Das Sammlerbecken

Exzellente Museen, berühmte Künstler, herausragende Werke: In der modernen Kunst kann der Niederrhein mit jeder Metropole mithalten. Diesen Reichtum verdankt die Region vor allem dem Engagement seiner Bürger. Ein Rundgang.




Große Namen und große Events bestimmen auch im Herbst und Winter 2008 die Kunstwelt: In Berlin werden im Hamburger Bahnhof Bilder von Andy Warhol und Arbeiten von Joseph Beuys gezeigt, in der Staatsgalerie Stuttgart sind Bilder von Henri Matisse zu sehen, und in der Villa Hügel in Essen wird die Sammlung des Folkwang Museums präsentiert, die mit Werken von Claude Monet, Paul Cézanne, Paul Gauguin, Henri Matisse, René Magritte, Salvador Dalí und etlichen weiteren Bestsellern an den Katalog eines Kunstkalender-Versands erinnert. In Paris läuft eine riesige Picasso-Ausstellung, in London sind die Werke von Mark Rothko und Francis Bacon sowie eine Renaissance-Show zu bewundern und in New York van Gogh. Nicht zu vergessen die Kunstmessen in Paris und London sowie die Biennalen in Korea, China, Japan und, kaum zu glauben, aber wahr: Panama. Überall Superstars und Spitzenkunst. Wer soll sich da noch für Kunst in Neuss interessieren?

Doch dann ist da der Park. Es ist ein milder Herbsttag, die Bäume leuchten prächtig, auf einer Wiese liegen einige große Steine, in die einfache Bilder eingeritzt sind: Menschen, ein Feuer, Tiere. Bearbeitet und platziert wurden sie von Anatol Herzfeld, der vor seinem Atelier 200 Meter weiter gerade eine Leinwand grundiert. Herzfeld, 77 Jahre alt und ein Schüler von Joseph Beuys, arbeitet in den Landschaften des Museums Insel Hombroich, dem vielleicht schönsten Kunstmuseum der Welt ­ oder ist es selbst ein Kunstwerk?

Der menschliche Maßstab

Insel Hombroich entstand unter der Leitung des Düsseldorfer Immobilienmaklers und Kunstsammlers Karl-Heinrich Müller, der das Gelände am Stadtrand von Neuss 1982 kaufte, um dort seine Sammlung zu zeigen. Der Bildhauer Erwin Heerich entwarf die Gebäude als begehbare Skulpturen, der Landschaftsarchitekt Bernhard Korte verwandelte einen alten Park in eine sanfte Landschaft, der Maler Gotthard Graubner entwickelte ein Ausstellungskonzept, das auf Beschriftungen ebenso verzichtet wie auf historische oder inhaltliche Zuordnungen ­ namenlose Arbeiten von Rembrandt, Francis Picabia, Paul Cézanne oder Hans Arp stehen neben ebenso namenloser historischer Kunst aus China, Peru oder Persien.

Es ist eine Freude, hier einen Tag zu verbringen. Alle paar hundert Meter wartet in den großartigen Gebäuden Kunst auf die Besucher ­ mal sind es mehrere Dutzend Werke in einem Labyrinth, mal nur sieben Statuen aus der Khmer- Kultur. Dazwischen Spazierwege, neben denen Bänke stehen oder etwas versteckte Skulpturen. Und natürlich eine Cafeteria. Dort gibt es Tee, Kaffee, Wasser und ein einfaches Büfett mit Bratkartoffeln, Eiern, Broten, Äpfeln ­ alles umsonst. Die Frau hinter dem Tresen sagt: "Die Leute können spazieren gehen, sich etwas ansehen und ab und zu herkommen, um zu essen." In der Cafeteria sitzen die Menschen gemeinsam an großen Tischen, sie lächeln, essen langsam, keiner türmt sich seinen Teller voll. Alles ist gut.

An diesem Ort ist plötzlich alles da, was schon in den vergangenen Tagen in den Museen in Kleve, Krefeld und Mönchengladbach in der Luft lag, in den Gesprächen aber unausgesprochen blieb, vielleicht weil es selbstverständlich scheint: Es geht in der Kunst nicht nur um die Kunst.

Es geht um die Menschen, ihre Gefühle, Träume, Hoffnungen, ihr Leben. Es geht um den menschlichen Maßstab. Am Niederrhein ist es, als wäre man über Jahre in ferne Länder gereist, um dort Berge, Wälder und Seen zu bewundern, bis man plötzlich bemerkt, dass man inmitten eines Naturwunders lebt. Die Ausstellung des New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) vor vier Jahren in Berlin war ein Reichsparteitag der Hochleistungskunst ­ doch am Niederrhein finden die Menschen und die Kunst tatsächlich zueinander.

Das hat viel mit Tradition zu tun. Am Anfang der modernen Kunstszene stand hier ein klassisches Bürgertum, das vor allem dank der Textilindustrie reich geworden war und sich im neuen Wohlstand für das Wahre, Schöne und Gute begeisterte. Unternehmer sammelten moderne Kunst und zogen Galeristen an, in der Kunsthochschule Düsseldorf trafen sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts große Künstler als Lehrer und Studenten, während der gehobene Mittelstand, Juristen, Ärzte und Apotheker, lokale Museumsvereine gründeten. Es war eine bürgerliche Kultur-Evolution, die sich selbstverständlich nicht an der repräsentativen Kunst der Aristokratie orientierte oder an den beschaulichen Stubenbildern des Kleinbürgers, sondern an den modernen Ausdrucksformen der Industriezeit. Und dieser Humus ist noch heute fruchtbar.

Zum Beispiel in Kleve, einer kleinen Stadt mit knapp 50000 Einwohnern kurz vor der niederländischen Grenze. Das dortige Museum Kurhaus Kleve ist in einem dekorativen Bau aus dem 19. Jahrhundert untergebracht, zu dem prima romantische Landschaftsgemälde passen würden. Doch drinnen wird der Gast von einer Ausstellung mit Werken von Alan Charlton überrascht: Der Brite malt seit fast 40 Jahren ausschließlich graue Bilder in unterschiedlichen Formaten und Farbtönen, die er in zweidimensionalen skulpturalen Arrangements anordnet. Die hellen, großzügigen Räume des Kurhauses passen perfekt zu den minimalistischen Arbeiten, die in dem Betrachter die Schönheit wortloser Harmonie erklingen lassen. Große Kunst, der allerdings jegliche Plakativität fehlt. Und das sehen sich die Menschen am Ende des Landes an?

Der Direktor des Museums, Guido de Werd, lächelt: "Bei einer Ausstellung wie dieser hätte es viele Gründe gegeben für böse Briefe. Aber es gab keine. Die Leute waren alle sehr angetan." Der Niederländer leitet das Museum seit 1977. Ab 1982 richtete er das Haus auf moderne Kunst aus, stets im engen Kontakt mit den Bürgern ­ der Förderverein ist mit mehr als 1500 Mitgliedern für eine Stadt dieser Größe riesig. Pro Jahr kommen bis zu 30000 Besucher, selbst bei komplizierten oder sperrigen Künstlern.

Für den Erfolg hat de Werd eine einfache Erklärung: "Wir können es uns erlauben, Ausstellungen zu machen, die Gewicht haben, die man in der Provinz sonst nie sieht, weil sich herumgesprochen hat, was hier gezeigt wird. Blockbuster erwartet niemand, wir machen keine Matisse-Ausstellung. Das erlaubt uns eine poetischere Museumspolitik."

Die Provinz, sagt de Werd, sei ruhiger, langsamer als die Metropolen, und das sei für die Kunst durchaus von Vorteil: Die Menschen hätten Zeit, sich auf Dinge einzulassen, sie setzten sich intensiver mit der Kunst auseinander.

Der Rückhalt in der Bevölkerung ist auch finanziell wichtig: In Nordrhein-Westfalen ist Kunstförderung nur zum Teil Ländersache ­ das meiste Geld kommt von den Kommunen, also von den Bürgern vor Ort. Natürlich schadet es nicht, dass das Haus 2004 zum Museum des Jahres gekürt wurde oder die Hälfte der Besucher aus den Niederlanden kommt und beim Shoppen auch Geld in der Stadt lässt. Doch das alles würde kaum helfen, betrachteten die Menschen die moderne Kunst als abgehoben oder gar arrogant, wie es anderswo in der Provinz häufig vorkommt. Doch nicht in Kleve, und das ist auch Guido de Werds Verdienst, der nach 31 Jahren in aller Bescheidenheit sagen darf: "Ich habe das aus dem Nichts aufgebaut." Wobei der 60-Jährige schon im nächsten Satz die Stadt erwähnt, die ihm den Freiraum gegeben habe.

Wie zum Beweis steht neben dem Museum auf einer Säule der "Eiserne Mann", eine moderne Skulptur, die den Fürsten Johann Moritz von Nassau-Siegen zeigt, der den angrenzenden Barockpark anlegen ließ, die größte Sehenswürdigkeit Kleves. Die Skulptur des Bildhauers Stephan Balkenhol, die in ihrer betonten Schlichtheit mit allen klassischen Formen bricht, wurde von den Bürgern Kleves gestiftet ­ das lokale Kunstinteresse ist also nicht nur behauptet.

Im Haus ist eine weitere schöne Arbeit von Balkenhol zu sehen, eine Dauer-ausstellung zeigt Werke von Ewald Mataré, einem Lehrer von Joseph Beuys. In einem angrenzenden Gebäude soll in den nächsten Jahren Beuys Atelier rekonstruiert und in das Museum integriert werden ­ damit wird Guido de Werd kurz vor seiner Pensionierung wohl sein Lebenswerk abschließen.

Der heilige Vater Joseph Beuys

Joseph Beuys ist nicht nur in Kleve präsent ­ er schwebt wie ein Geist über der Kunst am Niederrhein. Beuys wurde in Krefeld geboren, lebte zuerst in Kleve, dann in Düsseldorf, prägte als Professor an der staatlichen Kunstakademie Düsseldorf von 1961 bis 1972 die gesamte Region und gilt allerorts als heiliger Großkünstler. Keine zehn Kilometer von Kleve entfernt befindet sich im Schloss Moyland die größte Beuys-Sammlung der Welt, die 1990 von den Brüdern Hans und Franz Joseph van der Grinten in die Stiftung Museum Schloss Moyland eingebracht wurde.

Nordrhein-Westfalen finanzierte im Gegenzug die Restaurierung des Schlosses und sicherte zu, 80 Prozent der laufenden Kosten zu tragen, mehr als zwei Millionen Euro pro Jahr. Doch in der Stiftung tobt seit Langem ein Kampf zwischen Franz Joseph van der Grinten, dessen Bruder vor sechs Jahren starb, und dem Land, was dazu führte, dass das Haus seit mehreren Jahren keinen Direktor hat. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um die Deutungshoheit über die Sammlung, die von der Fachwelt sehr unterschiedlich bewertet wird ­ über Joseph Beuys wird Krieg geführt wie über die Bibel.

Ansonsten dient der früher umstrittene, heute dagegen kurz vor der Heiligsprechung stehende Künstler gern als Allzweckbegründung für die aktuelle Präsenz der Kunst am Niederrhein. Der andere häufig genannte Grund ist die Kunstakademie Düsseldorf, die in den vergangenen Jahrzehnten eine grandiose Reihe herausragender moderner Künstler hervorgebracht hat, neben Beuys etwa Jörg Immendorff, Gerhard Richter, Katharina Fritsch, Markus Oehlen, Sigmar Polke, Andreas Gursky, Thomas Struth und Thomas Ruff. Tatsächlich lebte die Düsseldorfer und Kölner Sammler- und Galerienszene lange von dieser enormen Talentflut. Doch vieles in der Region steht auf wesentlich älteren Fundamenten.

So wandelte sich das Museum Abteiberg in Mönchengladbach schon 1922 von einem von Bürgern geführten Bildungsinstitut zu einem Kunstmuseum, als der Kunsthistoriker Walter Kaesbach dem Haus einen Großteil seiner Expressionismus-Sammlung schenkte. Der Stifter träumte von einem Haus für Gegenwartskunst, es wäre das erste weltweit gewesen, noch vor dem New Yorker MoMA. Doch dann kamen die Nazis an die Macht, erklärten fast den gesamten Bestand für entartet und verkauften ihn gegen Devisen ­ die Sammlung konnte nie rekonstruiert werden.

1967 knüpfte Johannes Cladders an Kaesbachs Plan an. Der damalige Direktor stellte aber nicht nur Gegenwartskunst aus, sondern plante auch mit Künstlern eigene Projekte für das Haus. 1972 begann er mit dem Architekten Hans Hollein eine neue Form des Museums zu entwickeln. Fortan sollten Ausstellungsräume nicht mehr neutrale Orte der Präsentation sein, sondern durch ungewöhnliche Blickachsen und Perspektiven in einen Dialog mit der Kunst treten. Viele moderne Museumsbauten wie das Guggenheim Bilbao sind inzwischen nach diesem Prinzip entstanden, doch als das Gebäude 1982 eröffnet wurde, war es revolutionär. Inzwischen ist es selbst Kunstgeschichte ­ und es funktioniert noch heute.

Etwa im ersten Stock, wo in einem Raum Sigmar Polkes atemberaubender Zyklus "Athanor" hängt: sechs 15 Quadratmeter große Bilder, die zart, fast schwerelos wirken. In der entgegengesetzten Ecke des Stockwerks hängt Gerhard Richters Zyklus "Acht Grau", acht graue Leinwände, die wie eine stille Antithese zu Polkes leuchtenden Arbeiten aussehen. Die beiden Räume sind quer durch die Etage und mehrere Säle über eine Blickachse verbunden, über die eine Beziehung hergestellt wird, die mit Worten nur schwer zu erklären wäre. Doch man kann sie spüren.

"Gerhard Richters Bilder haben wir 1975 erworben. Heute könnten wir sie uns nicht mehr leisten, sie sind ein Vermögen wert. Aber man kann daran gut sehen, dass etwas, das einem in der Gegenwart komisch vorkommt, 30 Jahre später ganz anders aussehen kann", sagt Susanne Titz, die seit vier Jahren das Museum Abteiberg leitet und auf ihr Haus offensichtlich stolz ist. "Unsere Sammlung hat eine sehr hohe Qualität. Wir haben einen der schönsten Räume von Mike Kelley oder eben den Polke-Raum aus Venedig. Nur ist das in den Medien leider sehr schwierig darzustellen." Seit November kann man das Museum durch eine begehbare Großskulptur von Gregor Schneider betreten, hinter der originale Räume aus dem "Haus u r" gezeigt werden, mit dem Schneider 2001 die Biennale in Venedig gewann. Eine echte Attraktion ­ eigentlich.

Das Museum als sozialer Ort

Das Problem, sagt Susanne Titz, seien die Großausstellungen, die mit großer Kunst und mindestens ebenso großem Marketing ins öffentliche Bewusstsein geprügelt würden. Wie die MoMA-Show in Berlin: "Ich bin mit Mitgliedern des Neuen Aachener Kunstvereins hingefahren, weil alle das wollten. Aber hinterher haben wir uns intensiv darüber unterhalten, was in den Museen der eigenen Gegend hängt. Einige sind dann auch nach Krefeld, Mönchengladbach oder Köln gefahren, um sich dort, ohne den Stress des Schlangestehens, teils viel wichtigere Werke anzusehen. Die Sammlungen der Museen werden zunehmend weniger wahrgenommen, deshalb muss man auf sie aufmerksam machen."

Für den Abteiberg hat sie daraus Konsequenzen gezogen: Jeden ersten Sonntag im Monat ist der Eintritt frei, Führungen finden nach dem "Wünsch dir was"-Prinzip statt: Polke? Duchamp? Kippenberger? Die Besucher bestimmen die Themen. Für Kinder gibt es Mal- und Kunstkurse, im vergangenen Herbst wurden Skulpturen der Großstadt gebaut.

"Wir wollen das Museum wieder als sozialen Raum ins Bewusstsein rufen, als Kommunikations- und Aufenthaltsort." Das funktioniert offenbar: Der Museumsverein finanziert mit seinen 1500 Mitgliedern sogar jedes Jahr einen Neuankauf für das Haus. Dann sitzen um die 70 Bürger zusammen und diskutieren einen Abend lang, was zum Abteiberg passen könnte: "Das ist eine tolle Veranstaltung, alle haben eine Stimmkarte, es wird richtig debattiert und dann demokratisch entschieden. So haben wir zum Beispiel eine Wandmalerei von Richard Wright behalten, die wir uns nie hätten leisten können. Denn die Mitglieder meinten, die darf uns nicht verloren gehen."

Da ist es wieder, das engagierte Bürgertum, das sich interessiert und informiert, das kauft, sammelt, stiftet und schenkt. Und dessen Engagement in der Vergangenheit in Verruf geriet, weil einige Sammler ihre regionalen Beziehungen radikal kappten. Am schwersten traf es Mönchengladbach und Krefeld: Erich Marx zog 1996 mit seiner Sammlung (Twombly, Rauschenberg, Warhol) vom Abteiberg in den Hamburger Bahnhof in Berlin. Und die sechs Töchter von Helga und Walther Lauffs lösten gemein- sam mit ihrer Mutter die bis dahin in Krefeld gezeigte Sammlung Lauffs (Oldenburg, Serra, Christo) bis auf einige Werke von Beuys auf, was auch finanzielle Gründe gehabt haben dürfte.

Der Direktor der Krefelder Kunstmuseen Martin Hentschel redet daher lieber über die Qualitäten seines Hauses: "Unsere Sammlung entstand parallel zur Sammlung Lauffs und ist wesentlich größer. Sie umfasst mehr als 12000 Werke. Wir könnten unsere Häuser damit zehnmal füllen." Die Enttäuschung ist hörbar, im ersten Moment wirkt er defensiv. Doch seine Argumente sind einleuchtend: Hentschel spricht über den Wert der Architektur, seine beiden Ausstellungsgebäude Haus Esters und Haus Lange sind berühmte Bauhaus-Villen von Mies van der Rohe, die für viele Werke einen attraktiven Rahmen bieten. Es ziehe Künstler nicht automatisch in die Metropolen, sagt Hentschel, wie in Kleve vor ihm auch schon Guido de Werd, sondern zu Häusern, die zu ihnen passen.

Und schließlich kann Hentschel etwas vorweisen: Noch bis Ende Januar 2009 ist in Krefeld eine große Ausstellung mit Bildern des Fotografen Andreas Gursky zu sehen, der an diesem Ort seine erste Show in einem Museum hatte und nun als internationaler Superstar zurückkehrt. Am ersten Tag kamen 1000 Besucher, für ein Haus mit durchschnittlich 35000 Besuchern pro Jahr eine enorme Zahl. Wozu braucht Hentschel da Sammler?

Früher wurden Sammler als Partner betrachtet, heute misstraut man ihnen. Es heißt, viel zu oft würden sie die um Attraktionen bemühten Museen als billige Schaufenster missbrauchen: Sie nutzten deren schwierige ökonomische Lage aus, um dort ihre Werke zu zeigen, was deren Prestige und damit ihren Wert erheblich erhöht. Das Museum, so der Vorwurf, verkomme von einem Ort der Begegnung und der Pflege zu einem stillen Ableger des Kunstmarktes, auf dem am Ende nur einer Kasse macht: der Sammler. Dieser Vorwurf, der in Zeiten der Blockbuster-Ausstellungen und stetig enorm steigender Kunstpreise immer häufiger geäußert wird, ist nicht neu. Doch es gibt auch noch Sammler, die die gute niederrheinische Tradition fortführen.

Zum Beispiel Helge Achenbach. Er sitzt im gläsernen Loft seines Düsseldorfer Büros Achenbach Art Consulting, der Blick über den Rhein ist traumhaft. Der internationale Kunst-Jetset trifft sich gerade in Moskau auf der Party des russischen Milliardärs und Sammlers Roman Abramowitsch, doch Achenbach ist nicht gefahren: Von "Playboy-Sammlern", die Kunstwerke als Geldanlage oder Trophäen betrachten, hält er wenig. Dabei wird der 56-Jährige selbst von vielen so gesehen, schließlich hat er im Kunstgeschäft schon viel Geld verdient: 1977 gab er seinen Job als Galerist auf und wurde der erste "Art Consulter" Deutschlands, der zwischen Kunst und Wirtschaft vermittelte.

Achenbach sieht ein wenig zu gut aus und ist ein bisschen zu smart, um auf Anhieb Vertrauen zu erwecken. Doch als er merkt, dass ihm niemand etwas Böses will, taucht hinter dem abgebrühten Macher langsam ein echter Kunstfreund auf, der bereits 2000, als sich der Kunstmarkt im Rausch der Hochkonjunktur befand, eine Trendwende vollzogen hat und dem es inzwischen vor allem um eines geht: um Bestand. Seit 2000 berät er fast nur noch Privatsammler, während er gleichzeitig mit den Viehof-Brüdern (den Erben des Allkauf-Gründers Eugen Viehof) und der Düsseldorfer Unternehmerin Hedda im Brahm-Droege selbst eine Sammlung aufbaut. Die heißt Rheingold, und ihr Name ist Programm: Der Schatz soll am Rhein zu Hause sein ­ und hier soll er auch bleiben.

Kunst ist besser als Geld

Rheingold ist eine klassische Sammlung, die zusammen mit Museen aus der Region entsteht, so wie früher etwa die Sammlung Lauffs in Krefeld. Neu ist nur, dass die Zusammenarbeit heute schriftlich festgehalten wird, während früher ein Handschlag zwischen Kunstfreunden genügte. Zum künstlerischen Beirat gehören vier Museumsdirektoren, darunter Susanne Titz vom Abteiberg. In diesem Sommer hat Rheingold dort eine Ausstellung der US-Künstlerin Joanne Greenbaum unterstützt, sechs Werke gekauft und eines dem Museum geschenkt. Das ist kein Almosen: "Wir werden von den Museumsdirektoren konzeptionell und beratend unterstützt, außerdem können wir unsere Werke in ihren Häusern zeigen. Also sollte auch das Museum mehr davon haben als nur eine Leihgabe, etwas von Bestand."

Inzwischen ist klar, dass Helge Achenbach und seine Kollegen ernsthaft nach einer Form der Kooperation suchen, die für Sammler wie Museen fair ist. Die Schenkungen sind ein wichtiger Teil des Konzeptes, außerdem sind die Museumsdirektoren als Mitglieder des künstlerischen Beirats bei Ankäufen und der Planung stimmberechtigt. Vertraglich festgelegt ist auch, dass in den nächsten 20 Jahren kein Werk verkauft wird, unabhängig davon, wie hoch sein Wert steigen mag.

Im Frühjahr dieses Jahres hat Rheingold einen Teil der Sammlung von Reiner Speck mit Werken von Joseph Beuys, Sigmar Polke und Martin Kippenberger gekauft und damit vor der Auflösung gerettet ­ das Land Nordrhein-Westfalen hatte sich seit Ende der neunziger Jahre vergeblich darum bemüht. Rheingold umfasst mittlerweile 1000 Werke, und dabei soll es nicht bleiben: Achenbach träumt davon, dass Rheingold Geschichte schreibt, so wie die legendären Schenkungen des Ehepaars Ludwig an das Kölner Museum Ludwig, dessen Sammlung auf dem Kunstmarkt heute einen Milliardenbetrag brächte.

Geschichte schreiben statt Geld verdienen ­ es gibt Menschen, die sich nicht vorstellen können, dass das jemand ernst meint. Aber diese Menschen haben vermutlich weder viel Geld noch Interesse an Kunst. Wobei sich bei näherem Hinsehen beides erstaunlich gut ergänzt: Viel Geld zu haben lehrt, dass Geld ohne einen Sinn nutzlos ist. Und die Kunst lehrt, dass ein Sinn meist weder einfach ist noch nahe liegend.

Deshalb erschaffen Menschen beseelte Orte wie die Insel Hombroich oder gestalten das benachbarte Areal der Raketenstation Hombroich, eine ehemalige Nato-Basis für Pershing-Raketen, die von Karl-Heinrich Müller 1994 gekauft wurde. Neben vielen erstaunlichen Gebäuden und Skulpturen befindet sich dort auch das Ausstellungshaus der Langen Foundation. Marianne und Viktor Langen hatten seit den fünfziger Jahren alte asiatische und moderne westliche Kunst gesammelt. Die Sammlung ging an eine Stiftung und wird nun in einem Bau des japanischen Architekten Tadao Ando gezeigt. Es ist eine Zen-Kathedrale, in der die Menschen genug Raum haben, um sich in aller Stille von der Kunst berühren zu lassen.

Man muss sich das vorstellen: Jahrzehntelang hat dieses Ehepaar mit seiner Kunst gelebt, sich zwischen Buddhas und Picasso von Demut und Ewigkeit anrühren lassen. Und am Schluss haben Marianne und Viktor Langen dafür gesorgt, dass es fortan andere Menschen genauso tun können. Kann man im Leben mehr erreichen?

Museum Insel Hombroich

www.inselhombroich.de/museum.htm

Museum Kurhaus Kleve

www.museumkurhaus.de

Museum Schloss Moyland

www.moyland.de

Städtisches Museum Abteiberg

www.museum-abteiberg.de

Museen Haus Lange & Haus Esters

www.germangalleries.com/Haus_Lange _Haus_Esters/index.html

Langen Foundation

www.langenfoundation.de