Gute Gewissensbisse

Weil einem rastlosen Niederländer langweilig war, hat Nettetal-Kaldenkirchen heute ein höchst ungewöhnliches Unternehmen. Mekkafood produziert Fertiggerichte für streng gläubige Muslime.




Eine gewisse Hemdsärmeligkeit war schon am Telefon zu spüren, bei dem Versuch, einen Termin abzumachen. "Melden Sie sich einfach, wenn Sie in der Gegend sind, ich bin immer hier", hatte Wout van Eeuwijk in sein schnurloses Telefon gerufen, während er gerade durch die Produktion lief. Ungewöhnlich für einen Firmenchef, aber nicht unsympathisch.

Sitzt man ihm dann im Konferenzraum gegenüber, dem Direktor von Mekkafood in Nettetal-Kaldenkirchen, kommt zu einer erfrischend lockeren Art noch die barocke Erscheinung und ein treuherziger Blick. Und schon nach kurzem Zuhören ist man sicher: Auch wenn van Eeuwijk als Katholik nicht zu Allahs Kernzielgruppe zählt ­ das Treiben dieses niederländischen Haudegens wird er mit Wohlwollen betrachten.

Schließlich erweist er seinen Gläubigen einen großen Dienst. Der 63-Jährige macht Tiefkühlkost für Moslems ­ genauso schnell und bequem zubereitet wie jedes andere Fertiggericht, aber streng nach islamischen Lebensmittelgesetzen produziert. "Eine Idee, auf die man erst mal kommen muss", sagt Rolf Adolphs, Wirtschaftsförderer für den Kreis Viersen, zu dem Nettetal gehört.

Wie van Eeuwijk darauf gekommen ist? "Aus Langeweile", sagt er. Er habe in der Grenzstadt Venlo zusammen mit einem Geschäftspartner mehrere Supermärkte betrieben. Die Kunden: "deutsche Kauftouristen", aber auch viele Türken und Marokkaner. Als sein Kompagnon auf die 60 zuging, wollte er sich zur Ruhe setzen und die Märkte verkaufen. Van Eeuwijk ließ sich überreden. "Nun hatte ich Zeit und Geld. Das einzige Problem bei der Sache: Ich war erst 48 Jahre alt. Also habe ich überlegt, was kannst du machen? Wie kannst du wieder erfolgreich sein? Es gab eigentlich nur zwei Möglichkeiten: besser sein als die anderen oder billiger. Ich habe mich für eine dritte Variante entschieden: anders sein als die anderen. Schließlich hatten mich die Türken am Fleischtresen oft genug gefragt: ,Chef, ist das halal?'"

"Halal" heißt im Arabischen "rein, zulässig, erlaubt". Das Gegenteil von halal ist "haram", es bedeutet "verboten". Fische und Meeresfrüchte sind laut islamischem Recht halal, Schweinefleisch bekanntlich haram. Verboten ist auch der Verzehr von Tieren, die nicht nach islamischer Schlachtmethode, dem sogenannten Schächten, getötet wurden. Beim Schächten werden dem Tier mit einem scharfen Schnitt Luftröhre, Speiseröhre und die Halsschlagadern durchtrennt, danach muss es vollständig ausbluten. Außerdem muss beim Töten des Tieres der Name Allahs genannt werden: "Bismillah, Allahu Akbar" (im Namen von Allah, dem Größten). Weil die Schächtmethode in Deutschland grundsätzlich verboten ist, können gläubige Muslime bei uns nicht einfach ihr Fleisch an der Frischetheke oder beim Metzger kaufen.

"Ich habe mich damals umgeschaut", sagt van Eeuwijk, "und war erstaunt: Es gab zwar Millionen hier lebender Moslems, aber keinen, der Fleisch konsequent nach Halal-Richtlinien produzierte." Er fand einen niederländischen Schlachtbetrieb, der ihm Hähnchen-, Rind- und Lammfleisch von geschächteten Tieren lieferte, ließ daraus Hamburger und Frikandel ­ die niederländische Bratrolle ­ formen und verschenkte Tausende von Probierpaketen in Supermärkten. Das Fleisch schmeckte den Kunden, der Name nicht. "Ich hatte es Westfood genannt, westliches Essen für östliche Konsumenten, aber das sprach die Moslems nicht an. Irgendwann kam ich dann auf Mekkafood und dachte: Das ist es!"

Was in Venlo 1993 als Vier-Mann- Betrieb begann, ist heute eine Multi-Kulti-Firma mit 95 Mitarbeitern. Verkaufschef Guido Frijns ist Niederländer, Produktionsleiter Bernd Hantsche Deutscher, Marketingchefin Alev Ekoc Türkin, in der Produktion tummeln sich Russen und Osteuropäer.

Weil in Venlo nicht mehr genug Platz war, siedelte das Unternehmen im Jahr 2004 nach Nettetal über ­ ein kleiner Hüpfer über die Grenze ins Industriegebiet von Kaldenkirchen, der 15000 Quadratmeter Betriebsfläche bescherte. Dort verarbeitet Mekkafood täglich 150 Tonnen Fleisch, beliefert neben den Hauptmärkten Deutschland, den Niederlanden und Belgien inzwischen auch Dänemark, Schweden, Frankreich, Spanien, die Schweiz, Österreich, Rumänien und Großbritannien. Von Kebab und Lahmacun über Cevapcici und Schnitzel bis zum Cornstick und Party-snack reicht das Sortiment. Die Firma unterhält einen Fuhrpark mit 30 Kühllastern, kleine Siebeneinhalbtonner, die etwa 4000 meist von Ausländern betriebene Lebensmittelläden anfahren, in denen Mekkafood seine Tiefkühltruhen mit dem "100 % Halal"-Siegel aufgestellt hat.

Seit vier Jahren gehören jedoch auch große Handelsketten zur Kundschaft; Rewe, Edeka und Real bekommen die Ware per Spedition, dort fahren dann 25-Tonner vor, mit jeweils 32 Palettenstellplätzen. Der Umsatz, so van Eeuwijk, liege "im zweistelligen Millionenbereich", das jährliche Wachstum sei ebenfalls zweistellig.

Ein Huhn hilft Analphabeten

Der Erfolg hat mit Qualität und Alleinstellung zu tun ­ aber sicher auch mit einer großen Portion Pfiffigkeit. Van Eeuwijk lässt auf die Verpackungen beispielsweise nicht nur Abbildungen der fertigen Speisen drucken, sondern auch das Foto eines lebenden Huhns. "Sie müssen sich vorstellen: Muslime stammen aus mehr als 150 Nationen mit sehr vielen verschiedenen Sprachen. Außerdem kamen die ersten Gastarbeiter aus entlegenen Bergdörfern, das sind Leute, die nie lesen gelernt haben. Wie sollen die sonst erkennen, was da drin ist?"

Noch entscheidender für den eindrucksvollen Aufstieg des Unternehmens aber ist das Vertrauen, das es sich im Laufe der Jahre erworben hat. Mekkafood verkaufe ein Stück Glauben, sagt Wout van Eeuwijk: "Halal riecht man nicht, halal schmeckt man nicht ­ die Kunden müssen es schlicht und einfach glauben." Er selbst setzt auf strenge Kontrolle, verweist auf die Imame, die regelmäßig in seine Schlachtbetriebe kämen; auf die betriebseigene Putzkolonne, die sorgfältiger arbeite als jede Fremdfirma; auf die Zertifizierung nach dem Inter-national Food Standard (IFS), bei dem man auf dem "Higher Level" eingestuft worden sei.

Zwar wächst der Anteil an Muslimen in Westeuropa, doch halten es manche jüngere weit lockerer mit dem Glauben als Eltern und Großeltern. Könnte sich halal als Verkaufsargument irgendwann erledigen? Van Eeuwijk winkt ab, da mache er sich überhaupt keine Sorgen. "Wenn ein jugendlicher Türke bei Edeka Fingerfood für den Fernsehabend sucht und unsere Mini-Hackbällchen sieht, dann nimmt er die. Auch wer sich nicht ausschließlich halal ernährt, greift zu halal, wenn er die Wahl hat." Außerdem seien immer mehr Nicht-Moslems unter seinen Kunden. "Das sind Leute, die die orientalische Würzung mögen, manche verbinden das auch mit Urlaubserinnerungen."

Die Rezepte tüftelt der Firmengründer noch immer persönlich aus, in der betriebseigenen Versuchsküche. Doch nicht nur van Eeuwijk muss ein Produkt schmecken, bevor es in den Markt geht, sondern auch den Kunden der Zukunft. Deshalb lässt er jede neue Kreation von Kindern testen. "Kinder sind die kritischsten Konsumenten. Wenn es denen nicht schmeckt, dann können Sie das Gericht vergessen."

Zum Abschluss möchte man zu gern noch wissen, wie stark die Konjunkturdelle durch den Ramadan ist und ob van Eeuwijk seine Leute dann in Urlaub schickt. Da muss er lachen: "Im Gegenteil, wir stellen vor der Fastenzeit immer Aushilfskräfte ein. Was meinen Sie, wie die Kunden zulangen, wenn sie nach Sonnenuntergang endlich essen dürfen."