Gleistein Ropes

Die Zukunft hängt in den Seilen. Aber kein Grund zur Sorge: Die Seile sind von Gleistein.




Für ein Sanatorium sind die Werkshallen von Gleistein Ropes viel zu laut. Doch die Ruhe, die hier alle Mitarbeiter ausstrahlen, während sie die Maschinen überprüfen, einstellen, befüllen oder überwachen, mit denen ungefähr 5000 verschiedene Seile hergestellt werden können, wäre auch im Park eines edlen Kurortes passend. Das ist ein gutes Zeichen: Gelassenheit zeichnet oft Menschen aus, die ihr Handwerk beherrschen und konzentriert arbeiten. Gut so! Die Produktion von Seilen sollte nicht müden Niedriglohnarbeitern oder nervösen Aushilfen überlassen werden.

Aber das muss man erst mal begreifen.

"Menschen interessieren Seile nicht", sagt Horst Szente, Betriebsleiter des Bremer Werks von Gleistein Ropes. "Wenn Sie Leute fragen, wofür man Seile braucht, fallen den meisten nur drei Beispiele ein." Schiffstaue. Abschleppseile. Springseile. Aber Fahrstuhlseile? Kranseile? Rettungsseile? Seile für Klettergeräte? Spätestens in der Halle, in der exklusiv Spielplatzseile hergestellt werden, wird jeder, der ein Kind hat, hellhörig werden. Schön, wenn diese Seile aus dem Fachbetrieb kommen. Sicher ist sicher.

Gleistein liegt in Blumenthal im ländlichen Nordwesten Bremens. Ein eher trister Zweckbaukomplex beherbergt Büros, die nicht so aussehen, als würden von hier enorm innovative Produkte in alle Welt verkauft werden. Doch dahinter befinden sich die Produktionshallen, und wenn man die besucht hat, versteht man, was hier eigentlich läuft. Allein die Spleißer, die an einem langen Tisch per Hand Seilenden in Seile flechten, sodass sich eine Schlinge bildet, also spleißen, sind den Besuch wert. Das sei großes Handwerk, erklärt Horst Szente, und durch Maschinen nicht zu ersetzen. Szente ist vor 26 Jahren als Maschinenbauer in den Familienbetrieb gekommen. "Ich bin anfangs in jede Maschine geklettert, weil ich neugierig war, wie die eigentlich funktioniert."

Seile werden im Prinzip wie früher hergestellt. Am Anfang sind einige zarte Fasern, aus denen dünne Bändchen geflochten werden, seidene Fäden, die zu dickeren Seilen verflochten werden, die zu noch dickeren Seilen verbunden werden, und so weiter. Bis eine Maschine schließlich mit etlichen großen Spulen schon recht stabile Seile in rasendem Tempo zu Tauen flicht, die größte Schiffe halten und schwerste Lasten heben können. Aus Fasern! Fusseln quasi! Horst Szente ist von dem Flechtprozess nicht so beeindruckt. "Das ist wie beim Maibaumtanzen", erklärt er trocken.

Für alle Fälle und jeden Bedarf

Die Qualität und die Eigenschaften eines Seils hängen von den Rohstoffen und der Konstruktion ab. Doch die Rohstoffe, hochfeste Werkstoffe wie Polyamid, Polyester und Polypropylen oder hochmodulare Werkstoffe wie Aramid, Dyneema, Vectran oder Zylon, kann sich jede Firma besorgen. Entscheidend ist deshalb die Konstruktion. Wie werden die einzelnen Teile verflochten? Aus welchem Material bestehen sie? Wie viele Stränge gibt es?

Der Seiler entwickelt die Konstruktion nach der Funktion, die der Kunde vorgibt: Soll das Seil besonders fest sein? Oder flexibel? Lange haltbar? Säurebeständig? Für welche Lasten wird es gebraucht? Ein Tau, das so dick ist wie ein Springseil, kann abhängig von Rohstoff und Konstruktion zwischen einer und zehn Tonnen tragen. Und da geht es nur um Standardanforderungen.

Gleistein produziert aber auch sehr viele Sonderkonstruktionen, für Regattasegler zum Beispiel oder Superjachten. "Die wollen Hightech", sagt Thomas Schlätzer, "da ist jeder Auftrag eine Einzelanfertigung." Und das, sagt der Geschäftsführer von Gleistein Ropes, sei einer der Gründe, warum er so gerne hier sei. Es ist alles immer wieder neu und interessant. Nach der Ausbildung hat der 41-Jährige zwei Jahre bei einem großen Unternehmensberater gearbeitet und gut verdient. Aber hier gefällt es ihm viel besser.

Gleistein ist Bremens ältestes industrielles Familienunternehmen. Schlätzer führt es gemeinsam mit seinem Cousin Klaus Walther in der achten Generation. Zu den wichtigsten Aufgaben des Duos, das 2011 zu Bremens Unternehmern des Jahres gekürt wurde, gehört die Weiterentwicklung der Firma und die Erhöhung des Jahresumsatzes, der zuletzt bei knapp 17 Millionen Euro lag. "Wir gehen mit den Kunden sehr intensiv in Entwicklungsprojekte", sagt Schlätzer, "und finden dabei sehr spezialisierte Lösungen. Natürlich arbeiten wir an den Einzelprojekten häufig in der Hoffnung, dass daraus eine Serienfertigung wird. Aber von hundert Sternen geht meist nur einer auf."

Innovativ und hoffentlich auch lukrativ

Diese Sterne sichern die Zukunft des Unternehmens. Deshalb ist Gleistein oft ganz vorn dabei. Die Bremer entwickelten zum Beispiel Seile für die fliegenden Transporter von Cargolifter und die Drachen, mit denen Skysails Schiffe antreiben will. Zwei Visionen, die bisher vor allem Ideen sind. Doch Schlätzer ist überzeugt, dass die Zeit dieser Zukunftstechnologien kommen wird. Manche Produkte werden eben nicht gleich angenommen. So wie auch der Kran für Windkraftgondeln, den Gleistein gerade entwickelt hat, zusammen mit einem passenden, ganz neu konstruierten Seil, das weder geflochten noch gedreht ist. Das Seil kann bei hohen Geschwindigkeiten große Lasten über kleine Umlenkrollen ziehen und ist zudem resistent gegen extreme Witterung. Nur verkaufen lässt es sich bisher kaum. Die Windindustrie ist eben noch nicht so weit.

Im vergangenen Jahr hat Gleistein für eine halbe Million Euro ein neues Labor zum Testen von Seilen gebaut. Dort lassen sich auf einigen Metern mehrere Hundert Tonnen Gewicht simulieren. Ist der Traditionsseiler eigentlich ein Hightech-Unternehmen? "Den Begriff Hightech mag ich nicht so sehr", sagt Thomas Schlätzer bedächtig, "Wir sind sicher spitze im Bereich Tauwerk. Aber da geht es nicht nur um Maschinen, da gehört auch die Hand dazu, die es fertigt, das Handwerkliche." 1997, erzählt der Bremer, hat Gleistein ein Werk in der Slowakei eröffnet, um Seile für Baumärkte zu produzieren. "Das haben wir inzwischen komplett aufgegeben. Die sehen nur auf den Preis, nicht auf die Qualität." Für so etwas haben Hanseaten nichts übrig.

"Seile, die nicht gut sind, können gefährlich sein", sagt Schlätzer. "Denken Sie nur an Kinder beim Tauziehen. Da steckt eine ungeheure Energie im Seil. Wenn das plötzlich reißt." So wie 1995 beim Tauziehen von 650 Pfadfindern im rheinland-pfälzischen Westernohe, wo das Seil nach 30 Sekunden riss: Zwei Kinder starben, 102 wurden teilweise schwer verletzt. Man sollte sich vielleicht doch ein wenig für Seile interessieren.

"Machen Sie keine Knoten in Seile, das mögen sie nicht, dann brechen sie", antwortet Horst Szente auf die Frage nach der Haltbarkeit von Seilen. Die Lebensdauer hänge eben auch davon ab, wie man mit dem Seil umgeht. Was er nicht sagt, ist klar: Es schadet nichts, wenn das Seil vom Fachmann kommt.