Die Schnaken sind los

Mancherorts heißen sie Mücken oder Gelsen, in der Südpfalz nennt man sie Schnaken. Egal wo: Die stechenden Blutsauger sind eine Plage. Besonders entlang sumpfiger Gebiete. Deshalb arbeitet in der Südpfalz die Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage e.V. (Kabs). Seit 1976 kämpft die Institution gegen das Insekt. Auftraggeber sind rund hundert Kommunen, Gemeinden, Städte, Landkreise und das Land Rheinland-Pfalz mit insgesamt 2,7 Millionen Einwohnern. Sie leben entlang einer Strecke von etwa 300 Rhein-Kilometern zwischen Bingen im Norden und Offenburg im Süden. Knapp einen Euro pro Einwohner lassen sich die Körperschaften die Schnakenbekämpfung kosten. Im Mittelpunkt des Feld-zugs: die "Schnakenwehr", ein Heer saisonaler Helfer. Einer von ihnen: Manfred Stroh, seit 32 Jahren an der Front im südpfälzischen Lingenfeld.




Als ich noch jung war, konnte man abends eigentlich nur vermummt das Haus verlassen, so viele Schnaken gab es damals. Selbst tagsüber ging man kaum in Parks, Schwimmbäder oder auf Sportplätze. Und die Gaststätten machten Minus. Wollte man draußen sitzen, musste immer jemand für ausreichend Rauch sorgen, um die Viecher zu vertreiben. Dazu hat man trockenes Gras in eine Konservendose gefüllt, den Inhalt angezündet und die geschlossene, qualmende Dose zur besseren Rauchverteilung an einer Schnur durch die Gegend geschleudert. Das sind meine speziellen Kindheitserinnerungen.

Vor 32 Jahren hat dann ein Pharmakonzern in unserer Region ein neues Schnakenbekämpfungsmittel getestet, und ich war als freiwilliger Helfer dabei. Von Anfang Mai bis Ende September habe ich damals täglich Messungen gemacht, Wind, Temperatur und natürlich den Schnakeneinflug. Das ging ganz einfach: Unterarm frei machen und abwarten, wie viele Mücken sich nach einer Minute darauf niedergelassen hatten. An schlechten Tagen waren es 80, an guten mit mehr Wind immer noch 30. Nach drei dieser Messungen pro Abend ­ einmal im Hellen, einmal in der Dämmerung, einmal im Dunkeln ­ hatte ich 100 bis 200 Mückenstiche.

Bei den Schnaken stechen übrigens nur die Weibchen. Nach jedem Blutsaugen legen sie 100 bis 200 Eier, gern vor allem in feuchten Gebieten. Doch selbst in trockenen Landstrichen können aus den quasi unverwüstlichen Eiern zehn Jahre später noch Larven schlüpfen, wenn die Eier mit mindestens zehn Grad warmem Wasser überschwemmt werden. Das muss man sich mal vorstellen: Wir können die Schnaken zu 98 Prozent bekämpft haben, dann bleiben zwei übrig, die Eier legen, und schon kann man wieder von vorn anfangen. Ein endloser Kampf.

Trotzdem, er lohnt sich, das haben wir schnell gemerkt. Ein Jahr nach den Tests wurde deshalb die Kommunale Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schna-kenplage, also die Kabs, gegründet. 1976 war das. Das Testgebiet war 2000 Hektar groß, zwischen Germersheim und Speyer, links- und rechtsrheinisch.

Ich habe damals schon in Lingenfeld bei der Gemeinde gearbeitet und für sie die Organisation der Schnakenbekämpfung übernommen. Und das mache ich immer noch, obwohl ich inzwischen pensioniert bin. Woanders sind vor allem Studenten unterwegs. In unserer rund zehnköpfigen Gruppe sind die Leute zwischen 55 und 65, die meisten sind inzwischen in Rente. Ich bin der Senior.

Unser Gebiet ist rund 350 Hektar groß, das sind mehr als 450 Sportplätze, riesig. Vor jedem Einsatz laufe ich weite Teile allein ab, prüfe, wo die Brutgebiete liegen, und entscheide, welche Bereiche wir zu Fuß abarbeiten können und wo wir einen Hubschrauber brauchen ­ etwa, wenn die Brut inmitten empfindlicher Pflanzen liegt oder von hohen Brennnesseln oder Schilf umwuchert ist. Wenn ich in einem Gebiet auf viele störempfindliche Vögel stoße, durchkämmen wir es vorsichtig zu Fuß oder versprühen das Mittel mit dem Hubschrauber aus großer Höhe.

Nach der Begehung trage ich auf einer Karte ein, wie ich die Gebiete einschätze. Diese Kartierung wird anschließend digital erfasst. Der Pilot bekommt die Daten für sein Einsatzgebiet per Chip und verstreut das Mittel anschließend mithilfe eines satellitengesteuerten GPS-Systems: Während des Fluges sieht er auf einem Bildschirm, wo genau er schon war und wo er noch hinmuss.

Mit Hubschraubern haben wir von Anfang an gearbeitet. Heute haben wir sogar zwei. Anfangs wurde das Mittel mit Quarzsand und Speiseöl vermischt. Seit einigen Jahren frieren wir es in Wasser aufgelöst ein und werfen es als Eisgranulat ab. Das Mittel enthält einen biologischen Wirkstoff, ein von einem Bakterium gebildetes Protein, das die Darmzellen der Larven zerstört und sie dadurch tötet. Für andere Organismen ist das Mittel unschädlich.

Grundsätzlich versuchen wir, möglichst viel zu Fuß abzudecken. Die Arbeit ist hart, nicht selten müssen wir mit den zehn Kilo schweren Sprühflaschen durch hüfthohes Rheinwasser waten, oft bei 30 Grad im Schatten. Bei großen Flächen bilden wir immer eine Reihe, alle zehn Meter ein Mann, um sicherzugehen, dass wir kein Stück vergessen. Pro Einsatz durchkämmen wir 40 bis 120 Hektar. Im Schnitt laufen wir pro Tag so um die 20 Kilometer.

Morgens um sieben legen wir los, gegen vier Uhr nachmittags kommen wir zurück, dann kochen wir gemeinsam im Clubhaus und trinken noch ein Bier oder einen Schoppen Wein. Die Kameradschaft ist wichtig. Ein Stundenlohn von sieben bis neun Euro reicht nicht als Motivation, um immer wieder auch spontan mitzumachen, wenn das Hochwasser wieder zuschlägt.

Im Internet prüfe ich täglich den Wasserstand und die Vorhersagen. 3,75 Meter sind in Speyer normal, ab 4,10 Metern werden wir aktiv, schon ab dieser Höhe sind wir anschließend zwei Tage mit bis zu acht Mann im Einsatz. Früher waren wir viel seltener unterwegs, einmal um Pfingsten herum, wenn das Wasser nach der Schneeschmelze in den Alpen hoch stand, und dann vielleicht noch zweibis dreimal im Jahr. Heute haben wir keinen Schnee mehr, dafür jede Menge Hochwasser durch Unwetter. Dieses Jahr waren wir allein in den ersten sechseinhalb Monaten siebenmal im Einsatz, jeweils mit drei bis acht Leuten, vier oder fünf Tage lang. Dreimal hat uns ein Hubschrauber unterstützt. Im vergangenen Jahr hatten wir elf, allerdings kürzere, Einsätze. Da war das Team insgesamt 630 Stunden unterwegs.

In 32 Jahren habe ich nur bei einem Einsatz gefehlt. Ich mache immer Urlaub in der Region, damit ich dabei sein kann, wenn es losgeht. Darüber ist meine Familie zwar nicht immer glücklich, aber was soll ich machen? Hier braucht man mich doch.