäudes auch lebt. Lappen d. Ä. holte sich das notwendige Wissen aus Büchern. Offenbar ein auffassungsstarker Leser, lieferte er bereits in den zwanziger Jahren Bäume bis nach Moskau. Sein einziger männlicher Nachkomme Friedolf starb 1944 in Weißrussland, dessen Witwe übernahm die Baumschule, bis ihr Sohn Dieter ins Geschäft eintrat. Dieter Lappen zählte zu diesem Zeitpunkt erst 17 Jahre. "Zur Schule hatte ich ohnehin keine Lust, aber heute tut es mir leid, weil ich zu wenige Sprachen gelernt habe."

Die große Zeit des Jungunternehmers begann in den Siebzigern mit der Hochkonjunktur der Fußgängerzonen, die alle begrünt werden wollten. Damals erkannte Lappen, dass die Lage am Rand der Republik kein Nachteil, sondern ein Riesenpfund war. "Wir sitzen hier ja mitten im Herzen Europas, bis zur nächsten Autobahnauffahrt sind es keine 500 Meter, in 400 Kilometern sind wir von hier aus in London, in 500 in Paris. Da könnte eine Baumschule in Schottland oder Süditalien niemals mithalten." Günstig wirken auch die milden Winter und warmen Sommer im Rheintal, die den Lappens eine Wachstumsperiode von etwa 120 Tagen im Jahr bescheren. In manchen Regionen Süddeutschlands sind es nicht einmal halb so viel.

Und schließlich ist da der Menschenschlag, der bei und mit Lappen arbeitet: "Die Gegend hier ist ein Schmelztiegel der Nationen. Niederrheiner sind zweimal mit Napoleon bis Moskau marschiert, später kamen Polen und Tschechen hierher zum Arbeiten, meine Familie stammt aus Lettland. Der Niederrheiner ist daher der bestangepasste Mensch überhaupt", meint Lappen. Gut hundert solcher Anpassungswunder beschäftigt der Mittelständler heute, viele kommunizieren mit ihren Kunden täglich auf Spanisch, Italienisch, Französisch, Russisch und Holländisch. Jede dieser Kundengruppen habe ihre Eigenarten, sagt Lappen. Engländer zum Beispiel bevorzugen nach seiner Beobachtung tendenziell weißbunte Pflanzen. "Warum will der Engländer das, der Italiener hingegen nicht? Da habe ich Jahre für gebraucht, um das rauszukriegen. Heute weiß ich's: Der Engländer hat häufig trübes Wetter, da will er wenigstens ein paar Lichtblicke im Garten."

Abgesehen von solchen geografischen Besonderheiten, ist die Kundschaft mindestens so launisch wie Wirtschaftskonjunktur und Wetter. So ist die Kastanie, lange Jahre der Umsatzträger Nummer eins, infolge der Ausbreitung der gefräßigen Miniermotte auf Platz fünf zurückgefallen. Dafür kehrt die Ulme zurück, die zur vorvergangenen Jahrhundertwende noch der beherrschende Baum im deutschen Stadtbild war, bevor ihr durch einen aus Ostasien stammenden Pilz, der kurz vor dem Ersten Weltkrieg nach Europa gelangte und durch den Ulmensplintkäfer übertragen wurde, flächendeckend der Garaus gemacht wurde.

Gefragt sind auch stark beschnittene Bäume wie die Kastenlinden, die zuletzt im 17. Jahrhundert in Mode gewesen waren. Ein Baumschuldirektor braucht deshalb nicht nur einen gewachsenen Fundus, aus dem er schöpfen kann, sondern vor allem ein Gespür dafür, was in 10 oder 20 Jahren in den Gärten Europas gefragt sein könnte. Wie macht man das? "So etwas kann man nicht planen. Niemand weiß, was in 20 Jahren gefragt sein wird", gibt Lappen zu. "Wir haben unser Ohr aber immer möglichst nah am Kunden, entscheiden aus dem Bauch heraus und machen aus Zufall das Richtige." Meistens jedenfalls. Natürlich unterlaufen auch Lappens Bauch Fehler. Die Ladenhüter im Sortiment werden irgendwann still ausgekuhlt und geschreddert, aber über die spricht Lappen nur ungern. "Die Leute mögen es nicht, wenn man Bäume tötet."

Leisten kann er sich solche Flops, weil ihm als Alleingesellschafter niemand reinredet und den Lappens offenbar selbst Weltkriege und Wirtschaftskrisen nichts anhaben können. Fast sämtliche Konkurrenten haben laut Lappen in Rezessionszeiten aufgegeben, ihre Bestände verfeuert oder auf schnelllebige Gartencenterware umgestellt. Bessert sich die Lage, lässt sich aber eine Baumschule nicht einfach wieder neu eröffnen. Jedes Lebensjahr steigt der Preis eines Baumes im Schnitt um 30 Prozent ­ in jüngeren Jahren ein bisschen stärker, bei älteren Bäumen fällt der jährliche Preisanstieg etwas geringer aus. Eine Baumschule darf pro Jahr nur 10 bis 20 Prozent ihres Bestands verkaufen, sonst geht sie an ihre Substanz. So profitiert Dieter Lappen noch heute von jenen Tilia-pallida-Linden, die sein Großvater vor mehr als hundert Jahren auf Basis einiger aus Berlin importierter Schösslinge gezogen hat. Weil die Berliner Ur-Linden von Kaiser Wilhelm II. ausgesucht worden waren, verkauft Lappen seine Zöglinge unter dem Namen "Kaiserlinden Typ Lappen". 750 von ihnen gehen demnächst zur Begrünung eines vornehmen Wohnprojektes nach Moskau. Andere Exemplare hat er ­ schöne Pointe der Geschichte ­ in den Achtzigern zur Begrünung der Straße des 17. Juni wieder nach Berlin geliefert.

Umgekehrt weiß Lappen, dass er viele Setzlinge, die heute unter seiner Ägide gepflanzt werden, nicht mehr selbst verkaufen kann. Das werden eher sein Sohn Christian und dessen Nachfolger tun. Christian Lappen, 36, arbeitet bereits heute mit und soll das Geschäft später "Schritt für Schritt" übernehmen ­ wobei schwer erkennbar ist, wie neben dem Selfmademan Dieter Lappen jemand Schritt halten können sollte.

Frau Sklyar gähnt nach einem halben Tag Baumbesichtigung immer unverhohlener. Gegen Mittag legt die Reisegruppe in einem Gasthof am Rande der Ländereien eine Pause ein. Der Baumschuldirektor trinkt Wasser zum Steak, Sklyar entspannt bei Bier und Korn. Seine Einkaufsliste füllt mittlerweile eine DIN-A4-Seite. Ob Lappen auch Grassorten führe, fragt er, die bei mehr als 40 Grad noch ihr Grün behielten? Die Sommer in Baku seien häufig sehr heiß. Nein, Gräser verkaufe er nicht, lässt Lappen übersetzen, könne er aber besorgen.

Profiteur des Klimawandels

Hitzeresistente Pflanzen entwickeln sich zu einem heißen Thema. Klimawandel und Umweltprobleme bergen laut Baumschuldirektor ein Umsatzpotenzial, das er sich keinesfalls durch die Lappen gehen lassen wird. Schon jetzt drängen aus Amerika und Südosteuropa stammende Sorten wie Platane und Trompetenbaum gen Norden, und auf Lappens Ländereien wachsen bereits die Setzlinge, die dereinst im klimagewandelten Europa das Zeug zum Bestseller haben dürften. "Die Zeit spielt eindeutig für uns. Wussten Sie, dass Straßenbäume durch ihren Schatten und ihre Verdunstungskälte die Temperatur in überhitzten Straßenzügen um bis zu zehn Grad senken können? Wir haben das selbst nachgemessen." Nur Bäume seien auch in der Lage, die zunehmende Feinstaubbelastung in den Städten aus der Luft zu filtern. "Wenn man das zu Ende denkt", sagt Lappen, "dürfte es künftig keine unbepflanzten Straßen mehr geben."

Dann muss er los. Oleg Sklyar wartet schon im Bus. Lappen startet den Motor, der Besichtigungsmarathon geht weiter. Auch nach einem halben Tag Kurverei durch perfekte Baumreihen haben die Besucher aus Baku vier Fünftel von Lappland noch gar nicht entdeckt.