Saubere Sache

Fusionen sind sensibel. Aus Wettbewerbern sollen Partner werden, und keiner will am Ende verlieren. Ein emotionales Geschäft, bei dem nicht selten Werte vernichtet statt geschaffen werden. Ein neutraler Berater in der Mitte, der die Interessen beider Seiten wahrt, könnte helfen. Theoretisch.
In der Praxis half ein „Clean Team“ von McKinsey, aus den konkurrierenden Unternehmen Usinor, Arbed und Aceralia den Konzern Arcelor zu schmieden. Er zählt zu den erfolgreichsten Stahlunternehmen weltweit – und gewährt erstmals Einblick in die heikle Phase des Fusionsprozesses.




Guy Dollé, CEO und Chairman des Group Management Board beim Stahlkonzern Arcelor, liebt Teamarbeit. Bis zu seinem 35. Lebensjahr hat er Fußball gespielt, „es war nicht die erste Liga, aber eben auch nicht die Thekenmannschaft“, sagt er, und es schwingt ein bisschen Stolz mit. In seinem Büro hat er drei Fußbälle auf einem Sideboard aufgereiht. Sie lagen auch schon in seinem Büro in Paris, als Dollé noch als zweiter Mann des Konzerns Usinor den Edelstahl-Bereich leitete. Einer der Bälle ist von dem Trainer signiert, der die Franzosen 1998 zur Weltmeisterschaft führte. „Fußballtrainer und CEOs werden ja gern miteinander verglichen“, sagt Dollé. Den Schluss lässt er seinen Gast selbst ziehen.

Direkt neben Dollé, nur durch das Sekretariat getrennt, hat Joseph Kinsch, der Chairman des Board of Directors von Arcelor, sein Büro. Besucher empfängt er gern in einem kleinen Raum gegenüber. Das Interieur ist klassisch. An der Wand hängt in goldenem Rahmen ein Porträt vom Gründer des Stahlkonzerns Arbed. Kinsch war fünf Jahre lang Arbeds Vorstandsvorsitzender, bevor er das Amt 1998 an Fernand Wagner abgab und sich, 65 Jahre alt, auf den Aufsichtsratsvorsitz konzentrierte: Höhepunkt einer mehr als 40-jährigen Arbed-Karriere. Kinsch begann sie 1960 nach seinem Wirtschaftsstudium in einem der Stahlwerke. Lange stand Arbed für Kinsch und Kinsch für Arbed. Sein Wort war Gesetz.

Heute regieren Dollé und Kinsch gemeinsam. Arcelor. Im „Schloss“, dem Sitz der früheren Arbed in der Luxemburger Innenstadt, leitet das Duo den Konzern, der im Februar 2002 aus dem Zusammenschluss dreier Stahlkonzerne hervorgegangen ist: der französischen Usinor, Arbed aus Luxemburg sowie der spanischen Aceralia.

Die Fusion machte Arcelor zur Nummer eins der Stahlbranche – mit einer Produktion von 40,2 Tonnen Rohstahl und zirka 98.000 Mitarbeitern in rund 60 Ländern. Und sie ersparte dem verschmolzenen Konzern enorme Kosten, allein 2003 mehr als 400 Millionen Euro. Ab 2006 soll die Einsparung sogar mehr als 700 Millionen Euro jährlich betragen.

Vor wenigen Jahren waren ruinöse Preiskämpfe in der Stahlindustrie an der Tagesordnung. Statt wie früher über eine niedrige Marge und ein hohes Volumen Gewinne zu machen, achtet man heute vor allem auf eine angemessene Gewinnspanne. Zudem entwickelt sich die Stahlnachfrage prächtig. Vor allem China braucht Stahl in Massen. Seit rund zwei Jahren klettern die Preise. „2004 ist ein ganz außergewöhnliches Stahljahr“, meint Guy Dollé. 

Der Erfolg des Zusammenschlusses war nicht immer sicher. „Wenn wir das hier nicht gehabt hätten, wäre aus der Fusion wahrscheinlich nichts geworden“, sagt Dollé, und blättert durch einen dicken Ordner. In Zahlen gegossene Synergien. Kennziffern, Fakten. Vor mehr als vier Jahren in einer Phase kalkuliert, in der die drei Konzerne noch längst nicht miteinander verschmolzen waren. „Diese Zahlen waren die Rechtfertigung für eine Fusion“, sagt Dollé. „Als die Verhandlungen schwer waren, haben sie uns immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt.“

Neutrale Instanz in der Mitte

Geliefert hat die Daten eine Beratertruppe, die selten zum Einsatz kommt. McKinsey nennt sie Clean Team, und der Name ist Programm. Clean Teams sind neutrale Bewerter-Gremien, die Fusionskandidaten mehr Klarheit über den Wert eines möglichen Zusammenschlusses verschaffen. Sie sollen prüfen, ob die Geschäftspläne der Unternehmen plausibel und welche Synergien möglich sind. Ihre Arbeit unterliegt strengen Regeln: Eine Gruppe neutraler Berater erhält von den beteiligten Unternehmen sensible Informationen über deren Geschäft. Die jeweils andere Seite hat keinen Zugriff auf die Daten.

Das Clean Team arbeitet in einer Art Blackbox. Alle Unternehmensdaten bleiben streng unter Verschluss. An die beteiligten Manager gehen nur konsolidierte Zahlen. Auf allen Seiten bilden Partner der Unternehmensberatung die Verbindung zwischen Clean Team und Unternehmen. Sie haben in der Regel lange mit dem jeweiligen Konzern gearbeitet, der Blick in die Rohdaten der Gegenseite ist jedoch auch für sie tabu. Die Partner dürfen nur mit den konsolidierten Zahlen und den bereinigten Informationen des von ihnen betreuten Klienten arbeiten. Sie sind die Vertrauenspersonen der Unternehmen. Das Clean Team ist die unabhängige Instanz in der Mitte.

Wer etwa über eine Fusion mit einem bisherigen Wettbewerber nachdenkt, braucht so viele Informationen wie möglich über dessen Geschäfte. Das steigert die Sicherheit, die richtige Entscheidung zu treffen. Einem direkten Informationsaustausch stehen jedoch sowohl rechtliche als auch eigennützige Interessen der Kandidaten entgegen. Konkurrenten ist es verboten, Daten wie Preise ihrer Waren oder eingekaufter Materialien zu teilen. Nur Informationen über Fertigungskosten dürfen Mitbewerber preisgeben. Doch auch die rücken sie naturgemäß nur ungern heraus – falls aus der Fusion nichts wird.

Auch andere wichtige Fragen für die Abschätzung von Synergien durch die Überlappung der Kundenbasis oder des Vertriebsnetzes können an sich nicht ohne den Austausch sensibler Informationen geklärt werden. Ein Clean Team kann das steuern. Es nutzt Informationen schnell und effektiv, identifiziert Probleme, spielt die Ergebnisse aggregiert zurück und schlägt Lösungen vor. Vertraulich. Platzt das avisierte Geschäft, gehen die zur Verfügung gestellten Dokumente an die Unternehmen zurück. Die vom Team verdichteten Daten werden vernichtet. Und wer in der Truppe gearbeitet hat, darf mindestens zwei Jahre für keines der beteiligten Unternehmen aktiv werden.

An fehlenden Informationen ist schon so mancher ehrgeizige Plan eines Zusammenschlusses gescheitert – oder die Ergebnisse blieben zumindest unbefriedigend. In knapp der Hälfte aller Fusionsfälle, so das Fazit einer McKinsey-Studie, lagen die erzielten Einsparungen deutlich unter den Erwartungen, acht Prozent erreichten nicht einmal die Hälfte der erhofften Synergien. Nicht wenige fusionierte Konzerne ächzen noch heute unter Überraschungskosten der Integration in Milliardenhöhe.

Die Arbeit eines Clean Teams kann sich vor allem für branchenführende Unternehmen rechnen, die eine Fusion planen: Auch wenn die neutrale Gruppe keinerlei kartellrechtlich relevante Ratschläge gibt, so kann sie doch auf potenzielle Probleme hinweisen und Diskussionen anstoßen. Einigen sich die Partner später auf eine Fusion, können sie so Zeit sparen. Zudem gewinnen potenzielle Geschäftspartner in der von den neutralen Beratern betreuten Phase der Vorbereitung Vertrauen zueinander. Ein nicht zu unterschätzender Faktor, wenn sie bislang erbitterte Konkurrenten waren.

Vertrauen schaffen, wo Spannungen dominieren

Das war auch für die drei Stahlkonzerne von entscheidender Bedeutung. Besonders die Beziehung zwischen der französischen Gesellschaft Usinor und dem Luxemburger Konkurrenten Arbed war Ende der neunziger Jahre angespannt. Arbed hatte 1995 die Klöckner-Stahl GmbH Bremen gekauft und damit die Hoffnung der Branche zerstört, Überkapazitäten abbauen zu können. Zwei Jahre später, 1997, erhielt Arbed an Stelle des französischen Konkurrenten den Zuschlag für eine 35-prozentige Mehrheitsbeteiligung bei der spanischen Aceralia. Doch Ende der neunziger Jahre kann man sich Empfindlichkeiten nicht leisten. Die Stahlindustrie steckt in der Krise. Eine Konsolidierung der Branche erscheint unausweichlich.

Guy Dollé hat damals noch ein winziges Büro im 24. Stock des Pacific-Turms im Pariser Hochhausviertel La Défense. An der Spitze von Usinor steht Francis Mer, der spätere Finanzminister Frankreichs. Dollé ist seit 1999 zweiter Mann im Konzern. Er leitet die Sparte „rostfreier Stahl“. Auf Konferenzen trifft er immer wieder Paul Matthys, den Chef der gleichen Sparte bei Arbed. Die beiden beginnen zu reden. Und beschließen irgendwann, ein Clean Team von McKinsey mit der Prüfung der Synergiepotenziale im Falle einer Kooperation zwischen ihren Sparten zu beauftragen. Die Studie erhält den Namen „Brite“.

Kurz vor Ostern 2000 liegen die Ergebnisse vor. Dollé und Matthys treffen sich zum vertraulichen Lunch im Pacific. Sie sind zufrieden. „Aber wir waren uns auch einig“, sagt Dollé heute, „dass wir das Thema Fusion nicht nur auf unsere Sparten beziehen, sondern etwas ehrgeiziger angehen wollten.“

Die Diskussion schwelte seit Monaten. Bei Usinor liefen bereits Studien, welcher Partner sich unter den Kandidaten ThyssenKrupp, Corus und Arbed für eine Fusion auf Unternehmensebene am besten eignen würde. Wenig später stand die Antwort fest: Arbed. Durch die 35-prozentige Mehrheitsbeteiligung Arbeds an Aceralia waren die Spanier mit im Boot. Eine Fusion würde zwar Konsequenzen für alle drei Unternehmen haben. Die Verhandlungen sollten jedoch nur zwischen zwei Parteien laufen: Usinor und Arbed.

Im Frühsommer versucht Dollé, das Eis zu brechen. Am Telefon fragt er Matthys, was wohl die Antwort des Arbed-Chefs Fernand Wagner wäre, wenn Francis Mer, Nummer eins bei Usinor, ihn anrufen und eine Fusion vorschlagen würde. Die Antwort kommt prompt: Wagner heißt Mer willkommen. Die beiden Konkurrenten treffen sich erstmals im Juli 2000. Und beschließen den Einsatz eines zweiten Clean Teams, um das Potenzial eines verschmolzenen Unternehmens zu prüfen.

Risikoloses Arbeiten in der Blackbox

In einem separaten Raum im Brüsseler Büro von McKinsey & Company startet die Studie „Brite +“. Die Projekt-Regeln sind streng. Nur wer an Brite + arbeitet, hat Zugang zu dem Zimmer. Die Dokumente lagern in verschließbaren Schränken. Auf einer Liste wird akribisch festgehalten, welche Informationen der beiden Firmen sich wo im Raum befinden. Kopieren ist verboten. Bis zu fünf Leute arbeiten im Clean Team. Sie kommen aus Frankreich und Belgien, die Kultur beider Unternehmen soll vertreten sein.

Keiner der Berater hat je für einen der beiden Auftraggeber gearbeitet. Drei Monate lang analysieren sie Rohdaten und verarbeiten sie zu konsolidierten Zahlen. Zwischenergebnisse präsentieren sie dem Topmanagement der beteiligten Firmen, dem „Stahl-Komitee“. Es tagt jeden zweiten Samstag in Brüssel. Neutrales Terrain. Treffpunkt ist in der Regel das Büro der Unternehmensberatung. Wagner kommt mit seinem Team, Kollegen und McKinsey-Berater, aus Luxemburg mit dem Auto. Mer und Dollé besteigen mit ihren Vertrauten morgens um sieben Uhr in Paris den Zug. Am Brüsseler Bahnhof stehen Wagen bereit. Die Fahrt endet regelmäßig in der Tiefgarage der Unternehmensberatung. Manchmal auch in einem Hotel bei Brüssel. Die Räume werden unter Privatnamen gebucht. Alles bleibt vertraulich.

Und die Fusion wird mit jedem Treffen konkreter. Am Anfang prüft das Clean Team die aktuellen Geschäftspläne der potenziellen Partner. Abweichende Erwartungen von Inflationsraten oder Wechselkursen werden angeglichen. Dann die Frage: Sind die Vorhersagen realistisch, allen voran die Schätzung zukünftiger Marktanteile? Schnell zeigt sich: Beide Seiten haben den eigenen Teil am Kuchen unter der Annahme kalkuliert, ihren nunmehr potenziellen Fusionskandidaten Anteile streitig zu machen. Die reine Addition ergibt in vielen Segmenten eine unrealistisch hohe Zahl, das Team stutzt sie auf ein angemessenes Maß. Im Segment „verzinkter Stahl“ reicht der kalkulierte Marktanteil dennoch nahe an 50 Prozent – eine marktbeherrschende Position. Also prüft das Team, welche Betriebsteile verkauft werden könnten, um unter der kritischen Marke zu bleiben – eine strategische Vorbereitung für die Prüfung des Zusammenschlusses durch das Kartellamt. Im Stahl-Komitee werden die Ergebnisse diskutiert. Und wieder: Die Vertreter beider Unternehmen sehen lediglich konsolidierte Zahlen.

Vergleichen, prüfen, bereinigen, konsolidieren

Das gilt auch für den Vergleich der Kundenstrukturen. In welchen Bereichen bedienen die Konzerne dieselben Konsumenten? Könnte das zu einem Verlust von Marktanteilen führen? Die Befürchtung ist berechtigt, das zeigt sich in der Automobilindustrie: Die meisten Autokonzerne beziehen ihr Material bei mindestens zwei Anbietern, so wahren sie ihre Unabhängigkeit. All jene Konzerne, die zuvor ausschließlich bei zwei der drei Fusionskandidaten eingekauft haben, dürften in Zukunft einen weiteren Lieferanten hinzuziehen. Die Erfahrung lehrt, dass in derartigen Situationen zwei bis fünf Prozent aller Kunden verloren gehen.

Während der ersten Treffen in Brüssel drehen sich die Diskussionen vor allem um Zahlen. Die Fronten sind klar: Die Usinor-Manager sitzen auf der einen Seite des Raums, ihnen gegenüber die Mannschaft von Arbed – ohne den Aufsichtsratsvorsitzenden Joseph Kinsch. Er bleibt vorerst graue Eminenz und zieht die Fäden im Hintergrund. Mit der Zeit lockert sich die Sitzordnung auf. Man lernt sich kennen, das Vertrauen wächst. Und damit auch die Bereitschaft, rechtlich unbedenkliche, aber dennoch heikle Daten miteinander zu teilen. Produktionskosten zum Beispiel. Ein spürbarer Fortschritt. Jedes Meeting ist minutiös geplant. Beide Seiten müssen einen Tag vor den Treffen absegnen, welche Daten im Komitee offen gelegt werden dürfen. Auf den Dokumenten, die das Clean Team zur Freigabe vorlegt, sind die Informationen des anderen Unternehmens jeweils geschwärzt.

Auch die Zeit nach der Fusion wird ausgiebig diskutiert. Die Berater untersuchen die Fertigungsstandorte, vergleichen Produktionskosten und Kapazitäten, prüfen Investitionspläne und werten die Qualität der Fertigungsprozesse aus. Schnell ist klar: Die direkt am Meer gelegenen Standorte sind die kostengünstigsten. Die Rohstahlerzeugung im Landesinnern – in Lothringen, Lüttich, aber auch in den beiden deutschen Fertigungsstätten Bremen und Eko Stahl im ostdeutschen Eisenhüttenstadt – sind unwirtschaftlicher. Es wäre sinnvoll, einige Hochöfen stillzulegen.

Die Berater entwickeln Szenarien, rechnen verschiedene Entscheidungen durch und präsentieren sie dem Stahl-Komitee. Dessen Mitglieder sind sich einig, Überkapazitäten abbauen zu wollen. Doch die Entscheidung, welche Standorte betroffen sein werden, bleibt offen. „Die Unterschiede in der Höhe möglicher Einsparungen waren marginal“, sagt Guy Dollé rückblickend, „es wäre unsinnig gewesen, zu diesem Zeitpunkt harte Fronten zu schaffen.“

Eine kluge Entscheidung: Später, nachdem die Fusion beschlossen und genehmigt ist, wird die Ankündigung Arcelors, nicht mehr in die Binnenstandorte zu investieren, zu Massendemonstrationen der Arbeitnehmer führen. Tausende Stahlarbeiter werden streiken. Vor der Konzernzentrale in Luxemburg werden sie Steine werfen und neben der ehemaligen Pariser Börse Plakate in Flammen aufgehen lassen. Doch das passiert erst Anfang 2003. Der Zorn derer, die um ihren Arbeitsplatz bangen, wird sich im Jahr 2000 noch nicht entladen.

Nach drei Monaten sind die Synergien evaluiert, die Fusionspläne verfestigen sich. Francis Mer und Fernand Wagner unterzeichnen eine Vereinbarung und geben ihre Pläne im Februar 2001 auf einer Pressekonferenz bekannt. Der Markt reagiert positiv. Wenig später klopfen die Stahlmanager in Brüssel erstmals die Chancen auf eine Genehmigung ihrer Vorhaben ab. Eine Ernüchterung: Brüssel kritisiert die bisherige Vereinbarung als zu unverbindlich.

In Zahlen gegossene Vernunft kühlt Emotionen ab

Der Rückschlag fällt in eine kritische Phase des Fusionsprozesses: Nachdem die Fakten geklärt sind, diskutieren die Vertreter der beteiligten Unternehmen die Führungsfrage. Wer soll den verschmolzenen Konzern leiten? Das Thema ist sensibel, die Fusion steht auf der Kippe. Emotionen kochen über. Die McKinsey-Partner versuchen zu vermitteln. Auf beiden Seiten. Berufen sich auf die ermittelten Zahlen und Ziffern. Mahnen die Besinnung auf die gemeinsam erkannten Chancen an. Rationale Entscheidungen? „Es gibt viele Emotionen bei einer Fusion. Man braucht Fakten, auf die man sich in Verhandlungskrisen besinnen kann“, sagt Dollé heute.

Dann, endlich, eine Lösung: Der bisherige Arbed-Chef Wagner soll das neue Unternehmen Arcelor leiten. Francis Mer, bisher die Nummer eins bei Usinor, willigt ein, sich mit Joseph Kinsch den Vorsitz des Aufsichtsrats zu teilen. So wird es beschlossen, doch die Entscheidung führt in der Praxis bald zu Spannungen. Wagner beschließt, zwei Jahre früher als geplant in den Ruhestand zu gehen. Dollé, eigentlich erst später für die Position vorgesehen, soll die Führung übernehmen. Die Krise ist gebannt.

Im Juni 2001 reichen die Unternehmen ihre Unterlagen bei der Europäischen Kommission ein. Die Verhandlungen mit dem Kartellamt dauern länger als erwartet, dann endlich, Ende November, grünes Licht aus Brüssel. Es kostet noch einige Mühe, endgültig die Parität festzulegen, in der die Aktien der einzelnen Unternehmen in Wertpapiere des fusionierten Konzerns getauscht werden. Aber am 18. Februar 2002 geht Arcelor in Paris, Luxemburg, Madrid und Brüssel an die Börse.

Im neuen Unternehmenssitz in Luxemburg flimmern die ersten Kursnotierungen über große Bildschirme. Davor, angespannt, sitzen der CEO Guy Dollé und die beiden Co-Aufsichtsratsvorsitzenden Joseph Kinsch und Francis Mer. Der Franzose wird erst wenige Monate später dem Ruf nach Paris folgen und den Posten des Finanzministers übernehmen. Die drei Väter Arcelors erleben einen erfolgreichen Einstieg ihres Unternehmens. Am Ende des ersten Handelstages ist der Kurs um zehn Prozent gestiegen. Die drei sind zufrieden. Die Zahlen stimmen. Die Gefühle auch.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.