Wolfgang Pfaffmann

Die Welt ist groß und voller kleiner Nischen. Der Winzer Wolfgang Pfaffmann sucht seine in China. Denn mit Globalisierung macht das Leben einfach mehr Spaß als ohne.




Fragt man ihn nach den schönsten Wein-Erlebnissen seines Lebens, kommt Wolfgang Pfaffmann nach einer theatralischen Inszenierung bei einem Backstage-Dinner am Düsseldorfer Schauspielhaus und einer gemeinsamen Verkostung seines Rieslings mit feiner Bitterschokolade bald auf ein paar Flaschen chinesischen Wein, die ihm vergangenes Jahr im zentralchinesischen Xian serviert wurden. "Wir saßen mit chinesischen Geschäftsleuten und Beamten zusammen, und sie kippten den Wein wie Schnaps in sich hinein", erzählt er, "immer auf ex." Zwei Runden schauten sich Pfaffmann und seine Frau das kulinarische Trauerspiel an, dann griffen sie ein und erklärten den Tischgenossen mit Zeichensprache und radebrechendem Chinesisch, wie man Wein trinkt, wenn man ihn auch schmecken will: dass man erst schaut und riecht, den Schluck im Mund behält und dabei ruhig auch ein wenig schmatzt und gurgelt. "Zuerst fanden sie das befremdlich", erinnert sich Pfaffmann, "aber sie waren sehr offen, und bald hatten sie Freude wie Kinder, die ein neues Spiel entdeckt haben." Es wurde ein Abend mit viel Gelächter, der ers-ten Flasche folgten eine zweite und dritte, dass sie ihre umgerechnet 30 Euro kaum wert waren, störte Pfaffmann nicht im Geringsten. Eher im Gegenteil.

Der Winzer aus Nußdorf bei Landau hatte damals gerade beschlossen, seinen Geschäftsradius zu erweitern: um China. Eine Zeit lang leitete er in der chinesischen Provinz den Aufbau eines Weinguts, dann begann er, die Volksrepublik als Exportmarkt für deutschen Wein zu erschließen. "Die Weinkultur vor Ort steht noch am Anfang, aber bei dem hohen Wert, den die Chinesen gutem Essen beimessen, wird es nicht lange dauern, bis sie auch die Qualitätsunterschiede schmecken." Schon heute ist "Ganhong", wörtlich "trockener Roter", das Modegetränk des neuen Mittelstands, der sich seinen Lebensstil vom Westen abschaut ­ und meist nicht weiß, dass Traubenvergärung genau wie Schießpulver, Papier oder dritte Zähne eine chinesische Erfindung ist. Obwohl der Markt wie überall auf der Welt von Großkellereien dominiert wird, ist Pfaffmann überzeugt, dass auch chinesische Weinliebhaber schnell erkennen werden: Edle Tropfen lassen sich nur in kleinen Mengen herstellen, von Winzern, die ihren Beruf nicht als Industrie, sondern als Handwerk und Kunst verstehen und lieber die Qualität steigern als ihre Hektoliter. Warum also soll nicht auch ein mehrfach ausgezeichneter Familienbetrieb aus der Südpfalz in China seine Nische finden?

Pfaffmann denkt dabei ans Geschäft, natürlich. Ihn treibt aber auch das Fernweh, ein Gefühl, das für einen Winzer eigentlich nicht vorgesehen ist. Kaum eine Branche ist regional so gebunden wie der Weinbau. Qualität steht und fällt schließlich damit, dass der Winzer seine Hänge kennt und pflegt, weil sich aus faden Früchten mit allen Kellertricks der Welt kein guter Wein zaubern lässt. Pfaffmann ist mit seinen Lagen vertraut, seit er laufen kann. Seit sieben Generationen baut seine Familie in Nußdorf Wein an, als einzigem Sohn war ihm früh vorbestimmt, dass er das Gut eines Tages übernehmen würde. Sein Handwerk lernte er von seinen Eltern und in der Forschungsanstalt Geisenheim, Deutschlands führendem önologischen Institut. Bestes Rüstzeug für eine weitere Generation südpfälzischen Winzerwettbewerbs. Den meisten Weinbauern ist das Globalisierung genug.

Für Pfaffmann darf die Welt ruhig etwas größer sein. Als Kind verschlingt er Bücher über Kublai Khan und den Mongolensturm auf das Reich der Mitte. 1991, mit Ende 20, fährt er erstmals nach China und reist mit Freunden acht Wochen durchs Land. Sein Reisehunger wird davon eher geweckt als gestillt. Genährt wird die Faszination für Asien auch durch seine Frau Susanne, die zwei Studiengänge in Kunstgeschichte und Sinologie absolviert und im benachbarten Landau eine Agentur für kunstgeschichtliche Bildung aufgebaut hat. Doch während sie ihre Kunden in andere Kulturen entführt, bleibt dem Ehemann kaum Zeit, seiner Leidenschaft mehr als ein paar flüchtige Gedanken zu widmen.

Wie die meisten deutschen Winzer kümmert sich Pfaffmann um alles selbst, vom Anbau über die Weinherstellung bis zur Vermarktung. Bis ihn seine Frau darauf bringt, dass es auch anders geht. "In Frankreich und Italien betreiben Winzer viel mehr Arbeitsteilung", sagt sie. In Deutschland gehen die Familienbetriebe eher pleite, als dass sie etwas an andere abgeben. 2005 bricht Pfaffmann mit der Tradition. Seinen Außenbetrieb übergibt er einem Kollegen im Nachbardorf, von dem er seitdem die Trauben für seinen Keller bezieht. Jetzt hat er Freiraum für andere Ideen. Und für die Welt außerhalb von Nußdorf.

Wein ist ein interessantes Getränk ­ und so lecker mit Cola

Im Februar 2006, fünfzehn Jahre nach seiner ersten Fernostreise, reist Pfaffmann erneut nach China, zusammen mit einer Reisegruppe, die ein deutscher Fachverlag für Weinzeitschriften zusammengestellt hat. Alle hoffen, auf die eine oder andere Weise von dem Boom zu profitieren, der nicht nur die Märkte für Autos, Maschinen und Spielzeug aufmischt, sondern inzwischen auch die für Weine. Zwar trinkt jeder Chinese derzeit im Schnitt nur knapp einen halben Liter Wein im Jahr, während die Deutschen auf 20, die Franzosen sogar auf 60 Liter kommen. Doch weil den 700 Millionen Landbewohnern in China das Getränk nahezu unbekannt ist und auch die städtische Unterschicht statt des neuen Modegetränks lieber Bier und Schnaps konsumiert, entfallen auf jeden der rund 200 Millionen Mittelstands-Städter immerhin schon mehr als drei Flaschen des ungewohnten Getränks. Bei einem Wachstum von 20 Prozent kommt alle zwei Jahre eine dazu.

Der Trend lässt sich auch optisch verfolgen. Vor fünf Jahren war Wein in chinesischen Supermärkten noch eine Kuriosität, inzwischen füllt er meterweise Regale, flankiert von Werbeplakaten mit französischen Schlössern, wo würdevolle Europäer versonnen in Kristallgläser oder fachmännisch in schwere Holzfässer blicken. Die Reklame wirkt, keine Frage, der Verzehr allerdings lässt aus Winzersicht noch ein wenig zu wünschen übrig. Allzu oft wird das Getränk vor Ort mit Cola oder Eiswürfeln vermischt. Rotwein, mit Knoblauch, Zwiebeln oder Kräutern angesetzt und als Medizin genossen, ist ebenfalls ziemlich beliebt.

Junge Chinesen jedoch lernen inzwischen auf Seminaren für westliche Lebensart neben Begrüßungsküsschen oder dem Essen mit Messer und Gabel immer häufiger auch das Weintrinken. Und sie lassen sich ihren kosmopolitischen Stil etwas kosten: Importierte Ware, die sich in Europa für kaum mehr als einen Euro an den Mann bringen lässt, wird in China für fünf bis zehn Euro verkauft. Selbst im Segment über fünf Euro, das in Deutschland knapp 20 Prozent aller Weinverkäufe ausmacht, langen die Chinesen mittlerweile oft zu: Guter oder zumindest teurer Wein ist ein beliebtes Gast- oder Bestechungsgeschenk. Kein Wunder also, dass europäische Winzer sich seit einigen Jahren zu Studienreisen oder Seminaren anmelden, die ihnen versprechen zu verraten, wie sie den riesigen Markt für sich erschließen können.

So abenteuerlustig wie Wolfgang Pfaffmann ist allerdings kaum einer von ihnen ­ und kaum einer ist so frustresistent. Kurz vor seiner zweiten Chinareise liest er in der Zeitung über ein Weinbauprojekt, das deutsche Entwicklungshelfer in der Provinz Gansu ins Leben gerufen haben. Ihre Idee: Chinas arme Bauern könnten ein weitaus besseres Leben führen, wenn sie statt Getreide oder Mais Wein anbauen. Das klingt plausibel, schließlich lässt sich mit keiner anderen Frucht eine ähnlich lange und lukrative Wertschöpfungskette verbinden, und auch wenn die Volksrepublik auf vinophilen Landkarten bisher nicht verzeichnet ist, hat sie doch Standortvorteile: Viele Regionen bieten beste Boden- und Klimabedingungen, Rebenschädlinge sind wenig verbreitet, Arbeitskräfte günstig. Optimale Voraussetzungen für ökologischen Weinbau zum Beispiel, der in traditionellen Anbauländern oft kaum möglich oder bezahlbar ist. Pfaffmann gefällt die Idee, und es stellt sich heraus, dass vor Ort tatsächlich noch ein erfahrener Winzer gesucht wird.

Er macht sich also auf nach Qingshui, ein Dorf, acht Zugstunden entfernt von der alten Kaiserstadt Xian. Was er dort vorfindet, ist wohl ähnlich ärmlich wie Nußdorf, als seine Vorfahren dort im 19. Jahrhundert mit dem Weinbau begannen. "Die Menschen hungern nicht, aber sie leben ungeheuer einfach", erzählt er. Sie wohnen in kleinen Ziegelgehöften und ernähren sich durch Subsistenzwirtschaft: Getreide, Gemüse, ein paar Tiere. Eselskarren sind ihre einzigen Fahrzeuge, Maisstroh dreschen sie von Hand, ihr Wasser holen sie in Eimern aus dem Brunnen. Der einzige Luxus sind ein paar nackte Glühbirnen und die Fernseher, die in einigen der Häuser laufen.

Ein Blick auf die Reben auf dem zwei Hektar großen Testfeld zeigen Pfaffmann, dass es noch ein weiter Weg ist, bis in Qingshui der Wohlstand anbrechen kann. Sie ranken am Boden, haben Frostschäden, sind von Ungeziefer befallen. Keiner weiß so recht, wie mit ihnen umzugehen ist, ganz zu schweigen davon, was einmal aus ihnen hergestellt werden soll. Wein ist in Qingshui unbekannt. Doch als Pfaffmann mit dem Dorfvorsteher durch die Reihen geht, um die Reben hochzubinden, merkt er, dass er es mit Landwirten zu tun hat, die Pflanzen mit einer Sorgfalt behandeln, die keinem Erntehelfer in Deutschland beizubringen wäre. Und trotzdem: "Die Bauern haben heute einen schweren Stand in China", erklärt ihm der Dorfvorsteher. "Chinesen sehen in landwirtschaftlicher Arbeit keinen Wert und wollen lieber in die Städte." Das Luxusprodukt Wein soll das ändern.

Rückschläge können den Winzer nicht stoppen ­ auf nach China

Zurück in Nußdorf machen der Winzer und seine Frau aus der Idee ein Projekt ­ sechs Wochen später sitzen Susanne Pfaffmann und der sechsjährige Sohn Julius im Flugzeug nach China. Es soll kein Abschied für immer sein, erst mal ein zweimonatiger Test. Er glückt, als Pfaffmann Ende Juni dazukommt, ist die Familie von seiner China-Euphorie angesteckt. Gemeinsam fahren sie nach Qingshui, wohnen in einem der Gehöfte, ziehen jeden Morgen mit den Bauern in die Weinberge und bringen die Felder in Schuss. Nach zwei Wochen sind sich die drei Pfaffmanns einig, dass sie wiederkommen werden.

Doch der Chinamarkt ist nicht nur für seine Potenziale, sondern auch für seine Klippen bekannt,und auch Pfaffmann bleibt nicht von Enttäuschungen verschont. Tanks und Pressen stehen in Nußdorf schon verpackt im Keller, um für die Ernte nach Fernost geschickt zu werden, als das Projekt so unerwartet beendet wird, wie es zuvor entstanden war. "Von seiner Ausrichtung habe ich das Vorhaben aus vollem Herzen unterstützt, unternehmerisch sind wir leider doch nicht zusammengekommen", erklärt der Winzer diplomatisch. Inzwischen hat er allerdings Kontakte geknüpft, um auf andere Art einen Zugang zu China zu finden.

Weit reisen musste er dafür nicht. Nur ein paar Kilometer von seinen heimischen Weinbergen entfernt, entsteht derzeit in Germersheim am Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft der Universität Mainz das weltweit erste Forschungszentrum für chinesische Weinkultur. "In China glaubt man heute, Wein sei ein Produkt des Westens", erklärt Sinologieprofessor Peter Kupfer. "Dabei zeigen neueste Entdeckungen, dass es vor Ort schon vor 9000 Jahren Traubenvergärung gegeben hat, weit früher als in Zentralasien, wo bisher der Ursprung des Weins vermutet wurde." Für Historiker ist das eine bedeutende Entdeckung, denn anhand der Weinkultur lässt sich rekonstruieren, welche Verbindungen im Altertum zwischen den Völkern bestanden und auf welchen Wegen sich kulturelle Errungenschaften verbreiteten. Schließlich handelt es sich bei der Weinherstellung um eine zivilisatorische Schlüsseltechnologie, die ein hohes Maß an technischem Wissen und Hygiene voraussetzte. Peter Kupfer hat deshalb große Pläne: "Weltweit beschäftigen sich zahlreiche Forscher mit dem Thema, wir hoffen, sie künftig in Germersheim vernetzen zu können."

Auch am Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof in Siebeldingen ist Chinas Wein-Boom inzwischen in aller Munde. Regelmäßig kommen Delegationen aus der Volksrepublik, ein chinesischer Biologe blieb gar ein ganzes Jahr, um an schädlingsresis-tenten Weinsorten zu forschen. Noch hat China keine Probleme mit Rebläusen und anderem Getier, aber die chinesischen Winzer planen bereits für die Zukunft, um die steigende Nachfrage zu decken. In den kommenden Jahren werden viele Weingüter aufgebaut werden, davon ist auch Wolfgang Pfaffmann überzeugt und hofft, dann auch sein Know-how wieder einbringen zu können.

Gleichzeitig ist er dabei, China als Exportziel für deutsche Weine zu entwickeln, zunächst für einen Teil der 80000 Flaschen, die er selbst jedes Jahr produziert. Dabei will er nicht einfach Container in die Ferne schicken, sondern die Trinkkultur gemeinsam mit chinesischen Partnern entwickeln. "Meine Weine sollen von Menschen getrunken werden, die dafür die gleiche Liebe empfinden wie ich", wünscht er sich. Eine Einstellung, die mehr ist als professionelle Passion, sie ist auch unternehmerisches Gebot. Als Winzer aus einer Region mit Hunderten Weinbaubetrieben weiß Pfaffmann, dass ohne Kundenbindung auch aus gutem Wein kein gutes Geschäft wird.

Einen möglichen Partner hat er bei seiner letzten Chinareise im südchinesischen Xiamen gefunden: Liu Shizhong, ein ehemaliger Regierungsbeamter, der vor fünf Jahren den Wein für sich entdeckte und seitdem drei Lokale eröffnet hat, will seinen Landsleuten auch beibringen, was im Glas alles zu erschmecken ist. "Mit Wein ist es wie mit Tee", erklärt er ihnen. "So wie ihr beim Tee Dutzende Geschmacksnuancen unterscheidet, könnt ihr sie auch beim Wein entdecken." Statt seine Kunden mit Herkunftsländern und Preisschildern zu beeindrucken, lässt Liu sie blind kosten. Denn sie sollen Wein nicht aus Angeberei trinken, sondern ihren eigenen Geschmack entwickeln. Ein Ansatz, der Pfaffmann gefällt, und egal, wie das Abenteuer ausgehen mag, er wird mit seiner Familie auch künftig nach China reisen. Als Winzer hat er gelernt, geduldig zu sein. Eine Fähigkeit, die sich beim Erschließen von Märkten als ebenso sinnvoll erweist wie beim Erzeugen von Wein.