„Der Souverän hat entschieden.“

Frank-Jürgen Weise hat eine der kompliziertesten Aufgaben übernommen, die der Staat zu vergeben hatte. Und eine der undankbarsten. Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit soll aus der riesigen Behörde einen flotten Dienstleistungskonzern machen – die wohl größte Reform einer öffentlichen Institution in der Geschichte der Bundesrepublik. Ein Gespräch über große Ziele, kleine Schritte, Management und Menschenwürde.




Einen schwierigeren Job hätte sich kaum jemand ausdenken können: Als Frank-Jürgen Weise im Februar vergangenen Jahres als Vorstandsvorsitzender die Aufgabe übernahm, die Bundesagentur für Arbeit (BA) zu modernisieren, sagten die meisten Insider sein Scheitern voraus. Eine derart große Behörde, gefangen in einer Tradition aus Bürokratie und in weiten Teilen fremdbestimmt, sei nicht reformierbar, hieß es. Schon gar nicht von einem, der nicht aus der Verwaltung kommt.

Der ehemalige Berufsoffizier und spätere Unternehmer Weise, Chef von gut 90.000 Mitarbeitern und damit zuständig für rund fünf Millionen Menschen ohne Arbeit, steht bis heute vor einem Dilemma: Die Bundesagentur muss agieren wie ein Konzern, besser wirtschaften als in der Vergangenheit und sich reformieren – dabei aber dem Gemeinwohl dienen und Behörde bleiben. Der Wandel einer Organisation verlangt Durchsetzungsmacht für Strategien, Konsequenz und auch unbequeme Entscheidungen – die Befugnisse des Mannes an der Spitze aber sind begrenzt. Zudem wird der Vorstand in der Öffentlichkeit am Stand der Arbeitslosigkeit gemessen, dabei kann die Bundesagentur selbst zum Abbau der Job-Misere nur wenig beitragen. Frank-Jürgen Weise schließt weder Tarifverträge, noch macht er Wirtschaftspolitik oder schafft Arbeitsplätze.

Tatsächlich würde der 53-Jährige, zuvor Manager bei der FAG Kugelfischer und den Braunschweiger Hüttenwerken sowie Mitgründer des Logistik-Unternehmens Microlog Logistics AG, wohl lieber im Hintergrund wirken und die Reform im Inneren der Organisation vorantreiben. Stattdessen fiel dem Mann, den Beobachter als zurückhaltend, höflich und sehr kontrolliert charakterisieren, durch den Rücktritt seines Vorgängers Florian Gerster über Nacht die Aufgabe zu, das schlechte Image der früheren Bundesanstalt für Arbeit in der Öffentlichkeit zu drehen. Weise muss in schwieriger Zeit das Vertrauen der Politik zurückgewinnen, schnell Ergebnisse präsentieren, die Mitarbeiter auf den Reformweg bringen, mit der Organisation besser und gleichzeitig billiger werden – und nebenbei auch noch die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II managen. Ein Knochenjob. Der komplizierteste, den die Regierung in jüngster Vergangenheit zu vergeben hatte.

McK: Herr Weise, Sie kannten die Bundesagentur schon, bevor Sie ihr Chef wurden. Und dennoch: War Ihnen damals klar, was da auf Sie zukommen würde?

Frank-Jürgen Weise: Ich möchte es so sagen: Wären mir beim Amtsantritt alle Facetten bekannt gewesen, hätte ich vielleicht noch einen Tag nachgedacht.

Und sich dann dagegen entschieden?

Ich hätte länger nachgedacht, vor allem wegen der öffentlichen Aufmerksamkeit, die diese Position mit sich bringt. Meine Idee war es, hinter meinem Vorgänger Herrn Gerster, der die BA nach draußen vertreten sollte, als Personal- und Finanzvorstand die Organisation leistungsfähig zu machen. Diese zusätzliche öffentliche Aufgabe bedeutet neue Anforderungen für mich in einem Feld, in dem ich mich bis dahin nicht bewegt hatte.

Wie beurteilen Sie sich da selbst?

Was mir innerhalb der Organisation sehr gut gelingt: das Vertrauen der Führungskräfte zu gewinnen. Ich kann mit großer Freude und Begeisterung, zur Not aber auch mit Konsequenz und Härte die notwendigen Dinge umsetzen. Was ich besser machen muss: die Idee und die Bedeutung der Reform noch bewusster machen, damit wir unsere Arbeit bis zum Abschluss des Umbaus fortsetzen können. Danach kann die Politik Bilanz ziehen. Ich bin sicher, die Bilanz wird positiv ausfallen.

Tatsächlich? Im Moment beklagt Deutschland die höchste Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik ...

Das ist schlimm, und das muss sich ändern. Aber die Bundesagentur kann keine Arbeitsplätze schaffen, das muss in erster Linie die Wirtschaft tun, die Politik setzt die Rahmenbedingungen. Unsere Aufgabe ist es, unsere Kundenzubetreuen–Arbeitslose, die Arbeit suchen, und Arbeitgeber, die Stellen besetzen wollen. Wir wollen beraten, qualifizieren, vermitteln, helfen. Unser Service soll freundlich, schnell, kompetent, effizient und effektiv sein.

Und wie ist er tatsächlich?

Wir sind auf einem guten Weg. Noch nicht immer und überall, aber dort, wo wir die Agenturen schon umgestellt haben, sind die Fortschritte deutlich spürbar.

Geht das konkreter?

In den neuen Agenturen sind die Ergebnisse am ehesten sichtbar. Dort sind die Wartezeiten der Kunden um mehr als 40 Prozent gesunken. Und wir haben deutlich mehr Zeit für intensive Gespräche: im Schnitt 46 Prozent mehr, um genau zu sein. Aufgrund schlankerer Prozesse, einer neuen Führungsstruktur und einer verbesserten Technologie sind wir zudem produktiver im Bearbeiten von Anträgen, konkret: um 15 Prozent besser. Damit stieg auch die Kundenzufriedenheit messbar an, bei Arbeitslosen und Unternehmen.
Zudem haben wir im Geschäftsjahr 2004 rund 2,5 Milliarden Euro weniger ausgegeben als vorgesehen – obwohl die Zahl der Arbeitslosen gestiegen ist. Gleichzeitig wurden die operativen Voraussetzungen für die pünktliche Auszahlung des Arbeitslosengeldes II geschaffen, also Daten für Millionen von Empfängern eingegeben und aktualisiert.

Würden Sie als Unternehmer heute über die örtliche Arbeitsagentur Personal suchen?

Ich habe das früher als Unternehmer nicht getan, weil ich offen gesagt nicht wusste, was die Arbeitsagentur leisten kann. Heute weiß ich das – vorausgesetzt, der Arbeitgeber hat einen guten Ansprechpartner in der Agentur, der ihm handverlesene Kandidaten vorstellt. Wenn er dem Unternehmer in kürzester Zeit Mitarbeiter präsentiert, die wirklich passen, steigt die Kundenzufriedenheit, es entsteht Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Agentur. Und in Zukunft wird uns dieser Arbeitgeber ganz sicher seine offenen Stellen nennen.

Worauf darf der Arbeitnehmer angesichts der BA-Reform hoffen?

Zunächst einmal auf einen freundlichen Service. Der Kunde, der in unsere Agentur kommt, wird an der Empfangstheke begrüßt und nach seinen Wünschen gefragt. Ich nenne diesen Punkt bewusst zuerst, weil er viel von dem beschreibt, was danach kommt. Wir haben jetzt eine Eingangszone, in der – nach den ersten Praxistests – 80 Prozent aller Anliegen beim ersten Besuch erledigt werden. So dass jeder, der wirklich intensive Beratung und ein persönliches Gespräch braucht, auf einen Mitarbeiter trifft, der Zeit hat und gut vorbereitet ist. Dadurch verstehen wir die Arbeitsuchenden besser und können sie gezielter in die wenigen, aber immerhin vorhandenen offenen Stellen vermitteln.

Was verändert sich noch? Oder anders gefragt: An welchen Vorbildern orientieren Sie sich bei Ihrer Reform?

Den Kern unserer Idee repräsentiert das Job-Center in Großbritannien. In der Feinarbeit, im Controlling und im Steuerungssystem leisten die Österreicher sehr gute Arbeit. Was die politischen Voraussetzungen betrifft, die es einer Arbeitsvermittlung erlaubt, effizient zu handeln, ist Dänemark Vorreiter. Ich habe mir alle diese Beispiele angesehen und vor allem auch meine Mitarbeiter hingeschickt.

Weshalb haben Sie die Reform eigentlich angeschoben? Was musste aus Ihrer Sicht am dringendsten reformiert werden?

Als ich den Vorstandsvorsitz übernommen habe, waren wir schon auf dem Weg. Und ich halte es für völlig normal, dass ich mich – bildlich gesprochen – auf die Schultern meiner Vorgänger stelle und auf deren Berufs- und Lebensleistung aufbaue. Hier gab es jede Menge gute Vorarbeit. Was wir vor allem weiterentwickelt haben: Transparenz. Für mich war die Klarheit über Zahlungsströme und über die Leistungen, die dahinter stehen, der Anfang der gesamten Reform, weil ich davon ausgehe, dass Menschen, wenn sie die richtigen Informationen haben, auch Verantwortung übernehmen wollen. Wir hatten früher einen Apparat, der ein Geldvolumen von 50 Milliarden Euro bewegte – aber wenig Überblick über den Einsatz der Mittel und über die Ergebnisse unserer Arbeit. Das war für mich unvorstellbar. Heute können wir uns diesbezüglich selbst mit den fortschrittlichsten Unternehmen messen. Ich würde sogar sagen: In puncto Transparenz sind wir in Europa das Vorbild. Jede Agentur misst sich heute in einer Gruppe mit vergleichbaren Agenturen; sie erfährt monatlich genau, was sie erreicht hat und mit welchem Mitteleinsatz, und zwar bis hinunter auf die Ebene der Teams. Die Mitarbeiter sehen also, wo sie erfolgreich waren und wo nicht. Und sie können von denen lernen, die besser waren.

Wollen sie das denn? Und können sie es überhaupt? In einem System, das traditionell auf Weisung und Obrigkeit beruhte, sorgt Transparenz vermutlich vor allem für Verwirrung. Wie soll ein Mensch, der sein Berufsleben lang wenig entscheiden durfte, heute auf Basis neuer Informationen anders handeln und Verantwortung übernehmen?

Zu meiner Überraschung klappt das besser, als ich dachte. Die wirklich guten Leute haben zugegriffen und versuchen das, was sie die ganze Zeit vielleicht unzufrieden ertragen haben, endlich zu ändern. Für sie sind Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz deckungsgleich. Ein Beispiel: Die Agenturen planen für ihren jeweils lokalen Arbeitsmarkt die Programme, die sie im kommenden Jahr für die besten halten, und auch, wie viel Geld sie dafür brauchen. Das wird mit uns abgestimmt, aber dann setzen sie das in eigener Verantwortung um. Auf Basis dieser Freiheit kommen viele aus ihrer Deckung.

Aber es wird auch viele andere geben. Menschen tun sich mit Veränderungen schwer. Für den Beamten einer Behörde muss der Sprung zum modernen Dienstleister besonders mühsam sein. Es wird viele geben, die ängstlich verharren oder den Fortschritt blockieren.

Zunächst einmal glaube ich, dass es keinen Sinn hat, sich auf die schlechten Beispiele zu konzentrieren, sondern man sollte die guten wahrnehmen. Wir müssen Menschen loben, sie ermuntern und befähigen, das zieht die ganze Organisation nach vorn. Und wenn dann Einzelne wirklich bremsen, ist das eine Frage der Führung. Wenn jemand ein Team mit 20 Leuten leitet, ist er dafür verantwortlich, dass alle 20 mitziehen. Hat ein Mitarbeiter im Team ein Problem, kann man ihm helfen. Wer sich auf Dauer allerdings nicht helfen lässt, gehört nicht zu uns.

So weit zur Managementtheorie.

In der Praxis haben wir unsere Reform aus gutem Grund in der Zentrale begonnen. Und erst einmal geschaut, welche Menschen sich eigentlich für welche Aufgaben eignen. Wir fanden zu viele Spezialisten für Sachthemen, die – begründet durch die Beförderungsstruktur im öffentlichen Dienst – auch Vorgesetzte waren. Das haben wir sehr konsequent geändert. Die Zentrale in Nürnberg kommt heute mit 400 Mitarbeitern aus, davor waren es 1200. Wir haben diejenigen an die Spitze gesetzt, die ihre Mitarbeiter ermuntern, Verantwortung wahrzunehmen, wenn sie dazu fähig sind. Die typischen Spezialisten haben heute ihre Sach- und Spezialaufgaben, aber keine Führungskompetenzen mehr. So ähnlich haben wir auch unsere zehn Regionaldirektionen konsequent umgebaut und verbessert.

Haben Sie denn überhaupt kompetente Führungskräfte im Haus? Ein System, das auf Regeln, Weisungen und Vorschriften baut, produziert Vorgesetzte, aber keine Manager mit Führungsqualitäten.

Sie haben Recht, wir haben eindeutig zu wenig Führungskapazität und zu wenig Führungskompetenz in unserem neuen System, das Menschen braucht, die mit viel Entscheidungsfreiheit führen. Wir füllen die Lücken jetzt langsam auf, indem wir die Mitarbeiter umfassend schulen. Inzwischen ist es uns auch gelungen, den einen oder anderen von außen zu holen, was sehr schwer war wegen der Gehaltsgrenzen.
Daneben haben wir aber auch zu viel juristisches Denken. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich schätze Juristen, sie sind unverzichtbar, auch bei der BA. Aber ein Jurist denkt angesichts eines Kunden zuerst einmal über dessen mögliche Ansprüche nach. Ich will, dass er überlegt: Wie können wir diesen Menschen ganz schnell wieder in Arbeit bringen? Wir müssen die Prioritäten verschieben.

Brauchen Sie dann nicht noch sehr viel mehr neue Mitarbeiter aus der Wirtschaft?

Wir haben schon eine ganz gute Mischung aus erfahrenen Praktikern. Das sind natürlich Menschen, die sich mit Absicht für eine Behördenlaufbahn entschieden haben. Sie haben ein gewisses Sicherheitsbedürfnis, was ihren Werdegang betrifft, sie wollen einschätzbare Strukturen. Aber sie haben auch eine starke Pflichtorientierung. Und das ist eine gute Basis. Bei uns leisten viele tüchtige Leute für oft wenig Geld gute Arbeit. Ihre Motivation ist nicht selten stärker als die in einem Unternehmen, wo zu oft Geld die entscheidende Triebkraft ist.

Wie definieren die Menschen, die Sie beschreiben, ihren Erfolg – jetzt, wo sich die Ziele ihrer Arbeit verändert haben?

Das ist eine gute Frage. Wir sind leider in einem Geschäft tätig, in dem ein Großteil des Erfolges oder Misserfolges gar nicht von uns beeinflussbar ist. Wir werden an der Zahl der Arbeitslosen gemessen, auch wenn Steuer-, Finanz- und Wirtschaftspolitik die Rahmenbedingungen für die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt liefern. Diesen Zustand können wir aber nicht ändern. An der Frage, wie sich Arbeitslosigkeit entwickelt, werden wir sicher auch in Zukunft gemessen.
Unsere Mitarbeiter messen ihren Erfolg daran, wie schnell und wie nachhaltig sie jemanden, der keine Arbeit hat, in den Arbeitsmarkt integrieren. Mit dem Thema Sozialgesetzbuch II kam ein Zwischenziel dazu, die Arbeitsmarktfähigkeit. Das heißt: Verliere ich einen Menschen völlig, weil er sich auf eine 30 Jahre andauernde Arbeitslosenkarriere einstellt – oder schaffe ich es, ihn arbeitsmarktfähig zu halten?

Sind das nicht sehr bescheidene Ziele für eine so gewaltige Reform?

Es sind realistische Ziele. Ich verstehe Manager wie Peter Hartz, der es innerhalb eines Konzerns gewohnt ist, Meilensteine zu setzen, Denkhürden zu überspringen. Deshalb hat er zu Recht gesagt: Lasst uns nicht klein rangehen, lasst uns das große Bild im Auge haben. Wir dürfen diese Vision aber nicht mit dem machbaren Ziel verwechseln.
Ich will tun, was möglich ist. Ich will unseren Beitrag definieren, denn der hat Bedeutung für die gesamte Gesellschaft. Erlauben wir, dass ein junger Mensch seinen ersten Kontakt mit dem Arbeitsmarkt über Arbeitslosigkeit hat? Wie gehen wir mit den älteren Menschen ohne Arbeit um? Unsere Vermittler bemühen sich natürlich, Ältere oder Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Doch erst kürzlich hat mir auch jemand gesagt: „Herr Weise, mir ist doch klar, dass Sie mir in meinem Alter wohl keinen Job mehr anbieten können. Aber die Tatsache, dass ich in dieser Agentur jetzt freundlich und mit Respekt behandelt werde, gibt mir ein Stück meiner Würde zurück.“ Ist das schon ein Erfolg? Ich finde, ja.

Die Politik setzt den falschen Rahmen, die BA erntet die Kritik. Der Spiegel hat für diese Situation kürzlich einen netten Vergleich gewählt: Das sei so, als ob die Deutsche Bahn, weil sie ein Problem mit der Pünktlichkeit ihrer Züge hat, alle Bahnhöfe neu anstreichen lässt, freundliche Würstchenverkäufer auf den Bahnsteigen postiert und auch sonst dafür sorgt, dass alles proper aussieht. Die Züge sind damit keine Sekunde pünktlicher.

Ich glaube, der Beitrag der BA ist nicht gering. Ich möchte, dass die Menschen bei uns gut betreut werden. Ich möchte die Möglichkeiten, die das System bietet, vollständig ausschöpfen, und ich will keine Verschwendung dulden. Bleiben Sie ruhig in dem Bild: Den größten Einfluss auf die Pünktlichkeit der Züge haben – neben der Wirtschaft – sicher die Steuer-, Wirtschafts- und Finanzpolitik. Aber Sie können sich darauf verlassen, dass ich für den guten Service sorge. Und dazu gehören nicht nur freundliche, sondern auch kompetente Mitarbeiter, die informieren und beraten, die wissen, wie der Kunde zum Ziel kommt, und die ihn bei Bedarf auch auf der Strecke begleiten.

Ist das für einen, der gestalten will, nicht ungeheuer frustrierend?

Nein, mein Spielraum ist groß. Auch bei fünf Millionen Arbeitslosen gibt es viel Dynamik auf dem Arbeitsmarkt. Allein im vergangenen Jahr sind 3,4 Millionen Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integriert worden – und daran waren die Agenturen für Arbeit maßgeblich beteiligt. Und meine Mitarbeiter begegnen ja auch nicht einer anonymen Zahl von fünf Millionen Arbeitslosen. Sie treffen auf einzelne Menschen, denen sie vielleicht keinen Job verschaffen können – aber wenigstens eine gute Betreuung, vielleicht eine bessere Qualifikation und damit auch Selbstbewusstsein. Mit diesem Erfolg gehen wir abends wieder nach Hause.

Und am nächsten Morgen müssen Sie – stellvertretend für den Bundesfinanzminister Hans Eichel oder den SPD-Parteivorsitzenden Franz Müntefering – vielleicht schon wieder den Kopf hinhalten und der Presse eine neue Horrorzahl verkünden.

Die Presse muss uns kritisch verfolgen. Wenn es schon so große beitrags- und steuerfinanzierte Organisationen gibt, finde ich es als Staatsbürger gut, dass sie auch kritisch begleitet werden. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, dass durchaus mal eine Ungerechtigkeit, eine Überzeichnung oder eine falsche Darstellung vorkommt. Im Großen und Ganzen wird recht fair über uns berichtet. Zudem haben die wirklich Verantwortlichen in der Politik Respekt vor unserer Arbeit. Und wenn dann mal ein Landrat glaubt, er müsse öffentlich über die BA schimpfen, nehme ich das hin.

Es hat nicht nur ein Landrat öffentlich geschimpft, die BA steht unter Dauerbeschuss. Momentan müssen Sie sich im Wettbewerb mit Optionskommunen beweisen, auch die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld mitten im Reformprozess wurde Ihnen vermutlich gegen Ihren Willen zugemutet. Für das Ergebnis dieser Arbeitsgemeinschaften sind Sie verantwortlich, haben aber kein Weisungsrecht. Und trotzdem wird Ihnen angelastet, dass da noch nicht zusammengewachsen ist, was bislang nicht zusammengehörte.

Der Souverän hat entschieden. Ich habe im Vorfeld gesagt, ich wünsche mir klare Verhältnisse. Und ja, ich hätte mir hier eine andere Organisation und andere Lösungen gewünscht. Nun ist das Ergebnis ein politischer Kompromiss, und wir müssen das managen. Das ist schwierig.

Wo würden Sie die Organisation auf einer Skala von 1 bis 10 heute sehen? Wie weit ist die BA im Reformprozess?

Wenn ich die gefühlte Temperatur der Organisation messen würde, stünden wir vielleicht zwischen 3 und 4. Es gibt viele Dinge, die sehr nach unten ziehen; der politische Kompromiss beim Arbeitslosengeld II, der hohe Zustrom an Arbeitslosen, bedingt durch die Wirtschaftslage. Unsere Leute arbeiten intensiv und gut, aber sie haben am Tag vielleicht acht Menschen geholfen, und am nächsten Tag kommen zwölf neue, denen sie helfen müssen. Angesichts dieser schwierigen Rahmenbedingungen stehen wir objektiv eher bei 6 oder 7. Was wir installiert haben, wird richtig gut. Und ich habe Vertrauen, dass sich das auch in Ergebnissen auswirkt.

Sie meinen, die Differenz zwischen 3 bis 4 und 6 bis 7 ist ein Kommunikationsproblem?

Es ist zum Teil ein Kommunikationsproblem, das sage ich durchaus selbstkritisch. Ich will diese Organisation wieder leistungsfähig machen. Ich war aber nie Arbeitsmarktpolitiker. Deshalb habe ich vor allem den Prozess beschrieben, wie ich etwas verbessern will. Das hat viele Mitarbeiter verunsichert. Sie haben sich gefragt: Was sind wir denn nun – ein betriebswirtschaftlich geführtes Unternehmen oder eine sozialstaatliche Einrichtung? Das Missverständnis lässt sich leicht auflösen. Auch eine sozialstaatliche Einrichtung muss nach bestimmten betriebswirtschaftlichen Kriterien arbeiten: Ziele, Zielerreichung, sparsamer Einsatz von Ressourcen, Transparenz.

Verschwimmt da nicht langsam die Grenze zwischen Behörde und Unternehmen? Soll sich die BA vielleicht sogar in ein Unternehmen verwandeln?

Das glaube ich, ehrlich gesagt, nicht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die BA privat organisiert wird. Was wir tun, ist im Kern eine staatliche Aufgabe, und das soll auch so bleiben. Wir können uns aber bei staatlichen Aufgaben durchaus an einigen Leistungsmaßstäben der Privatwirtschaft orientieren. Also etwa Wettbewerb, Schnelligkeit, Wirkung, Effizienz.

Wie viel Zeit planen Sie dafür? Große Organisationen sind träge.

Wir haben den Mitarbeitern eine Menge zugemutet. Wir waren und sind sehr schnell. Nach dem ersten Schock und der Verunsicherung angesichts der neuen Orientierung müssen die Menschen erst einmal Zeit haben, Arbeitsweisen zu üben und Können aufzubauen. Wenn man die Bahn und die Post anschaut, sieht man, das dauert noch einmal zwei oder drei Jahre. So dass die erste Phase der Reform nach fünf Jahren abgeschlossen ist. Wir haben 2003 mit Konzepten begonnen und dabei genau analysiert, wie es andere europäische Arbeitsmarktverwaltungen machen. 2004 wollten wir diese Konzepte umsetzen. Dann kam jedoch das ganze Gesetzgebungsverfahren für das SGB II, und wir mussten zunächst einmal abwarten, wie es gestaltet werden würde, und dann das System anpassen. In 2005 wird umgesetzt. Wir haben jetzt 70 von 180 Agenturen umgestellt. Sie müssen sich das einmal vorstellen: Das entspricht mittelständischen Betrieben mit 300 bis 1000 Mitarbeitern. Und da wird buchstäblich alles verändert – die Infrastruktur, die gesamte Betriebs-Software und die Arbeitsabläufe. Wer bisher hinter verschlossenen Türen saß, während die Gänge draußen voller Arbeitsloser waren, steht heute an einer Eingangstheke und begrüßt die Kunden. Und vor allem: Jeder Vermittler trägt jetzt die Verantwortung für Auswahl, Kosten und Wirkung der von ihm eingesetzten Instrumente. Das ist kompliziert.

Und es wird nicht leichter dadurch, dass auch die Kunden völlig verunsichert und perspektivlos sind. Neue Gesetze, neue Regeln, neue Ängste. Wie soll das funktionieren?

Wir haben in den neuen Agenturen kürzlich unsere Kunden befragt. Insgesamt sind sie schon jetzt wesentlich zufriedener. Es gibt eine kleine Gruppe, die ist deutlich unzufriedener als vorher – das sind diejenigen, die wir jetzt konsequenter sanktionieren. Der Rest spürt bereits die positive Entwicklung. Ich denke, die ersten sichtbaren Ergebnisse einer kundenfreundlichen, schnellen, effektiven Einrichtung in der Fläche wird nach Abschluss der geplanten fünf Jahre da sein.
Bis dahin muss es uns auch gelingen, der Politik die Leistungsfähigkeit der BA deutlich zu machen. Denn sie trifft nun einmal die für den Arbeitsmarkt relevanten Entscheidungen. Die Politik ist völlig frei zu entscheiden, aber sie sollte die Erfahrungen der Praxis mit einbeziehen.

Im vergangenen Jahr hat Ihnen die Politik das Leben eher schwer gemacht.

Wir erfahren durchaus Unterstützung. Vor allem Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement ist ein verlässlicher und konstruktiver Gesprächspartner. Er will die Dinge immer klar und ungeschönt auf dem Tisch haben. Zudem habe ich alle Partei- und Fraktionsvorsitzenden besucht, ihnen erklärt, was wir tun und wofür wir stehen. Und ich habe keinen getroffen, der gesagt hat, diese Richtung ist völlig falsch.

Wird für die Belegschaft in absehbarer Zeit wieder Ruhe einkehren?

Ich möchte einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess initiieren, denn derart radikale Reformen kosten enorm viel Kraft und sind sehr riskant. Ich möchte die Lebendigkeit in der Organisation, die Kreativität und auch die Freude an Veränderungen wieder wecken und erhalten. Und uns so aufstellen, dass das gelingt. Das wird noch einmal eine große Aufgabe sein.


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.