In der Erfolgsfurche

Der Landmaschinenspezialist Lemken konstruiert Pflüge, Eggen und Sämaschinen exakt nach den Bedürfnissen der Kunden. Grundlage für die Maßarbeit: der Umbau des eigenen Unternehmens.




Ein Feld zu bestellen ist keine Kunst, oder? Man nehme einen Traktor, hänge Pflug, Egge oder sonst ein schlichtes Gerät an, fahre ein paarmal hin und her, fertig. Ganz einfach. Ganz einfach? Weit gefehlt. Ackerwirtschaft ist eine Wissenschaft für sich. Weltweit gibt es zahllose Bodenarten, Feldfrüchte und Ackergrößen, und jede einzelne Spielart braucht eine spezielle Landmaschine ­ für 50000-Hektar-Roggenmeere in Sibirien, handtuchschmale Futterkleestücke in Oberbayern oder schwerbödige belgische Zuckerrübenäcker. Noch komplizierter wird die Wahl des passenden Geräts, weil jeder Bauer andere Prioritäten setzt, seien es hohe Erträge um jeden Preis, Bodenschonung oder geringer Materialverschleiß.

Zusammengenommen sind das tausendundeine Landmaschinenvariante ­ und eine ziemlich gute Beschreibung des Geschäftsfelds der Lemken GmbH. Das Familienunternehmen aus Alpen fertigt keine Geräte von der Stange, sondern Maßkonfektion. Pflüge, Eggen, Grubber und Sämaschinen sind nach dem Baukastenprinzip nahezu grenzenlos konfigurierbar, je nach den Anforderungen des Landwirts und der Natur.

Das Konzept lohnt sich: 2007 hat die Firma 181 Millionen Euro Umsatz gemacht, für 2008 sind 250 Millionen angepeilt. Laut Geschäftsführer Franz-Georg von Busse sind die Auftragsbücher Monate im Voraus gefüllt.

Nicht immer ging es bei Lemken so progressiv zu: Erst veränderte Marktbedingungen und ein missglücktes Auslandsabenteuer Anfang der neunziger Jahre führten zur Neuausrichtung auf die Maßkonfektion. "Damals", erzählt von Busse, "wollten Hinz und Kunz nach Osteuropa, um billig zu produzieren." Lemken hat sich von der Goldgräberstimmung anstecken lassen und 1993 in Kaliningrad ein Werk für Massenteile wie Bolzen gegründet. "Doch die Teile kamen aus unterschiedlichsten Gründen zu spät, verrostet, falsch gearbeitet oder gar nicht zur Weiterverwendung in Alpen an", erinnert sich der 62-Jährige: "Gut zwei Jahre später haben wir uns wieder aus Kaliningrad verabschiedet ­ mit rund 500000 Mark Verlust."

Das Fiasko war ein Weckruf. Denn zum damaligen Zeitpunkt hatte Lemken eigentlich ein ganz anderes Problem: Die Firma hatte den Strukturwandel in der Landwirtschaft verschlafen.

"In Ostdeutschland entstanden riesige Betriebe, die Geräte mit großer Arbeitsbreite brauchten, im Westen dagegen gaben immer mehr Bauern auf", sagt Nicola Lemken. Die 37-Jährige verkörpert die siebte Generation des Familienunternehmens, sie und ihr Vater sind die Inhaber. "Gesucht waren zunehmend Maschinen in vielen Varianten, mit kurzen Lieferfristen, während wir überwiegend Standardware in großer Stückzahl produzierten ­ und darauf sitzen blieben."

Flexibilität war das Gebot der Stunde ­ einst eine Kernkompetenz des Betriebs. Ohne Anpassungsfähigkeit wäre die 1780 als Schmiede gegründete Firma gar nicht erst über die regionale Bedeutung hinausgekommen. "Noch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland mehr als 30 Pflughersteller, deren Geräte aber nur für die jeweiligen Bodenbedingungen in ihrer Region taugten", sagt von Busse. "Lemken hat seit den fünfziger Jahren verschiedene Streichbleche für unterschiedliche Anforderungen hergestellt, das war der Beginn des überregionalen Erfolgs." Heute lassen sich die Pflughersteller in Deutschland an einer Hand abzählen; Lemken ist der größte.

Die Krise sorgte für Rückbesinnung ­ und für völlig neue Strukturen. Lemken ersetzte den Akkord durch freie Arbeitszeiten, entwickelte einen eigenen Tarifvertrag, etablierte Gruppenarbeit, durch die jede Produktgruppe über eigene Einkäufer, Vertriebsleute und Disponenten verfügt, die sich eng mit den jeweiligen Meistern und Arbeitsvorbereitern abstimmen ­ je nach Auftragslage und Kundenwünschen. Qualifizierungskurse halfen den Mitarbeitern, mit der neuen Verantwortung umzugehen.

"Unsere Mitarbeiter sollen keine Befehlsempfänger sein", formuliert Geschäftsführer von Busse die Haltung dahinter. "Es kann doch nicht angehen, dass sechs Köpfe in der Geschäftsleitungsrunde bestimmen, wo es langgeht, während die restlichen tausend nichts zu sagen haben. Das sind Menschen, die Häuser bauen, sich in Vereinen oder bei der Freiwilligen Feuerwehr engagieren. Und bei uns dürfen sie ihren Kopf nicht gebrauchen?"

Mitdenken setzt Wissen voraus ­ deshalb hat sich Lemken seit mehr als zehn Jahren totaler Transparenz verschrieben. Überall im Betrieb hängen sogenannte "Management Boards" aus, die ständig aktualisiert über Auftragslage, Umsätze, Gewinne, Investitionen, Soll und Ist bei Qualitätsstandards, über Krankenstand und interne Verbesserungsvorschläge informieren.

Wer gibt, dem wird gegeben

Insbesondere die Auskunft über die Geschäftsentwicklung ist für die Belegschaft wichtig, denn darauf fußt das Erfolgsbeteiligungsmodell von Lemken. Anfang jedes Jahres veröffentlicht die Firmenleitung ein Planziel für die jährliche Umsatzrendite. Jeder Mitarbeiter kann einen Betrag zwischen 300 und 1500 Euro als Einlage an das Unternehmen geben und bis zu 50 Stunden von seinem Gleitzeitkonto abbuchen lassen ­ die Belegschaft spekuliert gewissermaßen auf das Betriebsergebnis. Wird das Ziel zu 75 Prozent erreicht, erhalten die Mitarbeiter ihren Einsatz in voller Höhe zurück, eingesetzte Arbeitsstunden werden in bare Münze umgerechnet. Für ein Ergebnis über Plan, gibt es entsprechend mehr ­ bei einer doppelt so hohen Umsatzrendite wie erwartet auch den doppelten Einsatz.

Mehr als 80 Prozent der Belegschaft nehmen an dem Modell teil, obwohl bei schlechter Geschäftsentwicklung der Einsatz verloren gehen kann. In den vergangenen Jahren ist das nur einmal passiert. Wer sich in dieser Zeit regelmäßig beteiligte, machte bei einem Einsatz von 1000 Euro im Schnitt jährlich 700 Euro Gewinn.

Lemkens Geschäft boomt, allein von 2003 bis 2007 hat sich der Umsatz mehr als verdoppelt. Dazu trägt vor allem der Export bei, dessen Umsatz-anteil 2007 auf gut 70 Prozent gewachsen ist. Für die russischen Riesenfelder baut Lemken beispielsweise den zwölf Meter breiten Systemträger "Gigant", ein 140000 Euro teures Ungetüm, das mit zig Geräten aus dem Lemken-Baukasten kombiniert werden kann. Französische Bauern schwören auf den Scheibengrubber "Smaragd", indische Kartoffel-Großmoguln bearbeiten ihre Äcker mit niederrheinischen Pflügen. Weltweit hat Lemken ein Netz aus 47 Vertretungen geknüpft, manchmal nur mit einem Mann besetzt. Diese Vertriebs- und Servicepioniere forschen permanent nach, wer was wo und warum braucht, welche neuen Bedürfnisse entstehen, ob Ersatzteile fehlen. Die Erkenntnisse fließen am Alpener Stammsitz zusammen, wo neben den kleineren Produktionsstandorten Meppen und Hetzerath die meisten der insgesamt knapp 1100 Mitarbeiter beschäftigt sind.

Nur ein paar Kilometer entfernt beginnen die Niederlande ­ und dort entscheidet schon mal die Ästhetik über die Funktion einer Landmaschine: Ein Pflug für niederländische Bauern trägt am Ende jedes Pflugkörpers ­ das Teil, das die Furchen gräbt ­ eine runde Scheibe, das sogenannte Scheibensech. Es sorgt dafür, dass alle Furchen beim Pflügen komplett ausgeräumt werden und das Feld am Ende sehr ordentlich aussieht. "Das zählt in Holland nun mal", sagt Franz-Georg von Busse. "Schließlich will man beim Nachbarbauern ja einen guten Eindruck hinterlassen."