Wir können auch anders

Was antworten Unternehmer, wenn man sie nach ihrem wichtigsten Kapital fragt? Ganz klar: „Meine Mitarbeiter!“
Was aber, wenn ein Unternehmen einen gigantischen Kapitalüberschuss vor sich herschiebt? Wenn es mehr als 140.000 Arbeitskräfte auf seiner Gehaltsliste führt, für die es eigentlich keine Arbeit mehr hat?




Am Morgen des 14. Tages konnte Matthias Ehrle nicht mehr. Unter den gläsernen Augen diverser Fernsehteams wurde der Eisenbahner in einen Notarztwagen geschoben, zu einer Leverkusener Klinik transportiert und notversorgt. Zwei Wochen lang hatten der Bahntechniker und seine Kollegen gestreikt, getrommelt und gehungert, um eine Schließung ihres Bahnwerkes in Opladen bei Köln zu verhindern. Dann waren sie mit ihren Kräften am Ende.

„Unrentabel“, sagte die Deutsche Bahn AG. „Ein Skandal“, meinte die Gewerkschaft. Doch es nützte nichts. Zu Silvester 2003 gingen beim Werk, in dem einhundert Jahre lang Züge ausgebessert und Waggons in Stand gesetzt worden waren, endgültig die Schranken runter.

Damit endete die spektakulärste Notbremsung, die die Deutsche Bahn jemals in Sachen Personal vollzogen hat. Tatsächlich trennt sich der Konzern auf dem Weg in den Wettbewerb schon seit zehn Jahren in dramatischer, wenn auch erstaunlich geräuschloser Weise Schritt für Schritt von tausenden seiner Mitarbeiter, schließt Ausbesserungswerk auf Ausbesserungswerk, verschlankt die Verwaltung, rationalisiert und strafft. Während andere gern das Bild vom „atmenden Unternehmen“ bemühen, das seine Arbeitskräfte je nach Auftrags- und Konjunkturlage einbeziehungsweise ausatmet, tut die Bahn seit 1994 nur einen einzigen, tiefen, lang anhaltenden Seufzer. Von den 342.850 Eisenbahnern, die bei der Vereinigung von Deutscher Reichs- und Bundesbahn im Unternehmen beschäftigt waren, sind heute noch 199.100 an Bord. Binnen zehn Jahren ist die Belegschaft der Bahn um gut 40 Prozent geschrumpft. Und noch immer ist der Mobilitätskonzern nicht am Ziel seiner Radikalkur.

Allerdings – aber das ist nur ein schwacher Trost – steht die Mannschaft um den Vorstandsvorsitzenden Hartmut Mehdorn mit ihrem einst unvorstellbaren Personalüberhang keineswegs allein. Von der Deutschen Post über die Deutsche Telekom bis hin zum Berliner Senat verfügen ehemalige und heutige Staatsunternehmen über eine gewaltige Armee im Grunde arbeitsloser Mitarbeiter.

Nicht viel anders sieht es in den Konzernen der Privatwirtschaft aus. Dort wird das Thema allerdings ungern angerührt, weil es Sozialpartner und Shareholder verschrecken könnte. Tatsächlich sind in den Personalabteilungen in fast jedem größeren deutschen Konzern dutzende Mitarbeiter mit nichts anderem beschäftigt, als das überzählige Personal von A nach B und wieder zurück zu schieben. Grund sind Rationalisierung, neue Technologien, Synergieeffekte und schlicht der Wettbewerb, der zu schlankeren Prozessen (ergo: Personalabbau) zwingt. „Die großen Installationsprojekte gibt es heute einfach nicht mehr“, sagt beispielsweise Dietmar Welslau, Geschäftsführer bei Vivento, dem Dienstleistungsunternehmen für Personal und Business der Deutschen Telekom. „In den vergangenen Jahrzehnten waren unzählige Techniker mit dem Aufbau der Telefon- und Kabelnetze oder mit ihrer Umstellung auf die neue Digitaltechnik beschäftigt. Diese Aufgaben sind nun abgeschlossen.“

Erschwerend kommt hinzu, dass die Konzerne aufgrund der niedrigen Fluktuation in der Vergangenheit heute eine große Zahl altgedienter Mitarbeiter beschäftigen. So besitzt fast die Hälfte der 175.000 Mann starken Telekom-Belegschaft im Inland aus Zeiten der Deutschen Bundespost einen Beamtenstatus, weitere 30 Prozent sind wegen langjähriger Betriebszugehörigkeit, hohem Alter oder beidem quasi unkündbar. Damit verfügen sie zwar über einen garantierten Arbeitsplatz, haben aber keine Arbeit und keine wirkliche Zukunft mehr im Unternehmen. Draußen, auf dem freien Arbeitsmarkt, sieht es kaum rosiger aus – und so bleiben sie aufeinander hocken, der Beschäftigte ohne Beschäftigung und sein Arbeitgeber, der ihm keine Arbeit mehr geben kann. Eine vertrackte Symbiose.

Keine Hilfe vom Sozialstaat. Er ist pleite

Was also tun? Die klassisch amerikanische Antwort würde lauten: abfinden, abwickeln, Arbeitslosigkeit. Die klassisch sozialstaatliche Lösung hieße: Abfindung, Vorruhestand, Teilzeit. Amerikanisch geht nicht, weil es nicht nur unsozial gegenüber den langjährigen Mitarbeitern, verheerend für das Sozialklima und motivationshemmend für den Rest der Belegschaft, sondern auch unmöglich zu finanzieren wäre. „Nur mal theoretisch angenommen, wir würden unseren unkündbaren Kollegen eine angemessene Abfindung für ihre noch ausstehende Lebensarbeitszeit anbieten – das wäre einfach unbezahlbar“, überschlägt Dietmar Welslau.

Die theoretisch kündbaren 20 Prozent der Telekom-Belegschaft jedoch – vor allem jüngere Mitarbeiter und Neuzugänge aus den vergangenen Jahren – arbeiten zumeist in den Telekom-Niederlassungen der neuen Bundesländer. „Wenn wir uns von diesen 20 Prozent trennen wollten, müssten wir quasi den Osten leer kündigen“, sagt Welslau und schüttelt den Kopf, „mal ganz abgesehen davon, dass unter diesen 20 Prozent viele sind, auf deren Qualifikation und Engagement wir nicht verzichten können. Mitarbeiter lassen sich nicht ohne Blick auf Ausbildung und Erfahrung beliebig hin- und herschieben.“

Was Welslau und seinen Kollegen also theoretisch bliebe, wären die klassischen sozialstaatlichen Instrumente – doch die sind längst bis zur Neige ausgeschöpft. Die Deutsche Bahn AG beispielsweise hat seit ihrer Gründung die unglaubliche Zahl von 110.000 Beschäftigten in Rente oder Vorruhestand, per goldenen Handschlag oder auf eine andere sozialverträgliche Weise verabschiedet. 27.000 Bahner (darunter 12.000 Beamte) gehören zu jenem „Rest“, für die Vorstandschef Mehdorn keine Beschäftigung mehr hat.

Bündnis ohne Arbeit

Für sie schlossen Bahn und Belegschaft 1996 einen Vertrag, der auf den gewaltigen Namen „Beschäftigungsbündnis Bahn“ getauft wurde, aber einem einfachen Gedanken folgte: Anstelle betriebsbedingter Kündigungen sollte jedem Mitarbeiter ohne Arbeit eine Alternative im Unternehmen angeboten werden. Im Gegenzug versicherte die Belegschaft, dass sie bei diesen neuen Arbeitsplätzen besonders flexibel, mobil und verhandlungsbereit sein werde. Ähnliche Vereinbarungen haben auch Deutsche Post und Deutsche Telekom geschlossen – und errichteten damit gewissermaßen um ihren Arbeitsmarkt herum einen Zaun, der die eigenen Arbeitskräfte vor der Konkurrenz draußen schützen soll.

Als der Zaun fertig war, begannen sie, den Arbeitsmarkt draußen zu kopieren: mit Vermittlungsagenturen und Qualifikationsangeboten für all jene, deren alte Arbeit in den neuen, schlanken Konzernen nicht mehr gebraucht wurde. Der Grundgedanke: Bevor nicht alle in Frage kommenden internen Mitarbeiter versorgt sind, sollte kein Externer einen Job bekommen dürfen. Es war der Versuch, eine Art konzernweites Puzzle zu spielen, jedes frei gewordene Teilchen so lange hin- und herzudrehen, bis es irgendwo wieder einen passenden Platz gefunden hat.

„Es war eine schöne Idee“, sagt Martina Niemann, eine ehemalige Controllerin, die heute den konzernweiten Arbeitsmarkt der Deutschen Bahn (DB) leitet. „Leider hat sie nicht funktioniert.“ Es dauerte nämlich nur wenige Monate, bis der interne Arbeitsmarkt die Probleme des großen jenseits des Zaunes nahezu exakt kopiert hatte: zu viele Arbeitslose, die es zu vermitteln galt; zu wenige Anreize für die Arbeitslosen, selbst tätig zu werden; zu wenig Ansporn für die Arbeitgeber im Konzern, Arbeitslose wieder einzustellen, zu viel Statusdenken und viel zu wenig Bewegung. Zum Dienstleistungszentrum Arbeit (DZA), wie die Auffanggesellschaft für überzählige Bahner genannt wurde, schoben beispielsweise fast alle Konzernbereiche eifrig Mitarbeiter ab — aufnehmen von dort wollte aber kaum jemand welche. „In Rekordzeit hatten wir genau das gleiche schlechte Image wie die Personal-Service-Agenturen der Bundesagentur für Arbeit: Von dort, heißt es, kommen doch eh nur die alten, lahmen, schwachen Bewerber“, erinnert Niemann.

Einen Erfolg immerhin konnte das DZA schnell verbuchen: Das bis dahin unsichtbare Phänomen der verdeckten Arbeitslosigkeit wurde erstmals sicht-, zähl- und verhandelbar. „Solange die Leute in den Abteilungen sitzen, blockieren sie die Prozesse und mindern die Motivation derer, die Arbeit haben. Und wir wissen nicht, wie groß das Problem eigentlich ist, über das wir reden.“

Doch das war zu wenig: Der vermeintliche Problemlöser DZA entwickelte sich langsam selbst zum Problem. Was als DB-interner pulsierender Verschiebebahnhof für Arbeitsplätze und Arbeitsplatzsuchende gedacht war, geriet zum Abstellgleis – teuer und ineffektiv.

Und so wurden im konzernweiten Arbeitsmarkt die Weichen noch einmal komplett neu gestellt. Die wohl wichtigste Neuerung: Mit einem straffen Einstellungs-Monitoring werden heute sämtliche neu zu besetzenden Stellen im Konzern gefiltert. Erst wenn Niemann und Kollegen passen müssen, weil ihr konzerneigener Mitarbeiter-Pool keinen entsprechenden Mitarbeiter anzubieten hat, darf jenseits des großen Zaunes gesucht werden. Innerhalb des Zaunes gelten gleichzeitig verschärfte Regeln für Arbeitssuchende: Längere Arbeitswege, Wohnortwechsel und eine Beschäftigung unterhalb des bisherigen Qualifikationsniveaus gelten nicht mehr als unzumutbar.

Neuorientierung will gelernt sein

„Unsere große Frage lautete immer: Wie kriegen wir das hin, dass Mitarbeiter, die viele Jahre in einem Bereich gearbeitet haben, sich plötzlich für eine Neuorientierung öffnen?“, sagt Martina Niemann. Die Antwort: „Indem wir sie offen vor die Wahl stellen, entweder in die Arbeitslosigkeit zu gehen oder den von uns angebotenen Job zu übernehmen. Dass der nicht immer am gleichen Ort und im subjektiven Wertesystem des Arbeitnehmers mitunter niedriger angesiedelt ist als der alte, lässt sich nicht vermeiden.“ Ein DB-Beamter drohte bereits mit einer Klage, als ihm ein Job als mobiler Reiseberater angeboten wurde – die Ersatzarbeit sei für ihn „unzumutbar“. Die Entscheidung steht noch aus.

Ein interner Zeitarbeitsmarkt mit Gewinn

Gleichzeitig machten Niemann und Kollegen sich daran, den konzernweiten Arbeitsmarkt ganz neu zu organisieren.

_Zentrale Personalauffanggesellschaft der DB ist heute die DB Vermittlung. Sie versucht, unkündbare Mitarbeiter konzernintern zu vermakeln, bevor sie ihren Job verlieren, denn frühzeitige Vermittlung, weiß Niemann, bringt erfahrungsgemäß die höchsten Erfolgsquoten. Kommt das Weiterreichen nicht zu Stande, wird der Mitarbeiter unbefristet von der DB Vermittlung eingestellt, die für ihn Qualifizierungskurse und mitunter Arbeitseinsätze organisiert. So informierten Angestellte der DB Vermittlung im vergangenen Jahr Reisende über das neue (und mittlerweile modifizierte) Preissystem der DB, halfen Kunden bei der Bedienung der Kartenautomaten, reinigten Züge und Bahnhöfe oder pflegten die Vegetation entlang der Bahngleise. Beamte der DB waren außerdem bei der Vernichtung der alten D-Mark-Scheine beteiligt, 370 von ihnen wechselten zum Bundesamt für Güterverkehr – als Maut-Kontrolleure.

Jeder Mitarbeiter, der in die DB Vermittlung wechselt, kostet seinen abgebenden Unternehmensteil 30.000 Euro. Jeder Arbeitsplatz, der konzernintern frei wird, steht zunächst einmal 14 Tage lang exklusiv den Angestellten der DB Vermittlung offen. Wer eine zumutbare Arbeit ablehnt, darf – das ist tarifrechtlich geregelt – gekündigt werden.

Insgesamt wurden von der DB Vermittlung seit 1997 gut 27.000 Eisenbahner neu aufs Gleis gesetzt. Knapp die Hälfte konnte in Arbeit vermittelt werden, die andere Hälfte verließ das Unternehmen einvernehmlich. Aktuell beschäftigt die DB Vermittlung noch 1800 Mitarbeiter.

_Bahn-Mitarbeitern ohne Kündigungsbeschränkung ist die DB Vermittlung verschlossen. Ihnen wird stattdessen ein befristeter Vertrag in einer externen Transfergesellschaft angeboten – eine Art silberner Handschlag beim Abschied in den offenen Arbeitsmarkt. Die Vermittlungsquote der Transfergesellschaft liegt bei etwa 30 Prozent.

_Die 2001 gegründete DB Zeitarbeit GmbH (DBZ) platziert überzähliges Personal im Zeitarbeitsmarkt. Derzeit ist der Konzern selbst noch größter Kunde des florierenden Unternehmens, in Zukunft sollen DB-Zeitarbeiter verstärkt auf dem freien Markt untergebracht werden. „Wir vermitteln vor allem Triebfahrzeugführer, Rangierer, aber auch Ingenieure und Kaufleute“, sagt Juana Kawka, Leiterin der Vertriebsregion Nord. Nebenbei ist DBZ die einzige Zeitarbeitsfirma auf dem deutschen Markt, die Beamte in ihrem Angebot hat.

2003 erwirtschaftete das Unternehmen, das auch als Einkäufer für den gesamten Zeitarbeitsmarkt der DB fungiert, erstmals einen Gewinn, in 2004 soll es schon mit mehr als 1000 Mitarbeitern ausgestattet sein. Diese Zahl kann sich auch wieder verringern, weil erfahrungsgemäß immer einige Zeitarbeiter von ihrem temporären Arbeitgeber übernommen werden. Der „Klebeeffekt“, wie das Phänomen genannt wird, liegt bei fast 30 Prozent.

Das Ziel: Personalströme lenken, bevor es zum Stau kommt

_Als eine Art übergeordneter runder Tisch wurde der Jobservice gegründet, der Manager der DB Vermittlung mit Personalmanagern aus allen Unternehmensbereichen zusammenbringt. Sie sollen helfen, Personalströme zu lenken, bevor es überhaupt zum Stau kommt. Niemann: „Mit dem Jobservice wollen wir auch der lieb gewonnenen Einstellung bei einigen Mitarbeitern, Betriebsräten und Führungskräften entgegenwirken, die DB Vermittlung sei allein verantwortlich für die Probleme der Mitarbeiter, die ihren Arbeitsplatz verloren haben oder ihn möglicherweise verlieren werden.“ Das institutionalisierte Postengeschacher ist für viele im Konzern unbequem. Es bedeutet mehr Bürokratie und weniger Autonomie für die Entscheider, es erfordert mehr Kommunikation und reduziert den Wettbewerb. Und ob sich das Ganze lohnt, ist „letztlich immer vom guten Willen der Beteiligten abhängig“, muss Personalmaklerin Niemann einräumen. „Den guten Willen fördern wir, indem wir zum Beispiel Eingliederungszuschüsse anbieten – so, wie es das Arbeitsamt auch macht. Außerdem ist jede Abteilung mal abgebende und mal aufnehmende: Das erhöht die Bereitschaft, sich bei uns zu engagieren.“

Den Konzern kostet der selbst gemachte Arbeitsmarkt derzeit zwischen 80 und 100 Millionen Euro pro Jahr. Gleichzeitig spart er ihm aber Milliarden. Und er hilft, den Konzernfrieden über einen gewaltigen Konsolidierungsprozess hin zu wahren. Zudem dürfte Ende dieses Jahres die große Abbauwelle langsam abebben. „Wenn es so weit ist“, sagt Martina Niemann, „können wir unsere Stärken voll ausspielen. Eines Tages wollen wir für alle Konzernbereiche der erste Ansprechpartner in Sachen Arbeitskräfte sein – egal, ob sie nun von außen oder aus dem Unternehmen kommen. Das jedenfalls ist unsere Vorstellung.“

Vom Arbeitsplatz-Vermittler zum Arbeitsplatz-Entwickler

Ein paar hundert Kilometer weiter südwestlich versucht Dietmar Welslau die anstehenden Probleme auf seine Weise zu lösen. Eigentlich hatte seine Vivento lediglich eine überschaubare Zahl „entkonsolidierter“ Telekom-Mitarbeiter vermitteln sollen. Inzwischen sind die Dimensionen auf etliche Tausend gewachsen – Kollegen, die im schlimmsten Fall alle bei Welslau landen werden. Damit wäre die einst als Lückenfüller-Agentur gegründete Vivento nach T-Com und T-Systems plötzlich die drittgrößte Business-Unit im Telekom-Konzern. Nicht einmal der größte Arbeitgeber der Republik verfügt jedoch über so viele frei werdende Stellen, als dass er auch nur einen Bruchteil von ihnen wieder aufnehmen könnte.

Weil das so ist, hat die Vivento vor einiger Zeit begonnen, sich vom Arbeitsplatz-Vermittler in einen Arbeitsplatz-Entwickler zu verwandeln. „Wir haben gar keine andere Chance, als für unsere Leute selbst Geschäft zu generieren“, sagt Welslau. „Dabei hilft uns, dass wir in Vertrieb, Technik und Call-Center-Dienstleistungen über jede Menge qualifizierter Mitarbeiter verfügen, die diese Geschäfte betreiben könnten.“ So hat die Vivento beispielsweise eine 4000 Mitarbeiter starke Tochtergesellschaft gegründet, die Vivento Customer Services, die heute für externe und konzerninterne Kunden Telefonservices erledigt.

Gebraucht werden gute Ideen und gute Partner

Weitere Geschäftsmodelle werden derzeit durchkalkuliert. Ein mögliches Business: „Hier zu Lande gibt es viele, vor allem ältere Menschen, die nicht wissen, wie man eine Software installiert oder ins Internet gelangt. Wir haben die Techniker, die es ihnen hervorragend erklären könnten. Warum kein Serviceunternehmen daraus machen?“, fragt Welslau. Die vielen ehemaligen Telekom-Vertriebler ließen sich in einer Vertriebs-GmbH bündeln. Die könnte ihre Dienste zum Beispiel Mittelständlern zur Verfügung stellen, die sich selbst keinen eigenen landesweiten Vertrieb leisten können. „Was wir jetzt brauchen“, sagt Welslau, „sind viele gute Ideen und viele gute Partner aus der Wirtschaft, die diese Ideen mit uns umsetzen.“

Die aktuellen Tarifverhandlungen könnten Welslau und die Vivento entlasten. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und die Telekom AG diskutieren schon seit Wochen eine Reduzierung der Arbeitszeit für die Beschäftigten in Konzern und T-Com. Im Falle einer Einigung würde für einen Teil der Telekom-Belegschaft die Vier-Tage-Woche wahr werden – und die Vivento müsste deutlich weniger Geschäftsideen entwickeln. Statt der ursprünglich geplanten 30.000 Mitarbeiter, die mit Welslaus Hilfe mittelfristig eine neue Beschäftigung finden sollten, müssten vielleicht für nur noch 20.000 Kollegen Jobs gefunden werden. Alle anderen, so die Idee, könnten in ihren alten Positionen verbleiben oder sofort innerhalb des Konzerns auf neue Stellen wechseln.

Wie immer die Verhandlungen auch ausgehen: Es sind ziemlich ungewohnte Rollen, die dieser Tage im Bonner Telekom-Hochhaus einstudiert werden. Die Deutsche Telekom, einst Inbegriff der verbeamteten Unbeweglichkeit, lernt Unternehmertum. Altgediente Telekom-Beamte lernen Selbstständigkeit, Flexibilität und Risikobereitschaft. Und Dietmar Welslau lernt einen neuen Job als Gründungsberater: „Das hätte ich mir noch vor zwei, drei Jahren nicht träumen lassen.“

Wie Transfergesellschaften das Laufen lernen

Erfahrungen von Martina Niemann, Leiterin Personalplanung und Konzernweiter Arbeitsmarkt, Deutsche Bahn AG:

Prozesse sauber trennen
Für die Rationalisierung und den Personaltransfer sollten unterschiedliche Player die Verantwortung übernehmen. Denn: Der Rationalisierer ist in den Augen der Betroffenen immer negativ besetzt. Als fürsorglicher Betreuer bei der neuen Jobsuche wird er daher kaum akzeptiert. Radikale Ehrlichkeit
Es nützt gar nichts, unangenehme Wahrheiten scheibchenweise verkaufen oder gar ganz unter den Tisch kehren zu wollen – das rächt sich spätestens bei der nächsten Verhandlungsrunde.
Also: Allen Beteiligten von Anfang an offen mitteilen, worum es geht – und dann gemeinsam nach einer Lösung suchen. Klarheit und Fairness
Transferprozesse sind immer Fallprozesse, bei denen jeder Betroffene seine Behandlung akribisch mit der anderer Betroffener vergleicht. Wenn aber einmal klar nachvollziehbare Verfahrensregeln definiert sind, können die Beteiligten in der Regel darauf eingehen. Das gilt für die Arbeitgeberseite genauso wie für die Arbeitnehmer.

Mal mehr, mal weniger

Wie sich Personalkapazitäten aus Sicht von McKinsey steuern lassen.

Wer im Wettbewerb bestehen will, muss kontinuierlich Produktivitätspotenziale erschließen und dabei gegenläufige Entwicklungen steuern. In den klassischen Geschäftsfeldern werden immer weniger Mitarbeiter gebraucht – Wachstumschancen, die dem Abbau entgegenwirken könnten, liegen häufig außerhalb des Kerngeschäfts und erfordern andere, neue Fähigkeiten der Belegschaft, zudem oftmals an anderen, neuen Standorten. Derart komplexe Anforderungen benötigen eine permanente Steuerung: strategisches Personalkapazitäts-Management.

1. PERSONALÜBERHÄNGE VERMEIDEN

Einfaches Köpfezählen ist keine Lösung. Wer flexibel auf die Veränderungen des Marktes und auf potenzielle Chancen reagieren will, muss seine Personalstruktur vorausschauend planen.

Tatsächlich verschenken viele Unternehmen enorme Effizienzpotenziale. Sie agieren nicht frühzeitig, treffen keine Vorbereitungen, um zukünftige Über- und Unterdeckungen in den verschiedenen Geschäftsfeldern auszugleichen. Die Anpassungszyklen sind zu lang, die Flexibilität entsprechend gering.

Rechtzeitige Steuerung erfordert eine szenariobasierte, mittelfristige Personalplanung, die gezielte Erhöhung der funktionalen und regionalen Mobilität der Mitarbeiter sowie eine flexible, bedarfsorientierte Steuerung der freiwilligen Fluktuation. Nur so lassen sich eventuelle regionale und funktionale Personalunterdeckungen oder -überhänge prognostizieren und im Idealfall weitgehend vermeiden oder gegeneinander ausgleichen.

2. EINMALIGEN PERSONALABBAU OPTIMIEREN

Auch die beste Planung kann nicht verhindern, dass von Zeit zu Zeit Personalüberhänge entstehen. Größere Restrukturierungs- und Sanierungsprogramme oder die Entscheidung für strategische Optionen wie Outsourcing oder Offshoring führen zwangsläufig zum Abbau von Arbeitsplätzen in erheblichem Umfang. Der diskontinuierliche Personalabbau, den ein Unternehmen in einem solchen Fall zu bewältigen hat, muss häufig in sehr kurzer Zeit vonstatten gehen. Das ist nicht nur mit hohen Kosten verbunden, es birgt vor allem personelle Risiken: In dieser für die gesamte Belegschaft schwierigen Zeit gehen oft gerade die jungen oder leistungsstarken Mitarbeiter, die genügend andere Optionen zur Verfügung haben, für den langfristigen Erfolg des Unternehmens aber wichtig sind. Strategisches Personalkapazitäts-Management hilft, ein qualitäts- und kostenoptimiertes Instrumentenportfolio zu definieren, das Kosten und Qualitätsrisiken minimiert.

3. PERSONALÜBERHANG MANAGEN

Personalanpassung ist kompliziert genug und wird oft durch Restriktionen wie etwa den ausgehandelten Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen oder einen weitreichenden Kündigungsschutz der Mitarbeiter erschwert. In so einem Unternehmen wird der Umgang mit Personalüberhängen zur dauerhaften Management-Aufgabe.

Wichtigstes Instrument dabei ist ein interner Arbeitsmarkt, um Überkapazitäten und Remanenzkosten abzubauen. Eine wertschöpfungsoptimierte Zugangssteuerung sorgt dafür, externe Einstellungen zu minimieren und auf Positionen des Unternehmens zu beschränken, bei denen externes Know-how für den zukünftigen Erfolg entscheidend ist. Nur so kann dem internen Arbeitsmarkt eine ausreichende Anzahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung gestellt werden, um eine hinreichende Dynamik zu gewährleisten. Hohe Transparenz über den (künftigen) funktions- und qualifikationsspezifischen Bedarf und Personalüberhänge ist eine weitere Grundvoraussetzung für den Erfolg der internen Jobvermittlung.

Sind die Personalüberhänge so groß, dass sie durch die natürliche Fluktuation im Unternehmen bei weitem nicht aufgefangen werden können, stößt selbst ein funktionierender interner Arbeitsmarkt an seine Grenzen. In solchen Fällen müssen andere strategische Optionen – Insourcing oder der Aufbau beziehungsweise Ausbau neuer Geschäftsfelder – zu einer wertschöpfenden, deckungsbeitragsorientierten Auslastung der Mitarbeiter im Überhang beitragen.

4. ALLES GLEICHZEITIG ANPACKEN

In der Theorie lassen sich die einzelnen strategischen Schritte konsequent abarbeiten. Die Praxis lehrt, dass die Herausforderungen zumeist zeitgleich zu bewältigen sind. Um Produktivitätsgewinne in den verschiedenen Geschäftsbereichen zu realisieren, muss ein Unternehmen den Personalbestand kontinuierlich verringern. Gleichzeitig stehen Restrukturierungen an einzelnen Standorten an. Zudem sind dauerhafte Personalüberhänge zu managen, mit denen sich das Unternehmen aufgrund rechtlicher Einschränkungen oder Restriktionen aus Betriebsvereinbarungen oder Verabredungen mit dem Sozialpartner konfrontiert sieht. Strategisches Personalkapazitäts-Management ist ein permanenter, ein anstrengender Prozess. Aber wo es gelingt, die einzelnen Module sorgfältig aufeinander abzustimmen, leistet es einen erheblichen Beitrag zum Geschäftserfolg des Unternehmens. 


Dieser Text stammt aus unserer Redaktion Corporate Publishing.