Tausendmal probiert ...

... tausendmal ist nichts passiert, wenn Kommunen und öffentliche Hand versuchten, ihren Regionen zu Wachstum und Wohlstand zu verhelfen. Dabei ist regionale Wirtschaftsentwicklung nicht nur möglich, sie ist im Zweifel sogar der einzige Weg, der in Zeiten wie diesen neue Arbeitsplätze schafft. Vorausgesetzt, es werden die richtigen Konzepte gemacht. Eine Reise durch deutsche Cluster-Regionen.




1. FORDERN, FÖRDERN, PLANEN UND ENTWICKELN.

Warum klassische Regionalentwicklung noch kein Cluster schafft.

Die „Clusterei“, wie es einige Akteure mittlerweile gern nennen, ist bereits seit 1990 en vogue. Damals hatte Harvard-Professor Michael Porter die These formuliert, dass Innovationen als ultimative Wettbewerbsvorteile vor allem dann entstehen, wenn die konkurrierenden Akteure einer Industrie am selben Ort versammelt sind. Je enger die Wettbewerber zusammenrücken, desto größer die daraus entstehende Kraft. Und je größer die Kraft, desto besser, meinte Porter.

Was einfach klang, bedeutete damals wie heute eine Revolution. Konsequent zu Ende gedacht, geht es bei einem Cluster nicht mehr nur um den Erfolg des einzelnen Unternehmens, es geht um den Erfolg einer Region, die prosperiert, weil es den einzelnen Akteuren nützt. Unternehmen in modernen Industrien können konkurrieren – und dennoch vom Austausch miteinander profitieren. Sie können gemeinsam forschen und entwickeln – und doch individuelle Antworten auf einzelne Fragestellungen finden. Sie können jeweils nach den besten Mitarbeitern suchen – und zusammen dafür sorgen, dass der Nachwuchs die hohen Anforderungen einer modernen Industrie erfüllt. Sie können aus dem egoistischen Ziel, die Wege zu ihren Lieferanten zu verkürzen, gemeinsame Sache machen: Für einen Auftraggeber zieht so leicht kein Zulieferer in eine Region, für ein Bündel an Aufträgen dagegen schon. Die Wettbewerber dürfen gern ihr eigenes Wachstum zum Ziel haben – und als Gruppe dennoch den Erfolg der Region: Ein attraktiver Standort lockt neue, junge Unternehmer und damit auch potenziell neue Kunden, neue Partner, neues Wissen und neue Ideen. Kurzum: Die Unternehmer in einem Cluster können ihre individuelle Marktposition stärken, weil sie von der Attraktivität einer Region als Wirtschafts- und Lebensraum profitieren.

Die klassische Regionalentwicklung greift deshalb zu kurz. Wer aus einer Region ein Cluster machen will, braucht Analysen, Konzepte und finanzielle Mittel; er braucht Hochschulen, Flughäfen, Bahnhöfe und Autobahnen, Gewerbegebiete und Stadtentwicklung. Er braucht Visionen und den politischen Willen, die Unterstützung aller Parteien und wirtschaftlichen Kräfte. Er braucht Gestaltungsmacht. Hoffnung. Mut. Er muss neue Wege gehen und Fehler machen dürfen. Er braucht eine hohe Frustrationstoleranz und nicht wenig Überzeugungskraft. Er braucht quantifizierbare Ziele. Vor allem aber braucht er Zeit. Die nächste Wahl, die nächste Hauptversammlung, der nächste Haushaltsplan einer Stadt reichen nicht als Frist für das Verkünden guter Nachrichten. Wer ein Cluster baut, verknüpft Tradition und Moderne. Und arbeitet an der Zukunft einer gesamten Region.

2. ALLE PLANEN, NICHTS GEHT.

Weshalb es nicht reicht, das Beste zu wollen.

Ob es symptomatisch für Deutschland ist, weiß Peter Kraljic nicht so genau. Es sei zumindest symptomatisch für jede deutsche Region, die sich aufmacht, ein Cluster-Projekt anzuschieben.

Der 65-Jährige, der als Director bei McKinsey bis zu seinem Ruhestand vor drei Jahren die unterschiedlichsten Gegenden der Welt bei ihren Wachstumsplänen unterstützte, erinnert sich mit Unbehagen an die Zeit vor sieben Jahren, als es in Wolfsburg losgehen sollte mit jener Vision, die aus der gebeutelten Stadt so etwas wie eine blühende Landschaft machen sollte. Der Vorstand der Volkswagen AG, vertreten durch Arbeitsdirektor Peter Hartz, hatte der Stadt 1998, zum sechzigsten Geburtstag, ein ungewöhnliches Geschenk gemacht: Der größte und mehr oder weniger einzige Arbeitgeber der Region wollte dafür sorgen, die Arbeitslosigkeit in Wolfsburg um die Hälfte zu reduzieren. Innerhalb von gut fünf Jahren sollten zehntausend neue Jobs entstehen. Ein Automobil-Cluster, McKinsey-Berater Kraljic sollte helfen, es zu bauen.

„Wir hatten schon Pläne, Zahlen und ein sehr klares Konzept“, erinnert er sich. Und erzählt dann von jener Sitzung, die er bis heute nicht vergisst, weil er zu einer auch für ihn bis dahin ungewöhnlichen Taktik gegriffen hatte. Aus Verzweiflung über die politische Kleinkrämerei, die er hier zu Lande so oft beobachtet, wenn es um die Schaffung von Arbeitsplätzen geht. Und auch, weil er die endlosen Debatten müde war, damals.

„Es waren alle Fraktionen vertreten, klar. Rote, Gelbe, Grüne, Schwarze, alle hatten sie ihre Vertreter geschickt. Und alle begannen, kaum dass ich das Konzept vorgestellt hatte, mit den Erklärungen darüber, warum es nicht klappen könnte. Es ging nur um Zweifel, Kritik und mögliche Stolpersteine, jeder zog in eine andere Richtung. Nach einer Weile habe ich sie unterbrochen und nicht als Vertreter von McKinsey ums Wort gebeten, sondern als ‚Gastarbeiter Peter Kraljic‘.“

Er sei im Kommunismus aufgewachsen, erklärte er der Runde. „In Jugoslawien. Da hatten wir eine Diktatur und keine Demokratie. Aber ich habe den Eindruck, dass Sie Ihre Demokratie missbrauchen. Ich verstehe demokratische Entscheidungswege, aber hier geht es nicht darum, welche Partei Recht hat. Hier geht es um Arbeitsplätze. Nicht für Sie und nicht für Ihre Kinder, sondern für Ihre Enkelkinder. Die Fraktion, die das nicht unterstützt, sollte jetzt aufstehen und den Raum verlassen. Denn ich brauche hier nur eine Fraktion. Und die heißt Fraktion Wolfsburg.“

Es sei gespenstisch gewesen, sagt Kraljic. Sehr still. „Und dann fingen alle an zu klatschen. Eine halbe Stunde später wurde das Konzept einstimmig verabschiedet.“

3. STÄRKEN STÄRKEN.

Wieso Cluster nicht gleich Cluster ist.

So unterschiedlich die Regionen, so unterschiedlich sind auch die Lösungen, die dauerhaft zu Wachstum führen. Jede Gegend hat andere Wurzeln, andere industrielle Schwerpunkte, andere Branchen-Konstellationen, andere Zwänge – und auch ihre individuellen Optionen. Es gibt nicht das eine Modell, ein Cluster aufzubauen. Aber es gibt zu Beginn die immer gleichen wichtigen Fragen: Was sind die Stärken der Region? Worauf können wir aufbauen? Haben wir in Bezug auf Unternehmen und Wissen eine kritische Masse, die wir entwickeln können?

Beispiel Wolfsburg

Die Stärke der Stadt war gleichzeitig ihre Schwäche: Wolfsburg war Automobilindustrie – und ohne Automobilindustrie war Wolfsburg wenig. Eine Monokultur. Zentriert auf den einzigen großen Arbeitgeber der Region, die Volkswagen AG. Stärken zu stärken bedeutete hier den Ausbau der Region zu einem Zentrum für Mobilität. Konkret: Zulieferer ansiedeln, neue Betriebe anlocken und entwickeln, eine mittelständische Industriekultur aufbauen, Forschung und Entwicklung vorantreiben, Know-how bündeln. Und der Stadt ein neues Gesicht geben.

Seit 1997 wurden in Wolfsburg 263 Unternehmen gegründet, 101 Volkswagen-Lieferanten und -Zulieferer haben sich angesiedelt, insgesamt hat der Standort 7941 neue Arbeitsplätze geschaffen – ein Plus von gut zehn Prozent verglichen mit damals. Die Autostadt lockt jedes Jahr rund eine Million Besucher in die Stadt, das neue Science Center oder die Wasserskianlage sollen weitere Gäste anziehen. Spätestens in vier Monaten wird die neue Autouniversität ihren regelmäßigen Lehrbetrieb aufnehmen – zunächst nur für Konzernmitarbeiter, ab 2010 wird sie Studenten aus aller Welt offen stehen.

Der Campus ist fast fertig gebaut, die ersten Studiengänge sind geplant, die „Studenten“ für das kommende Semester haben sich bereits eingeschrieben. In zehn Jahren will die Region um Wolfsburg der europäische Standort für alles rund um das Thema Mobilität sein – dazu zählen Innovationen der Automobiltechnologie genauso wie neue Produkte aus dem Gesundheitsbereich, die das Leben bequemer und die Menschen mobiler machen sollen. Die Arbeitslosigkeit ist seit 1997 von 17,2 auf 8,2 Prozent in 2004 gesunken.

Beispiel Dortmund

In Dortmund gab es keinen erkennbaren Kern, stattdessen vor allem Reste. Die Reste einer einst florierenden Brauerei-Industrie, Reste von ehemals führenden Logistikunternehmen und Reste von Kohle und Stahl, den beiden Gütern, die das Ruhrgebiet jahrzehntelang reich gemacht hatten. Insgesamt 90.000 Arbeitsplätze waren seit den fünfziger Jahren, den Hochzeiten der Region, verloren gegangen. „Alles, was prägend war, war weggebrochen“, erinnert sich Heinrich Kahmeyer, der ehemalige Personalchef von ThyssenKrupp. Ende der neunziger Jahre drohte der größte Arbeitgeber der Region seine beiden letzten Hochöfen zu schließen. Die Entscheidung würde weitere 4000 Arbeitsplätze kosten.

Aber die Region hatte auch Wissen. Neben den Hochschulen in Bochum, Duisburg und Essen bildete vor allem die Universität Dortmund mit dem deutschlandweit größten IT-Fachbereich jedes Jahr gut 2000 Studenten aus. Das war ein Anfang, eine Basis, auf der man aufbauen konnte.

Wie zuvor in Wolfsburg suchte McKinsey Antworten auf die drei wichtigsten Fragen: Was kann man tun, um die vorhandenen Unternehmen vor Ort zu halten und wachsen zu lassen? Wie und in welchen Segmenten kann man neue Unternehmen gründen? Und vor allem: Wie kann man sie in der Region ansiedeln? Erfolgreiche Unternehmensgründungen beispielsweise im Bereich der Biotechnologie, das lehrt die Erfahrung, sorgen nach etwa fünf Jahren ihrer Existenz für 10 bis 20 Arbeitsplätze. Nach zehn Jahren beschäftigen diese Unternehmen im Schnitt 20 bis 50 Mitarbeiter. Jochen Overlack, Regionalentwicklungsexperte bei McKinsey sagt: „Wenn Sie jedes Jahr für 10 oder 20 derartiger Gründungen sorgen, können Sie sich ausrechnen, wie viele neue Arbeitsplätze Sie in zehn Jahren haben.“ Mit einer Vielzahl von einzelnen Maßnahmen und Projekten ist die Region um Dortmund deshalb dabei, ein Technologie-Cluster um die Bereiche IT, Logistik und Mikrosystemtechnik aufzubauen. Was das in der Praxis bedeutet und warum eine solche Idee nur funktioniert, wenn alle Beteiligten sich dem gemeinsamen Ziel verpflichtet fühlen, soll der neue Studiengang Informatik verdeutlichen:
Dortmund hatte Anfang des neuen Jahrtausends gut ausgebildete Informatiker, aber es waren zu wenige für den geplanten Sektor, und ihre Ausbildung währte zu lang. Neun Jahre dauerte das Studium im Schnitt – endlos für eine Branche, die sich unentwegt wandelt. Um den neuen und alten Unternehmen in der Region schneller zu gut ausgebildeten Mitarbeitern zu verhelfen, haben Universität, Fachhochschule, örtliche Industrie- und Handelskammer und die zentrale Steuereinheit der Region, das Dortmund-Project, deshalb zum ersten Mal in ihrer Geschichte kooperiert – und gemeinsam mit den Unternehmen vor Ort einen Modellstudiengang konzipiert, der innerhalb von zwei Jahren junge Fachinformatiker, IT-Professionals, ausbildet. Das Studium ist staatlich anerkannt, als Grundstudium für all jene, die sich in der Wissenschaft weiterentwickeln wollen – oder als Einstieg in die Praxis. Die Planung dauerte drei Monate, im Jahr 2000 starteten die ersten 120 Studenten, zeitgleich mit ihrem Abschluss hatten 85 Absolventen einen festen Arbeitsvertrag in Unternehmen der Region.

4. ALLE ZIEHEN MIT – ABER WOHIN?

Warum es ohne Steuereinheit nicht geht.

Weil das beste Konzept nichts taugt, wenn die Umsetzung schlecht gemanagt wird, kommt der Organisation der Prozesse eine zentrale Bedeutung zu. „Eine Region, die ein Cluster werden will, braucht die geballte Kraft aller Beteiligten“, sagt Peter Kraljic. „Sie brauchen ein Gremium, das die verschiedenen Parteien vertritt, konkret: eine klare Führung.“

In Dortmund übernimmt diese Rolle eine Einheit, die der Stadt gehört und dem Bürgermeister unterstellt ist: Das Dortmund-Project ist ein Team von rund 30 Leuten, deren Aufgabe es ist, sämtliche Projekte der Region – vom Businessplan-Wettbewerb bis zur Anlage eines künstlichen Sees – zu initiieren, zu begleiten und in Bezug auf Zeit und Kosten zu steuern.

Wolfsburg hat für dieses Aufgabenspektrum ein unabhängiges Unternehmen gegründet, das jeweils zur Hälfte der Stadt und der Volkswagen AG gehört. Die Wolfsburg AG residiert in einem eigenen Gebäude, auf dem so genannten Innovationscampus, inmitten junger, mit ihrer Hilfe gegründeter Unternehmen. Rund 200 Mitarbeiter sind inzwischen in der AG beschäftigt, die von zwei Aufsichtsräten, Volkswagen-Personalvorstand Peter Hartz und Oberbürgermeister Rolf Schnellecke, kontrolliert wird.

Die Region Hannover, die sich auch aufgemacht hat, ein Cluster zu werden, hat sich für die operative Verantwortung wieder eine andere Organisationseinheit gegeben. Dort wurde im April 2003 die Hannoverimpuls GmbH gegründet, eine rein öffentliche Institution, die zu 50 Prozent der niedersächsischen Landeshauptstadt und zu 50 Prozent der Region gehört. Die Public-Public-Partnership ist der spezifischen Situation geschuldet: Als sich die damalige Wirtschaftsministerin Susanne Knorre Anfang 2002 daranmachte, ein Cluster-Projekt anzuschieben, fand sie in der örtlichen Industrie zunächst keine Verbündeten. Inzwischen ziehen die mittelständischen Unternehmen rund um Hannover mit, allen voran Vertreter aus den Sektoren Maschinenbau, Lasertechnik und Automobilindustrie.

Die Region um Braunschweig, wo die Bereiche Kunststofftechnik, Maschinenbau, Mikroproduktion und Verkehrssicherungstechnik gestärkt werden sollen, hat als Schaltstelle für den Wandel aufgrund ihrer spezifischen Situation eine höchst komplizierte Form wählen müssen. Formal ist die Projekt Region Braunschweig GmbH, die im Februar 2005 gegründet wurde, eine Public-Private-Partnership, tatsächlich wird der Public-Teil aus drei Städten und fünf Landkreisen gebildet. Zu den Gesellschaftern zählen Braunschweig, Salzgitter, Wolfsburg, Gifhorn, Goslar, Helmstedt, Peine und Wolfenbüttel. Von Unternehmensseite sind der Volkswagen-Konzern, die Öffentliche Versicherung Braunschweig, die Salzgitter AG, der Arbeitgeberverband Region Braunschweig e.V. sowie die IG Metall beteiligt.

Eine Mammutaufgabe für Dirk Warnecke. Der Geschäftsführer der GmbH soll mit seinen 20 Mitarbeitern nicht nur diverse Projekte vorantreiben. Mit einem Jahresbudget von 2,5 Millionen Euro (für die nächsten fünf Jahre) soll er bis 2015 außerdem rund 12.000 neue Jobs schaffen und muss dabei – wie jeder Leiter in einer Cluster-Projektorganisation – auch stets die jeweiligen Interessen der heterogenen Gesellschafterstruktur ausbalancieren.

5. ZWISCHEN ALLEN STÜHLEN.

Was es bedeutet, eine Region zu motivieren.

Wo zusammenwachsen soll, was bislang nicht zusammengehörte, ist Sensibilität gefragt, Ausdauer, Konfliktfähigkeit, Optimismus und Überzeugungskraft. Mit dem Geschick der operativen Steuerzentralen steht und fällt letztlich das gesamte Projekt. „Die Person an der Spitze muss in alle denkbaren Richtungen agieren“, sagt Cluster-Experte Thomas Heuser, „und das jeden Tag und auf zahllosen Hochzeiten gleichzeitig.“

Ob Dortmund-Project, Wolfsburg AG, Hannoverimpuls oder Projekt Region – die Aufgaben der Teams an der Spitze sind mehr oder weniger identisch. Und sie sind höchst kompliziert.

Da gilt es nicht nur, die Vielzahl von Einzelprojekten im Detail zu steuern, die Finanzen zu verwalten, neue Gelder einzuwerben, die Planziele ständig mit der Realität abzugleichen und jede einzelne Maßnahme in einem quantitativen Raster zu bewerten und gegebenenfalls zu korrigieren. Viel schwieriger ist der unkonkrete Bereich, der diffuse, in dem es menschelt, weil so ein Cluster, wie Peter Kraljic sagt, „ja nun einmal lebt – mit der Wirtschaft, mit dem Wirtschaftsraum, mit der Entwicklung eines Sektors“. Und mit den Hoffnungen, Eitelkeiten, Zweifeln, politischen Überzeugungen, alten Feindbildern und neuen Ängsten der Menschen in einer Region.

Auch damit müssen die Steuerungsteams in der Praxis ständig umgehen: In einer Region, die den Sprung in die Moderne schaffen will, fühlen sich viele als Verlierer. Der ehemalige Arbeiter im Automobilwerk, der einstige Kohlekumpel, der Ex-Stahlgießer, der Handwerker, die Friseurin – was haben sie von der schönen neuen Welt, in der Arbeitsplätze für Logistik, Verfahrenstechnik, Mikrosystemtechnik oder IT entstehen?

„Sie müssen den Menschen die Ziele immer wieder erklären“, sagt Udo Mager, der Projektleiter in Dortmund, „sie in ihre Welt übersetzen. Ihnen klar machen, dass jeder einzelne Schritt auch der lokalen Wirtschaft nutzt, weil es Querverbindungen geben wird, neue Produkte und neue Lösungen – und am Ende auch ein anderes Lebensgefühl, für jeden in der Region.“

6. UND ES GEHT DOCH.

Wie aus alten Strukturen neue Partner wachsen können.

70 bis 80 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland verdienen ihr Geld im Mittelstand. Grund genug für die Player in einer Region, auch in diesem Segment für den Abbau alter Barrieren und neue Lösungen zu sorgen. Kim, die Kooperation Initiative Maschinenbau zeigt, wie das gelingen kann.

In Braunschweig haben sich vor fünf Jahren zwölf Unternehmen zusammengetan, um sich gegenseitig zu unterstützen – der Verband der Metallindustrien und die IG Metall förderten die Idee mit einem in Deutschland bislang einzigartigen Tarifvertrag. Kim-Mitglieder dürfen Fachkräfte je nach Bedarf untereinander ausleihen und können so flexibel auf die jeweilige Auftragslage reagieren. Das hat den Stellenabbau bei allen Mitgliedern gestoppt. Jochen Overlack schwärmt noch heute von dem Projekt: „Die gemeinsame Planung und Zusammenarbeit von Unternehmen, die keine gemeinsame Kapitalbasis haben, war etwas Neues und ganz Fantastisches“, meint der Berater. „Und sie war vor allem der Flexibilität der IG Metall zu verdanken.“

Inzwischen hat sich das Projekt noch deutlich ausgedehnt. Heute tauschen die Kim-Mitgliedsfirmen nicht nur Mitarbeiter untereinander aus, sondern auch Wissen. Sie forschen und entwickeln gemeinsam, zudem organisieren sie miteinander den Einkauf, die Entsorgung und die Ausbildung des Nachwuchses. Neun weitere Maschinenbau-Betriebe der Region haben die Idee inzwischen aufgenommen und eine zweite Kim gegründet, und auch rund um den Forschungsflughafen Braunschweig haben sich 13 kleine und mittlere Unternehmen zusammengetan, um gegenseitig von ihrem Know-how zu profitieren. Die Kim für die Luftfahrt wird von der Projekt Region Braunschweig GmbH unterstützt. Zum Wohle der Region und der Unternehmen.

7. WAS IST ERFOLG?

Weshalb Zahlen so wichtig – und so unwichtig sind.

Die Region um Dortmund hatte sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Zwischen 2000 und 2010 sollten rund 70.000 neue Arbeitsplätze entstehen, mehr als ein Drittel der vorhandenen Stellen in Dortmund; 34.000 allein im IT- und E-Commerce-Sektor. Die Unternehmen im kalifornischen Silicon Valley hatten seinerzeit binnen fünf Jahren ein durchschnittliches Wachstum von 2,7 Prozent jährlich erzielt – warum sollten Unternehmen im Ruhrgebiet nicht etwas Ähnliches schaffen?

Im März 2005 wurde Halbzeitbilanz gezogen. 9000 neue Arbeitsplätze im IT-Bereich hat die Region Dortmund geschaffen – 12.000 waren für die Hälfte der Strecke geplant. Und die Arbeitslosigkeit ist wieder gestiegen: von 13,7 Prozent in 2000 auf heute 18,5 Prozent. 65.108 Menschen ohne Beschäftigung meldet die örtliche Agentur für Arbeit im März 2005. Na bitte, meinten einige Kritiker, Ziel verfehlt. Die ganze Idee: viel Lärm um nichts. Und haben sie nicht Recht?

„Nein, das haben sie nicht“, meint Thomas Heuser, Vorstandsvorsitzender der Dr. Heuser AG, die mit der Evaluation des Dortmund-Projektes betraut ist. Stattdessen fragt er zurück: Wie viele neue Arbeitsplätze sind denn im selben Zeitraum anderswo geschaffen worden, noch dazu in Regionen, in denen die klassischen Industrien am Aussterben sind? Und wo, wenn nicht in Clustern, sind in jüngster Vergangenheit überhaupt Arbeitsplätze geschaffen worden in Deutschland? In einer Zeit, in der landesweit Jobs ab- und nicht aufgebaut werden, hat die Region Dortmund eine Grundlage für Wachstum geschaffen, das auf neue Technologien und Zukunftsbranchen baut. Und diese Branchen, meint Heuser, folgen anderen Regeln.

Die seit Projektbeginn rund 200 neu gegründeten Unternehmen bräuchten gut fünf Jahre Entwicklungszeit, bis sie mit ihren Innovationen wirklich wachsen und eine nennenswerte Zahl von Mitarbeitern einstellen könnten, meint er. Der Multiplikationseffekt mache sich in diesen Industrien stets später bemerkbar. Und ja, sagt Heuser, vielleicht seien die Pläne von damals auch ein wenig zu optimistisch gewesen. „Alle waren seinerzeit betrunken von der New Economy. Die Dortmund-Planer vielleicht auch. Aber ist das Ziel deshalb schon falsch?“

Das Ziel war richtig. Und es darf nicht vage bleiben, denn sonst bewegt sich nichts. Ohne die konkrete Definition dessen, was eine Region erreichen will, meint Jochen Overlack, erreicht sie nichts. „Es ist nicht so wichtig, ob am Ende der Strecke 50.000 oder 70.000 neue Stellen geschaffen sind. Wichtig ist der Turnaround, und dafür steht Dortmund. Die Menschen müssen genau wissen, wohin sie wollen. Sie müssen alle Kräfte dafür mobilisieren, Mittel bereitstellen und stets auf aktuelle Entwicklungen reagieren. Dazu brauchen sie quantifizierbare Ziele, denn nur daraus können sie konkrete Maßnahmen ableiten und immer wieder überprüfen, ob sie von ihrem Ziel abweichen und gegebenenfalls gegensteuern.“

8. UNTERNEHMER FÖRDERN.

Warum Businessplan-Wettbewerbe so wichtig sind.

Gründer und junge Unternehmer braucht das Land, darin sind sich Politik und Wirtschaft einig. Die Frage ist nur: welche Gründer, welche Unternehmer? Der Student, der sich mit einem Gewerbeschein aufmacht, einen Uni-Schreibservice anzubieten, ist es eher nicht, der eine Region auf Dauer voranbringen kann. Das können vor allem Unternehmer an den Schnittstellen zwischen neuen und alten Industrien. Und genau die muss sich jede Region gezielt suchen.

„Das Gros unserer Arbeitsplätze haben wir heute in Industrien mit einem sehr hohen Reifegrad“, erklärt McKinsey-Experte Jochen Overlack den Zusammenhang. „Der Automobilbau beispielsweise wird in den kommenden Jahren wenig Beschäftigungszuwachs haben, Banken bauen eher ab als auf, das Gesundheitswesen steht unter enormem finanziellem Druck. Was wir brauchen, sind neue Technologien, Biotechnologie oder Lasertechnologie etwa, von denen wir heute schon wissen, dass ihre Anwendungen sich in den kommenden zehn, fünfzehn Jahren auch in den klassischen Industrien durchsetzen werden. Es gibt eine Reihe von Branchen, die erst ganz am Anfang eines 40-jährigen volkswirtschaftlichen Entwicklungszyklus stehen. Junge Unternehmen in diesen Bereichen beschäftigen heute vielleicht nur 40 Mitarbeiter – in zehn Jahren können es aber schon 4000 oder 40.000 sein. Das sind die Unternehmen, die wir meinen.“

Um sie zu finden, meint der Berater, sind Gründerwettbewerbe notwendig. Aber nicht irgendwelche. Wer neue Branchen und Industrien zu einem Cluster aufbauen will, braucht Auswahlverfahren, die exakt auf die Ziele und Bedürfnisse der Region zugeschnitten sind. Denn nur sie garantieren Gründer und Unternehmens-Projekte, von denen am Ende alle Beteiligten vor Ort profitieren.

Die Wolfsburg AG hat durch ihre vier Wettbewerbe in den vergangenen Jahren 263 Unternehmer identifiziert und gefördert, die sich inzwischen in und um Wolfsburg herum niedergelassen haben. Ihre Geschäftsideen unterstützen die vier Schwerpunkte – Mobilität, IT, Tourismus und Gesundheit –, die aus der Region ein prosperierendes Cluster machen sollen.

Dortmund braucht für sein geplantes Wachstum vor allem junge Unternehmer aus dem Bereich Mikrosystemtechnologie (MST) – und hat deshalb einen europaweit einzigartigen Wettbewerb aufgelegt. In den zwölf Businessplan-Runden, die das Team des Dortmund-Projects seit 2001 bereits organisiert hat, wurde auch Nachwuchs für Logistik und Informationstechnologie rekrutiert. Insgesamt haben die Wettbewerbe bis heute zu rund 200 Gründungen geführt – gut 100 der jungen Unternehmer haben sich in der Stadt angesiedelt.

Eine spezielle Konstruktion hat dafür gesorgt: Das Preisgeld – 7500 bis 50.000 Euro – wird den Siegern der verschiedenen Kategorien nur dann in voller Höhe ausgezahlt, wenn sie sich in der Region niederlassen. Wer sich gegen den Standort entscheidet, muss auf die Hälfte der Prämie verzichten. Und auf ein Netzwerk von gut 600 ehrenamtlichen Experten, die den jungen Unternehmern auch über die Wettkampfzeit hinaus mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Ingo Kloppenburg ist einer der Gründer, die sich für einen Firmensitz in Dortmund entschieden haben. Als er vor zwei Jahren bei Start2grow gewann, durfte er sich über 7500 Euro Startkapital und einen Gutschein im Wert von 50.000 Euro freuen, den er als Mieter der MST-Factory einlösen darf. In dem neu gebauten Gebäudekomplex auf dem ehemaligen Stahlgelände Phoenix West können sich der 38-jährige Diplomingenieur und seine vier Mitarbeiter nicht nur mit jungen Kollegen beraten und austauschen, sondern auch dringend benötigte Maschinen anmieten, deren Anschaffung sich noch keiner der Gründer allein leisten könnte.

Kloppenburgs Unternehmen, die MMS-Micro Machining Service GmbH, stellt sehr kleine Bohrer her. 30 Mikrometer misst ihr kleinster – damit könnten sogar mindestens zwei Löcher nebeneinander in ein Haar gebohrt werden. „Das ist der kleinste auf dem Markt“, sagt Kloppenburg. Und es ist erst der Anfang. Wenn sein prämierter Businessplan aufgeht, wird sich die MMS-Belegschaft schon binnen zwei Jahren verdoppeln. Und MMS ist nur ein Beispiel von vielen.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.