Stärken stärken

Sie freuen sich über jede neue Fabrik, gleichzeitig über viel intakte Natur. Sie wissen, dass nichts für die Ewigkeit ist, handeln pragmatisch und bisweilen stur. Mit dieser Haltung, einer gehörigen Portion Bodenständigkeit, harter Arbeit, Weitsicht und guten Ideen ist die Gegend zwischen Rhein und Pfälzerwald groß geworden ­ und erfolgreich: Heute zählt die Südpfalz zu den stärksten und dynamischsten Regionen Deutschlands. Für die Zukunft ist der Wirtschaftsraum bestens gerüstet. Und das ganz ohne Forschungstempel und Hightech-Cluster. Oder vielleicht gerade deshalb?




Sollte er es tatsächlich wagen? Die Pfade der Vorfahren verlassen? Womöglich die Existenz riskieren? Georg Heinrich Wiedemann musste sich entscheiden. Seit Jahrhunderten hatte seine Familie auf dem Doktorenhof in Venningen bescheiden, aber auskömmlich vom Weinbau gelebt. In der Südpfalz gab es weit schlechteren Wein als den seinen. Aber eben auch besseren. Unter den Winzern der Region war Wiedemann einer von vielen. Und das reichte ihm nicht.

Aber was soll ein gelernter Winzer anderes machen als Wein? Wiedemann schmökerte in alten Büchern ­ und stieß auf Essig. Essig aus Wein.

Früher, so las er da, wurde der Essigmacher regelrecht hofiert, die Rezepte für den besten Säuerling waren ein wohlgehütetes Geheimnis. Edler Essig war etwas ganz Besonderes, deutlich teurer sogar als guter Wein.

Der Winzer beginnt zu experimentieren, liest alles, was ihm zum Thema in die Hände fällt, und wagt nach den ersten erfolgreichen Versuchen den Schritt vom Winzer in die Essigwelt. Seit 15 Jahren lässt Wiedemann seine Reben nur noch lesen, um den Wein anschließend zu vergären.

Die erste Zeit ist bitter. Vier, fünf Jahre dauert es mindestens, bis sich der Wein, zu Essig vergoren und mit Kräutern, Gewürzen und Aromen abgestimmt, in einen Aperitif oder Digestif verwandelt hat. Um die Familie zu ernähren, wechselt der Winzer vorübergehend ins Tourismusgeschäft. Jeden Mittag beköstigen die Wiedemanns Busladungen von Touristen mit Schlachtplatte, es gibt nur das eine Gericht, jahrelang, sieben Tage die Woche.

Schlachtplatte mit Spott

Daneben gibt es haufenweise Häme und Spott. Nachdem sich herumgesprochen hat, dass er aus seinem Wein Saures macht, bleiben die Weinkunden weg. "Kauf nicht vom Essighof", heißt es fortan, und auch die Winzerkollegen wenden sich ab. Dass einer den guten Pfälzer Wein zu Essig verschandelt, das ging nun wirklich nicht. Dem Pionier kommen Zweifel. Wird das was? Kauft irgendwann einer all das Zeug, das da im Keller heranreift?

Er macht weiter, stur und beharrlich hält Wiedemann an der Idee fest, lässt seine Trauben vergären ­ und macht aus dem Weingut eine Essigmanufaktur. Heute steht der Doktorenhof blendend da, ist über Landes- und Bundesgrenzen hinaus bekannt für Kreationen wie "Tränen der Cleopatra" oder "Vinegar of Love". Wiedemann exportiert in 35 Länder, Sterneköche gehören zur Stammkundschaft. Mit Wein hätte der Winzer das nie geschafft.

Die Essig-Story aus Venningen taugt als Lehrstück über die Südpfalz. Wer genau hinschaut, entdeckt darin so manche Zutat für den jüngst mehrfach attestierten Erfolg. Georg Heinrich Wiedemann hat auf seinem Doktorenhof praktiziert, was der Südpfalz als Ganzes Prädikate wie "Gewinnerregion" und "zukunftsträchtig" eingebracht hat. Er hat sich angeschaut, was er hat, und dann unbeirrt und konsequent aus dem Durchschnitt das Besondere gemacht. Mut und Pragmatismus heißen die Tugenden von Wiedemann. Südpfälzische Tugenden. Von ihnen soll hier die Rede sein.

Wirtschaftsforscher haben in der Region, die sich zwischen Rheinebene und Pfälzerwald erstreckt, Frankreich im Süden, Ludwigshafen und Mannheim im Norden, viele Doktorenhöfe gefunden. Unter den rund 270000 Einwohnern der Landkreise Germersheim und Südliche Weinstraße sowie der kreisfreien Stadt Landau gibt es offenbar eine Reihe von Leuten, die denken und handeln wie Wiedemann; Menschen, die sich auf ihre Stärken besinnen und klug und beharrlich ihre Chancen nutzen.

Die Basler Prognos AG und das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung vergaben jüngst Bestnoten, als sie die Zukunftsfähigkeit deutscher Regionen untersuchten. Trotz ihrer vermeintlich ungünstigen geografischen Randlage zählt die Südpfalz im Wettbewerb um Arbeitsplätze und Einwohner zu den stärksten und dynamischsten Wirtschaftsräumen des Landes. Resultat des Vergleichs: Die Südpfalz ist eine Gewinner-Region.

Landau landete im Prognos-Ranking besonders weit vorn, auf Platz 31 von 439 Landkreisen und kreisfreien Städten. Die Gutachter bescheinigten der Stadt zu Füßen der Haardthöhen "sehr hohe Zukunftschancen" ­ damit liegt sie gleichauf mit kraftstrotzenden Wirtschafts-Metropolen wie Hamburg, Düsseldorf oder Frankfurt am Main. Die Landkreise Germersheim (Platz 92) und Südliche Weinstraße (Platz 136) rangieren im oberen Drittel, immerhin, und weisen eindeutig "Zukunftschancen" auf. Das Berlin-Institut gab dem Kreis Germersheim die höchste Bewertung für ganz Rheinland-Pfalz. Gesamtnote: beste Zukunftsaussichten.

Aufwärts geht es derzeit ja fast überall im Land, in der Südpfalz schlägt der Takt aber offenbar schneller als anderswo. Vor allem Germersheim ist laut Prognos an vielen Regionen vorbeigezogen; im Vergleich zu 2004 boomte sich der Landkreis um 88 Plätze nach vorn. Hier und in Landau registrierten die Forscher "höchste Dynamik". Allein im Kreis Germersheim sind in den vergangenen Jahren 2000 neue Arbeitsplätze entstanden. Im südlichen Teil des Kreises lag die Arbeitslosenquote zuletzt bei nur 3,6 Prozent, einer der besten Werte in Rheinland-Pfalz.

Was haben die schon zu bieten?

Das Ausmaß des südpfälzischen Wirtschaftswunders hat viele Beobachter einigermaßen überrascht. Was haben die dort schon zu bieten, außer Wald, Wein und ein wenig Tabak? Ein bisschen Tourismus hat man ihnen vielleicht noch zugetraut, schließlich ist die Landschaft recht hübsch, hügelig und idyllisch zwischen Rhein und Pfälzerwald. Der landläufigen Vorstellung von einem Hot Spot entspricht die Region jedenfalls nicht. Sie hat zwar findige und kluge Unternehmer wie Wiedemann hervorgebracht, aber Standortfaktoren, die gemeinhin als zukunfts- und wachstumsträchtig angesehen werden, lässt sie weitgehend vermissen. Nicht einmal ein Zentrum gibt es, einen wirtschaftlichen Kraftraum, geschweige denn eine ordentliche Großstadt. Landau, mit gut 40000 Einwohnern die größte Stadt in der Gegend, bezeichnet sich zwar als "Südpfalzmetropole", lässt aber einen ironischen Unterton mitschwingen.

Eine Brutstätte der Zukunftsbranchen ist die beschauliche Südpfalz wahrlich nicht. Sie klotzt nicht mit großen Universitäten und Hightech-Forschungstempeln, sie päppelt keine Biotech- Cluster heran und hat auch keine Kreativitäts-Treibhäuser gebaut für Nanotechnologie, Mikrosystemtechnik oder IT-Wirtschaft. In Rülzheim oder Kandel sitzen Start-up-Unternehmer und Venture Capitalists nicht in Straßencafés herum wie in San José oder Martinsried. Die New Economy blühte und verblühte anderswo.

Keine Unternehmer-Ikonen ­ na und, was macht das schon?

Auch die klassische Industrie schlug lange einen Bogen um die Südpfalz. Schlotbarone wie Krupp oder Thyssen errichteten ihre Fabriken, wo es Rohstoffe und Malocher gab und nicht vor den finsteren Pfälzer Forsten. Die haben weder Unternehmer-Ikonen vom Format eines Neckermann oder Grundig noch Firmen von Weltrang hervorgebracht. Von den 500 größten deutschen Unternehmen hat nur eines seinen Hauptsitz in der Gegend: Hornbach. Eine Baumarktkette. Ein Heimwerker-Paradies. Das passt zur Südpfalz wie Kurt Beck, bekanntester Sohn der Region und Inkarnation politischer Bodenständigkeit. Bevor er Ministerpräsident und dann SPD-Chef wurde, war er Ortsbürgermeister der 2000-Seelen-Gemeinde Steinfeld, die stolz auf ihr reges Vereinsleben ist. Der Verein zum Schutze des Weißstorches Viehstrich e.V. zum Beispiel ist vor Ort außerordentlich aktiv.

Eines haben die Südpfälzer auf jeden Fall richtig gemacht: Sie haben nicht die Fehler anderer wiederholt und beispielsweise Hightech-Cluster künstlich auf die Wiese gesetzt, die dann doch verkümmern, so ganz ohne Nährlösung. Auch als verlängerte Werkbank hat man sich nicht angedient. Manch andere Region, die auf Konzerne wie Samsung, JVC oder BenQ gesetzt hat, musste einen hohen Preis zahlen. Die Subventionen wurden gern eingestrichen ­ die Arbeitsplätze sind trotzdem weg. Übrig geblieben ist der soziale Fallout.

Zwischen Landau und Berg hat man sich stattdessen auf die relativen Stärken der Region besonnen. "Komparative Vorteile" heißt das im Jargon der Ökonomen. "Auch Regionen ohne Hightech-Potenziale profitieren von dem Prinzip des 'Stärken stärken'", schreiben die Prognos-Gutachter. Wer an einer Verkehrsschlagader wie dem Rhein liegt, profitiert fast automatisch vom Logistik-Boom ­ leistungsfähige Häfen vorausgesetzt.

Wo keine Technologieschmieden stehen und auch nicht allzu viele High Potentials wohnen, ist eine Papierfabrik oder eine Spedition vielleicht genau richtig am Platz. Wer viel freie Fläche hat, verkauft sie an Unternehmen, die Raum benötigen. Und wer intakte Natur und Landschaft satt vorweisen kann, lockt Neubürger mit günstigen Mieten und Immobilienpreisen aus der nahe gelegenen Stadt ins Grüne.

Beim Stärken ihrer Stärken ist die Südpfalz weit vorangekommen. Die Verkehrsinfrastruktur ist mittlerweile hervorragend. Von fast jedem Winkel der Südpfalz aus ist man in wenigen Minuten auf der A 65 oder der autobahnähnlichen B 9. Vor allem aber die günstige Lage am Rhein hat den östlichen Teil der Region zum bevorzugten Container-Drehkreuz für Logistik-Unternehmen gemacht. Die Häfen in Wörth und Germersheim sind hinter Duisburg heute die zweit- und drittgrößten Binnencontainerhäfen Deutschlands.

Als anderswo noch die New Economy boomte und die Industrie schon als Auslaufmodell galt, hielten die Südpfälzer, als hätten sie's geahnt, riesige Are-ale für Fabrikherren frei ­ die dann auch tatsächlich kamen. Vor Ort ist sich keiner zu schade, große Flächen als Standort für vermeintlich schnöde Produktionsbetriebe zu vermarkten. Die Menschen hier haben keine Flausen im Kopf; sie sind froh über jede neue Fabrik, es darf ruhig nach Schweiß und Maschinenöl riechen.

Manchmal wundert man sich, wie nahe liegend und selbstverständlich so manche Südpfälzer Lösung erscheint ­ und stellt dann erstaunt fest, dass sie zudem weithin als Vorbild dienen kann. Im Arbeitskreis "Energie & Wirtschaft" im Kreis Germersheim beispielsweise, initiiert von der Wirtschaftsförderung und wissenschaftlich begleitet vom Siegener Institut für ökologische Betriebswirtschaft, diskutieren die örtlichen Unternehmer, wie sich Fabrikhallen effizienter heizen lassen, wo erneuerbare Energien sinnvoll eingesetzt werden könnten oder wie sich der CO2-Ausstoß verringern lässt. Aufregend ist das nicht, einer lernt halt vom anderen ­ aber der einzelne erspart sich so manchen Fehler, den der Kollege schon gemacht hat.

Einfach, praktisch, gut

Noch so eine scheinbare Selbstverständlichkeit: Landrat, Wirtschaftsförderung, Arbeitsagentur und Arge im Kreis Germersheim treffen sich regelmäßig mit den örtlichen Unternehmern zu "regionalen Arbeitsmarktgesprächen". Dabei erfährt die Arge, dass etliche Speditionen dringend qualifizierte Lagerarbeiter brauchen ­ die sie in den Karteien der Job-Center bis dato nicht fanden. Also legt die Arge für 20 Langzeitarbeitslose einen zwölfwöchigen Lehrgang "Lager und Logistik" auf, qualifiziert auf Halde, wenn man so will. 18 Teilnehmer, allesamt vermeintlich hoffnungslose Hartz-IV-Fälle, haben inzwischen einen festen Job.

Vor zehn, fünfzehn Jahren sah es vor Ort noch anders aus. Von einer gewissen Bräsigkeit wird mitunter berichtet, die Perspektive vieler Bürgermeister reichte, ganz klassisch, gerade bis zum eigenen Kirchturm. Die durch Landwirtschaft und Weinbau nicht gerade optimal für die Zukunft aufgestellte Südpfalz drohte angesichts der Daueraufmerksamkeit für den deutschen Osten zum neuen Zonenrandgebiet zu verkümmern. Aus jener Zeit ist ein Gerichtsurteil überliefert. Der Verurteilte, ein Pfälzer, gehöre einem Menschenschlag "mit einer geradezu extremen Antriebsarmut" an, befand der Richter, einer Spezies, "deren chronischer Unfleiß sich naturgemäß erschwerend auf ihr berufliches Fortkommen auswirkt".

Gemeinsam, pfiffig, visionär

Etwa zu der Zeit, als Georg Heinrich Wiedemann den Kaffeefahrt-Touristen täglich Saumagen, Blutwurst und Sauer- kraut auftischte, verließ ein Unternehmer mit seiner Produktion grollend die Heimat. Die Rede ist von Hermann J. Häusler, der sich mit seiner Firma Noblesse auf Haustürfüllungen spezialisiert und schon damals fast 100 Leute beschäftigt hatte. Nach einem längeren Streit mit dem Eigentümer des Grundstücks, auf dem Häuslers Betrieb wachsen wollte, musste der Unternehmer mitsamt seiner Produktion umziehen ­ und fand weit und breit kein passendes Ersatzgelände. Kein Ortsbürgermeister interessierte sich für ihn.

Irgendwann gelang es Häusler doch, drei Hektar zu einem guten Preis zu kaufen, nur elf Kilometer vom alten Standort entfernt. In Lauterbourg. Das liegt im Elsass, aber Häusler blieb keine Wahl: Er musste seinen Betrieb und damit den Großteil der Arbeitsplätze nach Frankreich verlagern. Von dem einen oder anderen wurde er dafür als "Verräter" geschmäht.

So etwas würde heute nicht mehr passieren, da ist sich Häusler ganz sicher. "Die Denke ist eine andere", sagt er, "da sind ein paar Köpfe aufgegangen." Früher stand Dorf gegen Dorf, Bürgermeister gegen Bürgermeister. Jeder wurstelte mit seinem eigenen kleinen Gewerbegebiet herum. Mittlerweile sind die acht hauptamtlichen Bürgermeister im Kreis Germersheim Gesellschafter der Wirtschaftsförderung; sie koordinieren ihre Aktivitäten und sorgen für eine Ansiedlungspolitik aus einem Guss. "Natürlich würde man heute ein Grundstück für mich finden", sagt Hermann J. Häusler. "Hätten die damals schon über die Grenzen ihrer Dörfer hinausgedacht, wäre meine Produktion jetzt nicht in Frankreich."

Lange vor Häuslers Umzug ins Ausland, im Jahr 1960, begann der damalige Bürgermeister von Wörth, ein Feld nach dem anderen aufzukaufen. Anfangs von den Einwohnern noch leise bespöttelt, war er instinktiv davon überzeugt, das Richtige zur rechten Zeit zu tun. Der Lokalpolitiker träumte von einer indus-triellen Revolution im bis dahin gemütlichen Fischerdorf. Und er ließ seinen Traum Wirklichkeit werden.

Daimler-Benz kaufte das riesige Areal für 1,40 Mark pro Quadratmeter ­ ein Geschäft, von dem die Partner bis heute profitieren. Auf den Acker setzte der Autokonzern die größte Lastwagen-Montagefabrik der Welt. Er darf sich seit Jahren stets weiter ausdehnen ­ derweil die Region ihre Arbeitsplätze erhält. Ohne die rund 10000 Jobs im Werk wäre die Südpfalz in den Rankings der Wirtschaftsforscher wohl eher in der Kategorie "hohe Zukunftsrisiken" zu finden. "Die Daimler-Investition markiert den Beginn unserer Industrialisierung", meint der Germersheimer Landrat Fritz Brechtel, "sie war der Motor, der die ganze Südpfalz nach oben gezogen hat."

Die Lage, die Lage, die Lage

Im Sog der Fabriken zieht es inzwischen auch immer mehr Menschen in die Region, die nicht im Blaumann und mit derben Stahlkappenschuhen zur Arbeit erscheinen, sondern in Krawatte und Laborkittel. DaimlerChrysler beispielsweise wertet seine Lkw-Fabrik gerade mit einem Entwicklungs- und Versuchszentrum samt Teststrecke auf, in dem künftig 350 Ingenieure arbeiten werden. Auch andere Unternehmen vor Ort machen mittlerweile aus Können und Wissen ein Geschäft. In puncto Forschung und Entwicklung zählte die Region bisher zu den Schlusslichtern in Deutschland. Das dürfte sich bis zum nächsten Ranking ändern.

Dass die Südpfalz kein Gravitationszentrum hat, fällt kaum negativ ins Gewicht. Lehre, Forschung, Hightech und Großindustrie finden sich in unmittelbarer Nachbarschaft, nahe genug zum Pendeln. BASF und SAP, Universitäten und Forschungsinstitute, Hightech-Schmieden und vier Flughäfen ­ alles ist mit dem Auto oder mit der Bahn im Stundenradius erreichbar. Die Cluster-Region Mannheim/Ludwigshafen/Heidelberg (Chemie, Software und Medizin) sowie Karlsruhe als Technologie-Standort strahlen über den Rhein ins westliche Umland ­ bis hinein in die landschaftliche Südpfalz-Harmonie.

Dort führt der Weg mitunter über Mandelbaumalleen, vor denen sich das Grün der Weinberge in allen Schattierungen ausbreitet wie eine riesige wellige Plane, die bis zum Horizont reicht. Kein Wunder, dass sich so mancher Chemiker oder Informatiker, der tagsüber in Ludwigshafen oder in Karlsruhe arbeitet, die andere Rheinseite als Wohnort ausgesucht hat. Dass Mieten und Grundstücke hier im Schnitt gut ein Drittel billiger sind als östlich des Rheins, dürfte die Entscheidung im Einzelfall befördert haben.

Aus Perspektive der Pendler in Richtung Ludwigshafen mag die Südpfalz pittoresker Vorgarten des BASF-Konzerns sein. Für Tausende Bewohner des strukturschwachen Elsass, die täglich hierher zur Arbeit anreisen, ist die Region Garant für den Broterwerb. Und wenn ein württembergischer Papierfabrikant mit seiner 400-Millionen-Euro-Investition von den Karlsruher Stadtvätern kühl abgewiesen wird ­ in Wörth, auf der anderen Rheinseite, bekommt er beim Bürgermeister prompt einen Termin. Genehmigung und Grundstück für die Fabrik gibt's gleich mit dazu.

In Wörth hatte man vor Jahren gelernt, dass Schocks durchaus heilsam sein können, weil sie manchmal eine ganz neue Entwicklung in Gang setzen. Denn ausgerechnet die Stilllegung einer großen Raffinerie bereitete den Weg für eines der kleinen südpfälzischen Wirtschaftswunder. Der Stilllegungs-Schock riss die Stadt aus dem Dämmerzustand und zwang zur Investorensuche. Resultat sind gut 1000 neue Arbeitsplätze in neuen Fabriken ­ mehr als dreimal so viele, wie zuvor durch die Schließung der Raffinerie weggefallen waren.

Nichts ist für die Ewigkeit, diese Botschaft hat sich tief ins örtliche Bewusstsein gefräst, sicher ist rein gar nichts, nicht mal die Zugehörigkeit zum Staat. Die Südpfalz war mal französisch, mal bayerisch, mal deutsch, dann wieder französisch, über Jahrhunderte war sie immer wieder Aufmarsch- und Kampfgebiet; besetzt, umkämpft, geplündert und zerstört. Landau wechselte allein siebenmal die Besatzungsmacht während des Dreißigjährigen Krieges.

All das hat die Menschen geprägt, sie haben gelernt, mit Krisen zu leben. Und sie wissen inzwischen, wie sie am besten auf Veränderungen reagieren ­ sie machen ganz einfach das Beste daraus.

Südpfälzische Traditionsunternehmen wie Hornbach, heute eine der größten Baumarktketten im Land, haben sich immer wieder neu aufgestellt. Die 130-jährige Firmengeschichte ist getränkt von Wandel und dem unbedingten Willen, politische und wirtschaftliche Veränderungen neu zu nutzen ­ und das so früh wie möglich. Das Geschäft wirft nicht mehr viel ab? ­ Wir suchen uns etwas Neues! ­ Die Kunden orientieren sich um? ­ Wir auch! ­ Die Zeiten ändern sich? ­ Wir sind darauf eingestellt!

Hornbach begann als Schieferdecker-betrieb, handelte mit Baustoffen, baute Kläranlagen, erst kleine, dann große ­ und eröffnete 1968 den ersten Baumarkt der Pfalz. Als Erster der Branche baute das Unternehmen in Ostdeutschland einen Markt und setzte als Pionier auf das durch McDonald's vertraute Drive-in-Prinzip: Der Kunde fährt mit dem Auto auf die Verkaufsfläche und lässt sich von Hornbach-Mitarbeitern Waschbetonplatten, Maschendraht oder Wandfarbe in den Kofferraum laden.

185 Landbesitzer, ein Ziel ­ und viel Platz für Innovationen

Mit dem Tabakanbau, traditionell eine Domäne der Region, geht es jetzt unwiderruflich zu Ende. Und der pfälzische Wein? Er ist in der Gastronomie vertreten, mit Gewächsen der ersten Kategorie. Wer lediglich ordentliche Schoppenweine keltert, hat kaum noch eine Perspektive. Guter Durchschnitt ist nicht gut genug, Georg Heinrich Wiedemann hat das als einer der Ersten erkannt, vor 15 Jahren schon.

Wenn Investoren anklopfen, gehen die Stadtväter heute den bewährten Weg des südpfälzischen Pragmatismus: Da werden nicht erst fünf Alternativen mit je drei Gutachten geprüft, da wird schnell und unkompliziert entschieden. Die Unterlagen für eine Baugenehmigung wandern nicht von Behörde zu Behörde, vor Ort sind die zuständigen Ämter verbandelt und prüfen Anträge parallel in ihren Behörden. Vom jüngsten Kunststück in der Region hat DaimlerChrysler profitiert. Für das neue Entwicklungs- und Versuchszentrum in Wörth galt es, 185 Landbesitzern ihre Grundstücke abzukaufen, mit jedem einzelnen zum Notar zu gehen und gleichzeitig das Genehmigungsverfahren anzukurbeln. Drei Tage nach dem Kauf des letzten Feldes lag die Baugenehmigung vor.

66 Prozent Naturschutzfläche ­ und jede Menge Unternehmen

Der ökologische Schlagetot ist hier trotzdem nicht am Werk. Im Landkreis Germersheim stehen 66 Prozent der Fläche unter Naturschutz. Aus Investorensicht ist so eine Quote normalerweise ein Fluch. Wie und wo soll man eine Fabrik bauen, wenn in jedem Winkel ein Behördenmensch mit der Schutzgebietskarte lauert?

In der Südpfalz werden Ökonomie und Ökologie nicht aufeinander gehetzt. Neue Fabriken werden vor allem dort gebaut, wo es auf einen Schlot mehr oder weniger nicht mehr ankommt, also vor allem in Wörth und Germersheim. "Nutzungsbündelung" nennt Landrat Fritz Brechtel das.

Brechtel, ein promovierter Biologe, der Ökosystemforschung betrieb, bevor er den Landratsposten übernahm, ist beharrlich auf der Suche nach dem Kompromiss zwischen Wirtschaft und Naturschutz, mit der Schutzgebietskarte in der Hand, aber auch schon mal ohne. Manchmal opfert er eine ökologisch weniger wertvolle Enklave innerhalb eines schützenswerten Gebiets ­ und schafft dafür anderswo einen Ausgleich. Der Kletterpark Fun Forest im Bienwald beispielsweise wurde genehmigt ­ aber unter so strengen Auflagen, dass Dachse und Wildkatzen sich hier auch weiterhin heimisch fühlen, unbehelligt von jährlich 60000 Besuchern und den 120 Mitarbeitern, die in dem Kletterparadies Arbeit gefunden haben.

Aufgaben wie diese erfordern kluge, weitsichtige Gestalter. Keine Sachbearbeiter-Politiker, die am Paragrafentext kleben, sondern Manager des politischen Geschäftes. Die Südpfalz hat solche Leute, Landrat Brechtel beispielsweise, den Mediator zwischen Wirtschaft und Natur. Ein Politiker, der nicht verwaltet, sondern eine Vision hat, wie die Region in zehn, fünfzehn Jahren aussehen könnte.

Oder Harald Seiter, der umtriebige Bürgermeister von Wörth, der in aller Stille einen Investor nach dem anderen in seine Stadt gelotst hat ­ mit Cleverness, Pragmatismus und Augenmaß. Bei seiner Erfolgsbilanz hätte er wohl auch Staatssekretär oder Abteilungsleiter im Wirtschaftsministerium werden können, in Mainz, vielleicht sogar in Berlin. Aber dorthin zieht es ihn nicht. "In einem Ministerium wäre ich eingepfercht in politische Zwänge", sagt er, "da entscheidet der Minister, wo es langgeht. Hier in Wörth entscheide ich. Das ist mir doch viel lieber."

Und zielführender für die Region ist es im Zweifel auch.