Gesundheit!

Starke Leistung und gute Gesundheit sind zwei Seiten einer Medaille, für Menschen ebenso wie für Unternehmen. Performance and Health, ein neues Konzept von McKinsey & Company, macht Konzerne fit für die Erfüllung kurzfristiger Ergebniserwartungen – und für die Zukunft.




Unternehmen sind wie Menschen. Sie können nur dann mit langfristigen Erfolgen rechnen, wenn sie ihr Geschäft gesund entwickeln. Und so wie Menschen gut beraten sind, regelmäßig Sport zu treiben und sich kontinuierlich sinnvoll zu ernähren, statt sich einmal im Jahr mit Radikaldiäten in Form zu hungern, sollten auch Manager nicht nur an der kurzfristigen Leistungsfähigkeit, sondern auch an der langfristigen Kondition ihres Unternehmens arbeiten.

n den vergangenen Jahren haben sich die Unternehmen stark auf die Erfüllung kurzfristiger Performance-Erwartungen konzentriert, oft zu Lasten der dauerhaften Gesundheit des Unternehmens. Der Einbruch der in der Dotcom-Zeit überhitzten Kapitalmärkte und die Konjunkturschwäche um die Jahrtausendwende lösten in den USA und Europa die größte Pleitewelle seit Jahrzehnten aus. Zehn der fünfzehn teuersten Konkurse in der Geschichte der USA ereigneten sich nach dem Januar 2001. Fast 200 Milliarden US-Dollar Abwicklungsmasse fielen 2001 an; im Folgejahr waren es sogar mehr als 300 Milliarden US-Dollar.

Vor diesem Hintergrund wurde für einige Unternehmen das pure Überleben zur Notwendigkeit, auch wenn dies teilweise bedeutete, die langfristige Geschäftsentwicklung zu Gunsten kurzfristiger Ergebnisverbesserungen zu opfern.

Der Unternehmenswert jedoch wird stark durch die langfristige Performance des Unternehmens und nicht nur durch kurzfristige Ergebnisse bestimmt. Unternehmensführer sollten sich daher künftig an zwei Maßstäben messen lassen: einerseits an den kurzfristig erzielten Leistungen, andererseits daran, in welchem Umfang es ihnen gelingt, die langfristige Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu steigern – mit anderen Worten: wie sie die Gesundheit des Unternehmens managen.

Leistungsfähigkeit, Belastbarkeit und Nachhaltigkeit

Die kurzfristige Leistung misst sich in finanziellem und operativem Output, also Gewinn, Umsatz und Marktanteil. Gesundheit dagegen meint die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit des Unternehmens, diese Leistungen nachhaltig zu garantieren und langfristig zu wachsen. Entscheidend für die Gesundheit eines Unternehmens sind Risikomanagement, Investitionen in den Aufbau von Marken, Rechten oder Wissen, der Ausbildungsstand und die Rekrutierung von Mitarbeitern, die Rendite des eingesetzten Kapitals sowie gute Beziehungen zu den Eigentümern, aber auch zur Öffentlichkeit. „Wir merken seit einigen Jahren, dass dieses Thema vielen Managern schwer auf der Seele lastet“, hat Keith Leslie, Partner bei McKinsey in London, beobachtet. Deswegen starteten die Organization Practice und die Corporate Finance Practice der Unternehmensberatung eine Initiative, um auf Basis der gewonnen Erfahrungen ein umfassendes Konzept zu entwickeln, mit dem das Management von Performance and Health möglich ist. „Zum Management von Performance and Health müssen Manager die Wertschöpfungsmechanismen in ihrem Unternehmen richtig verstehen“, erklärt McKinsey-Director Richard Dobbs, der das Konzept im Juni auf dem europäischen McKinsey CFO Forum in London vorgestellt hat. „Es ist ein ganzheitlicher Ansatz notwendig, der alle Ebenen des Unternehmens durchdringt.“

Das Konzept basiert auf drei Prinzipien: der Balance der einzelnen Unternehmensaktivitäten, deren Belastbarkeit in der Zukunft sowie deren gegenseitige Ergänzung. „In der Theorie sind diese drei Grundsätze leicht zu verstehen und für jeden Manager auch intuitiv einleuchtend“, weiß McKinsey-Beraterin Sarah Wilson, die das Konzept mit ihren Kollegen in London erarbeitet hat. „Aber wenn wir dann gemeinsam die Unternehmenssituation analysieren, stellt sich in der Praxis oft heraus, dass bei der Ausgewogenheit der verschiedenen Unternehmensaktivitäten einiges im Argen liegt – und der Belastbarkeit und der gegenseitigen Ergänzung insgesamt wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird.“

Das erste Prinzip, das der Balance, bezieht sich auf die fünf Kategorien der Unternehmensaktivität, die in jedem Unternehmen – in unterschiedlichem Umfang – vorhanden sind:

_Finanzen (Cashflow, Verbindlichkeiten, Eigenkapital);
_Operatives Geschäft (einerseits materielle Vermögenswerte wie Gebäude und Geräte; andererseits intellektuelles Eigentum wie Patente, Lizenzen oder Forschungsprojekte);
_Märkte (Kunden, Zulieferer, Wettbewerber, Markenbildung);
 _Organisation (Humankapital, Strukturen, Unternehmenskultur);
_Netzwerke (Aufsichtsbehörden, Gewerkschaften, Gesellschaft, Medien).

Zusammengehalten werden die Aufgabenfelder von Strategie und Arbeitsabläufen. Nur wenn alle Teile des Unternehmens miteinander harmonieren, können Ressourcen effizient in Umsatz und Gewinne umgewandelt werden. Doch von diesem Idealzustand – Prozesse ohne firmeninterne Reibungsverluste – sind viele Unternehmen weit entfernt, meist ohne sich dessen bewusst zu sein. Deshalb beginnt Performance and Health damit, die verschiedenen Dimensionen auszubalancieren.

Welche Rolle die einzelnen Aufgabenfelder dabei spielen, ist vor allem branchenabhängig. Dienstleister bauen ihr Geschäft zum Beispiel in erster Linie auf den Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter auf, also auf der Organisations-Komponente. Energieversorgungs-Unternehmen werden besonders von Netzwerken beeinflusst, weil Strompreise von den Vorgaben staatlicher Aufsichtsbehörden abhängen. Der Erfolg von Ölgesellschaften wiederum hängt vor allem vom operativen Geschäft ab, also vom effizienten Betrieb vorhandener Ölfelder und Raffinerieanlagen.

„Meist stellt sich heraus, dass Unternehmen sich in ihrer Entwicklung zu sehr auf ein oder zwei Dimensionen konzentrieren und die anderen vernachlässigen“, so Dobbs. „Das fällt zunächst nicht auf, doch langfristig ist das mit großen Risiken verbunden.“

Das gefährliche Fazit der meisten: Ziele erreicht, Zukunft gefährdet

Das zweite Prinzip von Performance and Health konzentriert sich deshalb auf die Fragen, wie robust die einzelnen Unternehmensaktivitäten sind und unter welchen Umständen die Leistung gefährdet ist. „Die Belastbarkeit hat in den vergangenen Jahren sehr gelitten“, hat Dobbs bei seinen Klienten beobachtet. „Der steigende Konkurrenz- und der Leistungsdruck haben dazu geführt, dass Manager in ihren Bereichen Entscheidungen getroffen haben, die zwar zunächst gute Geschäftszahlen lieferten, aber sehr riskant waren und hohe Folgekosten verursachten.“

Eine Umfrage bestätigte diesen Eindruck. Auf die Frage: Welche Maßnahmen würde Ihr Unternehmen wahrscheinlich ergreifen, wenn sich kurz vor Ende des Quartals herausstellte, dass die Zielvorgaben nicht erreicht werden können?, antworteten 80 Prozent der befragten Führungskräfte, dass ihr Unternehmen vermutlich an den kurzfristigen Planungshebeln ansetzen würde, um die Ziele doch noch zu erreichen. Vor allem bei Forschung und Entwicklung, Werbung und Instandhaltungskosten lässt sich leicht streichen. Rund die Hälfte der Befragten ging außerdem davon aus, dass der Beginn neuer Projekte verschoben würde, selbst wenn dies zu Wertminderungen führen sollte. Die Bilanzpressekonferenz ist damit zwar gerettet, allerdings auf Kosten der langfristigen Entwicklung.

Ein Trend, der sich quer durch die Wirtschaft zieht: Bei den 500 größten US-Unternehmen des Standard-&-Poor’s-Index (ohne Finanzinstitutionen) brach die Investitionstätigkeit zwischen 2001 und 2003 um rund ein Viertel ein. Für Dobbs hat das fatale Folgen: „In den meisten Branchen sind es gerade die Investitionen in Forschung und Entwicklung, die langfristige Überlebensfähigkeit garantieren.“

Während bei den Prinzipien der Balance und der Belastbarkeit Manager aller Ebenen gefragt sind, fordert das dritte Prinzip – die gegenseitige Ergänzung – in erster Linie das Geschick der Unternehmensführung. Die Prozesse des gesamten Unternehmens können nur auf höchster Ebene an einer gemeinsamen Strategie ausgerichtet werden. Auch das klingt in der Theorie einfach, ist jedoch angesichts zahlloser Entscheidungen, die täglich in großen Unternehmen getroffen werden müssen, der anspruchsvollste Schritt des Performance-and-Health-Programms.

Aktivitäten zur Steigerung der Effizienz machen Sinn – sofern sie in eine gemeinsame Richtung zielen

Schlecht durchdachte strategische Vorgaben schaden mehr als sie nützen. So hat sich etwa die amerikanische Fluglinie Continental Airlines bei ihrem Versuch abgemüht, mit den niedrigen Preisen des Konkurrenten Southwest Airlines gleichzuziehen und gleichzeitig auf allen Routen vollen Service zu gewährleisten. Denn statt ein über alle Dimensionen abgestimmtes Preissenkungskonzept zu entwickeln, führte jede Abteilung eigene Sparmaßnahmen durch. Die Einsparungen bei Gepäckbeförderung und Flottenzusammenstellung (operatives Geschäft) führten zu kostspieligen Effizienzverlusten. Zudem sank die Auslastung, weil die Provisionen der Händler (Netzwerke) und die Vorteile für Vielflieger (Märkte) reduziert worden waren. Statt sich gegenseitig zu ergänzen, behinderten sich die verschiedenen Aktivitäten – und kamen die Aktionäre teuer zu stehen. Continental erlitt hohe Verluste.

Besondere Herausforderungen stellt das Prinzip der gegenseitigen Ergänzung an die Finanzabteilungen. „CFOs und ihre Abteilungen werden in der Regel als Buhmänner wahrgenommen, die immer nur auf die kurzfristigen Ergebnisse schauen“, hat Richard Dobbs beobachtet. „Dabei können die Finanzabteilungen gerade bei der Messung von Performance and Health eine Schlüsselrolle spielen. Für viele CFOs bedeutet das eine ganz neue Einstellung zu ihrem Job: Sie sind nicht nur Schatzmeister und Buchhalter, sondern mit dafür verantwortlich, dass in allen Dimensionen langfristige Werte geschaffen werden.“

Ein großer Vorteil von Performance and Health: Das Konzept basiert größtenteils auf Techniken, mit denen Manager bereits vertraut sind. Außerdem lassen sich Veränderungen graduell gestalten, anders als etwa bei Business Process Reengineering oder Total Quality Management, wo Unternehmensprozesse von Grund auf umgebaut werden. „Häufig ist es gar nicht nötig, die Arbeitsprozesse komplett zu verändern“, so Wilson, „es reicht vielfach, die Leistungsvorgaben und Anreizsysteme so einzustellen, dass alle in dieselbe Richtung ziehen.“

Werttreiber sind Hilfsmittel – steuern muss das Management selbst

Anleihen macht Performance and Health zum Teil beim Balanced-Scorecard-Konzept und beim Value Based Management, geht aber mit seinem ganzheitlichen Ansatz darüber hinaus. „Der Vorteil von Performance and Health besteht vor allem darin, dass sich Werttreiber so definieren lassen, dass sie auch langfristige Wachstumsziele und die Leistungsfähigkeit des Unternehmens berücksichtigen“, erklärt Dobbs das Konzept.

„Das Neue besteht darin, dass wir verschiedene Techniken integriert haben, so dass sich alle Prozesse im Unternehmen an gemeinsamen Werttreibern ausrichten lassen – und damit erlauben sie den Führungskräften einen genauen Überblick über kurzfristige und langfristige Wertschöpfung“, so Leslie. Wenn die Leistungsindikatoren geschickt gewählt sind, lassen sich beispielsweise auch Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, deren wirklicher Erfolg häufig erst Jahre später spürbar wird, mit geeigneten Werttreibern versehen.

Allerdings sind auch Werttreiber nur Hilfsmittel für Manager und kein Autopilot, mit dem sich das Unternehmen wie von selbst steuern ließe. „Performance and Health bietet da genauso wenig eine Zauberformel wie irgendein anderes Managementkonzept, jedem muss klar sein, dass Leistung und Gesundheit sich nicht nur in Zahlen messen lassen“, erklärt Leslie.

Basis für Performance and Health ist eine stimmige Unternehmenskultur. Erst wenn alle Mitarbeiter des Unternehmens die neue Einstellung – weg von ausschließlich kurzfristiger Wertsteigerung, hin zu langfristiger Gesundheit – verinnerlicht haben, ändert sich auch ihr Verhalten. Dafür ist es wichtig, die neue Zielsetzung unternehmensweit zu kommunizieren und mit gutem Beispiel voranzugehen.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.