Passt schon.

Für die 45000-Einwohner-Stadt Straubing war der 9. Juni 2008 ein Jahrhundertereignis: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy trafen sich mit dem Ministerrat erstmals nicht in den Hauptstädten Berlin oder Paris, sondern in Niederbayern.




Der Coup, einen so wichtigen Gipfel in seinen Heimatwahlkreis zu locken, war Ernst Hinsken gelungen, womit sich der CSU-Bundestagsabgeordnete allerdings nicht nur Freunde machte. Vor allem die Bauern der Region nahmen den prominenten Besuch zum Anlass, um gegen die von der Bundesregierung beschlossene Energiesteuer zu protestieren. Die trifft viele Branchen und Anbieter, auch und gerade jene, die sich auf die Herstellung von Biodiesel konzentrieren. Und diese junge Industrie ist in weiten Teilen in und um Straubing herum zuhause. Dort, mitten im Gäuboden, dem fruchtbaren Lössgebiet, das sich entlang der Donau zieht, hat sich in jüngster Vergangenheit ein Cluster gebildet, das sich offiziell zwar nicht so nennen darf, aber auf dem besten Weg ist, dem Rest der Republik vorzumachen, wie man auf klimaneutrale Weise Energie gewinnen kann (Seite 60).

Das wussten Sie nicht? Dann war Ihnen vielleicht auch nicht bekannt, dass Niederbayern das größte zusammenhängende europäische Anbaugebiet für Gurken ist ­ und nicht der Spreewald, wie gemeinhin vermutet (Seite 204). Oder dass sich die Hallertau, die immerhin zur Hälfte der Region angehört, sogar größtes Hopfenanbaugebiet der Welt nennen darf (Seite 152).

Den wohl bedeutendsten Superlativ für den Landstrich liefert allerdings die Automobilindustrie: BMW unterhält in Niederbayern gleich zwei Werke, allein die Fabrik in Dingolfing, die weltgrößte im BMW-Verbund, gibt 21000 Menschen Arbeit ­ und hat aus Niederbayern eine Wohlstandsregion gemacht (Seite 70).

Der Wirtschaftsraum im Südosten des Landes, der an Oberösterreich und Tschechien grenzt, hat in den vergangenen Jahrzehnten einen bemerkenswerten Strukturwandel geschafft. Noch Anfang der siebziger Jahre wurden Teile Niederbayerns von der UN als Entwicklungshilferegionen eingestuft. Seitdem haben sich die drei Hochschulen der Region auf die vorderen Plätze in der Bildungslandschaft geschoben, das Pro-Kopf-Einkommen der Menschen stieg um fast 40 Prozent, die Exportquote hat sich von 21 auf rund 50 Prozent mehr als verdoppelt. Zwischen Kelheim, Landshut, Passau und Straubing herrscht mit einer Arbeitslosenquote von 4,3 Prozent (April 2008) praktisch Vollbeschäftigung.

Aus dem einstigen "Armenhaus Bayerns" ist ein Vorzeigekandidat geworden, mit dem sich inzwischen auch die Landesregierung in München gerne schmückt. Immerhin einer, möchte man sagen, denn Eigen-PR und Marketing ist die Sache der Niederbayern nicht. Das liegt an der Mentalität ­ einer irritierenden Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und Selbstbewusstsein, die der Niederbayer auch selbst so diagnostiziert, und die einerseits immer wieder zu Frustration und andererseits zu einer Ist-mir-doch-egal-was-andere-sagen-Haltung führt.

Besucher tun sich damit nicht selten schwer, was sich unmittelbar auf die Tourismusindustrie auswirkt (Seite 84). Auch die grenzüberschreitende Zusammenarbeit kommt durch die "Mia san mia"-Attitüde langsamer voran als es so manchem Wirtschaftsförderer lieb ist (Seite 138). Aber auch das ist eben typisch für diese Region: Die Menschen gehen ihren Weg. Zäh, gelassen ­ und beharrlich. Das mag mitunter anstrengend sein, ganz sicher aber hat es die Region vorangebracht.

Susanne Risch
Chefredakteurin