Stippvisite im Silicon Valley

Das Auto von morgen erkennt seinen Fahrer, passt auf, dass ihm nichts passiert, und sorgt automatisch dafür, dass er sich wohl fühlt. Ein Besuch bei den Entwicklern von DaimlerChrysler in Kalifornien.




Neulich war Akhtar Jameel mit der Familie im Sequoia National-Park. Hohe Berge, klare Luft, erhabene Natur, der perfekte Wochenendtrip eigentlich. Wäre da nicht die Rückfahrt gewesen. In endlosen Serpentinen schlängelt sich die Straße aus der Sierra Nevada hinunter in Kaliforniens Central Valley. Jameel war fertig. Aber nicht wegen der Schaukelei. „Unmittelbar hinter der einen Haarnadelkurve blockierte ein liegen gebliebenes Fahrzeug die Straße. Ich konnte nur um Haaresbreite noch rechtzeitig bremsen.“

Unübersichtliche Straßenverhältnisse, tote Winkel und plötzliche Hindernisse auf der Fahrbahn – was nimmt man nicht alles in Kauf für seine automobile Freiheit? Auf jeden Fall zu viel, findet Akhtar Jameel, und es ist nicht zuletzt sein Job, den Stress beim Fahren zu reduzieren. Jameel leitet das Forschungszentrum von DaimlerChrysler in Palo Alto, dem Herzen des Silicon Valley. Zusammen mit rund 40 Ingenieuren aus aller Welt denkt er über das Auto der Zukunft nach. Auch anderswo lässt der Konzern seine Forscher experimentieren – und aus den Ideen Konzepte für Spezifikationen entwickeln, die sich irgendwann in realen Produkten finden.

Palo Alto ist einer von vielen Forschungsstandorten weltweit, Teil von DaimlerChrysler Research and Technology North America. Hier geht es um Grundlagenforschung. Darum, selbst zu entwickeln, und darum, die Studien der anderen auf Plausibilität und Machbarkeit zu überprüfen. Hier wird Zukunft gemacht. Eine Zukunft, in der das Auto seinem Fahrer beispielsweise lange vor dem Erreichen einer Unfallstelle die drohende Gefahr anzeigt, so dass er sich rechtzeitig darauf einstellen kann. Und hier ist naturgemäß alles geheim.

Also erzählt Akhtar Jameel von der Vergangenheit. Davon, dass sie in Palo Alto etwa die Grundlagen für DaimlerChryslers Wireless Access Protocol entwickelt haben. Oder Chryslers „UConnect“, das Freihand-Telefon auf Bluetooth-Basis für den amerikanischen Markt. Jameel redet von IT-Standards, an deren Entwicklung sie arbeiten, von digitalen Straßenkarten, GPS, Wifi-Frequenzen und davon, dass im Silicon Valley alle neuen Technologien zuerst auftauchen.

Man wird es ihnen nicht ansehen, das ist der eigentliche Clou, aber nicht mehr lange, dann gehorchen unsere Karossen aufs Wort, fahren selbstständig ans Ziel, während sich die Passagiere Videokonferenzen zuschalten oder im Internet surfen können. Die Autos von morgen vermeiden Karambolagen, Staus und Gewitterfronten, finden freie Parklücken, merken, wenn ein Teil verschleißt, und ordern per Funk Ersatz bei der nächsten Vertragswerkstatt. Die Lacke reinigen sich selbst, der Motor verbrennt Wasserstoff, die Windschutzscheibe dient als Display, und der Airbag weiß, ob er ein Kleinkind oder einen Sumo-Ringer abfangen muss. Schöne neue Autowelt. Leider sieht die Realität noch ein bisschen anders aus.

Was kommt zuerst? Eine Technologie, die ein Problem löst, oder die Nachfrage des Kunden nach einer Lösung des Problems?

Die Realität ist ein Zweckbau an der Page Mill Road. Gegenüber Hewlett-Packard, um die Ecke die Innovations-Schmiede Stanford. Hier steht Akhtar Jameels Schreibtisch, hierhin kehrte er am Montag nach seinem Ausflug in die Berge zurück. In dieser Realität gibt es einen Anteil an DaimlerChryslers Forschungsetat, den Jameel nicht beziffert, den er und sein Team im konzernweiten Wettbewerb aber sauer verdienen müssen. Und es gibt Verbraucher, die futuristisch ausgestattete Autos zwar ganz toll finden, dafür aber kaum einen Cent mehr bezahlen mögen.

Die Realität ist komplex. In ihr hat jedes Mittelklasse-Fahrzeugmodell schon in der Standardversion hunderte von Austattungsmerkmalen, dazu Extras bis zum Abwinken. Die neue Technologie erfordert Synergien über Modul- und Systemgrenzen hinweg und verwickelt Hersteller und Zulieferer in immer engere Fabrikationsprozesse. Sie ersetzt einfache Mechanik durch komplizierte Elektronik und macht eine Neudefinition der alten Qualitätsprüfung nötig – weil sich die Funktion jedes Einzelteils zwar prüfen, das Zusammenspiel der Komponenten im Fahrzeug oft aber im Voraus nicht einmal erahnen lässt. Das spürt der Kunde, laut ADAC, jeden Tag auf der Straße. 52 Prozent aller Autopannen sind heute auf mangelhafte Software und Elektronik zurückzuführen. 2015 werden es 60 Prozent sein. In so einer Realität kommt Innovation im Schritttempo daher.

„Es ist ein bisschen wie die Frage nach dem Ei und dem Huhn“, sagt Akhtar Jameel. „Was kommt zuerst? Eine neue Technologie, die ein Problem löst, oder die Nachfrage der Konsumenten nach einer Lösung des Problems?“ Wollen die Kunden ein Auto, das weiß, was hinter der nächsten Haarnadelkurve passiert, oder entwickelt man ein solches Warnsystem im Vertrauen darauf, dass die Leute es schon kaufen werden, wenn es einmal marktreif ist?

Das Bild von Ei und Huhn benutzt Jameel oft, wenn er die Zwickmühlenarbeit seines Labors beschreibt. Denn auch DaimlerChrysler steht, wie die gesamte Automobilindustrie, mächtig unter Druck, und drängt auf Innovationen – aber nicht um jeden Preis.

1995, als der Konzern die Forschungsfiliale an der Page Mill Road eröffnete, gab es zunächst nur vage Vorgaben. „Findet heraus, was es mit diesem Internet auf sich hat und ob wir das im Auto einsetzen können“, lautete der Auftrag. Also erlag das Team – wie viele andere – dem weltweit grassierenden Web-Fieber und präsentierte alsbald eine Modell-Studie namens „Internet auf Rädern“, ein ganz prächtiges Ei – ohne Huhn. Der Wagen sorgte für viel Aah und Ooh, heute steht er im Washingtoner Smithsonian – Dokument einer durchgeknallten Epoche.

Mittlerweile beschäftigen sich Jameel und seine Kollegen weniger mit dem Internet, dafür mehr mit Telematik, also mit der Kommunikation zwischen Fahrzeug und Fahrer und zwischen Fahrzeug und Umgebung. Und genau wie die Forscherkollegen von BMW, Toyota, Volkswagen oder neuerdings auch Bosch, die im Silicon Valley Zukunftslabors betreiben, ist Jameel nicht sicher, wann, er weiß nur, dass der nächste technologische Sprung erfolgt. In zehn, fünfzehn Jahren wird die Elektronik aufhören, ein eigener Bereich zu sein. Sie verschmilzt mit allen wesentlichen Funktionsbereichen des Fahrzeugs. Der typische deutsche Mittelklassewagen beherbergt heute annähernd 70 Steuergeräte, die entsprechende Software schlägt mit zwei Prozent der Herstellungskosten zu Buche. Bis 2015 wird sich der Anteil auf sieben Prozent erhöhen, das Auto wird ein Computer.

Ob sich das moderne Auto mit illegal kopierter Software auf sportlich oder gemütlich programmieren lässt?

Der Autositz wird sich auf Knopfdruck den individuellen Bedürfnissen des jeweiligen Fahrers anpassen. Die Klimaanlage richtet sich nicht mehr nach der Außentemperatur, stattdessen werden Sensoren die Hautoberfläche des Fahrers abtasten und die Technik so regulieren, dass sich der Mensch wohl fühlt. Kommt der Fahrer verschwitzt vom Joggen und braucht sanfte Kühlung, oder fröstelt er vom Spaziergang und will gewärmt werden? Die Klimaanlage wird es schon richten.

Aktive und passive Crash-Sicherheit werden stärker ineinander greifen. In der Mercedes-S-Klasse löst das Pre-Safe-System bei Vollbremsung schon heute diverse Schutzmechanismen aus. Im Auto von morgen werden im Ernstfall nicht nur ABS- und ESP-Funktionen eine Verletzung verhindern, sondern beispielsweise auch Gurtstraffer, die anders als heute mit Elektromotoren betrieben und damit beliebig oft zum Zug kommen werden. Was heute im Fahrwerksbereich mechanisch passiert, also etwa Lenkung und Bremsen, wird durch Elektronik ergänzt. Motoren werden sparsamer und schadstoffärmer sein – und sie werden sich mit der richtigen Software auf sportlich oder gemütlich programmieren lassen. Schon jetzt bestimmt die Elektronik, ob ein Motor 110 oder 140 kW leisten soll, aus den Fahrwerken des Porsche Cayenne und des VW Touareg wird mittels Motor und Elektronik das unterschiedliche Fahrverhalten definiert. Vielleicht gibt es künftig so etwas wie einen Sportwagen- und einen Familien-Knopf.

Dann kauft sich der Kunde das günstige Einsteigermodell und rüstet seine brave A-Klasse mit den neuesten, womöglich illegal kopierten Software-Updates flugs zur flinken Rennkiste auf.

Derartige Gedankenspiele findet ein DaimlerChrysler-Forscher naturgemäß nicht komisch. Aber völlig abwegig sind sie nicht, das weiß natürlich auch Akhtar Jameel. Er weiß auch, dass alle – Hersteller, Zulieferer und Computerkonzerne – an den Entwicklungen arbeiten. Und dass derjenige den Standard bestimmt, der die Technologie als Erster am Markt hat. Während um ihn herum die klügsten Köpfe im Valley viel von Open Source reden, von offenen Standards, die alle Teilnehmer im System weiterbringen, verhalten sich die Automobilkonzerne territorial. „Die Branche spielt Innovationsmikado“, sagt der Chef-Entwickler eines Wettbewerbers, „Neuerungen werden nur ganz vorsichtig auf den Markt gebracht, und nur wenn feststeht, dass die Konkurrenz nicht so leicht abkupfern kann.“ Jameel nimmt deshalb rasant die Kurve, kommt zurück zur unübersichtlichen Gebirgsroute und der Frage, wie denn nun Wagen und Nerven der Fahrer geschont werden können. Im Idealfall funken sich die Autos permanent gegenseitig ihre Positionen zu und informieren einander rechtzeitig über den gefährlichen Kollisionskurs. So weit wird es auch kommen, hofft Akhtar Jameel, die ersten Schritte sind bereits getan.

Die amerikanische Fernmeldebehörde FCC hat kürzlich ein Frequenzspektrum im 5,9-Gigahertz-Bereich für den automobilen Funkverkehr reserviert. Der Industrie soll damit die Einrichtung von Wireless LANs ermöglicht werden; sobald alle Autos mit dem entsprechenden Chipset ausgestattet sind, könnte die Vision vom unfallfreien Fahren also Wirklichkeit werden.

Der Chip ist nah. Laut Jameel dürfte es bald möglich sein, den unpraktischen CD-Wechsler im Kofferraum durch einen weitaus kostengünstigeren MP3-Player zu ersetzen, dem der Heimcomputer per Funk mehrere tausend Musikdateien überspielt, während der Wagen in der Garage steht. Funken lässt sich alles, auch die Position anderer Verkehrsteilnehmer.

Bis die letzte Rostlaube umgerüstet oder verschrottet ist, dürfte zwar noch eine Weile verstreichen. Aber wenn alles gut geht, könnte Akhtar Jameels Traum in 15 Jahren Wirklichkeit werden. Er arbeitet dran.

Was kommt, was bleibt. Und wann die Kompaktklasse in Europa modernisiert wird.

Die schlechte Nachricht: Das Auto von morgen wird nicht fliegen und nicht ohne Fahrer auskommen. Die gute: Es wird voller Innovationen stecken, auch wenn man sie nicht sieht. Die automobile Zukunft lässt sich in vier Kategorien einteilen: Infotainment, Sicherheit, Komfort und Antrieb. Und jeder Bereich rüstet auf.

Das Auto im Jahr 2015 wird an kabellose Breitband-Datennetze angebunden sein, in zwei Jahren werden wir wissen, ob UMTS oder die kostengünstigeren Wifi-Netze sich als Übertragunsstandard eignen. Mit digitalem Bordfernsehen und Netzwerkspielen dürfen wir ganz sicher rechnen. Der Komfort steigt weiter, genauso wie die Zahl der Neuerungen in puncto Sicherheit: Display in der Windschutzscheibe, aktive Beleuchtung, Fußgängerschutz-Sensorik, Objekterkennung oder Nachsichtgeräte werden real. Die Lenk- und Bremssysteme werden den Fahrer unterstützen und ihm in Gefahrensituationen Aufgaben abnehmen, die der Computer besser kann.

Mittels Elektronik und Software lässt sich das Fahrgefühl individualisieren. Je nach Präferenz des Fahrers können Fahrpedal- und Lenkrad-Charakteristik, die Einstellung des Innenlichts sowie Zahl und Gestaltung der Cockpit-Instrumente verändert werden. Die Elektronik erfüllt Kundenwünsche nach sportlichem oder verbrauchsarmem Fahren, sogar das Fahrgeräusch bestimmt der Käufer per elektronischem Soundsystem bald selbst. Elektromechanischer Ventiltrieb, elektrische Nebenaggregate und ein elektronisch gesteuertes Getriebe mit Doppelkupplung kennzeichnen den Antrieb der Zukunft. X-by-Wire revolutioniert das Fahrwerk: Mechanische Komponenten werden mit elektronischen Teilen kombiniert oder komplett ersetzt.

Das alles wird kommen und wie so häufig bei Entwicklungen in der Automobilindustrie: Die Luxusklasse wird zuerst profitieren. McKinsey & Company hat untersucht, wann auch der Fahrer der Kompaktklasse mit den Innovationen rechnen kann – und einen Zeitplan für das Auto der Zukunft skizziert. Dieser zieht technische Verfügbarkeiten ebenso in Betracht wie Kostenwirkungen, die mit zunehmenden Stückzahlen einsetzen, sowie für den Kunden wahrnehmbare Leistungsunterschiede gegenüber heutigen Lösungen. Die Entwicklungen werden am Ende auch das automobile Massengeschäft weltweit erreichen, allerdings nicht zeitgleich. So wird in Japan, wo der Autokäufer besonders hohe Anforderungen an Funktionalität und Fahrkomfort stellt, beispielsweise der Elektrohybridantrieb schon deutlich früher in die Kompaktklasse kommen als in Europa. In den NAFTA-Staaten Nordamerikas hingegen prägen Kostendruck und Gesetze die Innovationsgeschwindigkeit der Hersteller. Autofahrer in den USA werden sich zunächst deshalb vor allem über Neuerungen im sicherheitsrelevanten Bereich freuen können. Mit vielen anderen Innovationen in der Kompaktklasse ist in den USA erst drei bis fünf Jahre später als in Europa zu rechnen.

LED-Heckleuchten: Leuchtdioden statt Glühbirnen als Lichtquelle (gleiche Intensität, ohne optische Reflektoren)

42V-Bordnetz: Elektroversorgung des Fahrzeugs durch ein Bordnetz mit 42 Volt Netzspannung (heute üblich: 14 Volt) – erlaubt höhere elektrische Leistung, die für neue Technologien gebraucht wird (etwa X-by-wire-Systeme)

Hydroforming: Fertigungsverfahren zur Herstellung von Hohlteilen

Piezo-Injektoren: Benzin-Einspritzsysteme, die die in den Brennraum des Motors eingespritzte Benzinmenge genau dosieren können

Adaptive Cruise Control: Automatisches Abstandswarnsystem CVT (Continuous Variable Transmission): stufenloses

Automatikgetriebe (stellt sicher, dass der Motor bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten immer im optimalen Drehzahlbereich betrieben werden kann)

Reibwert-Erkennung: System erkennt den Reibwert auf der Fahrbahnoberfläche, wichtig etwa bei rutschigem oder glattem Untergrund

Color-Matching: Das Verfahren sichert exakt dieselbe Farbnuance bei benachbarten, getrennt lackierten Kunststoff- und Blechteilen einer Karosserie


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.