ConneXion

Der Gräfenhauser Spätburgunder gehörte einst zu den teuersten Weinen der Pfalz. Doch irgendwann fanden die Winzer die Arbeit am Steilhang zu mühsam, die Rebstöcke gerieten in Vergessenheit. Fünf junge Unternehmer machten sich daran, die Legende zum Leben zu erwecken. Ihr Geheimnis? Gemeinschaft, Enthusiasmus ­ und harte Arbeit.




Die Wespen griffen am Wochenende an. Nicht so gefräßig wie die sprichwörtlichen Heuschrecken, nicht so gefährlich wie Mehltau, aber lästig wie, nun ja, Wespen. Emsig machten sie sich über die Reben her, naschten hier und da und zogen wieder ab. Jetzt schaut Klaus Scheu skeptisch über den Brillenrand und schüttelt sein langes dunkles Haar: "Wenn die Wespe erst mal beißt, nistet sich Fäule ein und höhlt die Trauben aus." Eigentlich kein Drama, aber die 40 Jahre alten Rebstöcke tragen gerade mal vier oder fünf Früchte an jedem knorrigen Ast. Und jede einzelne zählt. Was tun? "Ich habe beim Imker gefragt, der weiß auch nicht mehr als wir", meint Sven Leiner, ein jungenhaft wirkender Mann mit Designerbrille. "Wir könnten Flaschen mit Zuckerwasser in der Umgebung aufstellen", schlägt Volker Gies vor. "Wespen stehen wahrscheinlich unter Naturschutz", merkt Peter Siener an, und Boris Kranz erklärt, dass im Weinbau keine Abhilfe gegen die Insekten bekannt sei, weil "außer uns niemand solche Probleme hat".

Die Qualität stirbt aus

Den Ärger mit den seltenen Schädlingen haben sich Klaus Scheu, Sven Leiner, Volker Gies, Peter Siener und Boris Kranz selbst eingebrockt. Alle fünf sind Winzer. Und jeder wusste, worauf er sich einließ, als sie vor gut acht Jahren beschlossen, gemeinsam einen kleinen Weinberg inmitten eines struppigen Waldstücks zu bewirtschaften, in dem sich Wespen offenbar besonders wohl fühlen. Die Lage ist einmalig, ein Südhang oberhalb des Städtchens Gräfenhausen, mit stolzer Steigung und atemberaubendem Blick auf die Burg Trifels.

Und mit einer langen Geschichte: Schon im 14. Jahrhundert pflanzten Mönche hier Wein, die Pinot-Noir-Rebstöcke brachten sie aus dem Burgund mit. Gegen 1900 wurde der Gräfenhauser für zwei Goldmark je Liter in Apotheken angeboten. Noch 1929 führten ihn Kreuzfahrtschiffe wie die "Europa" mit.

Mitte des vergangenen Jahrhunderts begann der Niedergang. Wurden 1928 noch 17 Hektar Rebfläche am Berg beackert, waren es 1955 gerade noch 2,25 Hektar. Zu mühsam war den Winzern die Bewirtschaftung der Steilhanglagen von Hand. Geld konnten sie anderswo leichter verdienen, mit klebrig-pappigen, zuckersüßen, aber renditestarken Gewächsen. Die landeten nicht mehr in der Vorratskammer von Kreuzfahrtschiffen, sondern auf dem Promenadendeck von Ausflugsdampfern. In der Stadtchronik "Aus der Geschichte von Gräfenhausen" heißt es: "So findet die Geschichte des Gräfenhauser Edelburgunders ein ruhmloses Ende."

Eine andere Geschichte beginnt hier, wenn auch ein paar Jahrzehnte später: die der fünf Winzer der Südpfalz-Con-neXion. Die Pfalz ist nach Rheinhessen inzwischen Deutschlands zweitgrößtes Weinbaugebiet. Auf 23413 Hektar stehen hier 100 Millionen Rebstöcke, verteilt auf 25 Groß- und 325 Einzellagen. Rund 2,5 Millionen Hektoliter Wein werden jährlich gewonnen, was in etwa jeder dritten verkauften Flasche deutschen Weins entspricht.

Pfälzer Wein wird nahezu ausschließlich entlang der Deutschen Weinstraße angebaut, die sich am Rande des Haardt-Gebirges von der elsässischen Grenze bis nach Bockenheim zieht. Eine Region, in der nicht weniger als 45 weiße und 22 rote Rebsorten gepflanzt werden: Riesling, Weiß- und Grauburgunder oder Muskateller ebenso wie Chardonnay, Merlot, die Neuzüchtung Regent, Dorn- felder, Portugieser und eben Spätburgunder. Gut 3600 pfälzische Betriebe verdienen ihr Geld mit dem Weinbau ­ wenn auch nur etwa 1600 Winzer haupt- beruflich davon leben können.

Volker Gies vom Weingut Gies-Düppel in Birkweiler ist einer davon. Er leitet einen typischen Pfälzer Familienbetrieb, wo Eltern und Kinder sich gemeinsam um 10,5 Hektar Reben kümmern und, wenn es nötig ist, zur Lese auch ein paar Erntehelfer eingestellt werden. Gies ist mehr oder minder im Schatten des Gräfenhausers groß geworden. Hätte ihm in seiner Jugend jemand erzählt, dass er eines Tages dort oben mit Schere und dicken Arbeitshandschuhen am Steilhang lesen würde, hätte er bloß gelacht. Schließlich hatte er von klein auf die älteren Winzer stöhnen hören, wie mühsam die Arbeit dort oben war. Wieso sollte er also Qualen auf sich nehmen, wenn er in der eher sanften Pfälzer Hügellandschaft die Trauben auch mit Traktor und Landmaschinen maschinell pflegen und lesen kann?

Vor acht Jahren, auf den Weintagen von Landau, stand Gies zufällig "mit dem Sven, dem Klaus, dem Boris und dem Peter in derselben Ecke". Man fand einander sympathisch. Und entdeckte Gemeinsamkeiten: Jugend, Ambition und Ideen. Die fünf Winzer, zwischen 20 und 27 Jahre alt, hatten gerade die Verantwortung für die elterlichen Betriebe übernommen, gehörten mit achteinhalb bis 17 Hektar eigener Rebfläche nicht zu den Großen im Gewerbe und sahen deshalb für ihre Weingüter nur eine Perspektive: Qualität.

"Am Anfang wollten wir einfach mal links und rechts bei den anderen in den Weinkeller schauen. Uns austauschen, voneinander lernen", erklärt einer aus dem Quintett. Danach wuchs die Idee, sich gemeinsam zu vermarkten. Die fünf tauften sich Südpfalz-ConneXion, zogen zusammen auf Messen wie die Düsseldorfer ProWein, organisierten Menüs mit ihren Weinen und Veranstaltungen mit Musikern.

Aus Bekanntschaft wurde Freundschaft, aus Konkurrenten wurden Kollegen. Irgendwann wollten sie dann etwas bewegen. Entwicklungspotenzial gab es genug: Die Winzer in der Südpfalz hatten lange Jahre auf Masse statt Klasse gesetzt und dabei außer Acht gelassen, dass der Gaumen ihrer Kunden sensibler geworden war. Noch Anfang der neunziger Jahre assoziierten viele Feinschmecker deutsche Weine mit billigem Fusel. Wer eine gute Flasche trinken wollte, griff lieber zu spanischen oder italienischen Produkten. "Die Zukunft des Weinbaus", erinnert sich Volker Gies, "schien vage." Vage ist hier der euphemistische Ausdruck für "eher schlecht".

Die Spurensuche beginnt

Aus Frankreich, Italien und Spanien kannten die Jungwinzer das Konzept des "terroir", also ­ unter anderem ­ den Einfluss der Bodenbeschaffenheit auf Wein. Sie wussten, dass beispielsweise der Lehm-Gehalt eines Bodens darüber entscheidet, wie ertragreich die Reben sind, und dass manchmal schon wenige Meter Entfernung aus einer guten eine exzellente Lage machen. Die eigenen Weinberge waren den fünf bestens bekannt, sie waren mit dem Sonnenstand im Laufe des Tages so vertraut wie mit dem Verhältnis von Sand, Mergel, Ton und Lehm im Boden und dem Zustand ihrer Reben.

Um die Bedeutung des Gräfenhausers wussten die Winzer nur aus Erzählungen und wenigen überlieferten lokalen Dokumenten. Ihre Neugierde war geweckt. Stundenlang stapften sie nach getaner Arbeit in den eigenen Weinbergen durch das dichte Gehölz oberhalb von Gräfenhausen und entdeckten vereinzelte Reben im Methusalem-Alter, die jedoch schon lange keine Traube mehr trugen. Danach verschwanden sie jedes Wochenende in Bibliotheken und Archiven.

Sie fanden heraus, dass die Reben am Gräfenhauser von Zisterziensermönchen des Klosters Eußerthal aus dem Burgund in die Pfalz gebracht worden waren. Dass der Burgunder bereits 1355 das erste Mal urkundlich erwähnt worden war. Dass ein Fuder 1822 mit 300 Gulden genauso teuer war wie die edlen Tropfen aus Deidesheim oder Königsbach, zwei der großen Winzergemeinden der Pfalz. Und dass der Gräfenhauser in den Novellen "Das Pfalzmädel" und "Das Mädel von Hagenau" von Eduard Jost auftaucht.

Zwei Fragen blieben offen: War die Qua- lität des Gräfenhausers nur ein Mythos? Und taugte das "terroir" am Hang wirklich für einen großen Wein? "Um das herauszufinden, gab es nur einen Weg: Wir mussten dort wieder pflanzen", sagt Boris Kranz. Leichter gesagt als getan: Die fünf besaßen am Gräfenhauser weder Weinberg noch Reben.

Ein erster Besuch bei den verbliebenen Winzern im Ort blieb erfolglos. Die wenigen Rebflächen wurden zwar längst nicht mehr richtig bewirtschaftet, aber verkaufen wollte sie auch niemand. Nach zähen Verhandlungen und Gesprächen verbuchte die Gruppe ihren ersten Erfolg: Im Jahr 2002 verkaufte die Gemeinde Gräfenhausen ihnen ein 2000 Quadratmeter großes Waldstück am Hang, das sie rodeten, um Platz zu schaffen für Reben.

Aus den Gedankenspielen wird Ernst. Die fünf Geschäftspartner müssen sich einigen: Wollen wir das wirklich? Wer macht was, wer kann sich wann für das gemeinsame Projekt engagieren? Und vor allem: Wann soll der eigene Weinberg Vorrang haben? Das ist der klassische Moment, in dem die meisten Arbeitsgemeinschaften im Weinbau zerbrechen. Einer entscheidet, dass heute der ideale Tag für die eigene Lese wäre, ein anderer rechnet am Abend heimlich die investierten Arbeitsstunden in fiktive Honorare um. Die fünf Pfälzer bleiben eine Gemeinschaft, geeint durch den Glauben an den Erfolg, gestärkt durch eine gute Portion Pragmatismus.

Weil beispielsweise Volker Gies am nächsten am Gräfenhauser wohnt, stellt er den Anhänger bereit. Dafür investieren die anderen mehr Zeit in Marketing und Vertrieb. In ihrer knappen Freizeit roden und pflügen sie gemeinsam. Schwerstarbeit: An Regentagen kann nicht einmal ein Allradfahrzeug die Steigung bezwingen. Klaus Scheu aus Schweigen-Rechtenbach, nahe dem fran- zösischen Wissembourg, nimmt regel-mäßig den weitesten Weg auf sich. Nach der Inspektion seiner Weinberge in Deutschland und Frankreich, auf denen tatsächlich und ganz legal Pfälzer Wein wachsen darf, macht er sich auf in den Norden nach Gräfenhausen.

Die Spätburgunder-Reben für den gemeinsamen Weinberg bestellt das Quintett im französischen Burgund. Dort, wo vor Jahrhunderten die Trauben der Mönche herkamen. Von den alten Kollegen zu Hause werden die Jungwinzer belächelt, ihr Eifer bietet in den örtlichen Weinschänken regelmäßig Anlass zum Spott. Dann merken sie, dass es den fünf mit ihrem Engagement ernst ist. Ein Nachbar verpachtet der Südpfalz-ConneXion weitere 2000 Quadratmeter Land. Ein Glücksfall: Jetzt ist die Gruppe im Besitz von 1500 Stöcken rund 40 Jahre alter Burgunder-Reben und 0,4 Hektar Weinberg.

Zwei Jahre später ist es so weit. Der erste Probeschluck. Der eigene Wein. Gräfenhauser Spätburgunder 2003, ein Gemeinschaftswerk. Elegant und komplex, nicht zu tanninreich, erstklassig, auch im überregionalen Vergleich. Allerdings gibt es von ihm nur ein einziges Fass, jeder große Weinhändler würde sie angesichts der Menge einfach auslachen. Die Besinnung auf die Vergangenheit scheint auch hier die deutlich bessere Lösung: Die Winzer verkaufen ihr Fass an einen ganz besonderen Kunden, die "MS Europa", die mit dem Kauf an ihre eigene Tradition anknüpft. Wie sie das geschafft haben? "Wir haben einfach gefragt", sagt Volker Gies.

Das mag echte oder gespielte Bescheidenheit sein. In Sachen Marketing sind die fünf inzwischen jedenfalls Profis. Auf Fotos posieren sie gern mit Strohhut und Sonnenbrille oder bloßem Oberkörper ­ und wirken ein bisschen wie eine gecastete Boyband mit verteilten Rollen: Da ist der Sanfte, Klaus. Der etwas Wildere mit Drei-Tage-Bart: Boris. Volker ist der Brave, Sven der Gestylte, Peter der Coole mit Sonnenbrille.

Auch die edlen Etiketten, die jeder den Flaschen seines eigenen Weinguts verpasst, sind mit Bedacht designt, sie erinnern eher an Italien als an deutsche Weinstubengemütlichkeit. Da flattern stilisierte Libellen, kräftig grüne Logos prangen auf schwarzem Grund. Das Etikett für das gemeinsame Gewächs sieht dagegen vergleichsweise traditionell aus: schlicht-elegant, mit einem Hauch von Belle Epoque aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts.

Renommierte Weinkritiker wie der gebürtige Brite Stuart Pigott loben den Newcomer. Über die Ausbeute des zweiten Jahres schreibt er: "Mit dem Jahrgang 2004 ist der Gräfenhauser Spätburgunder wieder ganz auf der Höhe: ungemein seidig und filigran, zart-würzig und nachhaltig, dank einer traditionellen, heute gewagt zu nennenden Ausbaumethode jedoch nicht im Geringsten vom Holz bestimmt. Der Preis ist gerechtfertigt."

Die Mühe hat sich gelohnt

Mit dem Gräfenhauser ist der Südpfalz-ConneXion auch kommerziell ein großer Wurf gelungen. Für die rund tausend Flaschen finden sich jedes Jahr sofort Liebhaber, die gern 37 Euro pro Stück überweisen. Das ist im Grunde wenig Geld für viel Handarbeit und doch eine stolze Summe für einen jungen Wein aus einer trotz Tradition eher unbekannten Lage. Etwa der Gegenwert eines "kleinen" Jahrgangs-Champagners.

Die Qualität des Spätburgunders lässt sich auch an der Menge der Ernte messen. Gerade 20 Hektoliter erwirtschaften die fünf auf ihrem Berg pro Hektar ­ selbst für internationale Spitzenweine ein extrem gutes Ergebnis. Zumal der Hektar-Ertrag eines Weinberges als Indikator für die Intensität eines Weines gilt. Voll hängende Rebstöcke geben Traubensaft, alte Reben konzentrieren das Aroma hingegen in wenigen Trauben. Zum Vergleich: Auf ihren eigenen Weinbergen lesen die jungen Winzer pro Hektar bis zu 75 Hektoliter, gesetzlich erlaubt sind für Qualitätswein 105, für Tafelweine 150 und für Verarbeitungsweine 200 Hektoliter.

Zur Reifung wird der Gräfenhauser Spätburgunder im Weingut Leiner in Ilbesheim gebracht. Beim Ausbau, wie die erste Lagerung eines noch unfertigen Weines genannt wird, verbinden die fünf Winzer Tradition mit Moderne. Früher wurden Weine Ende August, Anfang September gelesen. Die Maische stand bis zur Weihnachtszeit, erst am 24. Dezember wurde traditionell gekeltert. Für heutige Winzer eine Horrorvorstellung, meint Sven Leiner. Das Risiko, dass der Wein bei einem so langen Gärprozess keine gleich bleibende Qualität liefert, sei zu hoch. Die Maische des reanimierten Spätburgunders gärt deshalb nur noch höchstens drei Wochen ­ dafür ausschließlich in alten Holzfässern, nicht in den neuen Barrique-Varianten.

Neue Holzfässer beeinflussen nach Ansicht der Jungwinzer den Geschmack des Weines zu stark. Und aus ihrem Spätburgunder lässt sich keiner der eher marmeladigen Rotweine mit großem Holzanteil machen, wie sie bis vor Kurzem stark in Mode waren. Ohnehin haben sich inzwischen viele Weingenießer an diesem Stil satt getrunken und suchen Alternativen. Das merken auch die Südpfälzer: "Der Gräfenhauser hat viele junge Kunden. Die fragen bei uns ganz gezielt danach und zucken auch nicht beim Preis zusammen."

Der Erfolg des Gemeinschaftsprojektes strahlt auch auf die einzelnen Weingüter der Südpfalz-ConneXion ab. "Wir exportieren heute in die Niederlande, nach Italien, in die Schweiz und in die USA", erklärt Volker Gies nicht ohne Stolz. Und macht schon wieder neue Pläne: Bald stehen Bodenanalysen an, um noch mehr über das Terroir zu erfahren, auch ein repräsentatives Tor zum Weinberg könnte nicht schaden. Nicht zu vergessen, ein stärkerer Zaun, der die Reben besser vor Wildschweinen schützt. Denen schmecken die edlen Trauben nämlich leider genauso gut wie den Kunden oder den Wespen.

Die Südpfalz-ConneXion im Web:

www.weingut-kranz.de

www.gies-dueppel.de

www.weinhof-scheu.de

www.weingutsiener.de

www.weingut-leiner.de

www.suedpfalz-connexion.de