Nase vorn

Nasen reagieren international verschieden ­ Franzosen denken bei Lavendel an Luxus, Deutsche an ihre Oma. Für die Parfümeure von Henkel ist das eine enorme Herausforderung. Sie kreieren in Krefeld Düfte für die weltweite Produktpalette und schaffen damit die Basis für ein Milliardengeschäft. Denn nur was gut riecht, verkauft sich auch. Das gilt für Klosteine wie für Klebestifte.




Wie duftet eigentlich Grün? Frank Rittler reißt die kleine Luke an der gläsernen Kabine auf, schiebt seinen Kopf hindurch, schließt den Mund und zieht Luft durch die Nase, als wolle er dem Bouquet eines edlen Rotweins nachspüren. Aus dem Fensterchen strömt ein satter, frischer Geruch, der an saubere Badezimmer erinnert, an Limetten, an Latschenkiefer-Öl. Leicht moosig, eine Spur zitronig, vielleicht auch etwas herb-harzig.

Rittler schnüffelt Klosteine.

Hier im Henkel Fragrance Center (HFC) in Krefeld, dem Duftlabor des Konzerns, wird gerade für den "WC Blue Star Duo-Aktiv"-Duftspüler erforscht, mit welchem Geruch der Kunde die Farbe Grün verbindet. In der Kabine, in der sich die Luft schön stauen kann, ist eine Test-Toilette installiert. Damit sich das Aroma des WC-Erfrischers in dem Becken auch ordentlich entfaltet, ist der Deckel hochgeklappt, die Spülung ist computergesteuert. Mit vielen Spülungen lässt sich so in wenigen Stunden simulieren, wie sich der Geruch eines Klosteins binnen eines Monats entwickeln wird.

Fässerweise Düfte für die Welt

Egal, an welchem Ort der Welt ein Henkel-Artikel gekauft wird: Sein Duft stammt aus Krefeld. Nahezu 9000 Tonnen Parfümöl produziert das HFC pro Jahr. In weinroten Fässern, jedes rund 216 Liter fassend, gelangen die Öle bis nach China, Australien und Südamerika. Mit nur einem dieser Fässer lassen sich 50000 Packungen Waschmittel beduften ­ damit es angenehm riecht, genügt ein Parfümanteil von 0,3 Prozent.

"Unsere Produkte sind so teuer, dass es sich lohnt, sie zu verschiffen", sagt Dagmar Preis-Amberger, die Geschäftsführerin des HFC. Allein der Grundstoff Rosenöl, den die Parfümeure verwenden, kostet auf dem Weltmarkt derzeit gut viereinhalbtausend Euro pro Kilo. Das Öl ist rar: Hätte es beispielsweise am Duftrezept von Persil einen Anteil von auch nur einem halben Prozent, müsste Henkel die gesamte Weltjahresproduktion von Rosenöl aufkaufen.

Was Forschung und Entwicklung am HFC kosten, darüber schweigt der Konzern. Billig ist das Zentrum nicht, außer Henkel leisten sich nur Konsumgüter-Riesen wie Procter & Gamble oder das japanische Chemie- und Kosmetikunternehmen Kao eine eigene Abteilung für Kreation und Produktion von Riechstoffen. Firmen ohne Duftlabor wenden sich unter anderem an das HFC, die Krefelder nehmen auch Fremdaufträge an.

Am Niederrhein haben Düfte eine lange Tradition. Die ersten Riechessenzen bei Henkel stammen von 1955. Damals kam die Seife "Fa", das erste parfümierte Produkt, auf den Markt. Statt fettig riechender Kernseife wollten die Menschen den Wohlstand der Aufschwungjahre auf der Haut spüren. Hergestellt wurde die Seife in Krefeld, wo Henkel 1953 die Dreiring-Werke KG aufgekauft hatte, einen Zusammenschluss aus zehn Seifenfirmen. Deren Wurzeln reichen bis ins Jahr 1769, als der Krefelder Kaufmann Georg Wilhelm Melsbach die erste Seifenfabrik der Stadt gründete.

Um näher an der Produktion zu sein, verlegte Henkel 1956 auch die Parfümabteilung hierher. 1959 wurde das erste Waschmittel parfümiert: Persil ­ der Duft soll an Kölnisch Wasser erinnert haben. Der Textilstandort Krefeld erwies sich als ideales Testfeld für die Entwicklung von Düften; schließlich sollten die Essenzen auf Stoffen haften bleiben. "Es ging nicht mehr nur ums Waschen", sagt Dagmar Preis-Amberger, "sondern ums Schöner-Waschen. Die Frau sollte Spaß daran haben."

Heute verleiht allein Persil in mehr als 60 Ländern jährlich 1,2 Milliarden Maschinenladungen Wäsche seinen Duft ­ laut Henkel "blumig, fruchtig, eine Spur holzig und eine dezente Zitrus-Note". Doch nicht nur Waschmittel und Reiniger verströmen Wohlgeruch, sogar der Pritt Stift hat seine spezielle Note; zu lecker darf er allerdings nicht riechen, sonst beißen kleine Kinder rein.

Frank Rittler kreiert diese Gerüche. Der 39-Jährige, der dreimal pro Woche am Rhein joggt, um die Nase freizupusten, arbeitet seit acht Jahren beim HFC ­ als einer von nur sechs Parfümeuren im ganzen Konzern. In einer Welt der Reiniger und Waschmittel ist er der Genuss- Manager, muss chemische Formeln in sinnliche Erlebnisse verwandeln. Dabei kämpft er jedes Mal mit einer Unbekannten: der Nase des Kunden. "In Deutschland beispielsweise steht Zitrus für Sauberkeit", sagt Rittler, "während man in Südeuropa oder Amerika Chlorgeruch zusetzen muss, um einen Reiniger auf den Markt zu bringen."

Jede Kultur habe ihre eigenen Gerüche, jeder Markt reagiere anders: "Lavendel gilt in Frankreich als schick, Deutsche dagegen fühlen sich an ihre Oma erinnert." Oft lässt sich Rittler erfolgreiche Produkte aus dem Ausland nach Krefeld schicken, um sich auf die Vorlieben der Konsumenten dort einzustimmen. Aus Sicht eines Parfümeurs herrscht auf der Welt ein Nord-Süd-Gefälle: Je südlicher, desto stärker die Parfümdosierung; in warmen Regionen riecht die Pflanzenwelt intensiver, außerdem schwitzen die Menschen mehr.

Wie aber schafft man es, dass sich der Kunde zwischen Monatsbinden und Dosen-Ravioli auf einer taufrischen Wiese wähnt, wenn er im Laden den Deckel aufschraubt und am Weichspüler schnuppert? Die Parfümeure, denen im HFC rund 60 Menschen zuarbeiten, müssen sich einiges einfallen lassen, für den Erhalt der Dufthoheit am Supermarktregal: "Bei großen Produktnamen dauerte es früher vier bis fünf Jahre, bis man sagte: Okay, jetzt muss ein neuer Duft her", sagt Preis-Amberger. "Heute ist ein Lebenszyklus von anderthalb Jahren schon recht lang."

So schnell wie die Moden im Konsumgüterbereich wechseln, ändern sich auch die Düfte. Das reicht bis zur limitierten Sommer- oder Winteredition, die nur wenige Monate im Regal steht. Den Weichspüler Vernel etwa gibt es aktuell in einer "Glamour Edition". Im Marketingdeutsch des Hauses ist vom "geheimnisvollen Duft von Orchidee und Sandelholz" (Variante "Blue Night") und vom "zarten Duft von Jasmin- und Kakaoblüten" (Variante "White Elegance") die Rede. Letzterer umschmeichele die Sinne und zaubere "einen Hauch von Luxus in den Alltag". Wird ein solch limitierter Duft stark nachgefragt, kann er es ins reguläre Sortiment schaffen. Der knackig frisch-grüne Duft des "Spee-Apfels" war so ein Fall.

Um ihn exakt zu komponieren, sind viele Zutaten nötig. Nicht selten besteht das Parfüm eines Henkel-Produkts aus bis zu 150 verschiedenen Duftgrundstoffen, fein aufeinander abgestimmt. Weltweit sind bislang schätzungsweise 10000 dieser Substanzen bekannt, darunter liebliche wie Maiglöckchen, Jasmin und Lavendel, aber auch das modrig müffelnde Patschuli oder Bibergeil, ein harzig-herb-öliges Drüsensekret des Bibers, das aus Artenschutzgründen synthetisch hergestellt wird.

Ein Parfümeur wie Frank Rittler benutzt rund 2000 dieser Stoffe regelmäßig. Er kann sie alle identifizieren: einzeln, aber auch in sämtlichen Mixturen. "Ich rieche analytisch. Wenn ich an einem Feinparfüm von Chanel rieche, weiß ich: Aha, das ist Chanel, aber das ist auch so und so viel Prozent Bergamotte, Zitrone, Jasmin, Rose und Moschus."

Rittler reicht einen dünnen Teststreifen Papier, den er zuvor in eine kleine braune Glasflasche getaucht hat. "Hier, das kennt man doch aus dem Garten", ruft er und lässt dem Duft kaum Zeit, über die Distanz von der Spitze des Streifens in die Nasenlöcher hinaufzuwabern ­ Lavendel, reines Lavendel.

Solch ein Riechtest einfachster Grundsubstanzen ist für Rittler ungefähr so spannend wie der Flohwalzer für einen Konzertpianisten. Er lässt sich seine Routine aber nicht anmerken. Und als er überschwänglich davon erzählt, wie er als Kind in Höxter aufgewachsen ist, mitten im Weserbergland, draußen in den Obstgärten gespielt hat, zwischen Blüten und duftenden Früchten, bekommt der Duft-Manager sogar eine ganz weiche Stimme.

Die Ideen für neue Parfüms findet Rittler auf Reisen in exotische Länder oder auf Messen wie der Allgemeinen Nahrungs- und Genussmittel-Ausstellung (Anuga) in Köln. Dort recherchiert er, welche Trends sich abzeichnen und wie sich daraus Düfte ableiten lassen. Die Umsetzung ist dann reine Kopfarbeit. Wer denkt, Parfümeure schütteten grübelnd bunte Essenzen ineinander, der irrt. Ein Regal mit Pröbchen gibt es im HFC nur für Azubis ­ zum Lernen.

In seinem kleinen Büro am Ende eines langen Flures notiert sich Rittler das Mengenverhältnis eines Rezeptes und tippt es in eine Computertabelle ein. Die Mixtur-Vorgabe wird per Knopfdruck an ALMA geschickt, die Automatische Labor-Mischanlage. Das Ungetüm aus zahllosen Schläuchen und Behältern ist ein Stockwerk tiefer untergebracht und zapft, über eine Computerwaage kontrolliert, die programmierte Mischung aus vielen Kanistern. ALMA stehen allerdings nur 600 der meistverwendeten Duftstoffe zur Verfügung, die restlichen Substanzen geben Laboranten per Hand zu. Erst dann riecht Rittler an seinem neu erschaffenen Duft, korrigiert, wenn nötig, ein paar Zahlen in der Tabelle und lässt ALMA die endgültige Mixtur anrühren. So entwickelt er pro Tag im Schnitt fünf neue Rezepturen.

Die Anforderungen sind hoch: Rittler und seine Kollegen müssen in Duft übersetzen, was Marketing und Vertrieb oft nur vage oder als Gefühl formulieren können. Da soll Wäsche schon mal sinnlich inspirierend daherkommen oder auch lebensbejahend, allerdings ohne aufdringlich zu sein. "Einmal bekamen wir vom Produktmarketing ein Video mit einer Dame, die auf einem zugefrorenen See Schlittschuh lief", sagt Rittler. "So sollte der Duft dann riechen. So frisch, klar, kühl."

Welche Düfte es schließlich bis ins Ladenregal schaffen, entscheiden Konsumententests. Die Rezeptoren in der Nase sorgen dafür, dass ein Geruchseindruck im Kopf entsteht. "Jeder Duft stimuliert die Rezeptoren anders und hinterlässt damit im Prinzip seinen eigenen Fingerabdruck", sagt Rittler.

Ein Parfümeur hat all diese Profile im Kopf gespeichert, kann sie in Zehntelsekunden mit dem Duft in seiner Nase vergleichen und so das richtige Profil herausfiltern. Ein komplexer Vorgang, der fünf Jahre Ausbildung erfordert und den nur wenige wirklich beherrschen. Kein Wunder, dass es weltweit nur gut 600 Parfümeure gibt.

"Parfümeur ist kein klassischer Handelskammer-Beruf, die Unternehmen bilden ausschließlich nach Bedarf aus", sagt Rittler. Wer als Trainee aufgenommen werden möchte, muss eine mehrtägige Prüfung bestehen. Da gilt es beispielsweise, die Konzentration eines Duftstoffs in unterschiedlich verdünnter Form zu bestimmen. Es gibt Tests, in denen die Prüflinge Düfte assoziativ beschreiben müssen, und solche, in denen das Auge getäuscht wird, etwa mit einer grünen Seife, die nach Himbeere riecht. Manchmal zeigt sich bei einem Aspiranten eine "Geruchsblindheit", eine Anosmie. Das heißt, dass einer der Rezeptoren in seiner Nase ­ zuständig für die Erkennung eines bestimmten Geruchs ­ verkümmert ist. Ein Defekt, der genetisch bedingt sein kann.

Die Ausbildung zum Parfümeur zielt darauf ab, die Festplatte im Kopf zu löschen und dort die Düfte in ihrer reinen Form neu zu speichern. Am Anfang lernt ein Trainee deshalb die Riechsubstanzen wie Vokabeln, das erste Jahr wird nur gerochen und gelernt. Danach folgen Trainingsaufgaben, beispielsweise soll aus fünf vorgegebenen Rohduftstoffen der Geruch einer Rose komponiert werden. "Da geht es um das richtige Verhältnis", sagt Rittler. "Parfümerie ist ein Handwerk. Man hat seine Waage, seine Rezeptur und schreibt." Viele Trainees geben vorzeitig auf, denn was sich bei allen Vortests kaum überprüfen lässt, ist das wichtigste Talent eines Parfümeurs: Kreativität.

Draußen herrscht Geruchsterror

Rittler führt den Besuch nach draußen auf den Hof des HFC. Hinten links liegt das Wasch-Test-Center, dort will er hin, um an frisch gewaschenen Frottierhandtüchern zu schnuppern. Dienst-lich, versteht sich. Seiner Nase wird beim Hofgang viel zugemutet: Das HFC liegt mitten im Industriehafen von Krefeld. Schräg gegenüber produziert ein Unternehmen Stärke und sorgt für süßlichen Maischegeruch. Stickige Schiffsdiesel-Schwaden wehen vom Rhein herüber. Wenn der Wind ungünstig steht, kann die Düngemittel-fabrik flussabwärts Rittler schon mal zum Äußersten zwingen: "Dann schließe ich meine Nase und atme nur noch durch den Mund."

Auch in den Gebäuden sollen die empfindlichen Riechorgane der Parfümeure möglichst nicht abgelenkt werden. Körperbeduftung im Laborbereich ist allen Mitarbeitern streng untersagt. Selbst im Hochsommer soll die Belegschaft ein geruchsneutrales Deo verwenden. Jeder Duft könnte das Urteilsvermögen der Parfümeure trüben. Bei Erkältung und verstopfter Nase bekommt Rittler eine Riechpause. "Dafür kann ich dann mal mein Büro aufräumen", sagt er. Heuschnupfen dagegen würde in seinem Beruf das Aus bedeuten.

Im Wasch-Test-Center testen Rittlers Kollegen gerade, in welcher Konzentration ein Duftstoff einem Seifenpulver beizumengen ist, um die gewünschte Wirkung zu entfalten. Außerdem wird der Effekt des Parfüms auf das Waschmittel untersucht. Dessen waschaktive Substanz hält Duftöl nämlich erst mal für Schmutz ­ es ist nun mal Öl. Außerdem "kippen" einige Riechstoffe, wenn sie mit anderen chemischen Bestandteilen in Verbindung kommen. Rittlers Schöpfungen durchlaufen daher mehrere Waschgänge, werden in Flüssigwaschmitteln und Megaperls getestet, dann erst auf nasser, anschließend auf trockener und schließlich auf vor einer Woche bedufteter Wäsche geprüft.

Das ist die hohe Kunst der Duftkreation: Zwar geht es immer um den einen inspirierenden Moment. Aber beileibe nicht nur. Frank Rittler vergräbt sein Gesicht in einem weißen Stück Frottierstoff, schließt die Augen und atmet tief ein: "Die Sachen müssen eben auch noch gut riechen, wenn man sie nach sieben Tagen aus dem Schrank nimmt."