Das Wunder von Wörth

Geschickt und in aller Stille hat Bürgermeister Harald Seiter aus der Stadt am Rhein ein Paradies für Fabrikherren gemacht. Ausgerechnet die Stilllegung einer großen Raffinerie wurde der Grundstein des Erfolgs.




Die Versuchung ist unendlich groß. Harald Seiter hat den Wahlkampfhammer schlechthin in der Tasche. Nur zwei, drei Sätze bräuchte er zu sagen, bei einem politischen Frühschoppen, am Infostand in der Fußgängerzone oder im Interview mit der Rheinpfalz. 150 neue Jobs auf dem Gelände der stillgelegten Raffinerie ­ welcher Wörther würde da noch einen anderen Bürgermeister wählen als ihn, den Amtsinhaber von der CDU, der den Investor hierher gelotst hat? Was könnte die mäkelige SPD noch ausrichten gegen die Wucht einer Investition von 800 Millionen Mark? Wer würde sich noch für den Streit um den Standort des Altenzentrums inte-ressieren, wenn er, Seiter, die Pläne der neuen Fabrik präsentiert?

Aber Harald Seiter, der seit 1980 die Geschicke der 19000-Einwohner-Stadt am Rhein lenkt, ist zum Schweigen verdammt in diesem Kommunalwahlkampf des Jahres 1999. "Kein Wort über die neue Fabrik!" ­ das hat der Investor ihm gleich im ersten Gespräch klargemacht. Ginge Seiter mit der Erfolgsmeldung zu früh an die Öffentlichkeit, riefe er die Konkurrenz auf den Plan, und das gesamte Projekt wäre gefährdet. Also schweigt Seiter und erträgt geduldig die Attacken des politischen Gegners. "Der Bürgermeister tut nicht genug für die Wirtschaft", heißt es von SPD und Grünen, "Wörth braucht dringend neue Arbeitsplätze, aber Seiter ist untätig." 1995, also vier Jahre zuvor, hat der Mineralölkonzern Mobil Oil seine Raffinerie in Wörth stillgelegt. Ein Schock für die Stadt. Jetzt ist die Demontage der Anla-gen zwar in vollem Gange, aber Ersatz für die 320 Raffinerie-Jobs ist nicht in Sicht. Nur Seiter weiß es besser.

Als der Jurist Harald Seiter mit 29 Jahren in Wörth das Ruder übernimmt, findet er eine Stadt vor, die der Fettlebe frönt, gemästet von Daimler-Benz und Mobil Oil. Beide Konzerne haben in den sechziger Jahren riesige Werke in den Wörther Boden gerammt ­ Daimler-Benz die größte Lastwagenfabrik der Welt und Mobil Oil die Raffinerie. Binnen weniger Jahre wächst das beschauliche Fischerdorf zu einer Industriestadt heran, aus 3500 werden schnell fast 10000 Einwohner, die Stadtväter schaffen es kaum, das sprunghafte Wachstum in den Griff zu bekommen. Der größte Teil des heutigen Wörth entsteht zwischen 1965 und 1975. Die Stadt liegt im Baufieber.

Wirtschaftsförderung ist in diesen Jahren der Sattheit kein Thema. Schließlich hat man die beiden Großen, die Gewerbesteuer fließt reichlich und stetig. Es wäre auch kaum gelungen, einen Inves-tor nach Wörth zu locken. Mit seinem hohen Lohnniveau hält insbesondere "der Daimler" andere Fabrikherren auf Distanz. Friseure, Schlosser, Bäcker und Tischler stellen sich lieber bei Mercedes ans Band, weil sie da selbst als ungelernte Arbeiter mehr verdienen als in ihrem gelernten Job.

Das jähe Ende kommt 1995. Ohne Vorwarnung verkündet Mobil Oil die Stilllegung der Raffinerie binnen Jahresfrist. Seiter ist sofort klar, dass es da nichts mehr zu verhandeln gibt. "Das war beschlossene Sache", sagt er heute. "Die Leute, die das entschieden haben, wussten vermutlich nicht einmal, wo Wörth liegt."

Von der Krisenregion

zum Kraftprotz

Die Schließung der Raffinerie fällt in eine Zeit, in der sich im Wörther Rathaus die schlechten Nachrichten häufen. Im Lkw-Werk, mit rund 10000 Beschäftigten größter Arbeitgeber vor Ort, halten sich hartnäckig Gerüchte über eine Verlagerung von Teilen der Produktion nach Tschechien. Die Gewerbesteuereinnahmen aus dem Werk sind durch die Schieflage der Stuttgarter Konzernmutter Anfang der neunziger Jahre fast auf null zurückgegangen. Der Autoradiohersteller Becker, der im Ortsteil Schaidt jenseits des Bienwaldes 700 Leute beschäftigt, steht vor dem Konkurs. Und im Rathaus überlegt der Bürgermeister, um wie viele Löcher man den Gürtel künftig enger schnallen muss.

Niemand, auch Harald Seiter nicht, ahnt damals, dass ausgerechnet die Stilllegung der Raffinerie den Weg für das Wörther Wirtschaftswunder bereiten und die Stadt gut ein Jahrzehnt später als Kraftmaschine der Region dastehen wird, als Paradies für Investoren. Mit vielen neuen Fabrikgebäuden und einer Arbeitslosenquote von aktuell 3,6 Prozent ­ einer der besten Werte in ganz Rheinland-Pfalz.

Selbst die Gegner loben

Ein guter Teil des Erfolgs wird dem Bürgermeister zugeschrieben, heute ein allseits geachteter und geschätzter Stadtmanager und Wirtschaftsförderer, der fester im Sattel sitzt als je zuvor in seiner 27-jährigen Amtszeit. Einer, der zeigt, was geht, und vor allem, wie es geht. Selbst die politischen Gegner loben seinen klugen und pragmatischen Umgang mit Investoren. Der seligen Raffinerie trauert schon lange niemand mehr nach.

Nach dem ersten Stilllegungs-Schock macht Harald Seiter, noch ohne großes Konzept im Hinterkopf, instinktiv ein paar Dinge richtig. Mobil Oil ringt er die komplette Demontage der Raffinerie samt Bodensanierung ab, sodass in wenigen Jahren ein Areal von 120 Hektar mit bester Verkehrsanbindung zur Verfügung stehen wird ­ für Neuansiedlungen, an die man noch nicht so recht glaubt. Außerdem steigt der Bürgermeister schon bald aus dem Zweckverband aus, der das Raffineriegelände kaufen und vermarkten soll. Dieses Konstrukt, an dem Wörth, Karlsruhe und der Landkreis Germersheim beteiligt sind, wird nicht viel zuwege bringen, ahnt Seiter. Zu unterschiedlich sind die Interessen. Von jetzt ab verhandelt er allein mit Mobil Oil.

Die Wende zum Besseren kommt in Person von Wolfgang Palm, Papierfabrikant in vierter Familiengeneration aus dem württembergischen Aalen. Palm sucht entlang des Rheins nach einem Standort für ein neues Werk, die größte Papiermaschine der Welt mit einer Kapazität von 600000 Tonnen Rohpappe pro Jahr. Er hat erfahren, dass Wörth genug Platz für eine solche Fabrik hat. Auf dem Areal steht allerdings noch eine Raffinerie, sagt man ihm.

Palm sieht sich das Gelände an und weiß sofort: Hierhin muss die Fabrik. Die Verkehrsanbindung könnte nicht besser sein: Der Standort liegt direkt am Wörther Hafen, Bahnschienen führen bis aufs Werksgelände, die Autobahn ist nur zwei Kilometer weit weg. Zudem liegt Wörth nur rund 30 Kilometer entfernt von einer kleineren, älteren Papierfabrik in Malsch. Die könnte Palm stilllegen, ohne jemanden zu entlassen. Seine Papierwerker würden eben künftig nach Wörth zur Schicht fahren statt nach Malsch.

Gleich nach dem ersten Gespräch mit dem Fabrikanten ist Harald Seiter klar: Wir bekommen 150 neue Arbeitsplätze ­ aber es darf nichts in die Öffentlichkeit. Auch nicht im Wahlkampf. "Ich setze auf allerhöchste Diskretion", hat der Investor gesagt. Und wie hat Seiter reagiert? "Der Herr Bürgermeister hat das so akzeptiert", sagt Wolfgang Palm heute, acht Jahre später. "Er hat mir in die Augen geschaut, und dann war klar, dass wir das so machen."

Auf keinen Fall dürfen Palms Wettbewerber von dem Plan erfahren. Der Papiermarkt verträgt höchstens eine Fabrik mit einer derartigen Kapazität. Nur der Erste kommt durch. Bekäme ein Konkurrent Wind von Palms Neubau in Wörth, könnte der ihn noch überholen ­ zumal Palm das Risiko trägt, dass Demontage und Sanierung auf dem Baugelände sich länger hinziehen als geplant.

Niemand weiß, dass Bürgermeister und Investor sich regelmäßig treffen und ver- handeln. Es gibt keine Aktenvermerke, keinen Letter of Intent, keine Pressemitteilung, keine Einträge in den Terminkalender. Nur Gespräche. Und ein "So machen wir's". Den Stadtrat, laut Kommunalverfassung das politische Machtzentrum der Stadt, informiert Seiter nicht. Nicht einmal die Fraktionschefs, nicht einmal die politischen Freunde von der CDU, nicht einmal die Familie des Bürgermeisters wissen etwas vom Palm-Projekt. Im Wörther Rathaus werden irgendwann der Kämmerer und der Leiter der Bauverwaltung ins Vertrauen gezogen ­ und zum Schweigen verdonnert. Auf den Bauplänen steht nicht Wörth oder Palm, sondern Schanghai.

Seiter fährt einen riskanten Kurs. Er, die Spitze der Exekutive, verhandelt am Parlament vorbei über eine riesige Investition ­ wohl wissend, dass die Politiker dem Vorhaben letztlich zustimmen müssen. Ohne ein Plazet des Stadtrats kann Palm nicht bauen. Manchmal fragt der Investor den Bürgermeister, ob er denn eine Mehrheit für das Vorhaben bekommt. "Kriegen Sie das durch?" ­ "Ja, ja", sagt Seiter dann, "das wird schon." Zwischenzeitlich muss Palm sogar befürchten, dass er nach den Wahlen mit einem anderen Bürgermeister weiterverhandeln wird. Aber Seiter wird wiedergewählt, wenigstens das.

Keinerlei Sicherheiten ­

aber viel Vertrauen

Was aber, wenn ein brüskierter Rat sich sperrt und dem Bürgermeister eine Retourkutsche verpasst, wenn die Stadträte zusätzliche Bedingungen stellen und das Projekt so lange zerreden und verschleppen, bis Palms Vorsprung dahin ist? Der Fabrikant hat schon einen Millionenbetrag in Planungen und die Vorbereitung von Genehmigungsverfahren investiert. Und noch immer gibt es keinen Vertrag über den Kauf des Geländes. Wie auch, ohne Ratsbeschluss? "Ich hatte keinerlei Sicherheiten", sagt Wolfgang Palm, "aber ich hatte Vertrauen in Herrn Seiter." Palms Vertrauen in den Bürgermeister ist so unverbrüchlich, dass er während der ganzen Zeit, immerhin anderthalb Jahre, nie mit einer anderen Kommune verhandelt, um möglicherweise noch bessere Bedingungen herauszuholen.

Erst als alles unterschriftsreif ist, am 5. Dezember 2000, informiert Harald Seiter die Fraktionen. Er stellt die Politiker vor vollendete Tatsachen. "Es ist alles so verhandelt, dass nichts mehr geändert werden kann", macht er klar und setzt ­ immer noch ohne Stadtratsbeschluss über den Bau der Fabrik ­ für den Tag darauf eine Pressekonferenz mit dem rheinland-pfälzischen Wirtschaftsminister an. Der lässt erst ausrichten, er könne nicht kommen, so kurzfristig. Dann nennt Seiter am Telefon zwei Zahlen ­ 150 neue Arbeitsplätze, 800 Millionen Mark Investitionsvolumen ­ und plötzlich hat der Minister doch Zeit für einen Abstecher nach Wörth.

Vier Tage später, nachdem alle Zeitungen ausführlich die Fabrik und 150 neue Arbeitsplätze bejubelt haben, kommt der Stadtrat zur entscheidenden Sitzung zusammen. "Er hat den Bau der Papierfabrik einstimmig beschlossen", sagt der Bürgermeister. Was nicht ganz stimmt. Die Abgeordneten der Grünen enthalten sich ­ ihnen ging das Ganze dann doch etwas zu schnell. "Es ist uns gelungen, dem Stadtrat in diesen fünf Tagen zu vermitteln, dass die Papierfabrik die einzige Chance ist, aus dieser Industriebrache etwas Vernünftiges zu machen", beschreibt Seiter heute in nüchternen Worten die damalige Seelenmassage. Dass seine Partei, die CDU, im Rat über die absolute Mehrheit verfügt, gibt ihm eine gewisse Sicherheit.

Die befürchtete Revolte bleibt aus. Es gibt keinen Kampf hinter den Kulissen, keinen Aufstand der Abgeordneten, nicht einmal eine öffentliche Rüge für den Bürgermeister. Und keinerlei Kompensationsgeschäfte ­ ein Beigeordnetenposten hier, ein Zuschuss für den Sportverein dort. "Der eine oder andere hat mein Verfahren möglicherweise als Zwangssituation empfunden", erinnert sich Seiter nur, "das führte zu Grummeln und Verstimmung. Aber letztlich hat der Stadtrat sich in seiner Rolle beschieden." Was bleibt ihm auch anderes übrig? Wer will schon dastehen als derjenige, der 150 neue Jobs gefährdet? Gegen die Papierfabrik zu stimmen hätte politischen Selbstmord bedeutet.

Bis heute fragt sich der Politiker Seiter manchmal, "ob man so ein Vorgehen wie bei Palm eigentlich vertreten kann". Stand ihm die Macht, die er beanspruchte, tatsächlich zu? Durfte er die Stadtparlamentarier behandeln wie Schulbuben? Die Antwort gibt Seiter, der Pragmatiker: "Wenn Sie Macht und Befugnis haben, müssen Sie bereit sein, die auch auszuüben." Das Verfahren, nun ja, das sei "sehr wohl zu kritisieren, aber es war nun mal der einzige Erfolg versprechende Weg. Hätten mehr Leute davon gewusst, wäre das Ding garantiert zerfleddert und zerredet worden."

Seiter hatte gehofft, dass die Papierfabrik als Initialzündung wirken würde, dass das Beispiel Palm weitere Investoren infiziert und ihr Geld nach Wörth lenkt. Und genau das ist geschehen. Bald wird ThyssenKrupp auf dem früheren Raffineriegelände ein "Metallcenter" für die Fertigung von Spezialblechen mit 120 Beschäftigten in Betrieb gehen lassen. Gleich nebenan hat sich bereits eine Spe- dition niedergelassen, DaimlerChrysler wertet seine Lkw-Fabrik mit einem Entwicklungs- und Versuchszentrum samt Teststrecke auf, in dem künftig 350 Ingenieure ihren Arbeitsplatz haben werden. Und Wolfgang Palm investiert noch einmal 300 Millionen Euro in ein neues Wellpappenzentrum neben der Papierfabrik. Wenn im nächsten Frühjahr alles fertig ist, werden dort 220 Menschen arbeiten.

Das Kaff bei Karlsruhe ­

ein Magnet

Die ThyssenKrupp-Manager wussten mit Wörth anfangs nicht viel anzufangen. Irgend so ein Kaff bei Karlsruhe halt. "Dann haben wir kurz erwähnt, wer schon hier ist", erzählt Seiter vergnügt, "DaimlerChrysler mit 10000 Beschäftigten und Palm mit der größten Papiermaschine der Welt. Von da an liefen die Gespräche ganz anders."

Alles in allem hat Seiter seit seiner letzten Wiederwahl 1999 etwa dreimal so viele neue Jobs nach Wörth geholt wie zuvor durch die Stilllegung der Raffinerie weggefallen waren. Es hätten noch mehr werden können, aber Recyclingbetriebe hat man abgewiesen, und weitere Logistiker sind auch nicht mehr willkommen, weil sie viel Fläche verschlingen und mit ihren Trucks bei Tag und Nacht durch die Stadt donnern. Im Jahr 2007 heißt es in Wörth: "Wir nehmen nicht mehr jeden."

Sämtliche Verhandlungen hat der Bürgermeister ohne öffentliches Begleittrommeln geführt. Der Erfolg gibt ihm Recht. "Mittlerweile haben die politischen Vertreter hier in Wörth akzeptiert, dass wir erst an die Öffentlichkeit gehen, wenn alles unter Dach und Fach ist." Ihm persönlich kommt das sehr entgegen. "Ich bin ohnehin nicht derjenige, der sich als großer Zampano in den Vordergrund stellt." Seiter über Seiter. Schaumschlägerei ist nicht Sache des Verwaltungschefs, der bescheiden in einer Eigentumswohnung lebt. Die letzte Auflage der Imagebroschüre "Wörtherbuch" ist von 2003, die meisten Daten sind veraltet. "Wir müssten mal eine neue in Auftrag geben", sagt Seiter. Aber er macht dabei nicht den Eindruck, als würde er gleich anschließend eine Beschlussvorlage für die nächste Ratssitzung verfassen.

Seiter regiert über eine Stadt fleißiger Arbeitsbienen. Er sorgt für Prosperität ­ allerdings auf kulturell recht dürftigem Niveau. Wörth ist die stadtgewordene Devise "Jobs, Jobs, Jobs!". Das Beschauliche, Gemütliche der Pfalz fehlt völlig. Das heutige Zentrum der Stadt wurde in der Wachstums-Euphorie der sechziger und frühen siebziger Jahre gebaut; es dominieren breite Straßenschneisen und alt gewordener Neubaubeton: uniforme Wohnblocks, kantige Verwaltungsbauten, eine trostlose Fußgängerzone, in die sich nur wenige Kaufwillige verirren. Man steht in dieser Kaufzone und wünscht sich Abrissbagger.

Wenn der Bürgermeister mal einen Besucher zum Essen einlädt, fährt er ins Feinschmecker-Restaurant "Zur Krone" ins malerische Fachwerk-Dorf Herx-heim-Hayna, zehn Autobahnminuten entfernt, wo würziger Duft von getrockneten Tabakblättern in der Luft liegt. In der eigenen Stadt "gibt es ja nicht mal ein Schild 'Herzlich willkommen in Wörth' am Ortseingang", bemängelt SPD-Fraktionschef Wolfgang Faust. Wozu auch? Die Investoren wissen inzwischen ohne Begrüßungsschild, dass sie willkommen sind.

Seiter mag die beste Ansiedlungspolitik weit und breit betreiben ­ eine Fantasie, wie seine Stadt in 10, 15, 20 Jahren aussehen soll, wofür sie überhaupt steht außer für Arbeitsplätze, ist ihm nicht zu entlocken. Er ist nun mal kein Visionär. "Wir haben einen Bürgermeister, für den sich Politik in der Wirtschaftsförderung erschöpft", kritisiert die grüne Fraktionssprecherin Ursula Radwan. Die Grünen forderten einmal, ein Stadtentwicklungskonzept für Wörth in Auftrag zu geben. Völlig überflüssig, fand Seiter: "Wir haben doch den Flächennutzungsplan."

Seiter ist kein Volkstribun, der ein Bierzelt zum Beben bringt. Eher verkörpert er den Typus des pragmatischen "back seat driver", der clever auslotet, was machbar ist und wie man's richten kann. "Ein weitsichtiger Mann", lobt Martin Daum, der Leiter des DaimlerChrysler Lkw-Werks. "Er tut nicht nur alles für den Daimler, sondern schaut immer, dass auch andere zum Zuge kommen." Und das schnell: Dank bester Kooperation mit dem Landkreis Germersheim kann Seiter denkbar kurze Genehmigungsverfahren vorweisen. In nur vier Monaten hatte ThyssenKrupp die Baugenehmigung für das Metallcenter. "Das lief unglaublich schnell und absolut professionell", urteilt Ralf Schmid, der örtliche Geschäftsführer. "Andere schaffen das in der Zeit nicht."

Die Unterlagen werden nicht wie üblich von einer Behörde zur nächsten gereicht, sondern in den zuständigen Ämtern parallel bearbeitet. Im Fall des neuen DaimlerChrysler-Entwicklungszentrums hat Seiter das Kunststück vollbracht, 185 Landbesitzern ihre Felder abzukaufen und gleichzeitig das Genehmigungsverfahren anzukurbeln. Das Ergebnis: "Drei Tage nach dem Kauf des letzten Grundstücks lag die Baugenehmigung vor."

Beste Bedingungen ­

null Spirenzchen

Auch Wolfgang Faust, Fraktionschef der Sozialdemokraten, die seit mehr als einem Vierteljahrhundert vergeblich gegen das Bürgermeister-Bollwerk Seiter anrennen, weiß nicht so recht, was seine Partei in puncto Wirtschaftsförderung besser machen würde. "Der Bürgermeister und ich sind da auf einer Wellenlänge."

Seiter hat keine Hightech-Flausen im Kopf wie die Wirtschaftsstrategen in Karlsruhe, direkt gegenüber auf der anderen Seite des Rheins und trotzdem Lichtjahre entfernt. Er ist sich nicht zu schade, seine Stadt als Standort für vermeintlich schnöde Produktionsbetriebe zu vermarkten. Was soll's ­ die Bürger weiß er auf seiner Seite. "Die Wörther sind industrieaffin", sagt Marcus Ehrgott, Wirtschaftsförderer in Germersheim. Der Großteil der Bevölkerung ist nach Wörth gezogen, weil es hier gutes Geld für gute Arbeit gab; man ist froh über jede neue Fabrik.

Auf einen teuren Subventionswettlauf mit anderen Kommunen hat Seiter sich nie eingelassen. Wenn ein Unternehmer andernorts einen Bürgermeister findet, der ihm das Investment mit Barem versüßt ­ soll er eben dahin gehen. "Für alles, was sich innerhalb des Fabrikzauns abspielt, gibt es in Wörth keinen Cent" ­ so hat Seiter es bislang gehalten, und so soll es auch künftig sein. "Wenn man einmal anfängt mit dem Geldverteilen, kommt man nicht mehr davon weg." Nicht lange her, da hat es einen Investor gegeben, der von der Stadt eine Prämie für jeden neu geschaffenen Arbeitsplatz verlangte. Seiter ließ ihn ziehen.